Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen die Sitzung fort. Nehmen Sie bitte Ihre Plätze ein, damit wir die Sitzung fortführen können.
Einbringerin ist Frau Zoschke. Bevor ich Frau Zoschke das Wort erteile, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Schülerinnen und Schüler des EuropaGymnasiums in Thale recht herzlich im Hohen Hause zu begrüßen. Herzlich willkommen!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren nicht zum ersten Mal über das Thema Pflege. Den Pflegenotstand, die Pflegefachkräfte, die Pflegeausbildung oder auch die Pflegeversicherung haben wir im Plenum schon thematisiert.
Ja, für vieles sind wir nicht zuständig. Pflege und Pflegeversicherung fallen in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers; das wissen wir. Dennoch müssen wir Verantwortung übernehmen und, wenn wir Indizien dafür haben, dass etwas schiefläuft, dies auch deutlich machen.
Jede, jeder von uns wird immer mal wieder mit konkreten Problemen, Problembeschreibungen und Erfahrungen von Pflegenden, Alten- und Krankenpflegerinnen und Angehörigen von zu
Seit Beginn dieser Legislaturperiode arbeitet ein runder Tisch „Pflege“, bei dem die eine bzw. andere Stelle dieser Verantwortung thematisiert wird und auch Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeitet werden sollen.
Auch die Verhandlungspartner der großen Koalition haben sich im Koalitionsvertrag zu diesem Politikfeld geäußert. Lassen Sie mich zunächst aus dem aktuellen Koalitionsvertrag zitieren:
„Wir werden sicherstellen, dass alle auch zukünftig eine gute, flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung von Beginn bis zum Ende ihres Lebens erhalten, unabhängig von ihrem Einkommen und Wohnort. […]
Wir werden die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege sofort und spürbar verbessern. Es werden Sofortmaßnahmen für eine bessere Personalausstattung in der Altenpflege und im Krankenhausbereich ergriffen und dafür zusätzliche Stellen zielgerichtet gefördert.“
Klingt doch gut, sagen die einen; andere wiederum, wir warten ab, was kommt; und wieder andere, schauen wir mal, wie es finanziert wird.
Dabei ist unser Ansatz: Wer eine gute, menschenwürdige Pflege für alle möchte, die nicht vom Geldbeutel des Einzelnen abhängig ist, der muss auch ganz konkret über die Finanzierung dieser Pflege nachdenken und für alle Seiten machbare Lösungen anbieten.
Wenn wir jetzt auf die konkreten Probleme und Erfahrungen zu sprechen kommen, dann wird deutlich, dass gerade dieses Abhängigsein vom Geldbeutel des Einzelnen ein andauerndes, gegenwärtig sehr akutes und für viele drastisch erlebtes Problem ist. Es harrt einer Lösung, die die bestehende Situation entschärft und für zu Pflegende einen positiven Ausblick in die Zukunft ermöglicht.
Durch die Umsetzung des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes steigen aktuell die Eigenanteile für einen Heimplatz auf enorme Weise.
Ja, mehr Lohn für die Altenpflegerinnen und Altenpfleger war überfällig - keine Frage. Diese Kosten werden auf die Menschen mit Pflegebedarf umgelegt. Zusätzlich werden auch für Investitionskosten, für Unterhalt und Verpflegung und für die Ausbildung der Altenpflegerinnen höhere Zuzahlungen fällig. Diese Kosten zusammen erhöhen nun wiederum den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil der zu Pflegenden.
Schon jetzt sind alte und ältere Menschen auf Hilfe zur Pflege angewiesen. Nicht jeder kann die anfallenden Kosten aus dem eigenen Budget aufbringen. Auch alle weiteren Schritte zur Umsetzung der Pflegestärkungsgesetze sind mit Finanzen, mit Kosten verbunden. Dies wird unserer Meinung nach die Zahl der Anspruchsberechtigten auf Hilfe zur Pflege weiter anwachsen lassen.
Es wird immer offensichtlicher: Die Rente reicht einfach nicht mehr aus, um den Pflegeplatz zu bezahlen.
Pflege macht arm und zwingt viele Menschen in die Sozialhilfe, und das, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet und in die Sozialversicherungssysteme eingezahlt haben. Sie werden, was sie nicht wollen, was ihnen peinlich ist, auf ihre Kinder angewiesen sein. Ein selbstständiges Leben im Alter, werte Kolleginnen und Kollegen, sieht tatsächlich anders aus.
Dabei können wir auch ganz konkret werden. Die einrichtungseinheitlichen Eigenanteile in einem Pflegeheim des Kreisverbandes des DRK Börde steigen um 600 € auf ca. 1 800 €. Im Magdeburger Pflegeheim Lerchenwuhne ist eine Erhöhung um etwa 30 % fällig. In einem Pflegeheim der Stadt Halle steigen die einrichtungseinheitlichen Eigenanteile um etwa 350 € auf 1 500 €. Die Bewohnerinnen und Bewohner der von der Gesellschaft für Sozialeinrichtungen in Wernigerode betriebenen Pflegeheime müssen sich auf eine Erhöhung dieser Eigenanteile um 190 € bis 290 € gefasst machen. Dies ist durch die Medien, den Mitteldeutschen Rundfunk, die „Volksstimme“ und die „Mitteldeutsche Zeitung“, der Öffentlichkeit bekannt gemacht worden.
Wir haben uns einmal die Mühe gemacht, den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil für einen Pflegeheimplatz pro Person in unserem Land zu errechnen. Wir haben 89 Pflegeheime einbezogen. Die oben genannten Einrichtungen und die durch die jeweiligen Träger vorgenommenen Kostenerhöhungen sind noch nicht mit eingeflossen. Dabei stellte sich heraus: Der Eigenanteil liegt durchschnittlich bei 1 113,43 €. Dabei betrug der höchste Eigenanteil 1 490,58 €, der niedrigste 782,83 € im Monat.
Jede, jeder von uns kann dies jetzt einmal mit seinem eigenen Wissen über die Höhe der durchschnittlichen Renten in unserem Bundesland aktuell und in Zukunft vergleichen. Dabei wird deutlich, dass die von uns geäußerte Erwartungshaltung einer wachsenden Zahl von Anspruchsberechtigten für die Sozialleistung „Hilfe zur Pflege“ nicht ganz unbegründet ist.
Ich wiederhole es gern: Viele Menschen mit Pflegebedarf haben ihr ganzes Leben lang gearbeitet, haben in die Sozialsysteme eingezahlt und kön
nen sich nach der Zahlung der Eigenanteile weder Friseur, Fußpflege noch eine Tafel Schokolade leisten.
Der Eigenanteil frisst die gesamte Rente auf und viele müssen für den noch fehlenden Rest auf das Sozialamt, und das an ihrem Lebensabend.
Zwischen den Zeilen wird auch eine weitere Gefahr erkennbar. Die Altenpflegerinnen und Altenpfleger erhalten für ihren Knochenjob mehr Lohn. Das ist gut und richtig so. Gleichzeitig erleben sie in den Einrichtungen sehr hautnah, welche Notsituation für die von ihnen gepflegten Heimbewohnerinnen und Heimbewohner entstanden ist.
Unsere Aufgabe als Politik ist es, dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen der zu Pflegenden nicht gegen die Interessen der Altenpflegerinnen und Altenpfleger aufgerechnet werden.
Um es noch einmal klar und deutlich auszusprechen: Wir sind unbedingt für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und für mehr Gehalt für Pflegerinnen und Pfleger - keine Frage. Wir müssen verhindern, dass dies allein zulasten der Menschen mit Pflegebedarf geht.
Bereits bei der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung im Jahr 1995 wurde kritisiert, dass die Pflegeversicherung lediglich als Teilversicherung konzipiert worden sei. Insbesondere für Menschen der unteren und mittleren Einkommensschichten wurde und wird spürbar, dass diese Versicherung lediglich eine Teilversicherung ist. Sie mussten und müssen oft Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. des Sozialgesetzbuches XII beantragen, um Pflegeleistungen oder Heimunterbringung irgendwie zu schultern.
Die Hilfe zur Pflege belastet die Kommunen. Mit einer Pflegevollversicherung könnten wir bundesweit die Kommunen entlasten.
Die Gewerkschaft ver.di hat bereits im Jahr 2012 ein wissenschaftliches Gutachten auf den Weg gebracht, das den Titel trägt: „Vollversicherung in der Pflege - Quantifizierung von Handlungsoptionen“. Das bedeutet, bereits im Jahr 2012 ist die Relevanz des Problems genauer beleuchtet worden, das durch die aktuellen Entwicklungen eine neue Dimension erhalten hat.
Keiner kann leugnen, die Pflegeversicherung ist eine Teilversicherung und trägt noch nicht einmal 50 % der anfallenden Kosten. Daraus folgt, dass alle steigenden Kosten den Menschen mit Pflege
Pflege ist keine Privatsache, sondern als Gemeinschaftsaufgabe anzunehmen. Sie ist Teil der Daseinsvorsorge. Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel zu initiieren, die gesetzliche Pflegeversicherung nach SGB XI zu einer Pflegevollversicherung umzuwandeln.
Es gibt für diese Zielrichtung bereits vorsichtige, kleine Schritte in die richtige Richtung. Der Brandenburger Landtag stimmte für einen von den Fraktionen der SPD und der LINKEN eingebrachten Antrag, eine Bundesratsinitiative zur Neuverteilung der Pflegekosten auf den Weg zu bringen.
Dabei ist es erklärtes Ziel, Pflegebedürftige zu entlasten und zu verhindern, dass Kostensteigerungen nur von den Betroffenen, ihren Angehörigen und von den Sozialhilfeträgern zu tragen sind.
Auch die zuständige Ministerin unseres Landes hat in einer Pressekonferenz von der Vollkaskoversicherung als Ziel in der Pflege gesprochen. Dorthin muss der politische Weg führen.
Es wird im Saal wirklich keinen mehr so richtig überraschen, dass wir in einer Pflegevollversicherung, einer solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung, in die alle entsprechend ihrem Einkommen einzahlen und die alle Pflege- und medizinischen Kosten trägt, die Lösungsmöglichkeit sehen. Dabei sollten zudem die Beitragsbemessungsgrenzen abgeschafft werden.