Protocol of the Session on April 20, 2018

Ich finde es zunächst gut, wenn sich in einer Debatte das Verständnis einer sorgsamen sozialen Verantwortung äußert. Keine Frage, jede Reform

muss sich wechselnden Bedingungen und neuen Herausforderungen stellen. Bei Bedarf ist zu modifizieren und anzupassen. Nicht gut finde ich es hingegen, wenn simplifizierend eine undifferenzierte Aussage bemüht wird, wie hier zum angeblichen Scheitern der Hartz-Reformen.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Genau so ist es!)

In dem Antrag wird völlig ausgeblendet, dass die Hartz-Reformen auch eine ganze Reihe von Erfolgen aufzuweisen haben, nämlich die Ausrichtung der Grundsicherung auf die Aktivierung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten für den regulären Arbeitsmarkt, den Kritikern bekannt unter dem Slogan des Förderns und Forderns. Dadurch gelang es auch, ehemals in der Sozialhilfe versteckte Personen sichtbar zu machen und für den Arbeitsmarkt zu gewinnen.

Es ist aber eben nicht nur ein Slogan, sondern das Widerspiegeln eines übergeordneten Integrationsziels. Dahinter steckt die Einsicht, dass gesellschaftliche Teilhabe am besten durch Teilhabe am Erwerbsleben zu erreichen ist und dass auf diesem Weg niemand aufgegeben werden sollte. Dass dies nicht völlig abwegig ist, weil die damit verbundenen Instrumente funktionieren, zeigt sich, bedingt durch die wirtschaftliche Situation, auch an der Entwicklung bei den Arbeitslosenzahlen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Eine Mindestsicherung ist Hartz IV unzweifelhaft schon jetzt. Über die Bemessung der Regelbedarfe im Detail kann man freilich streiten. Im Hinblick auf die Sanktionen halte ich Reformen ebenfalls für sinnvoll, ohne diese jedoch vollständig abschaffen zu wollen. Als Teil des Prinzips Fördern und Fordern sind Sanktionen dem Grunde nach nicht verzichtbar. Für mich steht jedoch im Vordergrund, den Menschen für das Erwerbsleben zu ertüchtigen und ihn ins Erwerbsleben zu integrieren.

Zutreffend ist aber auch, dass das Sanktionsrecht einer Weiterentwicklung bedarf. Ich sehe insbesondere die verschärften Sanktionen für junge Erwachsene bis zum 25. Lebensjahr sehr kritisch. Studien haben gezeigt, dass die verschärften Sanktionen gar nicht die Wirkung zeigen, die sich der Gesetzgeber bei deren Einführung versprochen hat. Sie, Frau Hohmann, haben angesprochen, dass der neue Arbeitsminister in diesem Bereich auch Änderungen angezeigt hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Trotz aller guten Erfolge auf dem Arbeitsmarkt gibt es nach wie vor viele Menschen, die bereits seit längerer Zeit keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehen. Das hat in der Regel vielfältige und auch sehr individuelle Ursachen. Diese reichen von geringer Qualifikation, gesund

heitlichen Einschränkungen, geringem Leistungs- und Durchhaltevermögen bis hin zu privaten Bindungen im Umfeld wie Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen. Aber auch Verschuldung und Suchtprobleme bis hin zu einer geringen Motivation oder ganz und gar zu dem Fehlen einer geregelten Tagesstruktur können die Ursachen sein. Treten mehrere dieser Hemmnisse gemeinsam auf, wird die Aufnahme einer Beschäftigung besonders schwierig.

Deshalb halte ich es für richtig, dass der Bund im Koalitionsvertrag ein neues unbürokratisches Regelinstrument im Sozialgesetzbuch Zweites Buch für alle vorsieht, Teilhabe am Arbeitsmarkt, und dieses mit Mitteln in Höhe von rund 1 Milliarde € jährlich unterlegt hat. Hierdurch wird 100 000 bis 150 000 Menschen, die unter den regulären Bedingungen des Arbeitsmarktes wohl keine Möglichkeit hätten, Fuß zu fassen, die Chance geboten, durch sinnvolle Arbeit an der Gesellschaft teilzuhaben.

Nach einer allerersten Schätzung werden davon in Sachsen-Anhalt ca. 4 500 Menschen zusätzlich profitieren, zusätzlich zu dem Programm, das wir als Land selbst aufgelegt haben. Ich halte jedenfalls zielführende Korrekturen innerhalb des Systems für den besseren Weg und werde diesen daher konstruktiv begleiten. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Danke, Frau Ministerin. Ich sehe eine Wortmeldung von Frau Zoschke. - Sie können sich jetzt am Mikrofon äußern.

Danke, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie kritisierten die Aussage, die Frau Hohmann für die gesamte Fraktion getroffen hat: Wir gehen davon aus, dass Hartz IV tatsächlich gescheitert ist.

Nun ist diese Aussage unter anderen auch von dem Kollegen Müller begründet worden, der meiner Meinung nach Mitglied Ihrer Partei ist. Er hat dazu aufgefordert, darüber nachzudenken,

Hartz IV durch eine Grundsicherung zu ersetzen, die existenzsichernd ist. Er nennt sie soziale Grundsicherung. Ich hätte gern gewusst, wie Sie persönlich zu dieser Forderung von Herrn Müller stehen?

Ich habe mit dieser Nachfrage gerechnet. Herr Müller spricht von einem solidarischen Grundeinkommen. Er knüpft es aber nicht an eine Sanktionsfreiheit und vor allen Dingen nicht an die Bedingungslosigkeit, sondern er verknüpft es genau

so wieder an die freiwillige Aufnahme einer Tätigkeit, und wenn es auch nur gemeinnützige Tätigkeit ist.

Damit sind wir nach wie vor in der Tradition der Sozialdemokratie; denn wir sagen, Arbeit gehört zum Leben eines Menschen. Eine sinnvolle Tätigkeit macht einen Menschen aus. Daran hält auch Herr Müller nach wie vor fest. Ich kann Ihnen sozusagen die ganzen Beiträge darstellen.

Frau Zoschke hat eine Nachfrage. Bitte sehr.

Frau Ministerin, es gibt in Europa unzählige Beispiele, bei denen Langzeitarbeitslosen, die es überall gibt, Geld in die Hand gegeben worden ist mit dem Auftrag, damit etwas aus ihrem Leben zu machen.

(Zuruf von der AfD: Griechenland und Spa- nien!)

- Nicht nur in Griechenland, auch in Frankreich oder in England.

(Tobias Rausch, AfD: Was reden Sie denn da für eine Gülle! - Weitere Zurufe von der AfD)

Von denen, die diese Chance nutzten, sind mehr als 80 % tatsächlich in ein ganz normales, auch von Ihnen - Arbeit ist ja sinnstiftend - als sinnstiftend bezeichnetes Leben zurückgekommen.

Warum gehen wir diesen Weg nicht?

(Robert Farle, AfD: Weil das nicht geht! - Zuruf von der LINKEN: Das geht! - Zurufe von der AfD)

Frau Ministerin, bitte antworten Sie.

Es muss doch auch eine Unterscheidbarkeit zwischen den Parteien geben. Wir sind, seitdem ich im Landtag bin, an dieser Stelle immer unterschiedlicher Auffassung gewesen. Das muss man, denke ich, auch einmal akzeptieren. Wir werden unsere Bereiche weiterentwickeln. Ich denke, auch der Parteitag in Wiesbaden wird zeigen, dass wir nicht sagen, Hartz IV ist gescheitert und soll abgeschafft werden. Wir müssen diese Dinge vielmehr weiterentwickeln.

(Markus Kurze, CDU: Fördern und For- dern!)

Deswegen bin ich auch bereit, bei dem solidarischen Grundeinkommen oder bei der Grundsicherung, wie es der Bürgermeister in Berlin genannt

hat, den Weg weiterzugehen. Der Koalitionsvertrag sagt auch dazu etwas aus. Wir unterscheiden uns an dieser Stelle einfach. Deswegen ist es auch schwierig, in einer solchen Debatte immer wieder die alten Argumente - ich will nicht sagen, einander um die Ohren zu hauen - auszutauschen.

Danke. - Damit sind wir am Ende des Debattenbeitrages angelangt. Ich stelle eine Überschreitung der Redezeit durch die Frau Ministerin um eine Minute fest. Das bedeutet, dass sich alle wieteren Redebeiträge auch um eine Minute verlängern, sofern das gewünscht wird. Das ist nicht zwingend; niemand ist dazu verpflichtet. Für die CDU-Fraktion spricht nunmehr der Abg. Herr Krull.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erneut beschäftigen wir uns also hier im Landtag mit dem Thema Hartz IV oder - wie der eigentliche Gesetzestitel lautet - mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Damals verfolgte die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, beides staatlich finanziert, vor allem zwei Ziele: erstens die Existenz für die Betroffenen zu sichern und das Abgleiten in absolute Armut zu verhindern, und zweitens die Betroffenen durch eine ganze Reihe von Maßnahmen und Möglichkeiten der Arbeitsmarktpolitik wieder in Beschäftigung zu bekommen, damit sie ihr Leben wieder aus eigenem Einkommen finanzieren können.

(Zustimmung bei der CDU - Markus Kurze, CDU: Jawohl!)

An diesem Ansatz halten wir als CDU-Landtagsfraktion ausdrücklich fest, genauso wie an dem Grundsatz des Förderns und Forderns.

Bevor die Frage aufkommt, ob ich überhaupt Menschen kenne, die von SGB-II-Leistungen leben müssen: Ja, ich kenne solche Personen, sogar aus dem engeren persönlichen Umfeld. Ich kenne aber auch die Geschichten dazu, wie sie es wieder geschafft haben, durch Motivation und Unterstützung in Erwerbstätigkeit zu kommen und ihren Lebensunterhalt wieder selbst zu verdienen.

Ich verschließe auch nicht die Augen davor, wie schwierig es ist, von Hartz IV zu leben. Dass der Regelbedarf für einen Alleinstehenden mit 416 € knapp bemessen ist, wird wohl niemand hier in Abrede stellen. Aber die Ziele, die mit SGB-IILeistungen verbunden sind, habe ich ja bereits dargestellt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte ein paar Zahlen korrigieren, und zwar auf Sachsen-Anhalt bezogen. Gemäß der aktuellen Märzstatistik der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der erwerbsfähigen Personen, die im Rechtskreis des SGB II Leistung erhielten, im Vergleich zum Vorjahresmonat um 8,1 % zurückgegangen, also um 14 636 Personen von 167 100. Natürlich ist jeder Einzelne einer zu viel. Aber ist die Abschaffung von Hartz IV der richtige Ansatz? - Wir sagen nein.

Natürlich ist auf diesem Rechtsgebiet und auch bei anderen entsprechenden Regelungen an mancher Stelle Reformbedarf festzustellen. Diesen werden wir politisch auch entsprechend anmahnen, seien Sie sich dieser Tatsache gewiss. Unser Landesprogramm „Stabilisierung und Teilhabe am Arbeitsleben“, ergänzt um das aktuelle Bundesprogramm, wird hierbei sicherlich entsprechende Akzente setzen.

Es folgen noch wenige Worte zum Thema Sanktionen. Ich verweise auf den Artikel, der am 12. April 2018 in der Online-Ausgabe der „Mitteldeutschen Zeitung“ erschien. Die Überschrift des Artikels lautete „Ämter kürzen seltener Hartz IV“ und bezog sich auf Sachsen-Anhalt. Danach wurden in Sachsen-Anhalt in 40 165 Fällen Sanktionen ausgesprochen, 1 000 weniger als im Jahr zuvor. Diese betrafen 5 500 Personen.

Das macht deutlich, dass die Sanktionen einen ganz kleinen Teil der Hartz-IV-Empfänger treffen, weil dieser häufiger Sanktionen ausgesprochen bekommt. Der Anteil beträgt gerade einmal 3,1 %. Bei den unter 25-Jährigen sind es rund 4 %. 80 % dieser Sanktionen gehen auf Meldeversäumnisse zurück. Natürlich sollen solche Sanktionen auch einen erzieherischen Charakter haben; denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit sind Grundtugenden, die man auf dem heutigen Arbeitsmarkt einfach haben muss.

Meine Redezeit ist bereits überschritten. Sie werden sich nicht darüber wundern, dass wir als Koalition Ihren Antrag ablehnen werden. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Herr Krull, Sie haben trotzdem noch die Gelegenheit zu reden. Es gibt zwei Wortmeldungen. - Zuerst Herr Gebhardt. Bitte sehr, Herr Gebhardt.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Krull, ich habe eine Frage. Frau Hohmann hat in Ihrem Beitrag auch auf einen Konflikt in Ihrer Partei hingewiesen, und zwar zwischen zwei CDU-Mitgliedern,

nämlich zwischen dem ehemaligen Arbeitsminister Herrn Blüm und Herrn Spahn. Herr Spahn hat sich bekanntermaßen zu Hartz IV geäußert. Herr Blüm hat die Äußerungen von Herrn Spahn als empathie- und herzlos bezeichnet. Mich würde interessieren: Welche der beiden Position teilen Sie denn?

Jens Spahn ist durchaus dafür bekannt, dass er zu spitzen Formulierungen neigt. Das hat ihn in der Bundesrepublik auch ein Stück weit bekannt gemacht. Ich habe seine Worte so verstanden, dass er den Regelsatz von 416 € so definiert, dass damit niemand in diesem Land hungern muss. Ich empfinde das als eine wichtige Aussage.

Ich gebe aber zu, dass 416 € natürlich auch dazu führen, dass man eine gewisse Teilhabearmut in diesem Land erlebt. Man kann nun nach Instrumenten suchen, um diese Teilhabearmut zu bekämpfen. Schlussendlich bleibt es aber das oberste Ziel unserer Partei, dass die Leute - ich habe es bereits gesagt - durch eigenes Einkommen ihr Leben bestreiten können. Das ist, wie gesagt, unsere Zielstellung.

(Zustimmung von Markus Kurze, CDU, von Ulrich Thomas, CDU, und von Lars-Jörn Zimmer, CDU)