Protocol of the Session on April 5, 2017

Wichtig ist mir zu erwähnen, dass das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg das Aktenvorlagerecht der Abgeordneten als zentrale Vorschrift der Landesverfassung für eine effiziente Kontrolle der Regierungstätigkeit bezeichnet, die der umfassenden parlamentarischen Kontrolle diene. Aus dem durch die Landesverfassung angelegten System der parlamentarischen Kontrolle leitet das Gericht zudem die verfassungsrechtliche Notwendigkeit ab, den Kontrollbefugnissen größtmögliche Effizienz zu verleihen. Diese schließe neben der Aktenvorlage auch das Akteneinsichtsrecht ein.

Wenn ein Verfassungsgericht für eine Verfassungsvorschrift so voll des Lobes ist, sollten wir uns als Abgeordnete der Einführung einer solchen Regelung gegenüber offen zeigen.

Mit der Einführung des Zugangs- und Aktenvorlagerechts soll kein Supergrundrecht für Abgeordnete geschaffen werden. Die vorgenannten Einschränkungen lassen diesen Schluss auch nicht zu.

Die AfD-Fraktion ist jedoch der Ansicht, dass gerade aufgrund der politischen Verfehlungen in den letzten Jahren - einige davon sind derzeit Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses - die Kontrollmöglichkeiten der Abgeordneten des Landtages erweitert werden müssen. Vielleicht wären einige der begangenen Verfehlungen nicht geschehen oder zumindest nicht in diesem Ausmaß, wenn politisches Handeln transparenter und die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments umfangreicher bzw. effizienter gewesen wären.

Das freie Mandat ist ein Grundbaustein und Fundament der parlamentarischen Demokratie. Daher appelliere ich an alle Mitglieder des Landtages: Lassen Sie uns in dieser Angelegenheit sachorientiert und frei von irgendwelchen ideologischen Hürden und Abstimmungsprinzipien für eine Stärkung des freien Mandats eintreten. - In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Herr Kohl, ich sehe keine Nachfragen. Wir bedanken uns bei Ihnen. - Für die Landesregierung spricht Ministerin Frau Keding.

(Ministerin Anne-Marie Keding: Wie bitte, ich? - Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Sur- prise, surpise!)

- Frau Keding, es steht so bei mir.

(Ministerin Anne-Marie Keding: Entschuldi- gung!)

Nun geht es los.

Sehr geehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, dass ich die Tagesordnung nicht mit der zeitlichen Maßgabe gesehen hatte, dass ich jetzt reden muss.

(Zurufe von der LINKEN und von der SPD)

Der Gesetzentwurf der AfD ist darauf gerichtet, die Verfassung des Landes zu ändern und das parlamentarische Kontroll- und Fragerecht zu erweitern. Als Begründung wird angeführt, die bisherigen Regelungen der Landeverfassung würden die Kontrollfunktionen des Parlaments gegenüber der Landesregierung nicht ausreichend gewährleisten. Diese Einschätzung teile ich nicht.

Richtig ist, dass das parlamentarische Kontroll- und Fragerecht auch in der Staatspraxis in Sachsen-Anhalt eine enorme Bedeutung hat. Aus diesem Grund ist es in unserer Landesverfassung, anders als zum Beispiel im Grundgesetz oder in einigen Bundesländern, auch ausdrücklich geregelt. Für eine Änderung des seit fast 25 Jahren nahezu unveränderten und funktionierenden Systems von Kontroll- und Fragerechten des Parlaments und seiner einzelnen Mitglieder sehe ich keinen Bedarf.

Das Fragerecht dient vor allem dazu, dem einzelnen Abgeordneten die für die Ausübung seines Mandates notwendigen Informationen zu verschaffen. Im Mittelpunkt steht dabei die Aufgabe des Parlamentes, die Regierung zu kontrollieren. Das parlamentarische Fragerecht ist ein Instrument, das es den Abgeordneten ermöglicht, diese Kontrolle auszuüben.

Darüber hinaus soll das parlamentarische Fragerecht dem Parlament die nötigen Informationen für seine Gesetzgebungstätigkeit verschaffen. Besonderes Gewicht billigt das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung diesem parlamentarischen Fragerecht auch dort zu, wo es um die Aufdeckung möglicher Regelverstöße und Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung geht.

Dem Fragerecht liegt die Annahme zugrunde, dass die Landesregierung insbesondere dort, wo es um Handlungen und Maßnahmen der von ihr geleiteten Landesverwaltung geht, über einen funktionell bedingten Informationsvorsprung verfügt. Fragerecht und Antwortpflicht werden als Mittel verstanden, um Informationsdefizite aufseiten der Abgeordneten zu beheben und ein Informationsgleichgewicht herzustellen. Diesen Funktionen werden die bisherigen Regelungen der Landesverfassung in vollem Umfang gerecht.

Nach Artikel 56 der Verfassung des Landes haben Sie, und zwar jeder einzelne Abgeordnete,

das Recht, im Landtag das Wort zu ergreifen und Fragen zu stellen. Mit diesem Fragerecht korrespondiert eine Antwortpflicht der Landesregierung. Vorgaben finden sich in Artikel 53 der Landesverfassung; danach hat die Landesregierung jedem Mitglied des Landtages Auskunft zu erteilen. Fragen einzelner Mitglieder des Landtages oder parlamentarische Anfragen haben die Landesregierung oder ihre Mitglieder im Landtag und in seinen Ausschüssen nach bestem Wissen und Gewissen unverzüglich und vollständig zu beantworten.

Die Landesregierung braucht einem Auskunftsverlangen nur dann nicht zu entsprechen, wenn dadurch die Funktionsfähigkeit und die Eigenverantwortung der Regierung oder Verwaltung wesentlich beeinträchtigt würden, zu befürchten ist, dass durch das Bekanntwerden von Tatsachen dem Wohle des Landes oder des Bundes Nachteile zugefügt oder schutzwürdige Interessen Dritter verletzt würden.

Flankiert werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben durch die Geschäftsordnung des Landtages, die ebenfalls Regelungen über das parlamentarische Fragerecht enthält.

Jedem Einzelnen von Ihnen, unabhängig davon, ob er Mitglied einer Mehrheitsfraktion, also einer Regierungsfraktion, oder einer Oppositionsfraktion ist, steht damit ein umfassendes Auskunfts- und Informationsrecht gegenüber der Landesregierung zu, welches auch gerichtlich durchsetzbar ist und was in der bestehenden Landesverfassung bereits so niedergelegt ist.

Gerichtlich kann das überprüft werden durch ein Organstreitverfahren gegen die Landesregierung vor dem Landesverfassungsgericht. Erst kürzlich hat das Landesverfassungsgericht die Rechte von zwei Abgeordneten im Rahmen einer Kleinen Anfrage gestärkt.

Von den parlamentarischen Kontrollrechten haben Sie in der Vergangenheit auch rege Gebrauch gemacht; allein für die sechste Wahlperiode verzeichnet die Datenbank des Landtages mehr als 2 000 Kleine und Große Anfragen an die Landesregierung.

Parallel dazu gibt es Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts, die sich mit diesem Instrument befassen, gerade einmal in lediglich drei Fällen. Dies zeigt, dass sich die in der Landesverfassung verankerten Regelungen und die Ausgestaltung des Frage- und Kontrollrechts gegenüber der Exekutive in der langjährigen parlamentarischen Praxis als funktionierendes System bewährt haben und keine Notwendigkeit einer Änderung besteht. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Ich sehe keine Nachfragen. - Deswegen können wir nunmehr in die Debatte der Fraktionen einsteigen. Für die SPD-Fraktion hat der Abg. Herr Erben das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kohl, Sie haben in Ihrer Einbringung sehr umfangreich über die Rechte des einzelnen Abgeordneten, aber auch über die Funktion des freien Mandates referiert. Ich hoffe, in der AfD-Fraktion werden alle diese Dinge gewahrt.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE)

Die eine oder andere Meinungsäußerung Ihrer Fraktionsführung in den letzten Wochen lässt bei mir Zweifel aufkommen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich kenne die Dinge, um die es in diesem konkreten Fall geht, von zwei Seiten, und zwar aus der Sicht der Exekutive wie auch aus der Sicht des einzelnen Abgeordneten. Ich bin der Auffassung, dass wir mit unserer aktuellen Regelung im Verfassungsrecht, aber auch unterhalb des Verfassungsrechtes eine sehr ausgewogene Regelung gefunden haben, die auch schon seit langer Zeit Bestand hat und die bereits Gegenstand verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung war.

Wenn im Einzelfall Auskunftsrechte eines Abgeordneten verletzt wurden, dann habe ich jedenfalls die Erfahrung gesammelt - in einem konkreten Fall war ich auch schon einmal betroffen -, dass der Präsident selber, damals noch der Präsident Gürth, in meinem Sinne interveniert hat und ich wie selbstverständlich von der Landesregierung die entsprechende Antwort bekommen habe. In anderen Fällen - es ist bereits von Frau Ministerin Keding erwähnt worden - hat die Anrufung des Verfassungsgerichtes dem entsprechenden Abgeordneten zu seinem Recht verholfen.

All das reicht aus. Ich glaube aus der Erfahrung heraus, dass wir mit dieser Vorschrift gut leben können. Deswegen gibt es aus der Sicht der SPDFraktion keinen Bedarf für eine Verfassungsänderung.

Es kommt hinzu, dass wir mit Verfassungsänderungen auch behutsam umgehen sollten. Nicht alles, weil jemand mal eine gute Idee hat oder in einer anderen Landesverfassung irgendetwas mitbekommen hat, was man jetzt auch machen könnte, sollte anschließend zu einer Verfassungs

änderung in Sachsen-Anhalt führen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Ich sehe auch hierzu keine Fragen. - Der Abg. Herr Gebhardt hat für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die AfD beantragt also eine Verfassungsänderung. Nun sollte man mit Vorschlägen zur Änderung einer Landesverfassung nicht so inflationär umgehen; denn nicht umsonst existiert hierfür ein hohes Quorum; zwei Drittel der Abgeordneten müssen dem zustimmen und es gibt bekanntermaßen ein Dreilesungslesungsprinzip.

Die Koalitionsfraktionen haben sich in ihrem Koalitionsvertrag auf eine Verfassungsänderung verständigt. Im Koalitionsvertrag heißt es - ich zitiere -: „Die Koalitionspartner werden die Landesverfassung um das Merkmal der sexuellen Identität ergänzen.“

(Zuruf von Daniel Roi, AfD)

Auch hierfür gilt das hohe Quorum von zwei Dritteln der Abgeordneten, die dem zustimmen müssen. Insofern stimmt der Satz im Koalitionsvertrag nicht; denn allein können Sie die Verfassung nicht ändern; Sie brauchen, um auf zwei Drittel der Abgeordneten zu kommen, auch Stimmen aus der Opposition. Aber ich kann Ihnen schon einmal zusichern, dass eine solche Verfassungsänderung an uns keinesfalls scheitern wird; denn das Anliegen im Koalitionsvertrag ist auch unser Anliegen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Nun aber zum Anliegen der AfD. Die AfD möchte die Rechte der Abgeordneten stärken und erreichen, dass Landtagsabgeordnete einen ungehinderten Zugang zu Behörden und Dienststellen haben. Die AfD will erreichen, dass jeder einzelne Landtagsabgeordnete ein Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht bekommt. In ihrer Begründung schreibt die AfD-Fraktion, dass man sich hierbei an der Landesverfassung von Brandenburg orientiert habe. Na ja, das ist so nicht ganz richtig; Sie haben sich nicht daran orientiert, sondern Sie haben die Brandenburger Verfassung eins zu eins abgeschrieben.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Se- bastian Striegel, GRÜNE)

Originell ist das nicht gerade, aber so kennt man das ja von Ihnen. Die Regelung in der Brandenburger Verfassung ist einzigartig in der Bundes

republik; keine andere Landesverfassung hat eine solche Regelung. Erkundigungen bei meinen Kolleginnen und Kollegen in Brandenburg haben auch ergeben, dass sich diese Regelung dort durchaus bewährt hat und dort auch gut funktioniert.

Aber, meine Damen und Herren, soll das wirklich das Signal sein, das vom Landtag an die Bevölkerung in Sachsen-Anhalt ausgeht? Ist es sinnvoll, die erste Verfassungsänderung in dieser Legislaturperiode vorzunehmen, indem man nicht etwa die Rechte der Bürgerinnen und Bürger stärkt, sondern nur die Rechte der Landtagsabgeordneten?

Meine Fraktion ist der Auffassung, dass das ein völlig falsches Signal an die Bürgerinnen und Bürger wäre.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Rüdiger Erben, SPD)