Die Wirtschaftssubjekte, die Handel betrieben, stießen historisch an Zollschranken. Es wird jetzt eine der großen Fragen der Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich sein: Errichten wir wieder Zollschranken? - Niemand würde einen Staat daran hindern können, Zollschranken zu errichten. Das ist etwas ganz Normales.
Die Vernunft gebietet es, klug damit umzugehen und Wege in den Freihandel zu suchen. Aber so, wie Sie es jetzt unterstellen, dass die Geschichte der Menschheit durch Freihandel geprägt wäre - -
Das glatte Gegenteil ist der Fall. Freihandel kennen wir vielleicht seit 150, 200 Jahren. Aber vorher gab es das nicht, Herr Poggenburg.
Vielen Dank, Herr Robra. Ich sehe keine weiteren Anfragen. - Wir kommen somit zur ersten Rednerin. Das ist Frau Budde für die SPD-Fraktion. Ich erinnere noch einmal daran, dass wir zehn Minuten Redezeit vereinbart haben. Sie haben das Wort, Frau Budde.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Wenn ich mich hier so umschaue, geht das der Debatte um die Europäische Union heute genauso wie oft in letzter Zeit. Sie ist das Opfer einer populistischen Vorgängerdebatte, sage ich einmal, vom Tagesordnungspunkt vorher, aber doch auch wieder des Populismus. Obwohl es um ganz existenzielle Themen geht, bin ich dankbar, dass der Ministerpräsident und der Europaminister hier sind. Wenn es nachher um die Verwendung des Geldes aus der Europäischen Union geht, werden die Fachminister wieder anwesend sein. Es ist bedauerlich, dass sie es jetzt nicht sind.
Wenn man sich Deutschland mit 16 Bundesländern, 82 Millionen Einwohnern und einer gemeinsamen Währung einmal anschaut, wissen wir schon, wie schwierig es ist, die Einigung zwischen der Nordsee und den Alpen zu finden. Wenn man dem die EU gegenüberstellt mit noch 28 Mitgliedstaaten, mit 24 Amtssprachen, mit 510 Millionen Einwohnern, mit einem Rat, einer Kommission, einem Parlament, einer Zentralbank, einem Gerichtshof, einem Rechnungshof, dem Euro plus zehn nationalen Währungen, dann ist das nahezu schon ein kleines Wunder. Es muss eine ganz starke Kraft sein, die diese Europäische Union verbindet, dass es sie so lange gibt, dass sie eine so positive Entwicklung genommen hat und dass es so viele Menschen gibt, die dafür kämpfen.
Martin Schulz hat in seinem Buch „Der gefesselte Riese“, das ich jedem empfehlen kann, der die EU verstehen will, sehr einfach und anschaulich beschrieben, dass er die Europäische Union
Der Scheinriese TurTur ist, wenn man ganz nah dran ist, zerschlissen, klein, hässlich, dreckig. Wenn man aber ganz weit weggeht, wird er immer größer in der Geschichte von Lukas Knopf.
Und so, sagt er, ist das auch mit der Europäischen Union. Aus der Ferne betrachtet wird sie immer größer, glanzvoller und auch erstrebenswerter. Frieden, Freiheit, Wohlstand, soziale Gerechtigkeit, Krankenversicherung, Rentenver
sicherung, freie Presse, unabhängige Gerichte - das ist es, was man von außerhalb der Europäischen Union sieht, und das ist es, warum Europa so oft als Ort der Sehnsucht betrachtet wird. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir auf diesem Kontinent und in dieser Vereinigung leben.
Herr Gallert, Sie haben gesagt, ja, das ist kritischer geworden. Ich gebe Ihnen zu 100 % Recht. Ein Scheitern der Europäischen Union ist zumindest erstmals in der Nachkriegsgeschichte ein Szenario, das man nicht mehr wegweisen kann, was nicht ganz unrealistisch ist, das man jedenfalls so nicht abtun darf. Es wird viel häufiger an den Stammtischen diskutiert. Es gibt den Brexit, und das Scheitern hat, glaube ich, auch für manche und manchen den Schrecken verloren.
Deshalb - das will hier noch einmal ganz deutlich sagen - müssen wir alle darauf hinweisen und dafür arbeiten und sagen, ja, es wäre eine Katastrophe, wenn die EU scheitert. Sie darf auf keinen Fall scheitern.
Ein Scheitern ist abwendbar. Es gibt zunehmend überall in Europa Menschen, die für Europa auf die Straße gehen. Dieses Pulse of Europe ist nur eine der Bewegungen. Es gibt unzählige Bewegungen, aber die wächst auch. Es sind vor allem junge Menschen, die auf die Straße gehen. Die wissen auch, warum sie auf die Straße gehen, Kinder und junge Menschen. Meine Damen und Herren aus allen Fraktionen, Sie werden nicht müde, zu behaupten und zu argumentieren, dass die unsere Zukunft sind. Also dürfte es doch für uns im Parlament nur eine Schlussfolgerung geben: Wir müssen glühende Verfechterinnen und Verfechter für ein neues Europa sein, und wir müssen für sie Politik machen, das heißt, eine Weiterentwicklung der Europäischen Union.
Deshalb kann es aus meiner Sicht nur eine Antwort geben. Wir machen ein Remake und drücken nicht auf Reset. Für alle, die das nicht verstehen: Wir erneuern, und wir löschen nicht. Also glühende Verteidiger der Idee. Ich will deshalb ein Plädoyer für den Angeklagten halten, nämlich die EU, die zum Teil zu Recht auf der Anklagebank sitzt, zum Teil aber auch zu Unrecht, ein Angeklagter, den man vielleicht in eine Besserungsanstalt schicken muss, der es aber ganz sicher nicht verdient hat, zum Tode verurteilt zu werden.
Das sehen auch die vielen Zehntausenden Menschen so, die aus allen Teilen der Europäischen Union, aber auch von außerhalb Europas am 25. März dieses Jahres auf die Straßen gegangen, nach Rom gefahren sind und für ein neues, ein modernes Europa gestritten haben, für ein Europa der Bürger für Bürger, in dem Verbündeter des anderen zu sein bedeutet, auf einem solidarischen Kontinent zu leben, der eine wahre Integration der Völker garantiert.
wartung, dass wir bessere Antworten geben als bisher - auf die Flüchtlingskrise, auf wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten. Aber, meine Damen und Herren, eines wollen sie ganz sicher nicht: introvertierten Nationalismus. Introvertierter Nationalismus oder das Übertragen des America First auf die einzelnen europäischen Mitgliedstaaten ist in jedem Fall der falsche Weg.
Das ist aber keine gute Grundlage für unser Zusammenleben auf dem Erdball und auch nicht für Europa; denn so funktioniert zumindest keine friedliche Gesellschaft.
Auf die nationale Pauke hauen ist manchem viel wichtiger als das Wohl der Menschen in Europa. Das machen zum Teil auch Regierungen so, auch die Staaten, die in Europa verbündet sind. Wenn in Europa etwas beschlossen wird, gibt es manche Staaten - kein Land ist davon frei -, die dann sagen, ja, das ist alles ganz schrecklich, was da beschlossen wurde. Das ist nicht gut. Das ist ein Fehler. Wenn man sich über etwas verständigt hat, muss man dafür auch einstehen. Dann gibt es noch die Populisten, die eine Mär vom vermeintlich sicheren Hafen eines Nationalstaates verbreiten. Beides, meine Damen und Herren, finde ich unanständig und kleingeistig.
Vieles gibt es aus meiner Sicht, auf das wir stolz sein können. Nichts ist selbstverständlich bei dieser Europäischen Union. Nichts ist perfekt. Vor 60 Jahren wurde der Grundstein für die Europäische Union gelegt - aus unserer Sicht ein einzigartiges Modell für Frieden, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Wohlstand und Solidarität.
Ja, unsere Welt ist heute in Unruhe. Nationalismus und Populismus sind auf dem Vormarsch. Wir müssen beides stoppen. Wir dürfen Prioritäten und Solidarität nicht aus den Augen verlieren. Demokratie, Solidarität und Grundrechte - das ist für uns Sozialdemokraten das Herzstück unserer Identität.
Es gibt auch eine große Idee, die es zu verteidigen gibt, nämlich eine Europäische Union, die es gilt, vor den Nationalisten in den vielen Ländern zu retten. Es gilt, die Gleichheit, Freiheit, Fairness, soziale Gerechtigkeit für alle Bürgerinnen und Bürger in Europa im Blick zu behalten und zu fördern. Wir brauchen eine Politik, die mehr ist als Haushaltskonsolidierung. Auch Geld ist in der Europäischen Union wichtig. Aber die Europäische Union ist mehr als Geld und mehr als Haushaltskonsolidierung.
innerhalb der Mitgliedstaaten. Möglicherweise ist dafür bei manchen Themen eine unterschiedliche Geschwindigkeit notwendig. Darüber wird gerade viel diskutiert. Aber es muss immer in die gleiche Richtung gehen. Das ist das Entscheidende dabei.
Wir müssen auch dafür kämpfen, dass die Werte unserer Gesellschaft, Toleranz, Offenheit und Menschenrechte, vor jenen geschützt werden, die das zerstören wollen, und vielleicht, meine Damen und Herren - ein wenig selbstkritisch an diesen Teil des Plenums gerichtet -, waren wir ein Stück zu selbstgefällig, haben wir vieles für zu selbstverständlich genommen und damit Trump, Le Pen, den Brexit und der AfD den Boden bereitet.
Aber die Millionen, die jetzt für Frieden, Demokratie, Solidarität und für Europa auf die Straße gehen, machen auch wieder Mut. Deshalb, glaube ich, sollten wir sie mit aller Kraft unterstützen.
Ich möchte gern mit dem Zitat eines glühenden Europäers schließen, nämlich mit einem Zitat von Willy Brandt aus dem Jahr 1973:
„Die Entwicklung zur Europäischen Union ist unerlässlich. Nur sie bietet unseren Völkern den Raum, den ihre politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Energien brauchen. Die Vereinigung Europas ist nicht nur eine Frage der Qualität unserer Existenz. Sie ist eine Frage des Überlebens zwischen den Giganten und in der zerklüfteten Welt der jungen und der alten Nationalismen. Nur in einem Europa, das seine Persönlichkeit gefunden hat, sind unsere nationalen Identitäten zu sichern. Der Nationalstaat klassischer Prägung ist die Lebensform von gestern. Es gilt noch, begrenzte Positionen zu erfüllen, vielleicht für lange Jahre. Aber unsere Zukunft ist nicht mehr isoliert betrachtet, nur der Nationalstaat.“
Vielen Dank, Frau Budde. Es gibt zwei Nachfragen. - Zuerst hat sich Herr Tobias Rausch gemeldet und dann Herr Poggenburg.
Ich habe vorhin bereits angedeutet, dass wir sehr weit im Zeitverzug sind. Deswegen lasse ich pro Fraktion höchstens zwei Anfragen zu. - Bitte, Herr Rausch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Frau Budde, vorweg möchte ich sagen: Das mit dem Frieden in Europa und dem Binnenmarkt ist
alles richtig. Aber ich frage Sie: Hat das Ansehen Deutschlands in Griechenland nicht durch den Euro Schaden genommen im Vergleich zu der Situation vor 60 Jahren?
Dann frage ich Sie in Bezug auf den Maastrichter Vertrag, in dem es auch um die Währungsunion geht: Was kostet uns der Euro? - Nichts. Jeder Staat haftet für sich selbst. Wie erklären Sie sich, dass wir trotzdem für die Schulden haften?
Ich glaube nicht, dass das Ansehen Deutschlands in Griechenland Schaden genommen hat. Wenn es in einem Nationalstaat schwierig wird, wenn die Menschen Geld verlieren, wenn die Renten gekürzt werden, wenn sie entlassen werden, dann ist es verständlich, dass sie in Aufruhr sind.