Protocol of the Session on December 14, 2016

Danke. Ich sehe keine weiteren Nachfragen. - Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abg. Quade das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Überfälliges und Überflüssiges liegen hier nahe beieinander. Ich fange mit der Kennzeichnungspflicht an.

Die Diskussion um die Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten in geschlossenen Einsätzen ist tatsächlich eine alte Diskussion, sie ist eine, die in der Vergangenheit mit viel Leidenschaft und auch mit viel gezielter Desinformation geführt worden ist. Dank der AfD sind diese Zeiten nicht vorbei.

Entgegen den Behauptungen der Gegner einer solchen Kennzeichnungspflicht geht es eben nicht um eine Diffamierung von Polizeibeamten, um einen Generalverdacht und es geht schon gar nicht um eine Gefährdung oder eine Stigmatisierung. Es geht um das, was zu den Kernelementen eines demokratischen Rechtsstaates gehört, nämlich um die Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns, um die Möglichkeit der Kontrolle des Handelns von Trägern von Hoheitsaufgaben, und das eben auch individuell feststellbar - mehr nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Fraktion fordert eine solche individuelle Kennzeichnungspflicht in geschlossenen Einsätzen seit Langem; sie ist schlichtweg überfällig.

Schauen wir nun auf das Überflüssige, nämlich die Bodycams. Der geplante Modelleinsatz von Bodycams in Sachsen-Anhalt wirft erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken auf. Das zeigt die Kritik von Datenschutzbeauftragten vieler Bundesländer, auch unseres Datenschutzbeauftragten.

Bereits fest installierte Videokameras zur Überwachung des öffentlichen Raums stehen unter massiver Kritik von Datenschützern und leiden unter fehlenden Wirksamkeitsnachweisen. Im Gegensatz zu fest installierten Kameras greifen mobile Bodycams jedoch noch weitaus tiefer in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein.

Bürgerinnen und Bürger können nicht selbst entscheiden, können nicht vorhersehen, unter welchen Bedingungen sie Teil einer Videoaufzeichnung werden. Sie können sich nicht entscheiden, ob sie Teil einer solchen Aufzeichnung werden oder nicht. Wer wann warum wie lange gefilmt wird, ist für den Einzelnen nicht nachvollziehbar. Private Orte, die Schutzbereichen unterliegen, können ebenso zufällig mit gefilmt werden wie unbeteiligte Dritte, die zum Beispiel an einer Kontrolle vorbeigehen.

Mittels der Pre-Recording-Funktion finden bereits mit dem Einschalten des Geräts Aufzeichnungen und damit eine Speicherung statt, die dann immer wieder überschrieben werden soll. Bereits das stellt einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, zumal die tatsächliche Löschung der Aufzeichnungen für die Betroffenen unkontrollierbar ist.

Der hessische Datenschutzbeauftragte hatte in der dortigen Anhörung völlig zu Recht von einer massiven Datenspeicherung auf Vorrat gewarnt. Das wollen Sie nun auch in Sachsen-Anhalt etablieren. Das lehnen wir vehement ab.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Bodycams werden als Instrument zur Gefahrenabwehr und insbesondere zum Schutz von Polizistinnen und Polizisten gegen Angriffe und Gewalttätigkeiten angeführt. Vielfach wird eine deeskalierende und präventive Wirkung ins Feld geführt.

Nun sollte man meinen, wenn es eine so deutliche Kritik von Datenschützern und rechtliche Unklarheiten gibt, dann wäre zumindest der Nutzen belegt. Das ist schlichtweg nicht der Fall. Einen wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit in Bezug auf Gewalt und Widerstandshandlungen gibt es schlichtweg nicht.

Und mehr noch: Die Statistiken, die es gibt und die als repräsentativ gelten dürfen und die europaweit erhoben wurden, weisen eher auf gegenteilige Effekte hin. Bild- und Tonaufzeichnungen schützen absolut nicht vor Übergriffen, weder Bürgerinnen und Bürger noch Polizeibeamte. Die deeskalierende Wirkung eines Bodycam-Einsatzes ist mehr als fragwürdig und kaum belegbar.

Auch als Mittel zur vorgezogenen Beweissicherung und als Mittel der objektiven Aufklärung über eine Situation, die einer Gewaltsituation vorausgegangen ist, als das Videoaufzeichnungen im Allgemeinen und Bodycams im Besonderen oft angeführt werden, taugt es schlichtweg nicht.

Ich rede an dieser Stelle nicht über die fehlende Zulässigkeit der vorgezogenen Beweissicherung. Erstens. Wenn eine Kamera nur einen Teil der Handelnden filmt und von einem anderen Handelnden gesteuert wird und auch gesteuert wird,

was gefilmt wird, wie lange es gefilmt wird und was nicht gefilmt wird, dann bleibt die Wahrheit eben eine subjektive.

Zweitens. Bodycams sollen laut der Erläuterung des Ministers nur dann zum Einsatz kommen, wenn mindestens drei Beamte zusammen unterwegs sind. Wenn das der Fall ist, dann ist es schlichtweg nicht notwendig, weil dann im Fall eines Angriffs immer genügend Zeuginnen und Zeugen zur Verfügung stünden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Drittens. Fragen Sie doch mal in Ihren örtlichen Polizeirevieren, wie oft es vorkommt, dass drei Beamte zusammen auf Streife und im alltäglichen Dienst unterwegs sind. Das kommt kaum vor, weil es schlichtweg nicht genügend Beamtinnen und Beamte gibt, weil dies die Personalsituation nicht hergibt.

Wer also etwas für Polizistinnen und Polizisten tun will, der kümmert sich um die Frage der Ausstattung, der kümmert sich um den Zustand ihrer Reviere, der kümmert sich um ein gutes und gelingendes betriebliches Eingliederungsmanagement, der kümmert sich um den enorm hohen Krankenstand und die hohen Ausfallzeiten. Wenn jemand mehr für die Polizei und für die Sicherheit tun will, dann wären diese Maßnahmen und nicht der Einsatz von Bodycams angezeigt.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt müssen Sie zum Ende kommen.

Die Neuregelungen in Bezug auf die Bodycams - das ist, glaube ich, deutlich geworden - lehnen wir ab. Die Kennzeichnungspflicht befürworten wir. Es ist logischerweise eine Überweisung des Gesetzentwurfes geplant, der wir uns selbstverständlich nicht verschließen werden. Ich sehe der Ausschussberatung sehr gespannt entgegen. Wir werden zum Einsatz der Bodycams selbstverständlich eine Anhörung beantragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Striegel, Sie haben für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Einbringung einer Novelle zum Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung bringen wir einen zentralen Erfolg auf die Zielgerade, für den wir GRÜNE viele Jahre in der außerparlamentarischen Opposition und die

vergangenen fünf Jahre im Parlament gestritten haben.

In Sachsen-Anhalt wird sich zukünftig jeder Polizist durch sein Namensschild ausweisen. Jeder Beamte und jede Beamtin, der oder die in geschlossenen Einheiten tätig ist, wird eine individuelle Nummernkennzeichnung tragen.

Das ist ein großer Erfolg für den Rechtsstaat und ein wichtiger Schritt hin zu einer richtigen Bürgerpolizei, wie sie uns GRÜNEN vorschwebt.

Ich bin dankbar, dass wir dieses Vorhaben gemeinsam mit den Koalitionspartnern umsetzen können und ich will ausdrücklich das gemeinsame Suchen nach einem Kompromiss im Rahmen der Koalitionsverhandlungen loben. Der Innenminister ist darauf bereits eingegangen.

In der ersten Debatte über die Polizeikennzeichnung in diesem Haus im September 2011 habe ich ausgeführt, es gehört - Zitat -:

„[…] zu den großen Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaates, dass er die im altdeutschen Recht und in totalitären Systemen gebräuchliche Sippenhaft durch ein System individueller Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit ersetzt hat. Die individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamtinnen und -beamten ist genau wie die Einrichtung von polizeiunabhängigen Beschwerdeinstanzen eine demokratische und rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit. Eine Polizeikennzeichnung schützt die Polizei vor Generalverdacht und falschen Verdächtigungen. Eine Polizeikennzeichnung schützt die Bürgerinnen und Bürger vor Polizeiwillkür, rechtswidriger Polizeigewalt und dem unverhältnismäßigen Agieren von Beamten. Eine Polizeikennzeichnung schützt den Rechtsstaat, indem sie effektiven Rechtschutz ermöglicht und den Rechtsfrieden wahrt.“

Meine damaligen Ausführungen haben bis heute Gültigkeit. Die Regierungskoalition greift mit dem Gesetzentwurf endlich die Forderungen von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen wie Amnesty International oder des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins auf, die nach vielen Fällen nicht aufzuklärender Misshandlungen durch Polizeibeamte immer wieder zwei zentrale Verbesserungen gefordert haben: erstens die Schaffung unabhängiger Stellen zur Ermittlung bei Vorfällen, in denen Polizeibeamte im Verdacht stehen, und zweitens die Einführung einer individuellen Kennzeichnung, die Aufklärung überhaupt erst möglich macht und sicherstellt, dass gerechtfertigte und auch ungerechtfertigte Vorwürfe rechtsstaatlich untersucht und voneinander geschieden werden können.

Den Bedarf, Herr Kohl, gibt es und den gibt es auch in Sachsen-Anhalt. Ich weiß nicht, was Sie in den letzten Jahren gemacht haben, aber wenn Sie immerhin ab und zu die Zeitung gelesen haben, dann werden Sie festgestellt haben, dass es auch in Sachsen-Anhalt, zum Beispiel in Halle, Gerichtsprozesse gab,

(Zuruf von André Poggenburg, AfD)

die eben nicht dazu geführt haben, dass die Verantwortlichen gefunden werden konnten, die unrechtmäßig, die ohne Zweifel unrechtmäßig Polizeigewalt angewendet haben. Dagegen steuern wir jetzt gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen.

Wir regeln - die Kolleginnen und Kollegen haben das angesprochen - mit dem Gesetzentwurf aber auch die Erprobung von Bodycams und schaffen dafür eine befristete rechtliche Grundlage.

Ich gehöre - das ist sicherlich kein Geheimnis - eher zu den Skeptikern dieser Technologie, bedeutet sie doch einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffener Bürgerinnen und Bürger. Aber auch ich muss gleichzeitig zur Kenntnis nehmen, dass die weltweit gesammelten Erfahrungen mit dem Einsatz von Bodycams eben sehr unterschiedlich sind.

Den Einsatz begleitende Forschungsergebnisse zeichnen ein sehr differenziertes Bild. So dokumentieren Kameras nicht nur Angriffe auf Beamte oder helfen, sie zu verhüten, sondern sie disziplinieren ganz offensichtlich auch die Träger und können unter bestimmten Bedingungen helfen, Dienstpflichtverletzungen zu dokumentieren.

Ich halte es deshalb für sachgerecht, die Kameras befristet auch unter den spezifischen Bedingungen Sachsen-Anhalts zu erproben und im Anschluss darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen ein dauerhafter Einsatz gerechtfertigt sein könnte.

Helfen die Kameras als schützendes Einsatzmittel tatsächlich, Straftaten zu verhüten? Werden sie Angriffe auf Beamte verhindern? Sehen wir signifikante Effekte auf die Schwere von Verletzungen bei Beamtinnen und Beamten bei Einsätzen mit Kameras?

Der vorliegende Gesetzentwurf hierzu bedarf einer Debatte, ob bereits ein ausreichendes Maß an Grundrechtsschutz gewährleistet ist. Welche Chance haben Betroffene, auf die Daten zuzugreifen? Ist die Tonaufnahme notwendig? Welchen Effekt hat eine automatische Übertragung an das Lage- und Führungszentrum? - Viele Fragen sind noch ungeklärt. Das werden wir im Ausschuss gemeinsam nachholen. Ich denke, eine Anhörung ist dafür das richtige Mittel.

Was das Gesetz auch zeigt: Mit der Kenia-Koalition aus CDU, SPD und GRÜNEN gibt es keine Freibriefe für die Sicherheitsbehörden mehr. Grundrechtseingriffe werden befristet und wir werden den Effekt der von uns beschlossenen Maßnahmen selbstverständlich evaluieren, bevor wir über eine dauerhafte Verankerung von neuen Einsatz,- Führungs- und Schutzmitteln reden.

Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss. Wir überweisen den Gesetzentwurf deshalb gern an den Ausschuss für Inneres und Sport. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke. - Wir können nun die Debatte mit dem Debattenredner Herrn Schulenburg für die Fraktion der CDU abschließen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt ist eine weitere Umsetzung des Koalitionsvertrages im Bereich der inneren Sicherheit. Das Sicherheits- und Ordnungsgesetz ist die wichtigste gesetzliche Grundlage für die Polizei im Bereich der Gefahrenabwehr.

Es gibt vielfältige Gefahren, die Polizeibeamte abwehren müssen. Dabei spielen auch solche Gefahren eine Rolle, die gezielt gegen die Beamten gerichtet werden. Wir sprachen hier im Landtag erst vor Kurzem über die Verrohung der Sitten in unserer Gesellschaft. In der Realität werden unsere Polizeibeamten bei Einsätzen oft bis aufs Mark beleidigt, bevor sie überhaupt zu Wort kommen.

Die Gewalt gegen Polizeibeamte stagniert seit Jahren bundesweit auf einem hohen Niveau und die verbale Gewalt wird dabei noch nicht einmal betrachtet. Unsere Beamten müssen ein dickes Fell haben; denn hinzu kommt noch, dass sie sich ständig für ihr Handeln rechtfertigen müssen.