Man darf aber nicht vergessen: damals hatte die frisch vereinigte Republik gar keine andere Wahl, als Zehntausende westdeutsche Aufbauhelfer in den Osten zu schicken. Denn deren Expertise war unentbehrlich für den Aufbau eines demokratischen Staates. Diesen Aufbauhelfern gebührt Dank, Dank dafür, dass sie diesen bemerkenswerten Kraftakt auf sich genommen haben,
dass sie entfernt von Familien, Kindern, Freunden im Osten geholfen haben, Verwaltungsstrukturen aufzubauen und zu etablieren.
Unser Partnerland im Westen war Niedersachsen. Somit bestand für viele Verwaltungsmitarbeiter die Möglichkeit, zur Arbeit in den Osten zu pendeln.
Für andere war der Weg zum Pendeln zu weit und man wurde hier sesshaft. Man findet sie heute vermehrt im sogenannten Magdeburger Speckgürtel: Biederitz, Möser, Wahlitz, Wahlleben, Schönebeck, um nur einige Orte zu nennen.
Viele Wochenendpendler haben einen Zweitwohnsitz in Sachsen-Anhalt, den ersten Wohnsitz aber in der Heimat. Die Landesregierung stellte fest, dass in einigen Bereichen der Landesverwaltung immer noch 30 % der Beschäftigten ihren Wohnsitz außerhalb von Sachsen-Anhalt haben. Das ist erstaunlich, wenn nicht sogar bedenklich. Denn die Kolleginnen und Kollegen haben einen erheblichen Einfluss auf politische Entscheidungen und damit auf die Entwicklung im Land Sachsen-Anhalt.
Ja, es soll sie noch vereinzelt geben, die sogenannten DiMiDos, diejenigen, die nur dienstags, mittwochs und donnerstags hier sind, und die Wochenendpendler. Wer einmal Gelegenheit hatte, nachmittags oder abends den Pendlerzug von Magdeburg nach Braunschweig oder Helmstedt zu nehmen, kann sich einen guten Überblick verschaffen, was gerade so im Innenministerium, im Wirtschaftsministerium oder im Sozialministerium vor sich geht und was so geschafft wurde. Insbesondere für die Opposition ist das mitunter sehr interessant zu hören.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In Ostdeutschland sind 87 % der dort lebenden Menschen ostdeutsch. Sie sollten verstärkt bei den Entscheidungen in ihrem Land, in ihrer Region, in leitenden Funktionen mitwirken dürfen. Davon sind wir bisher weit entfernt.
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, sagte kürzlich in einem Interview:
„Die Dominanz westdeutscher Eliten im Osten wird von den Ostdeutschen als kultureller Kolonialismus erlebt. Viele Ostdeutschen haben auch 28 Jahre nach der Einheit das Gefühl, fremdbestimmt zu leben.“
„Über die gefühlte Dominanz der Westdeutschen müsse gesprochen werden, und zwar ohne dass sie persönlich genommen oder moralisch verstanden wird.“
Problematik überhaupt bewusst ist und, wenn ja - das sollte spätestens nach unserer Kleinen Anfrage der Fall sein -, welche strukturellen Maßnahmen sie insgesamt oder ressortspezifisch gegen die Unterrepräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen der Landesverwaltung unternimmt. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Heiß. Es gibt zwei Fragen, und zwar von Herrn Scheurell und von dem Abg. Herrn Tullner. Möchten Sie die beantworten?
Sehr geehrte Frau Abg. Heiß, finden Sie es nicht schade, dass Sie so viel Energie und Enthusiasmus in Ihren Vortrag und in Ihre Recherche investieren mussten für ein Thema, welches wir doch schon lange überwinden wollten?
Wissen Sie, ich bin meiner Partnerstadt Göttingen dafür dankbar, dass sie sehr, sehr viel Aufbauhilfe für unsere Kommunen geleistet hat.
Sie haben in vielen, vielen, auch unbezahlten, Stunden Abgeordnete, also Stadträte, geschult. Sie haben die Verwaltung auf Vordermann gebracht, damit sie den Realitäten des gesamtdeutschen Raums genügen kann.
Frau Heiß, es mag sein, dass das eine oder andere ärgerlich ist, dass es heute noch so ist. Aber wir müssen endlich diese Ossi-Wessi-Diskussion überwinden.
Wissen Sie, wenn ich jetzt hier nach vorn schaue, könnte ich auch sofort mit einem Finger zeigen, wer da alles von woher ist. Aber, Frau Heiß, es zeigen auch immer vier Finger zurück. Das beherzigen Sie bitte bei dieser Diskussion. Sie bringt keinen wirklichen Gewinn für unser Bundesland. Glauben Sie es mir.
Ich bin dankbar, dass sich viele jetzt im sogenannten Magdeburger Speckgürtel angesiedelt haben. Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden auch heute noch die Deutsche Reichsbahn verstopfen.
Sehr geehrte Frau Heiß, bevor Sie antworten - Sie können vielleicht noch einen kleinen Moment durchatmen -, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Studentinnen und Studenten vom Ring ChristlichDemokratischer Studenten Magdeburg recht herzlich bei uns hier im Hohen Hause begrüßen zu dürfen. Seien Sie herzlich willkommen!
Zum einen, Herr Scheurell: Ja, ich bedauere das genauso wie Sie, dass das nötig ist. Das tut übrigens auch der Ministerpräsident, das hat er auch gesagt. Ich habe das Zitat wegen der Redezeit nicht vollständig vorgelesen. Es ist traurig, dass es so ist.
Zum Zweiten. Ja, auch ich bin dankbar, dass Aufbauhilfe geleistet wurde. Ich bin dankbar, dass es Partnerstädte gibt, die uns hierbei unterstützen, ohne Frage.
Zum Dritten, Herr Scheurell. Sie sind selbstständig. Sie haben eine Firma. Das finde ich richtig klasse. Es ehrt Sie auch, dass Sie sich das getraut haben. Das ist nicht ohne.
Aber ich habe eine Weile in der Verwaltung gearbeitet. Ich habe viel zugehört, sowohl meinen Kollegen, die von hier kommen, als auch den Kollegen, die hierher gekommen sind oder immer noch pendeln. Ich habe viel gehört, was die Belange sind, wo es Konfliktlinien gibt.
Ich habe auch ganz viel Frust wahrgenommen, gerade aus den Gründen, die ich hier angeführt habe. Viele Positionen, angefangen bei Referatsleitern, Abteilungsleitern über Staatssekretäre bis hin zu den oberen Etagen, sind eben nach wie vor nicht mit Ostdeutschen besetzt. Die Leute sagen, sie möchten selber mitbestimmen, sie wohnen hier und sie möchten selbstbestimmter auch in der Verwaltung und in der Politik tätig sein.
Deswegen, weil wir es auch bei der Antwort auf unsere Kleine Anfrage gemerkt haben, dass das nicht nur gefühlt ist, sondern tatsächlich mit Zahlen belegbar ist, finde ich es wichtig, das Thema auch in meiner Generation hier noch einmal aufzumachen.
Ich würde erst einmal vorschlagen, da, wo es so rote Linien und weiße Linien - das ist mir vollkommen egal - gibt, sollte vielleicht ein Mediator bestellt werden, um so etwas auszuräumen.
Nach meiner Auffassung geht es in diesem demokratischen Land immer nach Eignung, Leistung und Befähigung.
Wenn sich Eignung, Leistung und Befähigung wirklich durchsetzen, dann dürfte es gar kein Thema sein, was Sie hier jetzt ansprechen.
Wir haben noch eine zweite Nachfrage. Der Abg. Herr Tullner hat noch eine Nachfrage - wenn es möglich ist, kurz. Wenn ich unsere Zeitverzögerung anschaue, stelle ich fest, dass wir schon fast im nächsten Tagesordnungspunkt sind. - Bitte.