Protocol of the Session on March 2, 2017

(Starker Beifall bei der LINKEN, bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Poggenburg, möchten Sie als Fraktionsvorsitzender sprechen?

(André Poggenburg, AfD: Eine Kurzinter- vention! - Swen Knöchel, DIE LINKE: Nein, das geht nicht!)

- Als Fraktionsvorsitzender geht das jetzt nur. Dann müssen Sie nach vorne kommen. - Okay, Sie ziehen zurück.

Wir sind damit am Ende der Debatte und steigen somit in das Abstimmungsverfahren zu der Drs. 7/1044 ein. Ich habe keine Überweisung vernommen. Somit stimmen wir direkt über diesen Antrag ab. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um sein Kartenzeichen. - Das ist die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind alle übrigen Fraktionen. Gibt es Stimmenthaltungen? - Keine. Somit ist der Antrag abgelehnt worden. Der Tagesordnungspunkt 3 ist damit erledigt.

Wir kommen nun zum

Tagesordnungspunkt 4

Erste Beratung

Antrag des Freistaats Thüringen „Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V)“ im Bundesrat unterstützen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/1041

Einbringer wird der Abg. Herr Höppner sein. Herr Höppner, Sie haben das Wort.

Danke, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Worum geht es in unserem Antrag? - Wir fordern die Landesregierung auf, sich im Bundesrat einer sinnvollen Initiative der Länder Thüringen, Brandenburg und Berlin zum Thema Situation der Soloselbstständigen anzuschließen.

Soloselbstständige sind Unternehmerinnen und Unternehmer ohne Angestellte. Sicherlich, nur weil keine Angestellten vorhanden sind, weil jemand allein sein Unternehmen führt, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass er eine prekäre Einkommenssituation hat. Doch inzwischen weisen eine Menge Studien, Berichte und Statistiken in eine andere Richtung. Erst vor einigen Wochen

ist ein Bericht erschienen, der den Soloselbstständigen ein hohes Altersarmutsrisiko bescheinigt.

Benjamin Hoff, Staatsminister in Thüringen, hat bei seiner Rede im Bundesrat zur Einbringung der Initiative zu Recht gesagt, dass es zwar bereits verschiedene Erhebungen zu diesen Selbstständigen gibt - ich werde Ihnen auch noch einige vorstellen -, dass sie aber methodisch sehr unterschiedlich und dass damit die Erkenntnisse bzw. die Rückschlüsse auf die Situation nicht übereinstimmend sind.

Die Fraktion DIE LINKE im Bundestag hat zu diesem Thema eine Große Anfrage eingebracht, die vor ein paar Wochen im Plenum behandelt wurde. Ich kann nur jedem empfehlen, sich die Antwort der Bundesregierung auf rund 140 Seiten einmal zu Gemüte zu führen.

Die Anfrage macht einerseits deutlich, dass Informationen zur Situation der Soloselbstständigen noch lückenhaft sind, beispielsweise zu der Verschuldung von Soloselbstständigen oder über die Anzahl von Insolvenzen. Sie besagt andererseits, dass es hier Handlungsbedarf gibt.

Auch zeigte eine Kleine Anfrage von uns an die Landesregierung, dass der Mikrozensus zu der Anzahl der Soloselbstständigen in den unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen in SachsenAnhalt nur bedingt aussagefähig ist.

Bundesweite Untersuchungen wie zum Beispiel vom DIW, also vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, zeigen, dass es Soloselbstständige in vielen Bereichen der Wirtschaft gibt, vor allem im Kunst- und Kreativbereich, im Dienstleistungsbereich, also Hauswirtschaft, Makler, Rechtsberater, fahrende Friseure und Ähnliches, aber auch in den Fertigungsberufen wie Klempner, Installateure, Maler usw. Beispielsweise hat die Zahl der Soloselbstständigen unter den Elektrikern im Zeitraum von 2009 bis 2012 um 47 % zugenommen.

Ich verweise auch gern auf Untersuchungen des DIW aus dem Jahr 2011 und, aktualisiert, aus dem Jahr 2016. Laut Bericht des DIW „Soloselbstständige in Deutschland - Strukturen und Erwerbsverläufe“ Nummer 465 waren im Jahr 2014 knapp 4,2 Millionen Menschen in Deutschland selbstständig - das sind 10,5 % der Erwerbstätigen -, davon 1,848 Millionen sogenannte

Soloselbstständige.

In Sachsen-Anhalt waren laut Mikrozensus im Jahr 2015insgesamt 47 200 Selbstständige ohne Beschäftigte, davon 14 800 Frauen und 32 400 Männer. Das sind rund 4,5 % aller Erwerbstätigen hier.

Obwohl die Gesamtzahl der Soloselbstständigen seit einigen Jahren stagniert, erleben wir dennoch einen erheblichen Anstieg in bestimmten Be

reichen. Dies mag vor allem an grundlegenden Umstrukturierungen der Wirtschaft aufgrund der Digitalisierung, der weltweiten Vernetzung, dem Anbieten von Leistungen über sogenannte Clouds und dem zunehmenden Ausgliedern von bisher in den Unternehmen angesiedelten Dienstleistungen, wie das sogenannte Facility Management - auf Deutsch: Hausmeister -, von Büroleistungen, Übersetzungsleistungen, der Homepage-Bearbeitung sowie der Administration der Betriebssysteme und Programme, liegen.

Wir erleben aber auch in klassischen Gesundheitsberufen einen ungeahnten Anstieg der Zahl der Soloselbstständigen, zum Beispiel im Pflegebereich. Von 2005 zu 2012 sehen wir bei den Pflegekräften einen Anstieg um 97 %, auch bei den Psychologen um 97 % und bei Heilpraktikern um 57 %.

Was ist eigentlich das Problem dabei? - Das Problem ist tatsächlich die soziale Absicherung. Waren vorher viele dieser Selbstständigen in Unternehmen angestellt, hatten unbefristete Arbeitsverhältnisse und damit eine gesicherte Perspektive, ein gesichertes Einkommen und leisteten wie selbstverständlich ihre Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, so hat nun eine nicht unerhebliche Anzahl dieser Selbstständigen Probleme, ihre SV-Beiträge zu leisten.

Erschwerend zu den meisten prekären Einkommenssituationen von Soloselbstständigen kommen die im Verhältnis zum erzielten Einkommen zu hohen Beiträge zur Sozialversicherung. Benjamin Hoff sagte im Bundesrat - ich zitiere -:

„Dazu trägt bei, dass Soloselbstständige weder die Möglichkeit der Minderung der Beitragszahlungen haben, wie bei der Gleitzonenregelung für geringe Einkommen, noch finanziert ihnen […] ein Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge. Eine Minderung der Beitragslast der Soloselbstständigen in der gesetzlichen Krankenversicherung […] ist deshalb dringend geboten.“

(Beifall bei der LINKEN)

Die Künstlersozialkasse beispielsweise wurde für Künstlerinnen und Künstler geschaffen, weil man eingesehen hat, dass diese einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten, aber nicht über ein reguläres und konstantes Einkommen verfügen. Man gewährt ihnen nun mit der KSK einen ähnlichen Schutz in der gesetzlichen Sozialversicherung wie Arbeitnehmern. Sie müssen nur die Hälfte der jeweiligen fälligen Beiträge aus eigener Tasche zahlen. Die KSK stockt dann die Beiträge entsprechend auf.

Über solche Lösungen, meine Damen und Herren, muss auch für Soloselbstständige nachgedacht werden. Auch ein Mindesthonorar wäre aus

unserer Sicht ein möglicher Lösungsweg. Dazu hatten wir bereits im März gemeinsam mit Gewerkschaften eine Diskussionsrunde veranstaltet, die Auftakt für weitere Überlegungen und Untersuchungen zu diesem Thema sein soll. Sie sehen daran, dass dieses Thema auch Sachsen-Anhalt beschäftigt.

Die Bundesratsinitiative der Länder Thüringen, Brandenburg und Berlin fordert die Bundesregierung auf, sich dieses Themas stärker anzunehmen, weitere Untersuchungen vorzunehmen und einen Bericht mit Handlungsempfehlungen vorzulegen. Einige mögliche Ideen wurden der Bundesregierung mit der Initiative auf den Weg gegeben.

Wie ich bereits darstellte, fordern wir die Landesregierung auf, sich dieses Themas ebenfalls stärker anzunehmen und dieser Initiative im Bundesrat zuzustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Um dem Problem der Altersarmut auch eine - hören Sie hin, liebe Kollegen von der AfD - genderpolitische Dimension zu geben: Die Zahl der selbstständigen Frauen steigt - das ist eigentlich sehr erfreulich -, jedoch steigt ihre Zahl deutlich mehr im Bereich der Soloselbstständigen.

Und noch eine, zumindest für mich, erschreckende Zahl aus dem DIW-Bericht von 2011: Rund 21 % der soloselbstständigen Frauen können ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrer Selbstständigkeit erwirtschaften. Sie werden hauptsächlich von ihren Partnern oder Verwandten beim Lebensunterhalt unterstützt. Bei den Männern lag dieser Anteil immerhin bei 11 %. Vielen Soloselbstständigen fehlt also letztlich die soziale Absicherung. Damit fallen viele Menschen in Armut. Tun Sie also etwas und unterstützen Sie unseren Antrag! - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Höppner. Ich sehe keine Anfragen. - Somit kann für die Landesregierung die Ministerin Frau Grimm-Benne sprechen. Sie haben das Wort, Frau Ministerin.

Schönen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Soloselbstständige sind Personen, die eine selbstständige Tätigkeit allein, ohne Angestellte ausüben. Im Jahr 2014 gab es davon in Deutschland knapp 2,35 Millionen; ca. 37 % davon sind Frauen.

Viele Soloselbstständige kommen nicht über Einkünfte hinaus, wie sie abhängig Beschäftigte im

Niedriglohnsektor beziehen. Mehr als ein Viertel aller Soloselbstständigen erzielt weniger als den gesetzlichen Mindestlohn. Neben vielen Soloselbstständigen mit einfachen Jobs gibt es aber auch eine große Gruppe Soloselbstständiger, die Tätigkeiten ausüben, die üblicherweise eine akademische Ausbildung voraussetzen. Entsprechend stark unterscheiden sich daher die Einkommens- und Vermögenssituationen.

Soloselbstständige unterliegen wie alle Selbstständigen bei der Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung besonderen Vorgaben. Die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Einnahmen werden bei Selbstständigen nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes festgelegt. Selbstständige können zum Beispiel Betriebsausgaben abziehen, sie können freiwillig Versicherungsbeiträge zahlen - die Beiträge werden auf der Grundlage ihrer Bruttoeinnahmen errechnet -, aber ihnen kommen Steuererleichterungen wie Werbungskosten nicht zugute.

Mit der Änderung des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes wird nun für freiwillig versicherte Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung ein neues, erleichtertes Beitragsbemessungssystem eingeführt. Danach soll ein mit möglichst geringem Bürokratieaufwand verbundenes System der Einkommensfeststellung etabliert werden. Sie, Herr Höppner, haben dazu schon einiges ausgeführt.

Dies wird zwar zu Erleichterungen führen, es wird aber an den verhältnismäßig hohen Mindestbeiträgen nichts ändern. Die Erhebung von Mindestbeiträgen ist jedoch vor dem Hintergrund, dass die gesetzliche Krankenversicherung für alle Versicherten, unabhängig von der Höhe der eingezahlten Beiträge, den gleichen umfassenden Versicherungsschutz vorsieht, erforderlich und wurde daher durch den Gesetzgeber für freiwillige Mitglieder vorgeschrieben.

Zudem mag es damals auch die Vorstellung gegeben haben, dass die Selbstständigen grundsätzlich zur Gruppe der Besserverdienenden zählen und deshalb weniger schutzwürdig sind. Mit dem Wandel der Arbeitswelt, der Schaffung von sogenannten Ich-AGs usw. ist diese Grundannahme, jedenfalls nach meiner Auffassung, anzuzweifeln.

An unser Haus, das Sozialministerium, werden immer wieder und jetzt zunehmend häufiger Schreiben gerichtet, aus denen deutlich wird, dass auch Beiträge in Höhe der Mindestbezugsgröße einzelne Selbstständige überfordern. Häufig führt dies dazu, dass sie sich für die private Krankenversicherung entscheiden, die aufgrund des anderen Beitragssystems für den Moment eine vermeintlich attraktive Alternative darstellt.

Wenn dann im Alter oder bei Krankheit die Prämien in der privaten Krankenversicherung massiv steigen, gibt es sehr häufig den Wunsch, doch wieder in die gesetzliche Krankenversicherung zurückzukehren, was dann allerdings in den meisten Fällen nicht mehr möglich ist.

Bei vielen Soloselbstständigen, aber auch anderen Selbstständigen mit schwierigen Einkommenspositionen führt dies letztlich dazu, dass nicht oder nur in ganz geringem Maße in die gesetzliche oder private Altersvorsorge investiert wird. Das führt - das haben Sie zu Recht ausgeführt - zum Risiko der Altersarmut und nicht zuletzt zu einer Belastung der Allgemeinheit.

Um diesem Personenkreis eine bessere soziale Absicherung zu ermöglichen, gilt es also Lösungen zu finden, die der zunehmenden Angleichung von Einkommens- und Vermögensprofilen zwischen Selbstständigen und abhängig Beschäftigten Rechnung tragen, die aber auch die Besonderheiten selbstständiger Einkommenserzielungen beachten. Das hört sich alles sehr technisch an und so ist es ja auch angelegt.

Ich habe für unser Haus bereits der von Ihnen erwähnten Bundesratsinitiative der Länder Thüringen, Berlin und Brandenburg im Fachausschuss zugestimmt. Wir werden dann im Kabinett darüber beraten müssen. In den Fachausschüssen gibt es Zustimmung aus unserem Sozialministerium dafür, dass man das auch in das Plenum des Bundesrates hineinträgt. Ich hoffe, dass wir dort dann zustimmen können und uns nicht der Stimme enthalten müssen, weil es andere Erwägungen gibt. Ich gebe jedenfalls mein Bestes dafür, dass das in eine Zustimmung mündet.