Atmen Sie jetzt einmal ganz tief durch, holen Sie wieder Luft, damit wir dem nächsten Debattenredner folgen können.
Ich habe eine Wortmeldung von Herrn Striegel. Herr Striegel, ich würde das an das Ende der Debatte setzen. Auch wenn Sie Ihre Redezeit ausgeschöpft haben,
- hören Sie bitte zu, sonst haben Sie hinterher wieder viele Fragen - gebe ich Ihnen heute auf jeden Fall das Recht. Wenn andere noch einmal reden möchten, werde ich dem zustimmen. - Die nächste Debattenrednerin und letzte Rednerin für diesen Beitrag ist Frau Feußner von der CDUFraktion. Sehr geehrte Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter dem Motto „DDR-Unrecht weiter aufarbeiten - Versöhnung fördern“ stellt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag auf eine Aktuelle Debatte. Das geschieht mit Blick auf den Ende April 2017 in Magdeburg stattfindenden Bundeskongress der Beauftragten der Länder für die Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Bundesstiftung „Erinnern und Zeichen setzen - Zeugnisse politischer Verfolgung und ihre Botschaft“ und den unserem Hause vorliegenden Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten vom 28. März dieses Jahres.
Dieses außerordentlich umfangreiche Kompendium legt sehr akribisch Zeugnis davon ab, welche Aktivitäten die Behörde in Beratungsfragen, zu Rehabilitationsfragen, zur Zusammenarbeit von Stiftungen, Opferverbänden, den Kirchen und in der Öffentlichkeitsarbeit unternommen hat; das ist sehr beeindruckend.
Nach der Lektüre des Berichtes bedarf es eigentlich nicht der Forderung nach einer Debatte, die zum Ergebnis haben soll, Übereinstimmung in diesem Hohen Hause zu erzielen. Dass diese vorbildliche Aufarbeitung weiter zu vertiefen und fortzusetzen ist, wird zumindest bei den Koalitionsfraktionen kaum auf Widerspruch treffen; denn das ist eine weitere Arbeit im Sinne der Opfer des Stalinismus. Die wollen wir weiter leisten; das liegt wohl auch in der Sache selbst begründet.
Der vorliegende, etwas unklar in seiner Zielforderung formulierte Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erinnert an das bekannte Gleichnis von den Eulen, die nach Athen getragen werden.
Brisant ist indes die Frage, wie Versöhnung nunmehr weiter gefördert werden soll, wenn sie 27 Jahre nach dem Mauerfall noch immer nicht stattgefunden hat.
Sehr viel Optimismus und eine Portion illusionistisches Weltverständnis sind vonnöten, um daran zu glauben. Die Täter, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, hüllen sich in Schweigen, sind abgetaucht oder haben sich längst weit entfernt von ihrer vormaligen Tätigkeit etabliert.
Sind es Menschen, die von blindem Gehorsam beherrscht waren? Standen sie unter hohem psychischen Erwartungsdruck der allmächtigen Parteifunktionäre? Oder handelte es sich um seelenlose Technokraten, denen ihre Opfer völlig gleichgültig waren?
Kaum zu glauben ist indes, dass die Genossen der Staatssicherheit die wirklichen Folgen ihres Tuns nicht erkennen konnten und ihnen nicht bewusst gewesen sein soll, dass ihre angeblich kleinen Beiträge tatsächlich Teil eines umfassenden Überwachungs- und Spitzelprogramms gewesen sind.
All diese Motive gehen von der Mutmaßung aus, dass die Täter ihren Handlungen meist neutral, wenn nicht sogar ablehnend gegenüberstanden. Das mag für diejenigen zutreffen, die durch die Stasi erpresst wurden, sicherlich. Aber es gilt zu bedenken, dass die meisten MfS-Mitarbeiter überzeugt davon gewesen sind, mit ihrer alltäglichen Arbeit dem Weltfrieden, dem Sozialismus und dem Schutz der propagierten Arbeiter- und Bauernmacht zu dienen.
Ob sich eine solche, oft jahrzehntelang gefestigte Überzeugung abstreifen lässt wie ein altes Kleidungsstück, das wage ich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, echt zu bezweifeln.
Und die Opfer? - Vielleicht gibt es welche, die bereit wären, mit ihren ehemaligen Peinigern ins Gespräch zu kommen. Ob dies allerdings zur wirklichen Versöhnung gereichen kann, das darf echt kritisch hinterfragt werden.
Ein kurzer Blick in dieses düstere Kapitel der DDR-Geschichte soll verdeutlichen, warum eine solche Versöhnungsmentalität kaum zum Tragen kommen dürfte.
Der Rückhalt des SED-Regimes bei den Menschen in Ostdeutschland war in den ersten Jahren der DDR so gering, dass die tatsächliche Zustimmung für die SED bei den freien Wahlen gerade erst einmal zwischen 17 und 18 % betrug.
insbesondere durch den Apparat der Staatssicherheit, der am Ende des Experimentes der DDR 91 000 hauptamtliche und 189 000 inoffizielle Mitarbeiter beschäftigte, gab der SED die Scheinlegitimation, die sie in den Wahlen suchte.
Beim Anwerben von Informanten war den StasiOffizieren jedes Mittel recht: die fremden Autos vor dem Haus, die Wanzen in den Steckdosen, der erste Verdacht gegen eine Kollegin, das Misstrauen, die Angst und der Griff in die unterste Schublade menschlicher Verderbnis.
So berichtet ein Major stolz, dass es ihm gelungen ist, einen Pfarrer durch Erpressung zu werben, der niemals aus Überzeugung diesem Apparat gedient hätte. Ich zitiere:
„Da bot sich die sexuelle Abnormität des Pfarrers an. Er fühlte sich von minderjähriger, jungfräulicher Haut angezogen. Damit hatten wir ihn, und er war einfach eine Spitzenquelle.
Der Volksaufstand in der DDR um den 17. Juni 1953 verlieh den wahren Gefühlen der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung der DDR einen allzu deutlichen Ausdruck. Das nach dem Vorbild der sowjetrussischen Tscheka gegründete Ministerium für Staatssicherheit hatte im Vorfeld des Arbeiteraufstandes nach Meinung der führenden Genossen versagt und Wilhelm Zaisser musste den Stasi-Chefsessel schließlich für einen stalinistischen Betonklopf - wir wissen alle, um wen es geht: Erich Mielke - und zweifachen Polizistenmörder räumen.
Von welchem Schlage dieser Mann war, zeigt ein kurzer Auszug aus einem Besprechungsprotokoll - man höre und staune! - von 1987. Ich zitiere:
„Wir sind nicht davor gefeit, dass wir mal einen Schuft unter uns haben. Wenn ich das schon jetzt wüsste, würde er ab morgen nicht mehr leben. Kurzen Prozess, weil ich Humanist bin, deshalb habe ich solche Auffassungen. Das ganze Geschwafel von wegen nicht hinrichten und nicht Todesurteil, alles Käse, Genossen, hinrichten, wenn notwendig auch ohne Gerichtsurteil.“
Man höre! Das kam 1987 von Erich Mielke. Das verteidigen Sie heute immer noch; das ist ein so unverschämtes Verhalten, das kann ich nicht nachvollziehen.
Die Diktatur der SED, die Herrschaft von Walter Ulbricht und Erich Honecker war in erster Linie eine einem Teil Deutschlands oktroyierte und von einem brutalen Geheimdienst gesteuerte Diktatur der sowjetischen Besatzungsmacht.
Aber was die Menschen, die zum Stasi-Opfer wurden, erleiden mussten, darf niemals vergessen werden und zeigt besonders drastisch die finstere Seite genau dieses Regimes.
Ob in Hohenschönhausen, im „Roten Ochsen“ von Halle oder im „Gelben Elend“ von Bautzen, ob in den zahlreichen Vernehmungszentralen, wer einmal in die Fänge der Stasi geriet, war für immer gebrandmarkt.
Hans-Eberhard Zahn war kein so prominentes Opfer wie Robert Havemann, Wolf Biermann, Jürgen Fuchs oder Stefan Heym, aber er beschreibt die Haftbedingungen, unter denen er sieben Jahre leiden musste. Ich zitiere erneut:
„Eine Zellentür wurde aufgeschlossen. Dahinter lag so etwas wie eine finstere Höhle. Man stieß mich hinein. Ein grelles Licht über der Tür wurde eingeschaltet. Ich befand mich in einem fensterlosen Betonsarg, 1 m breit, 2 m hoch, 3 m lang. Es gab einen Kübel, aber sonst keine Sitzgelegenheit; denn die Holzpritsche war hochgeklappt und mit einem Vorhängeschloss gegen die Benutzung abgesichert.“
Es gab zahllose Verhörmethoden, auch nach dem Vorbild des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten. Alexander Solschenizyn beschreibt das in 27 Varianten in seinem weltberühmten Roman „Der Archipel Gulag“; das können Sie alles nachlesen.
Dieter Borowski, Journalist und mehrfach in StasiHaft, schilderte eine Verhörmethode so - ich zitiere erneut -:
„So wird er bis ans Ende meiner Tage vor mir stehen: breitbeinig, die hohe schlanke Gestalt vor meinem Stuhl in der graublauen Uniform des Stasi-Offiziers gekleidet, die fatal an die Militärtracht des Hitlerstaates erinnerte, spiegelblank die hohen schwarzen Stiefel, darüber die Reithosen, an der Uniformjacke die silbernen Kragenspiegel verziert mit weinroter Paspelatur, der Erkennungsfarbe des Staatssicherheitsdienstes. War sein Gesicht von vorgetäuschter oder wirklich empfundener Wut verzerrt, dann gellten seine Drohungen durch den Raum: Jetzt hast du ausgespielt für immer! Verräter am Sozialismus! Bürgerliche Feinde der Arbeiterklasse! So ein Schwein, wie du es bist, gehört ausgemerzt! Ja, solche Subjekte wie du haben in unserem Staat kein Lebensrecht!“
Man kann sich nur annähernd vorstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie diese Menschen unter dem physischen und psychischen Terror gelitten haben mussten. Ob die so Geschädigten
und Verfolgten wünschen, mit ihren einstigen Peinigern zu reden, sich dadurch mit einer teilweise traumatischen Vergangenheit erneut oder erstmalig, weil verdrängt, auseinanderzusetzen und zu konfrontieren, bleibt aus meiner Sicht fraglich.
Genauso fraglich ist es, ob die Täter gewillt sind, sich ihrer eigenen Verantwortung zu stellen, durch Bekenntnis zur Schuld zu sühnen und dadurch den Weg zur Versöhnung zu ebnen; zugegebenermaßen: eine nahezu illusorische Hoffnung.