Protocol of the Session on October 27, 2017

Nichtsdestotrotz will ich meiner Aufgabe, der ich als grüne Fraktionsvorsitzende sehr gern nachkomme, das Wort reden und denjenigen eine Stimme verleihen, die es nicht selbst tun können.

Es passt ganz gut, dass Katrin Budde vorhin sehr eindrücklich an die Anfänge dieses Landes erinnert hat. Es ist tatsächlich sehr lange her, nämlich 27 Jahre. Die Studie, die uns veranlasst hat, diese Aktuelle Debatte heute zu führen, ist sogar noch älter.

Bevor dieses Land wiedergegründet wurde, haben sich viele engagierte Menschen, auch im Rahmen des Ehrenamtes, auf den Weg gemacht und haben gesagt, wir starten diese Langzeitstu

die - sie ist über 30 Jahre gelaufen -, um endlich belastbares Material für die These des Artensterbens zusammenzutragen.

Ich hatte bereits erwähnt, dass nicht nur Profi-, sondern auch Hobbyforscherinnen und -forscher in 63 Naturschutzgebieten Insektenfallen aufgestellt haben. Ich finde, das ist ein bemerkenswertes bürgerschaftliches Engagement, dem man in diesem Hohen Hause aus auch einmal Beifall zollen sollte.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)

Die Fallen befinden sich hauptsächlich in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Brandenburg und Rheinland-Pfalz. Das Ergebnis sollte alle aufhorchen lassen. Wenn man die Rezeption in der Medienlandschaft sieht, dann haben sich tatsächlich viele erschrocken.

Im Mittel ist die Menge an Fluginsekten um ca. 80 % zurückgegangen. An dieser Stelle sollten alle Alarmglocken schrillen. Stellen Sie sich vor - einige von Ihnen sind schon in der Mittagspause, manche warten noch auf die Mittagspause -, Sie bekämen von Ihrem sonst gut gefüllten Teller Essen nur 20 %. Das heißt, es fehlt eine dramatische Menge. Genauso ist es mit den Insekten. Wenn früher vier Insekten vorhanden waren, dann ist jetzt nur noch ein Insekt vorhanden.

Nun sollten uns diese wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr überraschen. Wir haben erst im Rahmen des letzten Plenums darüber geredet, dass 73 % der Wildbienenarten in Sachsen-Anhalt gefährdet oder bereits ausgestorben sind. Wir reden eigentlich - ich glaube sagen zu können, seitdem wir GRÜNEN im Parlament sind - regelmäßig darüber. Ich bin sehr froh, dass uns jetzt nicht nur gefühlte Befunde vorliegen.

Sie alle kennen das: Wenn man vor zehn oder 20 Jahren mit dem Auto gefahren ist, dann war hinterher die Windschutzscheibe stark von Insekten verschmutzt und man musste viel schrubben, um sie wieder abzubekommen. Wenn Sie heute über die Autobahn fahren, dann stellen Sie fest, dass kaum noch Insekten an der Scheibe kleben, weil schlicht und ergreifend nicht mehr so viele Insekten unterwegs sind, die man zu Tode fahren kann.

Die aktuell diskutierte Studie bringt noch weitere Erkenntnisse zutage, die aus unserer Sicht den Handlungsdruck noch deutlich dramatisieren; denn das starke Insektensterben war unabhängig vom untersuchten Ökosystem festzustellen, ob Heide, Sandmagerrasen, Waldränder oder Ödland.

Auch der Einfluss der Witterung hat darauf keinen signifikanten Einfluss. Bei beinahe 30 Jahren Be

obachtungsdauer reichen ein feuchter Sommer oder ein kalter Winter nicht als Erklärung aus. Die Ursachen hierfür sind noch nicht zu 100 % quantifizierbar, aber wenn uns die Grundlagen unseres Ökosystems nicht wegbrechen sollen, dann müssen wir schnell und konsequent in den bereits bekannten und beschriebenen Bereichen handeln. Wir müssen den Insekten Lebensraum sowie Nahrung bieten, und wir müssen sie weniger bekämpfen.

Die Bedeutung von Insekten auf unser tägliches Leben ist für viele heute wenig sichtbar, aber dadurch nicht weniger existenziell. Sie sind die artenreichste Tiergruppe. Ohne sie ist kein gesundes Ökosystem denkbar. Vom Bestäuben der Pflanzen und der Regulierung von Schädlingen profitieren wir alle. Gleichzeitig dienen Insekten vielen Tieren als Nahrungsgrundlage.

Ein eklatantes Insektensterben bedeutet auch weniger Fische, weniger Frösche, weniger Eidechsen, Vögel und Säugetiere. Wenn eine Brücke, um das für einen anderen Bereich deutlich zu machen, von acht Pfeilern getragen wird und sechs davon wegbrechen, dann bricht die Brücke ein, nur mit dem Unterschied, dass uns dies im Fall der Brücke nicht wundert, aber bei den Insekten stehen jetzt alle da und wundern sich.

Bereits im Jahr 2009 bezifferte ein Artikel im „Ecological Economics“ den Wert der Bestäubung weltweit auf dreistellige Milliardenbeträge jährlich. Nun kennen Sie mich, ich bin nicht unbedingt ein Fan davon, alles in Dollar oder Euro zu messen, aber wenn es der Veranschaulichung dient und wenn es dazu dient, mehr Menschen mitzunehmen und sich auf dieses Feld zu begeben, Artensterben ernst zu nehmen und die riesige Aufgabe als solche zu erkennen, dann ist auch das sinnvoll.

Vielleicht hilft es, wenn ich klar mache, welche Feldfrüchte ohne Bestäubung drastisch zurückgehen würden, nämlich Kirschen, Äpfel, Mandeln, Tomaten, Kürbisse oder Erdbeeren. Stellen Sie sich vor, sie würden diese Früchte nicht mehr in Ihrer Küche finden oder sie wären schlicht und ergreifend auch für Parlamentarier unbezahlbar, die einen weitaus größeren Geldbeutel haben als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Wir erleben schon jetzt - ich hatte in einer anderen Aktuellen Debatte bereits darauf hingewiesen -, wie sehr die Apfelpreise steigen. Das ist dramatisch und das wird für jeden in diesem Land spürbar werden.

Es gibt Studien, die nachweisen, dass die immer stärkere Intensivierung und die Monotonisierung der Landwirtschaft zu immer größeren Feldern und dazu führen, dass Feldränder, Heckengehölze, Brachen und Grünland immer weniger wer

den, auch hier in Sachsen-Anhalt. Wenn wir diese Lebensräume und Nahrungsquellen von Insekten reduzieren, dann braucht es kein Biologiestudium, um zu verstehen, was dann folgt.

Der erhöhte Einsatz von Chemikalien als eine der großen Ursachen für den Insektenrückgang wurde im „Science Magazine“ wissenschaftlich belegt.

Die Autorinnen und Autoren der Studie vermuten sogar, weil ihre Fallen in Naturschutzgebieten standen, dass der Befund in der „normalen“ Welt noch weitaus dramatischer ist und dass es auf diesen Feldern noch weitaus stiller ist.

Bei meinen Besuchen bei Imkern vor Ort habe ich erlebt, dass sich die Bienen in der Stadt mittlerweile weitaus wohler fühlen als auf den Feldern, weil es sich manche Städte durchaus leisten können, Blumen etc. zu pflanzen und Bäume zu haben, die blühen, sodass dort noch mehr Leben ist als auf dem Land.

Wenn man sich allerdings vor Augen führt, dass in Deutschland pro Jahr 500 t Pestizide an Privatleute verkauft werden, wenn man sich vorstellt, dass Steine und Kies Garten und Blumen auch in privaten Gärten ersetzen, dann ist die Vorstellung, glaube ich, nicht mehr weit, dass die Insekten bald auch in den Städten verstummen werden.

Ein weiterer negativer Effekt sind die vielen Lichtquellen, also die Lichtverschmutzung. Vor zehn Jahren haben viele darüber gelacht. Heute sagen viele, dass sie sich auch als Person geschädigt fühlen, weil sie an sich gesundheitliche Schäden feststellen, wenn es nie richtig dunkel wird.

Die Insekten aber werden von den Lichtquellen angelockt, verglühen direkt oder umschwirren diese Lichtquellen so lange, bis sie erschöpft sterben. Laut eines Berichtes im „Wissenschaftsmagazin“ sterben in Deutschland pro Nacht auf diese Weise eine Milliarde Insekten.

Nun will ich mich nicht weiter in apokalyptischen Szenarien ergehen - das könnte man noch weiter treiben; denn es gibt viele Belege dafür -, sondern will noch ein paar Vorschläge machen.

Bleiben wir beim Licht. Abgeschirmte Lampen, die wenig Licht nach oben oder zur Seite streuen, oder Spektralfarben sind eine gute Wahl. In vielen Fällen kann man die Beleuchtung auch ganz reduzieren, nicht nur aus Energie- und Kostengründen, sondern auch wegen der Insekten.

Urban Gardening wäre eine Möglichkeit, auch in den Städten, in den urbanen Gestaltungsräumen, wieder Blühpflanzen entstehen zu lassen. Meine Fraktion hat sich daran aktiv beteiligt. Wir haben am Dienstag am rückwärtigen Eingang des Landtages Krokusse gepflanzt. Daran können sich im Frühjahr alle erfreuen, nicht nur die Insekten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zu Hause kann man viel tun. Man kann Schädlingsbekämpfung mit Brennnesselsud vollziehen statt mit der Giftspritze. Man kann statt Kirschlorbeer besser Hainbuchen pflanzen; denn in dieser Pflanze fühlen sich unsere heimischen Insekten wohl. Man kann Blühhecken anlegen, damit Insekten Nahrung und Unterschlupf finden.

Das Laub sollte, damit würde man auch wiederum zwei Fliegen, um im Bild zu bleiben, mit einer Klappe schlagen, konservativ zusammengekehrt und in einer Ecke gelagert werden. Man sollte nicht noch zusätzlich eine akustische Luftverschmutzung verursachen und das Laub durch die Gegend pusten.

Last, but not least ist mehr Ökolandbau wesentlich.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE)

Auch im Zusammenhang mit dem Thema Insektensterben zeigt sich immer wieder eindrucksvoll, wie wichtig es ist, unser im Koalitionsvertrag vereinbartes Ziel von 20 % Ökolandbau an der Gesamtfläche der Landwirtschaft zu erreichen.

In der konventionellen Landwirtschaft gibt es noch Potenzial zur Reduzierung des Pestizideinsatzes. Die Erzeugerinnen und Erzeuger dazu zu motivieren ist Aufgabe der Politik, aber auch informierter Konsumentinnen und Konsumenten.

Die nächste Bundesregierung muss dezidiert den Schlingerkurs der letzten Bundesregierung beenden und sich glasklar gegen Glyphosat und Neonicotinoide und andere Insektengifte aussprechen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen weniger Pestizide. Zudem muss die Flächenversiegelung ein Ende haben; denn dadurch wird wertvoller Lebensraum zerstört. Ein effektives Mittel wären mehr Naturschutzgebiete - darüber wird in unserem Land diskutiert - und die Vernetzung bestehender Biotope.

Jetzt hätte ich Ihnen gern noch mehr Vorschläge gemacht, aber ich sehe, dass meine Redezeit für heute, für den Moment, zu Ende geht. Deswegen kann ich nur noch einmal für diejenigen, die nicht ganz so aufmerksam zugehört haben, beispielsweise einige Abgeordnete in der ersten Reihe, sagen: Die Situation ist dramatisch. Aber man - - Na ja, ich kann es Ihnen ja nachher noch twittern. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Danke. Sie haben aber noch eine Chance. Herr Geisthardt bietet Sie Ihnen. - Herr Geisthardt hat jetzt das Wort.

Liebe Frau Kollegin Lüddemann, ich möchte Ihre Redezeit gern etwas verlängern. Ich gebe Ihnen in vielen Dingen recht. Aber wenn ich mir die Umgebung ansehe, in der ich wohne, und ich wohne nicht im urbanen Bereich, dann fühle ich mich von Maisfeldern eingemauert. Dort gibt es über Hunderte von Hektar hinweg Maisfelder, Maisfelder, Maisfelder. Wir wollen an dieser Stelle nicht über die Wildschweine oder Ähnliches reden, sondern es geht um die Biomasse.

Ich kann mich gut daran erinnern, dass gerade Ihre Partei sehr darauf gedrungen hat, die Biogaserzeugung zu propagieren und möglichst sehr weit auszuführen. Das ist für viele Bauern eine gute Verdienstmöglichkeit. Aber was können wir denn konkret tun, um diesem Zustand etwas abzuhelfen? - Wir haben diesen Zustand mittlerweile in beinahe allen Bundesländern; das ist nicht allein ein Problem in Sachsen-Anhalt. Können Sie sich vorstellen, dass die GRÜNEN davon abrücken und sich dafür einsetzen, die Biogaserzeugung etwas zurückzufahren?

Sie haben das Wort.

Vielen Dank für die Frage. Dann kann ich darauf in der Tat noch einmal eingehen. Das ist ja die Richtung, die wir schon beschreiten und die wir auch nicht allein beschreiten, wofür wir Partnerinnen und Partner gewonnen haben.

Die Biomassekraftwerke - fragen Sie einmal die Landwirtinnen und Landwirte -, dazu haben wir einen harten Diskurs, weil sie nämlich sehr darauf setzen. Für sie ist es ja auch eine einfache Geschichte. Du hast so ein großes Monofeld. Das erntest du ab. Dann hast du Biomasse, bekommst dafür Geld und hast ein gesichertes Einkommen.

Wir sind in einen harten Diskurs gegangen, um jetzt zu sagen, wir müssen auch an der Stelle nachsteuern.

Ein wesentlicher Punkt ist - ich gehe davon aus, dass die Ministerin in ihrer Zuständigkeit auch darauf eingehen wird -, dass wir in Sachsen-Anhalt zum Beispiel gesagt haben, das sogenannte Blühstreifenprogramm ist ein wesentlicher Punkt für uns, um eben das eine zu tun und das andere nicht zu lassen.

Grundsätzlich, wie gesagt, wir sind auf dem Weg. Dabei sind wir bei Ihnen.

Es gibt noch eine Nachfrage. - Na dann mal los, Herr Geisthardt.