Protocol of the Session on November 22, 2018

„Die Jugendlichen haben in der Regel die Fremdunterbringung in Einrichtungen oder Pflegefamilien nicht verschuldet, sondern ihre Eltern. Diese Kinder müssen nicht nur mit einem viel schwierigeren Start ins Leben klarkommen, nein, sie werden immer wieder weiter ‚bestraft‘. Wie sollen diese Jugendlichen motiviert werden, sich Geld zu verdienen, um etwas Startkapital zu haben? So ist zum Beispiel ein Laptop für die weiterführende Schule manchmal zwingend notwendig. Welches Zeichen wird diesen Jugendlichen vermittelt? Es lohnt sich nicht zu arbeiten! Das Geld wird uns vom ‚Staat‘ sowieso wieder weggenommen. Also ist es doch besser, sich gleich an diesen zu wenden und nichts zu tun. Sind wir, die Gesellschaft, wirklich auf das Geld der Jugendlichen angewiesen, oder wäre es nicht sinnvoll, einmal über diese Regelung nachzudenken?“

(Beifall bei der LINKEN)

Ich denke, meine Damen und Herren, treffender kann man es gar nicht formulieren.

(Ulrich Siegmund, AfD: Nein!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Mit unserem Antrag beziehen wir uns nicht nur auf vollstationäre Leistungen, sondern auch auf teilstationäre und vorläufige Maßnahmen des Jugendamtes. Wir wissen, dass wir damit einen großen Bogen schlagen, halten es aber für dringend geboten, die Kostenbeteiligung betroffener junger Menschen in allen infrage kommenden Bereichen zu prüfen und nach Möglichkeit abzuschaffen.

Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass dies ein komplexes Thema sein wird.

Sehr geehrte Damen und Herren! Von der Landesregierung wurde in der letzten Sitzung des Landesjugendhilfeausschusses mitgeteilt, dass im Bund versucht werde, eine erneute Reform des SGB VIII anzugehen, diesmal aber von Anfang an mit einer breiten öffentlichen Beteiligung. So sollen zum Beispiel Bund-Länder-Arbeitsgruppen eingerichtet werden. All dies wird jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Dennoch möchten wir mit unserem Antrag erreichen, dass sich die Landesregierung im Interesse der betroffenen jungen Menschen möglichst klar bekennt und im Bundesausschuss und im Bundesrat für ihre Interessen streitet. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

(Beifall bei der LINKEN)

Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Frau Hohmann für die Ausführungen. - In der Debatte sind drei Minuten Redezeit je Fraktion vorgesehen. Zuvor spricht für die Landesregierung Ministerin Frau Grimm-Benne. Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE greift in der Tat die Frage auf, ob Pflegekinder oder Heimkinder zu den Kosten ihrer Jugendhilfeleistung herangezogen werden sollten.

Einem Aspekt dieser Frage hatte sich bereits das Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz vom 29. August 2013 gewidmet. Dieses regelte, dass Kindern und Jugendlichen Aufwandsentschädigungen für eine ehrenamtliche Tätigkeit oder Honorare für eine Tätigkeit im sozialen und kulturellen Bereich belassen werden können, weil nicht die Erwerbstätigkeit, sondern vielmehr das soziale und kulturelle Engagement im Vordergrund steht.

Frau Hohmann hat es schon angesprochen: Auch das in der vergangenen Legislaturperiode des Bundestages nicht mehr verwirklichte Reformvorhaben eines Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes sah jedenfalls eine Reduzierung des Umfangs des einzusetzenden Einkommens von 75 auf 50 vom Hundert vor.

Nun will DIE LINKE nach ihrem Antrag die Kinder und Jugendlichen vollständig und bedingungslos von der Beteiligung an den Kosten einer gewährten Hilfe zur Erziehung freistellen.

Es ist richtig, dass die Ursachen für die Notwendigkeit, Maßnahmen der Hilfe zur Erziehung zu gewähren, regelmäßig nicht von den Kindern und Jugendlichen geschaffen werden. Insoweit mag es ungerecht erscheinen, sie an den Kosten dieser Hilfe zu beteiligen.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Es ist auch ungerecht! Es erscheint nicht so!)

Es müsste auch aus meiner Sicht unbedingt vermieden werden, dass aus der Kostenheranziehung so etwas wie eine Stigmatisierung dieser jungen Menschen entsteht.

Problematisch wäre auch, wenn die Vorschriften über die Kostenheranziehung bei den jungen Menschen den Eindruck erwecken würden, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit lohne sich nicht, weil das Einkommen zur Finanzierung der erhaltenen Leistungen eingesetzt werden muss.

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU)

Eine solche Wahrnehmung ist und wäre kontraproduktiv für den Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe.

Es spricht also einiges dafür, Kinder, Jugendliche und junge Volljährige vollständig von den Kosten freizustellen. Allerdings bin ich der Meinung, dass noch genauer darüber diskutiert werden sollte, ob diese Überlegungen dazu führen können, von Kostenheranziehungen vollständig und ausnahmslos abzusehen.

Ob ein vollständiges Absehen auch zu fordern ist, wenn im Einzelfall aufseiten des jungen Menschen erhebliches Einkommen vorhanden ist, ist aus meiner Sicht zweifelhaft.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Wie viele Fäl- le kennen Sie, wo viel Einkommen bei den jungen Menschen vorhanden ist?)

- Genau darauf komme ich zurück, Frau von Angern, wenn Sie es mich zu Ende ausführen lassen würden. - Neben den ganzen BundLänder-Arbeitsgruppen wissen wir in unserem Land viel zu wenig darüber, welche Kinder und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt tatsächlich zu den Kosten herangezogen werden. Oder, Frau Hohmann, wissen Sie aus Ihrem eigenen Kreis, wie viele junge Menschen tatsächlich herangezogen werden, die sowohl im Pflege- als auch im Heimbereich sind?

Ich will Ihnen gern entgegenkommen und wir werden das in dem entsprechenden Ausschuss noch einmal problematisieren. Ich würde auf jeden Fall noch einmal nachfragen, in welchem Umfang in den Landkreisen tatsächlich Einkommen der Kinder herangezogen wird, in denen es oftmals auch freigestellt wird, weil man es aus Tätigkeiten gewonnen hat, die dem erzieherischen Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe entsprechen, wenn sie also an bestimmte Tätigkeiten etc. herangeführt werden, dass man es ihnen dann nicht wieder wegnimmt.

Was man auch immer sagen muss, ist, ob ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand der Kostenheranziehung gegenübersteht. Dazu würde ich gern eine Abfrage der einzelnen Landkreise machen, um zu gucken, wie es tatsächlich in Anspruch genommen wird.

Ich will mich dem nicht verschließen. Ich finde aber, ohne Prüfung und ohne solide Kenntnisse darüber, wie in unserem Land verfahren wird, würde ich eine konkrete gesetzliche Ausgestaltung noch nicht empfehlen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich sehe keine Fragen. Dann danke ich Frau Ministerin für die Ausführungen. - Bevor wir in der

Debatte fortfahren, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Studentinnen und Studenten der Hochschule Merseburg auf unserer Pressetribüne begrüßen zu dürfen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Für die CDU-Fraktion spricht der Abg. Herr Krull. Herr Krull, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Mitglieder des Hohen Hauses! Als CDU-Landtagsfraktion haben wir mit diesem Antrag unsere Schwierigkeiten bzw. unterschiedliche Problemlagen. Erst einmal ist aus unserer Sicht der Grundansatz falsch.

Unser Sozialstaatsverständnis besteht darin, dass der Staat den Menschen hilft und Leistungen gewährt, die nicht in der Lage sind, sich selbst ausreichend zu helfen, weil zum Beispiel ihr Einkommen zu gering ist, um ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Solange also jemand finanziell dazu in der Lage ist, sich selbst zu helfen, kommt die Solidargemeinschaft und damit die Gemeinschaft der Steuerzahler nicht für ihn auf. In diesem Sinne sehen wir auch die Kostenheranziehung bei Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen im Rahmen des §§ 91 ff. SGB VIII.

Eine solche Kostenheranziehung dürfte im Übrigen gerade bei dem genannten Personenkreis deutlich die Ausnahme sein gegenüber dem Regelfall, dass der Staat die Kosten entsprechend trägt.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Das stimmt nicht!)

Aus unserer Sicht finden sich zu diesem Thema umfängliche Ausführungen im Papier „Gemeinsame Empfehlungen zur Kostenbeteiligung nach dem SGB VIII. Heranziehung zu den Kosten nach §§ 91 ff. SGB VIII“, welches auf der 124. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 2. bis 4. Mai dieses Jahres in Hamburg beschlossen wurde.

Insbesondere die Hinweise zum Thema Härtefallprüfung nach § 92 Abs. 5 SGB VIII sind lesenswert. Darin wird klargestellt, wie Härten gegenüber dem betroffenen Personenkreis vermieden werden können.

Weitere Verbesserungsmöglichkeiten gibt es sicherlich, auch was die Anrechnungsquoten angeht - das klang heute schon an. Darüber soll auch im zuständigen Ausschuss mit debattiert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt möchte ich noch einmal auf das grundsätzliche

Thema der notwendigen Reform des SGB VIII zu sprechen kommen.

Bereits im Koalitionsvertrag der im Jahr 2017 beendeten großen Koalition im Bund fand sich eine Formulierung, die eine Reform der gesetzlichen Regelung ankündigte.

Als sich diese Wahlperiode ihrem Ende zuneigte, erlebten wir eine unter unglaublichem Zeitdruck eingebrachte Änderung des SGB VIII mit dem sogenannten Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, welches als große Lösung präsentiert, aber schlussendlich doch nicht umgesetzt wurde, weil es noch im Bundesrat festhängt.

Wir erwarten, dass sich die aktuelle große Koalition des Themas erneut annimmt, weil weiterhin Reformbedarf besteht. So ist es auch im neuen Koalitionsvertrag vereinbart worden.

Darin findet sich folgende Formulierung:

„Das bestehende Kinder- und Jugendhilfegesetz hat sich in seiner Grundausrichtung bewährt und hohe Akzeptanz erfahren. Gesellschaftliche Veränderungen und fachpolitische Erkenntnisse bringen es aber mit sich, dass es weiterentwickelt werden muss.“

Daran werden sich der Prozess und an dessen Ende die entsprechenden Ergebnisse messen lassen müssen.

Das zuständige Bundesministerium hat hierzu einen entsprechenden Prozess gestartet. Das wurde auch hier schon erwähnt.

Der vorliegende Antrag kann aus unserer Sicht einen wichtigen Impuls liefern, der aber im Rahmen der weiteren Beratung im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration weitergeführt und gegebenenfalls ausgebaut werden muss. Daher bitte ich um Überweisung an den genannten Ausschuss und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)