Protocol of the Session on May 31, 2016

Entscheidungen von kommunalen Gremien und Verbänden, diese Beiträge nicht einzufordern, werden von den unteren Aufsichtsbehörden für nichtig erklärt, da sich zahlreiche Kommunen und Verbände in einer sehr schwierigen finanziellen Situation befinden und damit gezwungen sind, jede Einnahmequelle auszuschöpfen.

Die Frage ist: War sich die Koalition bei der Verabschiedung der Reform des Kommunalabgabengesetzes dieser Folgen bewusst? - Wenn ja, so muss man ihr Vorsatz unterstellen, indem sie die

Verbände aufforderte, sich fehlende Mittel bei den Bürgerinnen und Bürgern zu holen.

Dass diese sich allerdings so massiv mit Widersprüchen zur Wehr setzen würden, hatte wohl keiner erwartet.

Inzwischen ist die Situation im Land jedoch eskaliert. Neben massenhaften Widersprüchen sind auch zahlreiche Mahnverfahren anhängig, weil nicht jedem, der Widerspruch eingelegt hatte, bewusst war, dass er trotz dieses Widerspruchs zur Zahlung verpflichtet ist. Auf dieser Grundlage wurden kurz vor dem Ende des Jahres 2015 zahlreichen Schuldnern die Konten gepfändet oder Eigentum mit Hypotheken belegt.

In einigen Regionen sehen wir uns auch mit der Situation konfrontiert, dass Verbände Inkassounternehmen beauftragen, um ihre Forderungen in teilweise sehr aggressiver Art und Weise bei den Bürgerinnen und Bürgern einzutreiben.

Nicht zuletzt müssen und mussten Schuldner, die eine Stundung der Zahlung beantragen, ihre komplette finanzielle Situation offenlegen. Sie werden dann auch noch lakonisch darauf hingewiesen, dass sie die notwendigen Beiträge ja hätten ansparen können.

Andere Zweckverbände haben versucht, Verfahren in der Vollziehung der Bescheide zu vermeiden, und dementsprechend Vergleiche angeboten, so ein bisschen nach dem Motto „Besser die Hälfte als gar nichts“. Abgesehen von dieser fragwürdigen Praxis, die bisher im Kommunalabgabenrecht nicht verankert ist, erscheint dies als Griff in die Trickkiste.

Auch in diesem Fall sind die unteren Aufsichtsbehörden wieder aktiv geworden und haben diese Vergleiche untersagt, weil die Verbände und Kommunen bei Vergleichen auf einen Teil der sicher geglaubten Einnahmen verzichten würden. Damit erweist sich der Entwurf der Koalition in Punkt 2, mit dem die Praxis von Vergleichen nachträglich legitimiert werden soll und der darüber hinaus nur eine Kannregelung ist, als eine rein kosmetische Operation.

(Beifall bei der LINKEN - Siegfried Borg- wardt, CDU: Wir werden Ihnen gleich erklä- ren, wie wir das meinen!)

In anderen Fällen haben sich Bürgerinnen und Bürger gerichtlich zur Wehr gesetzt. Das Ergebnis sind zahlreiche Verfahren. Mit der schlechten Reform des Kommunalabgabengesetzes hat die vormalige Koalition eine akute Konfliktsituation in Sachsen-Anhalt heraufbeschworen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Vertrauen zwischen dem Gesetzgeber, den Verbänden sowie den Bürgerinnen und Bürgern ist komplett zerstört worden. Von einer Rechts

sicherheit, die ja eigentlich von gesetzlichen Regelungen ausgehen soll und die damit auch von den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Aufgabenträgern erwartet wird, sind wir noch immer meilenweit entfernt.

Mit dem Grundsatzbeschluss vom 5. März 2013 hat nun das Bundesverfassungsgericht, dem Gebot der Belastungsklarheit und der Vorhersehbarkeit folgend, den Bürgerinnen und Bürgern das Recht auf eine zeitnahe und endliche Beitragsfestsetzung zuerkannt.

(Beifall bei der LINKEN)

Bereits im April 2013 mahnte deshalb die Fraktion DIE LINKE mit einem Antrag im Landtag eine entsprechende Überprüfung und Änderung der gesetzlichen Vorschriften in Sachsen-Anhalt an und unterbreitete im Gesetzgebungsverfahren ganz konkrete Vorschläge. Verwiesen sei hierbei unter anderem auf unseren Änderungsantrag in der Drs. 6/3679.

Zwei weitere Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die am 12. November 2015 ergangen sind, legen nahe, dass es sich bei der in § 18 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes festgelegten Übergangsvorschrift um eine echte Rückwirkung handelt; diese ist verfassungswidrig. Aus diesem Grund hätte der Gesetzgeber umgehend handeln und prüfen müssen, ob die gesetzliche Regelung verfassungskonform ist. Das ist bis heute nicht geschehen.

Allerdings rudern die Verantwortlichen der damaligen und auch der jetzigen Koalition in Anbetracht der doch recht aufgeheizten Stimmung selbst zurück. Die zu Jahresbeginn erlassene Bitte an die Verbände, die Vollziehung der Verwaltungsakte im Zusammenhang mit § 18 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes auszusetzen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt und das völlig falsche Instrument in dieser selbst verursachten Situation.

(Beifall bei der LINKEN)

Es sollte doch bekannt sein, dass ein Erlass allein inneres Verwaltungshandeln regelt, nicht aber nach außen wirkt. Zudem würden sich die Verbände mangels einer eindeutigen gesetzlichen Regelung nach wie vor gesetzeswidrig verhalten, wenn sie die Beiträge nicht eintreiben würden.

Die Grundsatzentscheidung, die genannten Urteile des Bundesverfassungsgerichts sowie die gegenwärtige für Verbände, Kommunen und Bürgerinnen und Bürger völlig unbefriedigende Situation haben die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE der sechsten Wahlperiode dazu veranlasst, Anfang März dieses Jahres beim Landesverfassungsgericht einen Normenkontrollantrag einzureichen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Mit diesem Normenkontrollantrag soll nun geprüft werden, ob die Rechtsnorm des § 18 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt mit der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vereinbar ist.

Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat in seinem Urteil vom 4. Juni 2015 die Ansicht der Verfassungsgemäßheit der von meiner Fraktion beanstandeten Rechtsnorm vertreten.

Die Fraktion DIE LINKE sieht jedoch mehrere Verstöße gegen die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt. Dazu gehört das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das insbesondere das Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes umfasst, wie vom Verfassungsgericht hinreichend geklärt wurde.

Die Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes umfassen ihrerseits auch wieder die Gebote der Belastungsklarheit und der Vorhersehbarkeit, wie es vom Bundesverfassungsgericht in der bereits genannten Grundsatzentscheidung vom 5. März 2013 und den Urteilen vom 12. November 2015 entschieden worden ist.

Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings nicht absehbar ist, wann das Landesverfassungsgericht eine Entscheidung zum Normenkontrollantrag fällen wird, besteht für Gläubiger und Schuldner weiterhin keine Rechtssicherheit. Wohl auch aus diesem Grund sieht der Koalitionsvertrag von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Seite 24 in der Frage der Verfassungsgemäßheit des § 18 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes ein Moratorium zur Einziehung der Beiträge bis zum Abschluss der gerichtlichen Verfahren zur Klärung der Rechtsfrage vor.

Soll ein Moratorium Wirkung entfalten, so muss es aber sofort in Kraft treten und gesetzlich so verbindlich geregelt sein, dass eine weitere Verunsicherung der Betroffenen vermieden wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit sollen der Rechtsfrieden und die erforderliche Ruhe geschaffen sowie sachgerechte Entscheidungen vorangebracht werden.

Den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, der in einer Drucksache vorliegt, halten wir für untauglich, um ein Moratorium verantwortungsvoll umzusetzen. Mit den Kannvorschriften unter den Punkten 2 und 3 werden die Verantwortung und das Risiko sowohl für die Vergleiche als auch für das Aussetzen der Vollziehung vollständig auf die Aufgabenträger abgewälzt.

Die Verbände geraten dadurch erneut in ein Dilemma, weil sie durch den mit einem Vergleich oder dem Aussetzen verbundenen Verzicht auf einen Teil der Beiträge gegen geltendes Recht

verstoßen würden. Denn in schwieriger Haushaltslage besteht noch immer keine Handlungsoption. Sie haben alle Einnahmemöglichkeiten auszuschöpfen.

Zusätzlich entsteht das Problem, dass es bei einer ungleichmäßigen Umsetzung der sogenannten Kannvorschriften zu einer Ungleichbehandlung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger kommen wird.

Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes der Fraktion DIE LINKE sieht demgegenüber ein Moratorium vor, durch das die Vollziehung aller Verwaltungsakte zum Ausgleich von Vorteilslagen, die unter diese Übergangsvorschrift nach Absatz 2 fallen, bis zur Entscheidung des Landesverfassungsgerichts über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit des Absatzes 2 mit der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt ausgesetzt wird. Nur eine solche verbindliche Regelung kann jetzt Rechtssicherheit schaffen.

Da die gegenwärtigen Konflikte durch den Gesetzgeber verursacht wurden, hat das Land gegenüber den Aufgabenträgern Verantwortung. Es geht um die Aufgabenträger der Wasserver- und Abwasserentsorgung.

Das Land kann dieser Verantwortung nur gerecht werden, indem die durch das Moratorium unmittelbar und nachweislich entstandenen Aufwendungen erstattet werden. Wir fordern daher das zuständige Ministerium auf, die näheren Bestimmungen für diese Erstattung durch Verordnung zu regeln.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Zu 100 %?)

Die zur Finanzierung der Erstattung erforderlichen Mittel sind beginnend mit dem Haushaltsjahr 2017 aus der Steuerschwankungsreserve bereitzustellen.

Zu begrüßen ist die Regelung im Koalitionsentwurf, den bisher geltenden Zinssatz von 6 % zu senken und ihn damit der seit geraumer Zeit herrschenden Zinssituation anzupassen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir kommen zur Einbringung des Gesetzentwurfes unter b). Der sehr geehrte Abg. Erben hat das Wort. Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe für die Koalitionsfraktionen von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gleichfalls einen Gesetzentwurf ein. Ich will vorwegschicken,

auch für das Protokoll, dass es sich bei unserem Gesetzentwurf natürlich auch um das Zweite Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes handelt. Diesbezüglich ist die von uns eingereichte Drucksache nicht ganz korrekt.

Ich kann Ihnen die Vorgeschichte nicht vollständig ersparen. Die Kollegin von der LINKEN hat sie hier teilweise auch schon kundgetan.

Wir haben die Situation, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2013 zum bayerischen Kommunalabgabengesetz entschieden hat. Es hat ganz klar gesagt, es gehe nicht an, dass die Bürger nur deswegen, weil man kein Satzungsrecht habe, quasi bis zum Sankt-Nimmerleinstag damit rechnen müssten, irgendwann mit Beitragsforderungen überzogen zu werden; es müsse eine Verjährungsobergrenze geben.

Damals gab es durchaus eine schwierige Diskussion zu der Frage, auch hier in diesem Hohen Hause, ob das überhaupt Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt habe bzw. ob dieses Urteil über Bayern hinaus Wirkung entfalte. Es war aber ziemlich schnell klar, auch in anderen Bundesländern, dass zahlreiche Bundesländer nicht über eine solche Verjährungsobergrenze verfügten.

Wir haben dann - ich will es einmal so bezeichnen - auf den letzten Drücker im Jahr 2014 eine entsprechende Verjährungsobergrenze eingeführt. Sie beträgt zehn Jahre. Das ist die kürzeste Verjährungsobergrenze, die überhaupt ein Bundesland in seinem Kommunalabgabengesetz festgelegt hat.

Jetzt kommt die Crux: Wir wurden damals natürlich auch mit zahlreichen Wünschen und Forderungen von Kommunen konfrontiert, die sagten: Wir stehen jetzt kurz vor der Erhebung des Herstellungsbeitrages II und ihr macht in 14 Tagen die Tür zu. Damals waren wir irgendwann im Dezember 2014.

Es hat dann ein hartes Ringen gegeben. Letztlich gab es eine Übergangsfrist. Diejenigen, die diesen Gesetzentwurf damals mitgetragen haben, gingen seinerzeit davon aus, dass es verhältnismäßig wenige Fälle seien. Das ist auch von den Spitzenverbänden und vom Wasserverbandstag so zu uns transportiert worden, dass es nur um diejenigen gehe, die unmittelbar davor stünden.