Protocol of the Session on November 19, 2020

Für den neuerlichen Lockdown hat die Bundesregierung ein Paket geschnürt, das Soloselbstständigen, die keine Betriebskosten geltend machen können, eine Sonderunterstützung von einmalig bis zu 5 000 € als unbürokratischen Zuschuss gewährt. Auf Leistungen der Grundsicherung und ähnliche Leistungen ist die Neustarthilfe aufgrund ihrer Zweckbindung nicht anzurechnen. Dies soll gerade den Selbstständigen aus der Kultur- und Veranstaltungsbranche helfen, die von den Auftrittsbeschränkungen der Pandemie besonders gebeutelt sind.

Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht aber auch um die moralische Komponente. Wer will denn ewig üben, proben und trainieren, ohne seine Leistung präsentieren zu können? - Es macht doch keinen Unterschied, ob es Profis oder Amateure sind. Dann steht das Weihnachtsfest vor der Tür, eine Hochzeit für künstlerische Berufe, die umsatzstärkste Zeit für Theater und Orchester.

Zum Abschluss meiner Rede komme ich in den Bereich des Wunschdenkens. Wenn es gelingen sollte, innerhalb der nächsten zwei bis drei Wochen in eine Sieben-Tage-Inzidenz von landesweit unter 50 Infizierte auf 100 000 Einwohner zu kommen, könnte man dann nicht erneut einen Sachsen-Anhalt-Weg einschlagen, um wenigstens kleine zarte Pflänzchen in der Gastronomie und Kultur wiederzubeleben, um den Menschen in einem wirklich schwierigen Jahr ein minimal normal anmutendes Weihnachtsfest zu bescheren? - Deutschland steht in dieser schwierigen Situation zusammen, und das ist Bedingung für einen solchen Weg.

Aber am Horizont höre ich schon wieder die Kämmerer der Städte und Gemeinden von Haushaltskonsolidierungen reden, die wieder zulasten der freiwilligen Aufgaben gehen werden. Freiwillige Aufgaben - welch unpassende und fehlerhafte Bezeichnung. Dazu kann ich am Ende meiner Ausführungen einen denkwürdigen Text von Richard von Weizsäcker anfügen, der nichts als die reine Wahrheit über unser tägliches Politikdasein in Stadt und Land zum Ausdruck bringt. - Zitat:

„Kultur kostet Geld. Sie kostet vor allem deshalb, weil der Zugang zu ihr nicht in erster Linie durch den privat gefüllten Geldbeutel bestimmt sein darf […].

Substanziell hat die Förderung von Kulturellem nicht weniger eine Pflichtaufgabe des öffentlichen Haushalts zu sein als zum Beispiel der Straßenbau, die öffentliche Sicherheit oder die Finanzierung der Gehälter im öffentlichen Dienst.

Es ist grotesk, dass wir Ausgaben im kulturellen Bereich ‚Subventionen‘ nennen, während kein Mensch auf die Idee käme, die Ausgaben für ein Bahnhofsgebäude oder einen Spielplatz als Subvention zu bezeichnen. Der Ausdruck lenkt uns in eine falsche Richtung.

Denn Kultur ist kein Luxus, den wir uns leisten und nach Belieben streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere innere Überlebensfähigkeit sichert.“

Vielen Dank.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Damit ist die Aussprache zur Regierungserklärung beendet. Beschlüsse zur Sache werden nicht gefasst. Damit ist auch Tagesordnungspunkt 6 beendet, und wir werden hier vorn einen Wechsel durchführen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir fahren nun in unserer Tagesordnung fort.

Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 10

Zweite Beratung

Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt

Gesetzentwurf Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/6684

Beschlussempfehlung Ausschuss für Inneres und Sport - Drs. 7/6817

(Erste Beratung in der 111. Sitzung des Land- tages am 15.10.2020)

Berichterstatter ist der Abg. Herr Kohl. Herr Kohl, Sie haben das Wort. - Da Herr Kohl nicht da ist, weiß ich nicht - -

(Zuruf: Doch, er ist da!)

Herr Kohl, Sie haben das Wort. Das steht hier so.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Gesetzentwurf in der Drs. 7/6684 wurde in der 111. Sitzung am 15. Oktober 2020 in den Landtag eingebracht und dort zur alleinigen Beratung

(Zurufe)

- so einen 100-m-Sprint steckt man nicht mehr so einfach weg - und Beschlussfassung in den Ausschuss für Inneres und Sport überwiesen.

Mit dem Gesetzentwurf soll die probeweise Einführung der elektronischen Aufenthaltsermittlung zur Verhinderung einer terroristischen Straftat bis zum 31. Dezember 2022 verlängert werden. Darüber hinaus soll die Regelung zum bereits durch Fristablauf geänderten Modellprojekt Bodycam aus dem Gesetz gestrichen werden.

Der Ausschuss für Inneres und Sport befasste sich in der 52. Sitzung am 5. November 2020 mit diesem Gesetzentwurf. Hierzu lag dem Ausschuss eine Synopse des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes vor, die einige rechtsförmliche Anpassungen vorschlug. Der Ausschuss machte sich diese Empfehlung zu eigen und verabschiedete nach kurzer Beratung den so geänderten Gesetzentwurf als Beschlussempfehlung für den Landtag.

Durch die Fraktion DIE LINKE wurde eine Einzelabstimmung zu § 1 Nr. 1 und § 1 Nr. 2 beantragt. Nr. 1 wurde dabei einstimmig und Nr. 2 mit 7 : 2 :1 Stimmen angenommen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ihnen in der Drs. 7/6817 vorliegende Beschlussempfehlung wurde mit 8 : 2 : 3 Stimmen verabschiedet. Im Namen des Ausschusses für Inneres und Sport bitte ich um Zustimmung zu dieser Beschlussempfehlung.

Danke. Ich sehe keine Wortmeldungen zur Berichterstattung über die Ausschussberatungen. Ich habe auch ansonsten keine Wortmeldungen angemeldet bekommen außer von Frau Quade. Die können Sie jetzt sozusagen in Angriff nehmen. - Herr Kohl, es ist gut.

(Hagen Kohl, AfD: Ich habe doch auch - -)

- Sie sind gewissermaßen erst einmal entlassen.

(Zuruf von Hagen Kohl, AfD)

- Doch, Sie sind angemeldet. Aber Sie waren erst einmal der Berichterstatter. Es wäre gut, wenn wir zwischen Berichterstatter und Diskussionsbeitrag eine Kunstpause haben, damit die Menschen mitbekommen, dass Sie dann in einer anderen Funktion da sind. - Jetzt müssen wir erst einmal das Rednerpult desinfizieren.

(Unruhe)

- Dann bitte ich jetzt um Ruhe. - Frau Quade, Sie haben das Wort. Bitte sehr.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren, ich kann verstehen, dass Sie das Pilotprojekt Bodycam gern sang- und klanglos beerdigen würden. Die Änderung des Polizeigesetzes gänzlich ohne Debatte durch das Parlament zu bringen, geht nicht, meine Damen und Herren. Deswegen rede ich hier.

(Zustimmung - Zurufe: Oh!)

Schon bei der Einführung der Regelung zum Pilotprojekt Bodycam hat meine Fraktion deutlich Kritik daran geübt. Mobile Bodycams greifen tief in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Denn Bürgerinnen und Bürger können nicht selbst darüber entscheiden und können schon gar nicht vorhersehen, ob sie Teil einer Videoaufzeichnung werden. Private Orte können ebenso zufällig mitgefilmt werden wie unbeteiligte Dritte, beispielsweise Passanten, die an einer Kontrolle vorbeigehen.

Mittels der Pre-Recording-Funktion findet bereits ab dem Einschalten des Geräts eine Aufzeichnung statt und damit auch eine Speicherung von Daten. Damit geht immer die Gefahr einer massenhaften Datenspeicherung auf Vorrat einher. Die Löschung der Daten ist für die Betroffenen nicht nachvollziehbar und nicht kontrollierbar.

Einen wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit in Bezug auf Gewalt- und Widerstandshandlungen gibt es schlichtweg nicht. Diese gab es nicht, als das Pilotprojekt gestartet wurde, und es gibt sie heute noch weniger. Denn der Abschlussbericht bestätigt sämtliche Kritikpunkte.

Er hält fest - ich zitiere -, dass es in den Dienststellen mit der Bodycam einen Anstieg der Gewalttaten gab, der im Widerspruch dazu steht, dass es dort einen Rückgang von Angriffen gab, wo keine Bodycams eingesetzt wurden.

Im Abschlussbericht heißt es zudem, „dass die Bodycams keine präventive Wirkung zur Verhinderung von Angriffen auf Polizeivollzugsbeamte hat.“

Es wird konstatiert, „dass sich durch den Einsatz der Bodycam sogar ein der Zielstellung gegenteiliger und begünstigender Effekt zur Steigerung der Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte einstellte.“

Abschließend heißt es im Bericht, „dass die erhoffte positive Wirkung der Bodycam in der Verbesserung der Eigensicherung der Polizeivollzugsbeamten weder in den Zahlen der PKS noch

in der Bewertung der Nutzer sowie aus den Berichten der beteiligten Behörden erkennbar ist.“

Meine Damen und Herren! Krachender kann ein Modellprojekt gar nicht scheitern.

(Zustimmung)

Insofern wird meine Fraktion den Modellversuch sehr gern mit beenden. Was wir nicht tun werden, ist, eine Regelung zur elektronischen Fußfesselung zu verlängern, und zwar ebenfalls aus grundsätzlichen wie praktikablen Erwägungen. Denn die Fußfessel ist das Paradebeispiel des nicht erfüllbaren konservativen Sicherheitsversprechens. Sie gaukeln den Menschen Sicherheit vor, ohne real irgendetwas verhindern zu können, und erfüllen damit eines der wesentlichen Kriterien, die Sicherheitsmaßnahmen, die mit Grundrechtseinschränkungen einhergehen, erfüllen müssen, eben ausdrücklich nicht, nämlich das der Geeignetheit.

(Zustimmung)

Keine elektronische Aufenthaltsermittlung egal welcher Art, auch keine Fußfessel, kann eine Straftat, einen Terroranschlag oder auch nur ein Untertauchen effektiv verhindern. Die Fußfessel ist ein praxisuntaugliches und unverhältnismäßiges Mittel, dessen Anwendung auf einen bloßen Verdacht hin einen eklatanten Bruch mit dem Grundsatz der gesetzlichen Unschuldsvermutung darstellt und damit eben auch mit der Rechtsstaatlichkeit.