Im Ergebnis dessen sieht man vor allem keinen Handlungsbedarf bzw. das Phänomen der Armut wird als alternativlos in den Raum gestellt.
Ich war kürzlich bei einem Unternehmer in Wolfen, jemandem, der sich auch gesellschaftlich engagiert und der politisch interessiert ist. Ich sagte ihm, dass ich mich politisch gegen Kinderarmut engagiere und dass ich auch gern in der Wirtschaft Mitstreiterinnen suche. Er schaute mich groß an und sagte, ehrlich überrascht: Frau von Angern, Kinderarmut in Deutschland gibt es nicht. Hier verhungert doch kein Kind.
Genau diese Aussage macht auch die Brisanz dieses Themas deutlich: Armut gehört in unserem Land seit vielen Jahren zum Alltag. Wir haben uns daran gewöhnt.
Wir sehen alte Menschen, die Flaschen in Mülleimern suchen, um ein paar Cent dafür zu kriegen. Uns allen sind die Zahlen bekannt, die jährlich veröffentlicht werden und wiederholt darlegen, dass das Armutsrisiko Nr. 1 in Deutschland ist, weiblich zu sein, ein oder mehrere Kinder zu haben und alleinerziehend zu sein.
Jeder Bildungsbericht weist nach, dass in kaum einem anderen europäischen Land der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und den Bildungschancen in einer so großen negativen Abhängigkeit steht wie in Deutschland.
Wer von uns kommunalpolitisch aktiv ist, kennt die Zahlen, die stetig steigen, nämlich die Zahl der Kinder, die unsere Tafeln aufsuchen, um eine warme Mahlzeit am Tag zu bekommen.
Auch wenn es niemand gern hört, gehört es auch zur Wahrheit: Eine schlechte Ernährung infolge von Armut bedeutet eben auch einen schlechten Gesundheitszustand und einen früheren Tod.
Wie fasst es die EU-Kommission in diesem Jahr für Deutschland ganz nüchtern, ganz sachlich zusammen? - Ich zitiere: „Die insgesamt günstige Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung der letzten Jahre ist nicht in allen Teilen der Gesellschaft gleichermaßen angekommen.“
Mal unabhängig davon, dass ich schon nicht verstehe, warum man aus Gründen der Verteidigung der Menschenwürde nicht gegen Armut vorgehen will, so verstehe ich nicht, dass nicht allen klar ist, welche Gefahr von einer Spaltung auch für unsere Gesellschaft ausgeht. Der leitende Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“ für Wirtschaftspolitik
Alexander Hagelüken - kein Linker - hat es auf den Punkt gebracht: In Deutschland könnte es knallen, bis das Land nicht wiederzuerkennen ist.
Dieser Satz entspringt seiner These, dass die in Deutschland vorherrschende Ungleichheit unsere Gesellschaft nicht nur spaltet, sondern zerstört. - Das sagt immerhin ein Journalist aus dem Wirtschaftsressort. Genauso deutlich muss man eben auch sagen: Die Spaltung unserer Gesellschaft ist etwas Hausgemachtes.
Die abgeschaffte Vermögensteuer, die Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 % auf 42 %, die Abgeltungssteuer, das ist das, was die Bundesregierungen der letzten 20 Jahre zu verantworten haben. Und Sie wissen alle, vor welche erheblichen Probleme uns dieses auch jedes Jahr bei der Haushaltsaufstellung stellt. Die EU-Kommission bescheinigt uns wiederum, dass die deutsche Politik im hohen Maße zur Vergrößerung der Armut selbst beigetragen hat. Kein gutes Zeugnis für Deutschland. Ein Armutszeugnis.
Wer nun denkt, dass nur erwerbslose Menschen oder Familien mit mindestens einem erwerbslosen Elternteil von Armut bedroht sind, geht fehl. Es ist festzustellen, dass auch der gesetzliche Mindestlohn, zumindest in der momentanen Höhe, nicht vor Armut schützt.
Warum aber haben Kinder, warum haben Menschen, die in Armut leben, eine so kleine Lobby? Ich erlebe es immer wieder persönlich: Es ist viel schicker, öffentlichkeitswirksamer und gesellschaftsfähiger, für den 1. FCM oder für den HFC als Sponsor aufzutreten als öffentlich für ein Frauenhaus zu spenden.
Ich will hier ganz bestimmt nicht den Sport gegen die Frauenhausarbeit ausspielen. Doch, meine Damen und Herren, es ist ein absolutes Armutszeugnis, dass in unserem reichen Land die Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern, die mit den Frau
en und Kindern arbeiten sollen, auf Spendensuche gehen müssen, um regelmäßig Spielzeug für die Frauenhäuser zu bekommen, um Matratzen austauschen zu können und um eine Waschmaschine zu bekommen, damit die, die vor Gewalt fliehen, also die, die bei uns im Staat Schutz suchen, ordentlich betreut und versorgt werden können.
Und, meine Damen und Herren, weder Gewalt noch Armut ist ein individuelles Problem. Es ist ein gesellschaftliches Problem, das wir nicht der Lösung Einzelner zu überlassen haben, sondern auch gesellschaftlich anzugehen haben. Es kommt also nicht auf die Größe oder die Lautstärke der Lobby an. Wir sind hier alle gemeinsam in der Verantwortung.
Nun haben wir im Land andere Spielräume als die Bundespolitik und wieder andere Spielräume in der Kommunalpolitik. Doch ich denke, wir sollten gemeinsam die Bundespolitik daran erinnern, was getan werden muss, um Kinderarmut zu bekämpfen. Da empfinde ich den Vorschlag des Deutschen Kinderschutzbundes und auch weiterer Sozialverbände nach der Einführung einer Kindergrundsicherung tatsächlich als ein sinnvolles Instrument. Man muss vielleicht über die Ausgestaltung und auch über die tatsächliche Umsetzung dann auf kommunaler Ebene reden. Aber es ist ein sinnvolles Instrument, mit dem tatsächlich nachhaltig etwas gegen Kinderarmut getan werden kann.
Ja, auch wir als Fraktion und als Partei setzen uns für die Erhöhung des Kindergeldes ein. Wir sagen aber auch ganz deutlich: Damit es dort ankommt, wo es auch dringend gebraucht wird, darf es eben nicht auf Sozialleistungen angerechnet werden. Ansonsten profitieren die Kinder der Abgeordneten davon, aber nicht die Kinder, die es wirklich brauchen.
Selbstverständlich brauchen wir - ich sagte es bereits - eine Erhöhung des Mindestlohnes, ein Zurückdrängen der Minijobs - vor allem von Frauen genutzt - und eine Stärkung der Gewerkschaften bei der Forderung nach der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen; denn - das ist keine Binsenweisheit - arme Kinder leben bei armen Eltern.
Was wir als Land tun können, ist nicht minder zu bewerten. Der Dreh- und Angelpunkt ist sicherlich die Stärkung der Familien, eine gute frühkindliche Bildung - wir sprachen bereits darüber -, mehr Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und gleiche Bildungschancen.
Lassen Sie uns auch, wie wir es im Antrag geschrieben haben, über einen Armutscheck diskutieren. Die Diskussion über das sogenannte Gender-Budgeting hier im Haus hat gezeigt, dass es durchaus Sinn macht zu prüfen: Welche Wirkung
haben politische Vorhaben und welche Wirkung haben Gesetze auf spezielle Themen und auf spezielle Gruppen? Hier stehen bei uns die Kinder und Jugendlichen im Fokus, die von Armut gefährdet sind oder in Armut leben.
Nun gibt es vielleicht Kolleginnen unter uns, die jetzt feststellen, dass sie das alles gar nicht gewusst haben. Es stimmt, Armut hat in Deutschland ein anderes Gesicht als in Zentralafrika. Doch es gibt sie eben auch in Deutschland mit verheerenden Folgen für die Kinder und für ihre Familien. Deshalb werbe ich heute namens meiner Fraktion auch für ein gemeinsames Engagement gegen Kinderarmut; denn wir brauchen hier eine breite Mehrheit.
Manch einer von Ihnen erinnert sich vielleicht noch an das Bündnis für ein kinderfreundliches Sachsen-Anhalt, das am Anfang der 2000er-Jahre hier den ersten Volksentscheid zur Kinderbetreuung herbeigeführt hat. Unsere Sozialministerin Petra Grimm-Benne war damals auch vorn mit dabei, als es um die gleichen Rechte für die Kinder ging. Ja, das fand ich gut, und ich hoffe, das hat Spuren hinterlassen. Das Bündnis hat aufgezeigt, wie wichtig es ist, parteiübergreifend an einem gesellschaftlich sehr wichtigen Thema zu arbeiten. Auch wenn der Volksentscheid nicht erfolgreich war, so kann ich feststellen, es gibt den Ganztagsanspruch nach wie vor. Und ich hoffe, dass das auch so bleiben möge.
Meine Damen und Herren! Kinderarmut ist nicht individuell, sondern bedarf einer gesellschaftlichen Antwort. Lassen Sie uns gemeinsam gegen Kinder- und Familienarmut wirksam vorgehen. Lassen Sie uns streiten für altersgerechte Bedarfe und für eine echte Teilhabe von Kindern unabhängig von den individuellen und vielfältigen familiären Hintergründen. Lassen Sie uns also gemeinsam tatsächlich die Spirale durchbrechen, um kein Kind zurückzulassen und ihnen allen letztendlich auch eine Zukunftschance zu geben.
Ich ende mit einem Zitat aus dem Jahr 1937 von Franklin D. Roosevelt - er war auch kein Linker -: Der Maßstab für unseren Fortschritt ist nicht, ob wir den Einfluss jener mehren, die viel haben, sondern ob wir denen genug geben, die zu wenig haben. Dem kann ich nur zustimmen. - Vielen Dank.
Freude zugleich, Frau Kollegin Grimm-Benne zu vertreten, und nehme namens der Landesregierung Stellung. Der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE umfasst unter anderem Maßnahmen und Schritte, die dem Problem der Kinderarmut entgegenwirken sollen. Dazu sei vorweg angemerkt, dass die Landesregierung aktuell die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur gleichlautenden Thematik erstellt. Die Ergebnisse und Erkenntnisse, aus denen mögliche notwendige Schritte abgeleitet werden können, werden durch die Landesregierung fristgemäß vorgelegt und zur Diskussion gestellt. Diesem Prozess soll an dieser Stelle nicht vorgegriffen werden.
Gleichwohl sei kurz zu den in Punkt 1 des Antrages formulierten Befunden Stellung zu nehmen. Tatsächlich lebten im Februar 2017 fast 74 560 Kinder unter 18 Jahren in Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II. Dies entspricht einer Hilfequote von 21,5 %. In dieser Zahl sind jedoch auch die Kinder und Jugendlichen enthalten, die zwar in Bedarfsgemeinschaften mit ihren Eltern leben, aber durch eigenes Einkommen oder Vermögen ihren Bedarf decken können.
Insgesamt sinkt der absolute Bestand an Kindern in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften im Land seit Jahren. Insbesondere die Einführung des Mindestlohnes im Jahr 2015 führte zu einem deutlichen Rückgang der Zahl der Kinder in Bedarfsgemeinschaften.
Mein sehr geehrten Damen und Herren! Ein Ausbau von Leistungen, die zur Vermeidung von Hilfsbedürftigkeit führen und die Elternhaushalte stärken, könnte somit zur Verringerung des Armutsrisikos bei Kindern und Jugendlichen beitragen. Zu nennen sind hier unter anderem der Kinderzuschlag und die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses.
In der Diskussion über Armut sollte man - das sollte an dieser Stelle ausdrücklich betont werden - Folgendes berücksichtigen: Armut ist keine absolute, sondern eine relative statistische Größe. Armut wird über die Distanz zum Median definiert, das heißt dem mittleren Einkommen der Bevölkerung. Steigt dieses Medianeinkommen, zieht auch die Grenze für das statistische Armutsrisiko nach.
Das finanzielle Einkommen der Familie ist jedoch nur ein Indikator unter verschiedenen, der zur Bestimmung von Armut herangezogen wird. Armut drückt sich darüber hinaus durch eine eingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus, wie auch der Antrag unter Punkt 1 anmerkt. Daraus folgt, dass die Bekämpfung von Armut nicht allein die monetäre Dimension in den Blick nehmen kann, sondern dass es auch einer umfassenden politischen Strategie bedarf, die verschiedene Handlungsbereiche wie Arbeit und Be
Zur Stärkung der Familien initiierte die Landesregierung in der Vergangenheit zahlreiche Maßnahmen, die sich positiv auf die Verringerung des Armutsrisikos bei Kindern auswirken, unter anderem durch die explizite Bekämpfung der Elternarmut.
Im Bereich Arbeit und Beschäftigung setzt das Land beispielsweise insbesondere durch das Landesarbeitsmarktprogramm „Familie stärken - Perspektiven eröffnen“ auf eine Integration der Eltern in Arbeit. Zudem unterstützt es die sozialpartnerschaftliche Initiative „Gute Arbeit in Sachsen-Anhalt“ auch finanziell.
Die Armutsforschung konstatiert einen Zusammenhang zwischen Armut und Bildung. Im Bereich Bildung verfolgt die Landesregierung das Ziel, allen jungen Menschen gute Voraussetzungen für den Start in ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Aus der Sicht der Landesregierung leistet die frühkindliche Bildung wohl einen der wichtigsten Beiträge, um soziale Ausgrenzung und Armut zu verhindern und die Zukunftschancen von Kindern zu verbessern. Die Regelungen des KiFöG tragen hierzu in besonderer Weise durch den Ganztagsanspruch und durch das Bildungsprogramm „Bildung: elementar - Bildung von Anfang an“ bei.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit Punkt 2 des Antrags soll beispielhaft auf den Bereich Kinder- und Jugendhilfe hingewiesen werden. Das Land leistet mit der Förderung der Kindestagesbetreuung einen erheblichen Beitrag zur Bekämpfung von Kinderarmut. Hinzu treten umfängliche Förderungen im Bereich der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit sowie die Förderung der Jugendarbeit in den Kommunen mit dem Familienförderungsgesetz. Von Relevanz sind des Weiteren die Ausgaben für Unterhaltsvorschussleistungen, die bekanntermaßen durch die jüngsten Gesetzesänderungen nunmehr auch Kindern über zwölf Jahren zuteil werden.
Mit der Einführung eines Armutschecks ab dem Jahr 2019 bei allen Gesetzesinitiativen des Landtages und der Landesregierung, den der Antrag in Punkt 3 fordert, wird erneut das Armutsverständnis der Landesregierung betont. Die Landesregierung folgt einem umfassenden Armutsverständnis, das zum einen die finanzielle Dimension und zum anderen verschiedene Lebenslagen berücksichtigt, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen.
In Punkt 4 des Antrages wird die Landesregierung aufgefordert, sich im Bundesrat für konkrete Initiativen zur Verbesserung der finanziellen Situation von Kindern und Jugendlichen einzusetzen. Folgendes ist dazu festzuhalten: Sachsen-Anhalt be
gleitet die Diskussion um Möglichkeiten und Machbarkeiten einer Kindergrundsicherung einschließlich entsprechender Finanzierungsmodelle in einer Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialministerkonferenz.
Bei dem Punkt Kinderregelbedarfe muss darauf hingewiesen werden, dass diese bereits seit dem Jahr 2011 nicht mehr von den Erwachsenenbedarfen abgeleitet werden. Durch das Regelsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes wurde diese Ableitung als verfassungswidrig verworfen.
Seit 1. Januar 2011 werden die Kinderregelbedarfe daher nach einer eigenen statistischen Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ermittelt. Eine Umwidmung der Mittel für die Bildungs- und Teilhabeleistungen ist nicht möglich, da diese der Definition nach zum Existenzminimum gehören und folglich zwingend vorzuhalten sind.
Sehr geehrte Damen und Herren! Abschließend sei auf Punkt 5 des Antrags eingegangen. Die Landesregierung wird darin aufgefordert, sich auf Bundesebene für einen mit den Ländern abgestimmten nationalen Aktionsplan gegen Kinderarmut einzusetzen.
Es wurde bereits auf die Armutsdefinition der Landesregierung abgehoben, die ganz klar ein Lebenslagenkonzept verfolgt. Diesem Verständnis zufolge sind Einkommensarmut der Eltern und Teilhabearmut der Kinder und Jugendlichen nicht grundsätzlich zu entkoppeln, weswegen die Bekämpfung von Einkommensarmut eine notwendige Voraussetzung bleibt, um viele Aspekte der Teilhabe verbessern zu können. Allerdings ist, wie es bereits angedeutet wurde, Teilhabe nicht nur an die Verfügbarkeit von materiellen Ressourcen geknüpft.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mit der sehr erfreulichen Feststellung schließen, dass die diversen Maßnahmen der Landesregierung zur Bekämpfung von Armut Wirkung entfalten, wie der Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes zur Armutsentwicklung in Deutschland im Jahr 2017 zeigt. Dort befindet sich folgende bemerkenswerte Aussage - ich zitiere -: