Vielen Dank. - Werte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Kennen Sie die folgende Situation? Sie sind krank und gehen zum Arzt. An der Anmeldung erwartet Sie dann oftmals die folgende Antwort: Ach, Sie sind Kassenpatient? Das tut mir leid; wir nehmen nur noch Privatpatienten. Oder aber: Der nächste Termin ist in zehn bis zwölf Monaten. Passt Ihnen das zufällig? Wenn Sie Glück haben, dann heißt es: Setzen Sie sich direkt ins Wartezimmer; in zwei, drei, vier oder fünf Stunden wird man Sie dann aufrufen. Bei uns in der Altmark ist das beispielsweise eine gängige Situation. Ich denke, damit spreche ich für fast alle Flächenkreise.
Wir alle wissen, dass kein Arzt in Sachsen-Anhalt Derartiges freiwillig oder sogar gern macht; das soll unterstrichen sein. Aber es sind Situationen, die bei uns täglich tausendfach vorkommen. Es handelt sich um Symptome des Ärztemangels.
Liebe Kollegen! Am meisten ärgert mich eigentlich, dass das, worüber wir heute sprechen, wie so oft schon seit Ewigkeiten absehbar war. Seit Jahrzehnten war es mathematische Gewissheit, dass die medizinische Versorgung eines Tages nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden kann. Die Menschen werden älter, sie werden kranker; es gehen viel mehr Ärzte in Rente, als aus dem Studium kommen, und Ärzte wandern ins Ausland ab.
und nichts Effektives unternommen haben. Die SPD und die CDU tragen in meinen Augen die volle Verantwortung für überfüllte Wartezimmer, für eine Zweiklassenmedizin und für die Unterversorgung im ländlichen Raum, die gerade erst am Anfang steht.
Warum wage ich das zu behaupten? - Der gesunde Menschenverstand kann eins und eins zusammenzählen; denn bereits in den 1990erJahren konnte man anhand der demografischen Entwicklung den Mehrbedarf an Ärzten in den 2020er-Jahren vorhersehen. Ein 30-jähriger Mann beispielsweise hat ungefähr sechs bis acht Arztkontakte im Jahr, ein 70-Jähriger kommt bereits auf 35 Arztkontakte im Jahr. Es entwickeln sich neue Krankheiten. Die Patienten werden zunehmend multimorbid. Die Ausrede damals - die Bevölkerungszahl geht zurück, also brauchen wir weniger Ärzte - war also, wie so oft, zu kurz gedacht.
Hinzu kommen neue Industriekrankheiten als Folge einer ungesunden Lebensweise. Diabetes, psychische Erkrankungen infolge von Einsamkeit oder Überarbeitung und viele Herz-KreislaufErkrankungen stellen die Ärzte vor immer neue quantitative und qualitative Herausforderungen. Beispielsweise haben Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen in den letzten Jahren um 50 % zugenommen, die Zahl der Krankentage dabei sogar um 70 %. Ud wer diese Welle von Diagnosen bearbeiten darf, das liegt natürlich auf der Hand.
Der Ärztemangel ist bereits heute bittere Realität, doch die Zukunft sieht nicht besser aus. Ein Drittel der Hausärzte in Sachsen-Anhalt ist bereits heute über 60 Jahre alt. Bei den Fachärzten ist es nicht besser: Lediglich 15 % der Fachärzte in SachsenAnhalt sind jünger als 45 Jahre.
Liebe Kollegen! In wenigen Jahren gehen hier in Sachsen-Anhalt sprichwörtlich die Lichter aus, wenn wir nicht unverzüglich Maßnahmen ergreifen, und zwar Maßnahmen, die bereits vor zehn oder 20 Jahren hätten getroffen werden müssen, liebe SPD und liebe CDU. Genau diese notwendigen Maßnahmen enthält unser Antrag, der Ihnen vorliegt.
Ein Hauptproblem für den Ärztemangel bei uns ist der fehlende Nachwuchs. Wir fordern eine Erhöhung der Anzahl der Studienplätze in der Humanmedizin um mindestens 20 %, um nachhaltig den quantitativen Bedarf auszugleichen und Schwund vorzubeugen. Auf einen Studienplatz kommen mehr als sechs Bewerber, und die Abschlussquote ist mit 90 % derart hoch, dass wir hier noch deutliches Potenzial für mehr erfolgreiche Absolventen sehen.
Ein weiteres Problem ist die massive Abwanderung nach dem Berufsabschluss. Fünf Jahre nach dem Ende des Studiums haben bereits mehr als die Hälfte aller Absolventen SachsenAnhalt verlassen und stehen unserem Volk nicht mehr für eine gesundheitliche Versorgung zur Verfügung, obwohl der Steuerzahler in Sachsen-Anhalt ihre Ausbildung finanziert hat. Das liegt ganz einfach daran, dass ein signifikanter Anteil der Studenten an den beiden Unis in Sachsen-Anhalt gar nicht von hier kommt und daher natürlich auch mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit dorthin zurückgeht, wo er herkommt.
Übrigens sei dabei erwähnt, dass das Auswahlverfahren in Deutschland auch nicht unbedingt einfach ist. Die Abiturvergleiche werden immer differenzierter. Ein Student aus Sachsen-Anhalt hat mit seinem Abitur natürlich ganz andere Karten als ein Student aus Bremen oder Berlin. Dieses Thema stellt gerade unsere heimischen Studenten vor immer schwierigere Herausforderungen beim Numerus Clausus.
Was wir daher brauchen, ist eine Landeskinderquote. Mindestens 30 % der Studienplätze sollen nur an Studenten vergeben werden, die seit mindestens zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz bei uns in Sachsen-Anhalt haben.
Ein weiterer besonderer Schwerpunkt liegt für uns auf der Versorgung im ländlichen und strukturschwachen Raum. Viele Ärzte zieht es in Ballungsgebiete mit vielen Privatpatienten und einer vermeintlich höheren Lebensqualität. 10 % der Studenten sollen sich daher verpflichten, als Landarzt in ländlichen und strukturschwachen Regionen tätig zu werden. Das ist eine durchaus erreichbare Zahl, die nachhaltig die Strukturen im ländlichen Raum stärkt und damit natürlich auch die einzelnen Kommunen unterstützt.
Eine weitere Maßnahme sind Projekte wie die „Klasse Allgemeinmedizin“ an der Martin-LutherUniversität in Halle. Hierbei werden ausgewählte Studenten der Humanmedizin bereits ab dem ersten vorklinischen Semester auf eine spätere Tätigkeit als Hausarzt vorbereitet. Durch eine direkte Einbindung in eine Lehrarztpraxis und eine persönliche praktische Begleitung entsteht eine individuelle Bindung an den Beruf des Haus- oder Landarztes.
Eine Forderung, ein mögliches Stipendium daran zu koppeln, sich für eine Arbeit im ländlichen Raum zu verpflichten, ließe sich in dem Zusammenhang ganz wunderbar mit unserer festen Forderung nach Landärzten verbinden. Wir fordern daher eine entsprechende Ausweitung dieses wunderbaren Programms auch auf die Ottovon-Guericke-Universität in Magdeburg.
Circa 70 % der Studenten an den medizinischen Fakultäten sind Frauen. Hier steht die nächste problematische Entwicklung bevor. Frauen arbeiten nämlich viel häufiger in Teilzeit und fallen häufiger wegen Mutterschutzjahren aus. Über 23 % - das muss man sich mal überlegen: fast ein Viertel der eigentlich in Sachsen-Anhalt lebenden Ärzte - sind gar nicht aktiv in ihrem Beruf tätig. Die effektive Arbeitszeit pro Arzt wird dadurch entsprechend deutlich reduziert.
Natürlich ist es gut, wenn Frauen Arbeitsanreize bekommen, um Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Für die Bedarfsplanung für unsere medizinische Versorgung ist das jedoch ein gewaltiges Risiko, das schwierig vorhersehbar ist. Die Landesregierung muss daher auch für ein zukünftig ausgeglichenes Geschlechterverhältnis sorgen. Überall ist das gang und gäbe, nur anscheinend dann nicht, wenn es mehr Frauen als Männer gibt.
Ein weiterer wichtiger Fakt ist, dass die Landesregierung endlich anerkennt, dass ausländische Ärzte keine langfristige und nachhaltige Lösung des Mangels an medizinischen Fachkräften darstellen. Natürlich ist ein ausländischer Arzt besser als gar keiner, und es gibt auch viele Beispiele für zugewanderte Ärzte, die eine gute Arbeit machen. Das möchte ich hier auch ganz frei einmal erwähnen.
Die Patienten wollen aber nachweislich von einem Arzt behandelt werden, welcher ihre Sprache spricht, welcher sie vollumfänglich versteht und welcher ihnen auch kulturell vertraut ist. Dieser Indikator trägt nicht nur zu einer besseren Patientenzufriedenheit bei, sondern kann auch den Behandlungserfolg positiv beeinflussen. Trotzdem hat die Anzahl ausländischer Ärzte in SachsenAnhalt seit dem Jahr 2008 von 536 auf 1 176 zugenommen. Das ist eine Verdoppelung in nur zehn Jahren.
- Ja, Wahnsinn, sehr gut. - Wir fordern die Landesregierung, hierbei endlich zu handeln und medizinischen Nachwuchs aus den eigenen Reihen zu gewinnen. Das wären die richtigen Prioritäten; denn es kommt nicht auf eine kurzfristige, sondern auf eine langfristige Lösung an. Und wer hier nicht schon wieder dementsprechend herauskrakeelt,
- Herr Striegel, Sie hören nicht einmal zu, aber krakeelen dazwischen; das muss man sich einmal überlegen -, der begreift, dass ich nicht das Problem anspreche, sondern dass ich langfristig plane. Und es ist damit einfach nicht möglich.
Liebe Kollegen, wie Sie in unserem Antrag sehen, fordern wir vielfältige und konsequente Maßnahmen zur nachhaltigen Bekämpfung des Ärztemangels und nicht wieder nur zur kurzfristigen. Sie denken ja immer nur von Wahl zu Wahl. Wir denken über Jahrzehnte.
Man muss hierbei betonen, dass alle Maßnahmen, die wir heute ergreifen, frühestens in zehn oder 15 Jahren wirken. Wir dürfen daher keinen Tag und keine Stunde verlieren, sondern müssen endlich handeln.
Die medizinische Versorgung unseres Volkes ist ein wichtiges Spiegelbild unserer Gesellschaft. Lassen wir es also nicht zu, dass sich die aktuelle Entwicklung weiter fortsetzt, und beschließen wir gemeinsam wirkungsvolle und nachhaltige Maßnahmen gegen den Ärztemangel in Stadt und Land. - Danke schön.
Vielen Dank, Herr Abg. Siegmund. Es gibt keine Anfragen. - Bevor wir in die Debatte einsteigen, hat für die Landesregierung der Minister Herr Prof. Dr. Willingmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ein wichtiges Thema, fürwahr. Flächendeckende Versorgung mit Ärztinnen und Ärzten - das geht uns alle in SachsenAnhalt an. Allein mit einem Katalog von Wünschdir-was-Punkten wird man unser Problem schwerlich lösen können. Es gibt einfach keine Patentrezepte. Lassen Sie mich das an einigen Aspekten des Antrages der AfD-Fraktion sichtbar machen.
Zunächst: Studienplätze in Sachsen-Anhalt, die wir für die Medizin zur Verfügung stellen, kosten rund 273 000 €. Gemeint ist der Studienplatz in der Humanmedizin. Das ist die grobe Kalkulation. Wir finanzieren im Moment im Landeshaushalt 370 dieser Studienplätze an den beiden Fakultäten, die Sie bereits erwähnt haben, je 185 in Magdeburg und in Halle. Tatsächlich studieren zum Wintersemester 2017/2018 245 Nachwuchsmedizinerinnen und -mediziner in Halle und 196 in Magdeburg. Sie kennen das, man kann sich auf solche Studienplätze einklagen.
Die im AfD-Antrag geforderte Erhöhung um 20 % würde 74 zusätzliche Studienplätze bedeuten und damit zusätzliche Kosten von 20 Millionen €.
dass nämlich diese zusätzlich besetzten Stellen dann auch tatsächlich zu mehr Ärzten bei uns auf dem Lande führen.
Wir würden sie ausbilden. Ob wir sie hier behalten können, ist über die Vergabe des Studienplatzes jedenfalls noch nicht entschieden. Das muss man nüchtern sehen. Und gestatten Sie mir den Hinweis: Ich persönlich bin kein allzu großer Freund davon, dass man versucht, das Studium zu provinzialisieren.
Ich halte es schon für wichtig, dass sachsenanhaltische Abiturientinnen und Abiturienten in der ganzen Bundesrepublik studieren können und willkommen sind. Und genauso finde ich es auch wichtig, dass junge Menschen aus anderen Bundesländern zu uns kommen und bei uns ihre Ausbildung durchlaufen.
Dass es dann eine gewisse Durchmischung gibt und dass das dann dazu führt, dass man mitunter Menschen wieder verliert, ist eine natürliche Folge. Sie gehört meines Erachtens zur akademischen Tradition seit mindestens etwa 1 000 Jahren.
Meine Damen und Herren! Die Vergabe von Studienplätzen an Landeskinder ist ein rechtliches Problem. Man kann das noch so oft fordern. Es ist jedenfalls nach bisheriger Lesart des Bundesverfassungsgerichtes nicht zulässig.