Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich eingangs etwas sagen, was mir persönlich, aber auch meiner Fraktion in Gänze ein Bedürfnis ist: Wir schämen uns dafür, dass in diesem Bundesland mit Steuergeld subventionierte Tarifflucht betrieben wird. Wir werden unseren Teil dafür tun, dass das zukünftig verhindert werden kann.
Die heutige Debatte ähnelt leider der Diskussion, welche wir im Juni dieses Jahres zur Firma Fricopan hier im Hohen Hause geführt haben. Sie ist sicherlich noch allen im Gedächtnis. Zum heutigen Stand ist dazu leider auch festzustellen, dass deren Produktionsstätte in Immekath bei Klötze stillgelegt wurde und eine Nachnutzung nicht in Sicht ist.
Auch dabei wurden Gelder der Wirtschaftsförderung letztlich zu einer Betriebsverlagerung im Land genutzt. Der bereits damals in der Debatte festgestellte Reformbedarf bei der Wirtschaftsförderung durch das Land Sachsen-Anhalt wird mit dem ähnlich gelagerten Fall bei Lieken leider noch einmal in bitterer Weise unterstrichen.
Wieder stehen wir vor Menschen, die ihre Arbeit verlieren und sorgenvoll in die Zukunft blicken. Wieder stehen wir vor der Frage, inwieweit sich das Land mit seiner Wirtschaftsförderung möglicherweise hat über den Tisch ziehen lassen.
Unternehmensentscheidungen zu Produktionsstandorten und die dazugehörigen Managementstrategien sind vielschichtig. Manches davon bleibt für uns als Außenstehende undurchsichtig. Manches davon erklärt sich aus der Komplexität einer wirtschaftlichen Unternehmung. Manches ist aus nicht nachvollziehbaren Gründen gewollt.
Politik kann solche Entscheidungen nicht vollkommen beeinflussen. Politik kann und muss aber vieles ermöglichen. Politik hat in einer sozialen Marktwirtschaft die Verpflichtung dazu. Politisches Handeln hat allerdings auch Grenzen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Was wir beeinflussen können, sind die Kriterien der Wirtschaftsförderung in diesem Land. Spätestens Ende 2017 wird in der Lutherstadt Wittenberg ein 200 Millionen € teures Werk in Betrieb genommen. Bauherr ist die Firma Lieken.
Gleichzeitig wird dafür ein anderer Produktionsstandort dieser Firma in Sachsen-Anhalt - das finde ich jetzt nicht unbedingt beklatschenswert -, nämlich der Standort in Weißenfels geschlossen. Nur backt in Wittenberg eben nicht mehr die Firma Lieken, sondern der Mutterkonzern Agrofert und damit ein Unternehmen die Brötchen, welches nicht dem Tarifvertrag der Brotindustrie Ost angeschlossen ist. Dicke Brötchen backen damit mutmaßlich vor allem jene, die die Differenz zwischen Tariflohn und untertariflicher Entlohnung für sich verbuchen können.
Der damals verantwortliche Wirtschaftsminister Hartmut Möllring der vorherigen Landesregierung entschied, den Werksneubau in der Lutherstadt Wittenberg mit der maximal zulässigen Summe von 11,25 Millionen € zu fördern. Zukünftig werden am geförderten Unternehmensprojekt in der Lutherstadt Wittenberg keine entsprechenden Tariflöhne mehr gezahlt; dazu hat der Kollege Höppner ausgeführt.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am bisherigen Standort müssen sich nicht nur neu bewerben, sondern werden wegen der untertariflichen Entlohnung einen 25-prozentigen Lohnverzicht akzeptieren müssen, obwohl sie die bisher ausgeübte gleiche Tätigkeit verrichten. Oder sie lassen es, was bei dem zu erwartenden Lohn und einer Entfernung von 120 km zwischen dem alten und neuen Standort sehr wahrscheinlich ist.
Mit Fördermitteln des Landes wird ein Backwerk errichtet ohne Tarifentlohnung, während an anderer Stelle des Landes ein Backwerk der gleichen Unternehmensgruppe mit Tarifbezahlung geschlossen wird. Auf beides haben wir mit der Landespolitik wenig Einfluss - das versuchte ich eingangs zu sagen -, aber wir müssen es nicht noch fördern.
Es ist daher wichtig, den beschriebenen Missstand öffentlich anzuprangern. Wichtig ist aber auch, auf dem uns betreffenden Handlungsfeld der Wirtschaftsförderung des Landes entsprechende Schlüsse zu ziehen und zu handeln. Wir Grünen werden daher dem zuständigen neuen Wirtschaftsminister zur Seite stehen und ihn darin unterstützen, bei der Überarbeitung der Landesregelungen zur Investitionsförderung insbesondere bei Betriebsverlagerungen besondere Sorgfalt walten zu lassen.
Es ist richtig, dass nicht mehr wie bisher jede Betriebsstätte im Land gesondert betrachtet wird, sondern dass bei der Verlagerung von Betriebsstätten innerhalb des Landes nur noch die in Summe zusätzlichen Arbeitsplätze förderfähig sind.
Darüber hinaus möchte ich auch auf die Äußerungen des Vorgängers im Amt verweisen, der zumindest mit seinen mitteldeutschen Kollegen Möglichkeiten suchen wollte, um auch bei Betriebsverlagerungen über die Grenzen eines Bundeslandes hinweg diese in Förderentscheidungen einfließen zu lassen. Herr Prof. Willingmann, bleiben Sie bitte dran - das wäre unser Wunsch -, damit wir das Spiel nicht demnächst in anderer Form nur über Bundesländergrenzen hinweg spielen müssen.
Generell müssen die Zusammenhänge bei Betriebsverlagerungen in der Zukunft deutlicher gemacht werden. Wir brauchen eine ressortübergreifende Datenbank der im Land bearbeiteten Förderanträge. Damit würden die Fördermittelempfänger und der Umfang der gezahlten Fördermittel transparent gemacht. Dann würde vielleicht auch das Ausreizen von Förderbedingungen frühzeitig auffallen.
Ein entsprechendes Vorhaben ist im Koalitionsvertrag verankert. Denn neben den Regelungen zur Ausreichung der Fördermittel benötigen wir auch eine entsprechende Übersicht, um der oben geschilderten Intention, uns bei solchen Manövern von Betriebsverlagerungen das Steuergeld in Form von Wirtschaftsförderung zu sparen, auch nachkommen zu können.
Darüber hinaus halten wir Grünen es für wichtig, dass die sogenannte Basisförderung, also ein Großteil der Fördersumme, an die Entlohnung nach einem Tarif für die Beschäftigten gekoppelt ist.
Die Tariftreue der Unternehmen soll nicht als Bonus betrachtet und gefördert, sondern in die grundsätzliche Förderentscheidung einbezogen werden. Da dieser Basisfördersatz nach der Überarbeitung der GRW-Richtlinien ansteigen wird, erhält dieser bei den investitionswilligen Unternehmen zukünftig eine steigende Bedeutung. Denn hier geht es um bares Geld, ein Faktor, den Unternehmen in der Regel sehr gut verstehen.
Ich möchte den Wirtschaftsminister dahin gehend in der Reform der Wirtschaftsförderung ermutigen. Schärfere Regeln für Fördermittel bedürfen in erster Linie der richtigen Regularien für diese
Erstens. Wir wollen sozialversicherungspflichtige, unbefristete und möglichst auf der Basis eines Tarifvertrags entlohnte Beschäftigte bei der Basisfördersumme honorieren.
Zweitens. Die betriebliche Mitbestimmung hat in Deutschland eine lange und erfolgreiche Tradition. Sie ist Ausdruck der Sozialpartnerschaft. Dies wollen wir im Fördersystem des Landes verankert wissen.
Gute Arbeit soll natürlich auch andere Anreize und andere Ansätze bedienen, die mit der Bonusförderung berücksichtigt werden können. Deshalb sollen Unternehmen, die beispielsweise die Bildung von Betriebsräten behindern, von der Landesförderung ausgeschlossen werden. Die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen soll sich im Fördersystem positiv niederschlagen.
Ganz im Sinne der Unternehmen und um unsere Fachkräfte im Land zu halten, bedarf es neben der tariflichen Bezahlung auch moderner Arbeitszeitmodelle. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist sicherzustellen. Besonders für junge Frauen soll der Berufseinstieg erleichtert werden. Ein Ansatz dafür ist die Einführung eines Landesqualitätssiegels „familienfreundlicher Betrieb“, ein Vorhaben, das sich ebenfalls im Koalitionsvertrag findet.
Die Reform der Wirtschaftsförderung, sehr geehrte Damen und Herren, wird gerade im zuständigen Wirtschaftsministerium erarbeitet. Wir stehen unmittelbar vor der Befassung. Wir werden dazu unseren soeben beschriebenen Beitrag leisten. Wir wollen uns dazu konstruktiv am Diskurs über den besten Weg beteiligen. Wirtschaftsförderung auf die richtige Spur zu bringen, ist unser Ziel, Trittbrettfahrer bei Mitnahmeeffekten auszubremsen ebenfalls.
Zur Zukunft der Wirtschaftsförderung in SachsenAnhalt gehört auch immer die Wahrheit: Politik kann vieles ermöglichen, aber politisches Handeln hat Grenzen. Neben der Debatte darüber, wie wir die wirtschaftliche Entwicklung positiv begleiten können, haben wir uns gerade darauf fokussiert, den richtigen Rahmen insbesondere bei den Regularien der Ausreichung von Fördermitteln zu setzen.
Natürlich geht es bei der Schwerpunktsetzung und der Rahmensetzung auch um andere Aspekte. Die Nachhaltigkeit der Maßnahmen - hierzu sei das Stichwort „Umweltbonus“ erwähnt - ist für uns
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Moderne Wirtschaftsförderung muss gute Arbeit unterstützen, zukunftsorientiert im Bereich Ausbildungsplätze, ökologisch nachhaltig sowie familienfreundlich ausgerichtet sein. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abg. Lüddemann. - Bevor wir in die weiteren Debattenbeiträge einsteigen, erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Prof. Dr. Willingmann das Wort. Sie haben das Wort, bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wir reden über etwas, was noch nicht fertig ist.
Deshalb bin ich Ihnen dankbar für die Anregungen, die ich jetzt hier erfahren habe, über die Anregungen hinaus, die wir am Dienstag im Rahmen der Anhörung mit den Stakeholdern, wie es Neudeutsch heißt, also mit den Betroffenen unserer GRW-Richtlinie erfahren haben. Ich kann Ihnen versichern, ich will Sie an diesem Prozess beteiligen. Das ist der Grund, warum wir mit dem, was bisher entworfen wurde, noch nicht auf den Markt getreten sind.
Ich halte es für wichtig, dass wir über diese Dinge reden und dass wir uns über die Steuerung, die an dieser Stelle möglich ist, verständigen. Davon zu unterscheiden ist der Vorgang, über den wir rückblickend reden, der hier unter dem Namen Lieken läuft
und zu dem ich natürlich auch ein paar Ausführungen machen möchte. Dieser Vorrang ist - das muss man ausdrücklich sagen -, soweit ich das prüfen konnte, formal korrekt gelaufen. Nach den seinerzeitigen in der Tat nicht von uns, sondern damals erstellten GRW-Vergaberichtlinien konnte man so verfahren und unter diesen Bedingungen den Höchstfördersatz erlangen.
Das, was jetzt dabei passiert ist, mag für uns nicht wünschenswert sein. Ich finde es ärgerlich. Aber man kann den Vorgang an sich - die Art, wie diese Mittel ausgereicht wurden - nicht kritisieren. Es ist seinerzeit jedenfalls nach gültigen Regeln verfahren worden.
Das heißt aber für uns, dass wir in der Zukunft genau diese Regeln auf den Prüfstand stellen wollen und an bestimmten Stellen stärker steuern möchten. Dabei soll unser Ziel bleiben, dass sich die Anzahl der Unternehmen, die förderfähig sind, erhöht und wir dazu kommen, dass mehr Unternehmen Förderung aus den GRW-Mitteln erlangen können und wir damit Effekte erreichen, über die ich gleich mit Ihnen reden möchte.
Die Unternehmen, die wir hier im Lande fördern, haben selbstverständlich Förderbedingungen einzuhalten. Der bundeseinheitliche GRW-Koordinierungsrahmen verlangt bei geförderten Investitionsvorhaben neue Dauerarbeitsplätze oder das Sichern vorhandener. Das muss über einen Zeitraum von fünf Jahren überprüft werden. Ich halte dies für wichtig.
Ich habe Ihnen gesagt, dass ich die Regelungen derzeit überarbeiten lasse. Ich bitte deshalb an dieser Stelle nun auch nicht mit unnötigem Zeitdruck auf die Landesregierung und bitte auch nicht auf mein Haus einzuwirken. Es wird ein paar Umsteuerungen geben, weil wir das Thema „gute Arbeit“ schon ernst nehmen und weil wir eine Konkordanz herstellen müssen zwischen dem, was im Koalitionsvertrag über die Wirtschaftsförderung steht, die wir ausbauen, und guter Arbeit, die wir sichern wollen.
Gute Arbeit, das ist gut bezahlte Arbeit, das ist sichere Arbeit, das sind menschengerechte Arbeitsbedingungen, das sind Weiterbildung und Aufstieg. Dies werden wir im neuen Regelwerk in einem Bonussystem überarbeiten. Dabei wird es selbstverständlich zur Tarifvertragsbindung eine Aussage geben; denn es ist ein Struktureffekt, den wir erreichen wollen.
Ich verstehe Ihre Anregung so, dass Sie sich die Tarifbindung als Ausschlusskriterium vorstellen. Darüber werden wir angesichts der aktuellen Situation der tatsächlichen Tarifbindungen hier im Lande reden müssen. In jedem Falle muss dies aber in der GRW-Richtlinie Berücksichtigung finden.
Ich finde aber auch wichtig, dass wir uns dazu verständigen, dass Ausbildungsplätze geschaffen werden und dass in der Richtlinie eine Ausbildungsquote enthalten ist. Wir brauchen - das ist eine Idee, die schon früher in dieser Richtlinie auftauchte - durchaus auch Beschäftigungsquoten für Mitarbeiter mit bestimmten Ausbildungsabschlüssen. Wir wollen dauerhaft hochwertige Arbeitsplätze fördern.