Protocol of the Session on October 16, 2020

Denn niemand möchte ein Endlager für radioaktive Abfälle vor seiner Tür haben.

(Zuruf: Doch, da ganz drüben sitzen sie!)

- Na gut, wenn sie dort dann allein wohnen.

Für die bereits vorhandenen Abfälle müssen wir aber eine sichere Lagermöglichkeit finden. Es entspricht dem Verursacherprinzip, dass die in Deutschland erzeugten radioaktiven Abfallstoffe auch hier auf Dauer zu lagern sind. Weil es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, hat der Bund die Standortsuche nicht den Ländern überlassen, sondern konsequent eigene Bundeseinrichtungen geschaffen, die das Verfahren zur Standortsuche führen. Das Suchverfahren selbst ist im Standortauswahlgesetz geregelt.

Das wichtigste Kriterium für den Standort ist die Sicherheit, mit der das Wirtsgestein die Abfälle für mindestens eine Million Jahre von der Biosphäre abschließen kann. Das ist ein nach menschlichem Ermessen eigentlich nicht vorstellbarer Zeitraum, den das Bundesumweltministerium allerdings schon im Jahr 2010 in seinen Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung Wärme entwickelnder Abfälle festlegte.

Dafür hatte die Endlagerkommission, in der ich bekanntlich in der letzten entscheidenden Phase mitgearbeitet habe, in zweieinhalb Jahren in 34 Plenarsitzungen und unzähligen Arbeitsgruppensitzungen nach intensiven Diskussionen die Endlagerung in tiefen geologischen Schichten in einem Endlagerbergwerk priorisiert. Dementsprechend kommt es auf die Geologie an, ob ein Standort geeignet ist, und nicht auf die Frage, wie viele Windräder, Stromleitungen oder Kernkraftwerke es in einem Bundesland gibt.

Das Standortauswahlgesetz ist vom Bundesrat seinerzeit einhellig gebilligt worden. Jede Landesregierung ist selbstverständlich verpflichtet, sich nach diesem Gesetz zu richten. Kein Land kann für sich die Gültigkeit des Standortauswahlgesetzes mittels Koalitionsvertrag oder Landtagsbeschluss ausschließen - selbst Bayern nicht.

(Zustimmung)

Folgerichtig, lieber Kollege Lange, hat der bayerische Ministerpräsident in seiner Pressekonferenz am 28. September 2020 anlässlich der Veröffentlichung des Zwischenberichts „Teilgebiete“ erklärt, dass Bayern das Verfahren zwar kritisch, aber selbstverständlich konstruktiv begleiten werde. Genau so verstehe ich auch unsere Aufgabe. Der Gesetzgeber hat die Standortsuche als transparentes, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierendes, selbstlernendes Verfahren mit umfangreichen Mitwirkungsmöglichkeiten organisiert.

Es gliedert sich in vier Schritte: Im ersten Schritt hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung ohne jedwede Vorfestlegung und ausgehend von einer weißen Landkarte die Teilgebiete in Deutschland ermittelt, die über grundsätzlich untersuchungswürdiges Wirtsgestein verfügen, nämlich Granit, Salz und Ton. Im nächsten Schritt werden daraus die übertägig zu erkundenden Gebiete ausge

sucht und im dritten Schritt die untertägig zu erkundenden Orte festgelegt. Im letzten Schritt wird daraus der Vorschlag für den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit erarbeitet. Das soll im Jahr 2031 so weit sein.

Um der weitreichenden Bedeutung des Auswahlprozesses Rechnung zu tragen, hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass sowohl über die übertägig und untertägig zu erkundenden Regionen als auch über den endgültigen Standort jeweils ein Bundesgesetz zu bestimmen hat. Solange Gebiete im Land Sachsen-Anhalt im Verfahren sind, werden wir diesen Suchprozess kritisch begleiten.

(Zustimmung)

Um die Pflicht, den atomaren Abfall sicher zu entsorgen, kommen wir in Deutschland nicht herum. Bund und Länder haben sich auf ein transparentes, faires und ergebnisoffenes Verfahren geeinigt. Deswegen muss es unser aller Intention sein, den bestmöglichen Standort zu finden und in der Bevölkerung Akzeptanz für dieses Verfahren zu erreichen.

Deswegen bitte ich Sie alle sehr herzlich, kritisch und konstruktiv daran mitzuwirken. - Herzlichen Dank.

(Beifall)

Frau Ministerin, es gibt Fragen von Herrn Harms, Herrn Loth und Herrn Grube. Sie können es sich nicht aussuchen, Sie müssen antworten. Deswegen geht es los mit Herrn Harms.

Frau Ministerin, vielen Dank für Ihren sachlichen Beitrag. Es bleibt - aus meiner persönlichen Erfahrung heraus - allerdings eine Frage offen. Wie viele Seiten dieses 444 Seiten langen Zwischenberichts haben Sie denn persönlich gelesen? Oder kennen Sie jemanden in Ihrem Ministerium, der diesen Zwischenbericht vollständig gelesen hat?

(Heiterkeit und Zustimmung)

Ich persönlich habe diese ca. 400 Seiten nicht gelesen. Als Ministerin ist es so, dass man meistens lesen lässt. Dafür habe ich ein ganzes Referat zur Verfügung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Referat haben diesen Bericht vollständig gelesen.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Und sogar ausgewertet! - Heiterkeit)

Das ist auch ihre Aufgaben; denn wir wollen das ja kritisch, aber konstruktiv begleiten.

(Beifall)

Jetzt ist Herr Loth an der Reihe.

Der Betrieb des jetzigen Endlagers Morsleben ist als Forschungsbergwerk sozusagen weiterhin genehmigt. Meine Frage ist: Ist die Angst der Bevölkerung, dass dieses Forschungsprojekt den gesamten Prozess in die Länge zieht, berechtigt? Welche Projekte werden dort eigentlich untersucht? Was ist der konkrete Forschungsauftrag und welche konkreten Forschungsprojekte werden dort untersucht?

Darf ich?

Sie dürfen.

Herr Loth, herzlichen Dank für Ihre Frage. In der Tat gab es eine Neuorganisation der Behördenstruktur. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung hat das Stilllegungsverfahren in Morsleben gemeinsam mit meinem Haus übernommen. Im Augenblick sind wir dabei, einen aktualisierten Rahmenterminplan zu erstellen - das ist der Rahmen, nach dem Sie jetzt gefragt haben - und das Verfahren neu zu ordnen.

Es geht im Wesentlichen um zwei Dinge, die kritisch gesehen werden und die noch einmal genauer erkundet werden müssen. Das ist zum einen die Streckenabdichtung. Hier ist die Bundesgesellschaft für Endlagerung der Meinung, dass weitere Versuche erforderlich sind. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass die BGE, also die Bundesgesellschaft für Endlagerung, sich noch einmal sehr genau die wasserrechtliche Bewertung anschauen will. Das sind die beiden Hauptpunkte.

Wir haben kein Interesse daran, das zu verzögern. Aber es muss so passieren, dass sozusagen die bestmögliche Lösung gefunden wird.

Dann gehen wir weiter zu Herrn Grube.

Ich habe drei Fragen, Frau Ministerin.

(Zuruf: Das ist nicht zulässig!)

- Ich habe zwei Fragen und mache diese länger.

(Heiterkeit)

Die erste Frage lautet: Sie haben gesagt, für Sie gilt das Verursacherprinzip. Dann müssten Sie mir einmal erklären, warum das für die gesamte Bundesrepublik und nicht für die einzelnen Bundesländer gilt. Ist das nicht ein bisschen willkürlich?

Die zweite Frage: Sie haben gesagt, das ist ein vollkommen wissenschaftliches Verfahren und es geht allein um die geologische Lagerfähigkeit des Gesteins, das untersucht wird. Dann müssten Sie mir sagen, wie Sie diese wissenschaftliche Unabhängigkeit mit dem Kriterium der Bevölkerungsdichte „verheiraten“.

Die dritte Frage: Sie haben gesagt, die Landesregierung wird das Ganze kritisch begleiten. Worauf richtet sich die Kritik?

Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Kritische Begleitung heißt nicht, dass man eine Kritik hat, sondern das heißt, dass man genau hinschaut und sozusagen in diesem Sinne diesen Prozess begleitet.

Die erste Frage weiß ich noch. Aber wie war die zweite Frage?

(Dr. Falko Grube, SPD: Bevölkerungsdich- te!)

- Genau. - Im Moment geht es rein um die geologischen Kriterien. Das wird dann übertägig und untertägig in den Phasen 2 und 3 betrachtet. Dann kommen weitere Kriterien hinzu. All das steht in diesem Gesetz.

Zu der ersten Frage, die Sie gestellt haben. Ich halte das für selbstverständlich. Wir wollen doch nicht, dass wir immer dort, wo einst ein Atomkraftwerk stand, ein Endlager haben, sondern wir wollen ein gemeinsames Endlager haben. Das politische Konstrukt, in dem wir leben, ist die Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesrepublik Deutschland hat das erkannt und hat gesagt: Das ist eine Aufgabe von nationaler Bedeutung, deswegen suchen wir in Deutschland ein Endlager.

Herr Grube, Sie haben Ihre Minute schon vollumfänglich ausgeschöpft. Deswegen sind wir jetzt am Ende. - Ich bedanke mich bei der Ministerin für den Redebeitrag. Ich sehe auch keinen weiteren Wortmeldungen, die ich zulassen könnte. Ich stelle allerdings eine Redezeitüberschreitung um

zwei Minuten fest. Das heißt, alle nachfolgenden Redner haben nicht, wie vereinbart, drei Minuten, sondern fünf Minuten Redezeit. Sie müssen sie nicht ausschöpfen, Sie können sie aber ausschöpfen.

Es geht los mit der CDU-Fraktion und dem Abg. Herrn Harms.

(Zuruf: Bloß zwei Minuten überzogen? - Weitere Zurufe - Unruhe)

- Bitte sehr.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sie alle können davon ausgehen, dass ich die 444 Seiten selbstverständlich gelesen habe.