Um kein Missverständnis zu erzeugen: Es ist kein Geheimnis, dass sich konservatives und linkes Staatsverständnis grundlegend voneinander unterscheiden.
Wir wollen einen Staat, der seine Stärke darin zeigt, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Wir wollen einen Staat, der seine Stärke in Solidarität zeigt, einen Staat, der seine Stärke in guter Arbeit, guter Bildung und einer gerechten Vermögensverteilung zeigt, einen Staat, der Kinder- und Altersarmut wirksam bekämpft, einen Staat, der jedem Menschen faire Chancen in seinem Leben gibt.
Die Vorstellungen von einem starken Staat, wie sie ein Innenminister hat, taugen unseres Erachtens nicht als Leitbild für eine Gesellschaft und eines Staates. Ein starker Staat wäre zum Beispiel in Schulen erlebbar. Er wäre erlebbar, wenn nicht 700 000 Stunden im letzten Schuljahr ausgefallen wären. Er wäre spürbar mit Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer, die sie nicht zum Schulhopping zwingen. Er wäre erkennbar daran, dass Lehrende, die die Arbeit von Rektorinnen und Rektoren übernehmen, auch so be
zahlt würden. Ein starker Staat wäre auch schon auf dem Weg zur Schule erkennbar, nämlich indem er Kinder nicht zwingt, kilometerweit zu fahren, um eine Schule zu erreichen.
Ein starker Staat wäre daran erkennbar, dass er bewusst Bereiche schafft, die nicht unter Rentabilitätsdruck gesetzt werden, Kunst und Kultur zum Beispiel. Sachsen-Anhalt hat eine so reichhaltige Kunst- und Kulturszene. Und ja, Kunstschaffende, Kulturgüter, Kunstgeschichte, Theater, Galerien, Museen und Orchester - sie alle gehören zweifellos zu den größten Schätzen Sachsen-Anhalts. Doch wie so viele andere Bereiche sind sie seit Jahren unter Druck, der bedingt wird von Personalabbau, von Kürzungen und von Einsparpotenzialen, kurzum: von der schwarzen Null.
Ein starker Staat wäre daran erkennbar, dass er dafür sorgt, dass beispielsweise Pflegerinnen und Pfleger ordentlich bezahlt werden und nicht im Durchschnitt 1 000 € weniger bekommen, als ihre Kolleginnen und Kollegen in Baden-Württemberg bekommen.
Man könnte das mit dem Tarifvertrag regeln, indem er die Voraussetzungen dafür schafft, dass Menschen bereit sind, den Beruf von Pflegenden zu erlernen.
Und was für die Pflege gilt, gilt selbstverständlich auch für alle anderen Arbeitsbereiche. Ein Staat, der dafür sorgt, dass Menschen nicht drei oder vier Jobs zum Überleben brauchen, dass Menschen nicht in ausbeuterischen Verhältnissen arbeiten müssen, dass sie gute Arbeitsbedingungen vorfinden - das wäre ein starker Staat.
Meine Damen und Herren! DIE LINKE ist bekanntlich reich an Theorien und Analysen, insbesondere der konservativen. Altbekannt dürfte die Einschätzung sein, dass Konservative vor allem deswegen so gern vom starken Staat im ordnungsrechtlichen Sinne reden, um davon abzulenken, dass sie Politik gegen einen starken Sozialstaat machen.
Ich finde, wenn wir uns die Diskrepanz zwischen der Stärke, die beschworen wird, und der Stärke, die erlebbar ist, anschauen, ist da viel dran.
Doch auch wenn wir uns die Bereiche anschauen, über die der Minister offensichtlich gerne reden will, fällt die Diskrepanz zwischen Taten und
in Sonntagsreden oder in unserem Fall in Donnerstagsreden. Ich schaue einmal in den Koalitionsvertrag: „Wir werden uns auf Bundesebene dafür einsetzen, ehrenamtliche Tätigkeit von der Sozialversicherungspflicht zu befreien.“ - Bis heute Stillstand, seit Jahren.
Oder: „Die wechselseitigen Rechte und Pflichten im Integrationsprozess wollen wir in einem Integrations- und Teilhabegesetz regeln.“ - SachsenAnhalt wartet bis heute auf ein solches Integrations- und Teilhabegesetz.
Auch bei der Polizeistrukturreform bleibt vieles auf der Ebene von Versprechungen. Und ohne der Debatte nachher zur Polizeistrukturreform zu weit vorgreifen zu wollen: Entscheidend für das Sicherheitsgefühl und die reale Belastbarkeit der Polizei ist nicht das Schild, das an der Dienststelle hängt, sondern wie viel Personal da ist, wie gut die Polizei ausgestattet ist, wie gut sie qualifiziert ist und wie die Arbeitsbedingungen sind. Genau hier wird eben spürbar, dass die jahrelang währende Politik des Personalabbaus bei Polizei und Schule in eine Sackgasse geführt hat, die diesen Staat geschwächt hat.
Auch wenn wir uns die Situation der Gemeinden und Kommunen anschauen, liegen die oft gehörten Bekenntnisse zur kommunalen Familie und zur wichtigen Bedeutung der Gemeinden als Lebensort und das tägliche Erleben weit auseinander. Sich hinzustellen und salbungsvolle Worte zu finden ist das eine. Aber wer ist denn für die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen über Jahre hinweg verantwortlich? - Das sind auch Sie, Herr Kommunalminister.
Der Städte- und Gemeindebund schätzte im Sommer dieses Jahres ein, dass nach vielen Jahren der strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen ein erheblicher finanzieller Aufholbedarf besteht, um dem derzeitigen Investitionsrückstand begegnen zu können. Der Landkreis MansfeldSüdharz geht nach ersten Schätzungen von einem Sanierungsbedarf von 46 Millionen € allein für die Schulen aus. Für die Kreisstraßen Sachsen-Anhalts bezifferte die Landesregierung den Investitionsbedarf im letzten Jahr auf 821 Millionen €.
Diese Zahlen zeigen, dass die Regierung das Land auf Verschleiß fährt. Seit Jahren sind die Abschreibungen höher als die Investitionen. Stra
Meine Damen und Herren! Ich sehe schon vor mir, wie die künftigen Generationen sich bei uns bedanken, wenn sie diese Versäumnisse ausbaden dürfen, wenn sie Straßen, Brücken und Schulen teuer sanieren müssen, weil wir sie heute zum Wohl schwarzer Nullen fallen lassen, vielmehr weil Sie sie fallen lassen.
Wer etwas dafür tun will, dass Menschen gern in Sachsen-Anhalt leben, sich hier zu Hause fühlen, hier bleiben wollen und sich einbringen wollen, der muss das Geld, das da ist, nutzen. SachsenAnhalt hat ein dickes Sparbuch, aber niemand hat was davon. Allein im Jahr 2017 haben Sie 500 Millionen €, die für dringende Investitionen vorgesehen waren, nicht ausgegeben. Derzeit sind nicht mal die für einen einmaligen Anschluss von Schulen an schnelles Glasfasernetz nötigen 25 Millionen € zu haben. Von den 500 Millionen € hätten sie die 20 Mal anschließen können. Ein Staat, der am Ausbau dieser grundlegenden Infrastruktur für das 21. Jahrhundert so eklatant scheitert wie Sachsen-Anhalt, ist leider kein starker Staat.
Es ist die Ironie ihrer eigenen Regierungserklärung, dass gerade Polizei und Justiz, die Grundfesten Ihres starken Staates, durch das jahrelange Zaudern und Sparen Ihrer Regierung bei der IT-Infrastruktur eine Bruchlandung erleben werden, die mit dem elektronischen Postfach in der Justiz in diesem Jahr begann und mit den Polizeidiensten weitergehen wird.
Ein starker Staat würde das im Überfluss vorhandene Geld durch gerechte Steuern einsammeln und in die Zukunftsfähigkeit des Landes investieren. Diese Regierung aber füllt ihre Sparbücher praller und praller, und das auf Kosten der heute lebenden Bürgerinnen und Bürger.
Seit Jahren erleben wir, dass insbesondere dort, wo sich Gemeinden in der Haushaltskonsolidierung befinden, freiwillige Aufgaben - Schwimmbäder, Kultur, Bibliotheken - stetig zurückgefahren, ganz eingestellt oder ehrenamtlich tätigen Vereinen übertragen werden.
Die Leute brauchen auch keine Rückholprämie oder einen netten Brief vom Ministerpräsidenten. Sie brauchen Lebensperspektiven. Dazu gehört, dass es Theater, Vereine, Kultur, Infrastruktur, Internet, öffentliche Verkehrsmittel, Kindergärten, Schulen, Pflegeeinrichtungen und Soziokultur in den Städten wie auf dem Land gibt und dass für Spielplätze nicht erst Spenden gesammelt werden müssen.
Dazu gehören gute Arbeitsbedingungen, ein Staat, der sich an die Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellt, und Politik, die es wagt, endlich die himmelschreiende Ungerechtigkeit der Vermögensverteilung anzugehen.
Das wären die Stellen, an denen ein starker Staat gebraucht würde. Es sind die Stellen, an denen diese Landesregierung wenig liefert.
Weil der Minister natürlich auf die Frage von Identität und Heimatgefühl abstellt, wie es ja unter Innenministern in zu sein scheint, will auch ich dazu natürlich einige Dinge bemerken.
Der Minister sprach von den Brüchen für Menschen im Osten nach 1989 und von Unsicherheiten. Letzte Woche wurde in der „Zeit“ der Ausdruck verwendet, viele würden dies als ein Loch, als eine Fehlstelle empfinden. Ich glaube nicht, dass sich dieses beschriebene Loch mit wie auch immer gearteten Gefühlen und Appellen an Gefühle füllen lässt. Ich glaube auch nicht, dass Politik das tun sollte.
Das Gefühl, zu Hause zu sein, sicher zu sein, geborgen zu sein, wertgeschätzt zu werden, tun zu können, was man tun will, Wege, die man gehen will, gehen oder sie auch verlassen zu können, das verstehe ich unter einem Heimatgefühl in einem positiven Sinne. Das ist doch nun wirklich etwas sehr Individuelles und genau das sollte es auch bleiben.
Sobald wer auch immer versucht festzulegen, wie dieses Heimatgefühl aussehen soll und wer es haben darf und wer nicht, geht es weit weniger um das Verbindende als um das Abgrenzende. Die AfD macht uns das ja nahezu täglich vor. Wer jedoch seine Stärke nur aus der Abgrenzung zu anderen bezieht, der ist nicht stark, sondern der macht andere künstlich schwach.