Protocol of the Session on October 15, 2020

Und ja, die Forderung nach einem Moratorium ist auch gefährlich. Das klingt jetzt ein wenig nach einem Trick - wir sind im Landtag in einer Debatte -, stimmt aber dummerweise leider trotzdem:

Erstens weil es das Vertrauen in das Funktionieren rechtsstaatlicher Verfahren untergräbt, weil es

einfach nicht vermittelbar ist, dass man nach Jahrzehnten der Planung, der Klagen, der Nachbesserung und des Wartens trotzdem sagt: Pustekuchen! Ihr könnt die Verkehrsentlastung haben; aber das prüfen wir erst einmal. - Dadurch fühlen sich die Menschen verschaukelt, und das, meine Damen und Herren, zu Recht.

Zweitens. Planungsverfahren dauern in Deutschland ohnehin schon ewig lange, und wenn nicht mehr absehbar ist, dass es überhaupt ein Ende gibt, dann werden wir erleben, dass überhaupt keine Infrastrukturmaßnahmen mehr realisiert werden.

Damit bin ich beim dritten Punkt. Das, meine Damen und Herren, ist auch gefährlich für die Verkehrswende. Denn die Verkehrswende ist hinter den großen Linien, die man dabei ziehen muss, vor allem eine Ansammlung von Einzelmaßnahmen. Sie ist zu einem guten Teil Ausbau und Umbau von Infrastruktur für ÖPNV, Schienenverkehr oder Radwege, und ich will mir nicht ausmalen, was passiert, wenn mal jemand auf die Idee kommt, das massiv zu beklagen, und ich will nicht erleben, was passiert, wenn jemand sagt: Das Planungsrecht ist uns egal. Wir dürfen zwar bauen, aber den Radweg bauen wir nicht, die Schienenstrecke bauen wir nicht, die barrierefreie Haltestelle und die Straßenbahnstrecke bauen wir nicht. - Wenn das einreißt, wird die Verkehrswende unweigerlich scheitern, und das wäre tragisch.

Da ich beim Thema Verkehrswende bin, noch einige Gedanken zu der Frage, ob Autobahnbau im Speziellen und Straßenbau im Allgemeinen und Verkehrswende überhaupt zusammenpassen. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht logisch klingt: Ja, das passt zusammen. Das will ich begründen:

Erstens. Ziel der Verkehrswende ist es, den Modal Split zu verändern. Wir sprechen in der Regel über 25 % Auto-, 25 % Rad-, 25 % Fußverkehr und 25 % ÖPNV. Die 25 % Autoverkehr werden auch irgendwo langfahren müssen und der ÖPNV auch. Auch dabei muss es neue Strecken geben, um Bürgerinnen und Bürger vom Verkehr zu entlasten, und natürlich sollen die Autos eher früher als später nicht mehr mit fossilen Brennstoffen fahren, sondern als E-Mobile oder mit Brennstoffzellen. Das ist dann der Teil der Antriebswende an der Verkehrswende.

Zweitens. Der motorisierte Individualverkehr - elektrisch oder fossil - wird je nach Lebensraum unterschiedlich wichtig bleiben. Im ländlichen Raum bleibt er wichtiger, weil ÖPNV hier einfach schwerer zu organisieren ist. In den Städten wird man einen viel größeren Teil des Mobilitätsaufkommens vom Auto wegbekommen können. Die

Wege sind kürzer, das passt für das Rad, und auch in den Städten kann der ÖPNV als Massenverkehrsmittel wirksamer werden.

Der dritte Punkt ist der Güterverkehr. Wenn wir einmal die Beschreibungs-, die Konzeptions- und Zielebene verlassen und uns der Dimension der Machbarkeit zuwenden - noch einmal: die Verkehrswende ist eine Ansammlung von Einzelmaßnahmen -, dann wird ein sofortiger substanzieller Umstieg von der Straße auf die Schiene nicht möglich sein, weil die Schienenkapazitäten im Moment einfach nicht vorhanden sind und weil die Kapazitäten wegen der langen Planungsphasen auch gar nicht so schnell zu schaffen sind. Wenn man heute neue Strecken plant, und sei es nur ein drittes Gleis oder die Elektrifizierung, braucht man locker zehn bis 15 Jahre

(Zuruf)

- ohne Klagen -, aber bis dahin werden die Warenströme wahrscheinlich trotzdem weiter zunehmen, und wenn man nicht will, dass die Lkw weiter durch die Orte donnern - auch diese perspektivisch hoffentlich einmal anders betrieben -, muss man weiter Straßen bauen, also kleine Ortsumgehungen, wie wir sie von Bundesstraßen kennen, oder auch große, wie die A 143 für Halle.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass die Verkehrswende zu wichtig ist, um sie mit solch platten Forderungen wie der nach einem Moratorium zusätzlich zu belasten. Dazu werden noch genügend unangenehme Entscheidungen zu treffen sein - im Großen wie im Kleinen. Das merken vor allem diejenigen, die in der Kommunalpolitik aktiv sind.

Wir werden zum Beispiel in Magdeburg - wo es anders ist, weiß ich nicht; das ist so mein Erfahrungshorizont - bald vor diversen Entscheidungen stehen, die zum Beispiel lauten: Baum oder Radweg. Das ist in Magdeburg bei dem, was in letzter Zeit an Bäumen weggefallen ist, keine leichte Entscheidung. Wir haben das auch letztens schon einmal entscheiden müssen. In der Königstraße sind wir darum herum gekommen, weil dort genügend Platz war, sodass man einen Weg durch die Bäume gefunden hat.

(Zuruf)

Aber es ist natürlich in einer dicht besiedelten Stadt wie Magdeburg die Ausnahme, dass man eine andere Lösung findet.

Also kurz und gut: Wir sind gegen das Moratorium. Und, meine Damen und Herren, ich wette um ein Lastenrad: Wenn sich der Wunsch der GRÜNEN erfüllen sollte und sie Teil der nächsten Bundesregierung sind, wird dieses Moratorium in keinem Koalitionsvertrag stehen.

(Beifall)

Herr Dr. Grube, ich habe eine Frage von Frau Frederking. Wollen Sie diese beantworten? - Offensichtlich ja. Somit hat Frau Frederking jetzt die Chance, ihre Frage zu stellen.

Herr Dr. Grube, ich habe drei Fragen. Die erste Frage lautet: Werden im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens Klimaschutzbelange und erforderliche CO2-Reduzierungen berücksichtigt?

Okay. - Zweite Frage: Wie ist das Verhältnis zwischen der Abholzung von Wald für ein Endlager und der Abholzung von Wald für Straßenneubauprojekte? - Sie haben das ja ins Verhältnis gesetzt.

(Zuruf)

Das weiß ich nicht. - Im Moment sprechen wir über 27 ha. Wenn dort tatsächlich - ich bleibe einmal beim Danni - ein Atommüllendlager hingesetzt werden würde mit Lager, mit Zugang und allem, was an Verkehrsinfrastruktur benötigt wird, Zug usw., dann sind die auch weg, wahrscheinlich sogar mehr.

Ja, aber wie viele Straßenneubauprojekte haben wir in Deutschland, die die Abholzung von Wald erfordern? Wie viele Hektar sind das denn?

Das weiß ich nicht.

Die dritte Frage ist:

(Unruhe)

Wäre es nicht richtig, wenn der Straßenverkehr in Zukunft durch den Ausbau des ÖPNV abnehmen würde - Sie haben es selbst gesagt: Modal Split -, zumindest nicht noch mehr Straßen zu bauen?

Für diejenigen, die vom Verkehr betroffen sind - egal, ob vor oder nach der Verkehrswende -, wird die Belastung bleiben, möglicherweise nicht die Schadstoffemission. Aber wenn Sie in einem Ort wohnen, in dem Sie sich seit Jahrzehnten eine

Ortsumgehung wünschen, dann ist es Ihnen wurscht, ob der Lärm von einem Wasserstoff-, einem E-Mobil- oder im Zweifelsfall einem mit Diesel angetriebenen Lkw oder auch von einem MIV herrührt.

Sie werden den MIV nie - auch nicht mit einer noch so gut geplanten Verkehrswende - so weit zurückdrängen, dass er nicht funktioniert. Er wird immer noch substanziell bleiben. Dafür machen wir ja auch die Antriebswende und wollen die Antriebswende bei der Energiewende. Sonst bräuchten wir uns über das Thema E-Autos überhaupt nicht zu unterhalten.

Ja, für diesen Fall ergibt es Sinn, auch weiterhin Straßen zu bauen. Wenn man sich den Bundesverkehrswegeplan ansieht, erkennt man, dass der Anteil der Ortsumgehungen beim Neubau von Bundesstraßen relativ hoch ist. Das wird man auch in Zukunft machen müssen - Verkehrswende hin oder her. Das bedeutet nicht, dass die anderen Sachen nicht auch gemacht werden müssen. Ich will jetzt gar nicht Schiene und Straße gegeneinander ausspielen. Die anderen Sachen sind auch wichtig. Das ist nicht das Thema. Da wird eigentlich auch mehr Geld investiert werden müssen. Aber zu sagen, man kann das eine lassen, weil das andere kommen soll, über diese Brücke gehe ich nicht.

Frau Frederking, Sie haben schon drei Fragen gestellt. Das ist genug. Es soll kein Dialog sein. - Damit sind wir am Ende des Redebeitrags angelangt. Wir können jetzt zum nächsten Redner kommen. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau Hildebrandt. Sie können sich schon langsam auf den Weg machen. Frau Hildebrandt, Sie haben das Wort.

Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mir die Anträge der Fraktion DIE LINKE im Bundestag in der Bundestagsdrucksache 19/23114 und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN im Bundestag in der Bundestagsdrucksache 19/22503 durchgelesen. In beiden Drucksachen wird die Bundesregierung aufgefordert, den Weiterbau der A 49 zu stoppen. Ich bin mir sicher: Die A 49 liegt nicht in SachsenAnhalt.

Die Bundestagsfraktion meiner Partei fordert auch - ich zitiere -,

„alle Autobahnprojekte sowie Neu- und Ausbauprojekte der sonstigen Bundesfernstraßen im Bundesverkehrswegeplan 2030 mit Blick auf die verbindlichen Klimaschutzziele neu zu bewerten“.

Das kann man zum Anlass für eine Aktuelle Debatte im Landtag von Sachsen-Anhalt nehmen.

Sehr geehrte CDU-Fraktion, Sie stellen sich aber hier hin und sagen - ich fasse Ihren Redebeitrag und den des Ministers so zusammen -: „Das haben wir aber so beschlossen, das darf nicht überprüft werden.“ Das macht mich jetzt schon ein bisschen fassungslos. Dazu fällt mir, gerade weil es um Autobahnen geht, ein Zitat von Brecht ein:

„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.“

(Zustimmung)

Sie als selbst ernannte Sachsen-Anhalt-Partei muss ich einfach fragen: Haben Sie sich denn so weit von der Realität entfernt, dass Sie im Jahr 2020 noch über neue Autobahnen debattieren wollen? Jene, die in der Planung und im Bau sind, spielen doch keine Rolle mehr; aber neue - das ist doch Quark. Andere Probleme haben Sie wirklich nicht? - Das finde ich erbärmlich.

Wenn Sie damit Ihrem eigenen Koalitionspartner deutlich machen wollten, wie blöd es ist, im Land in der Regierung und im Bund in der Opposition zu sein, dann ist Ihnen das gelungen.

(Beifall)

Daran werden wir uns aber nicht beteiligen. Ich hoffe bloß, dass Sie, liebe Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, endlich begreifen, dass mit der CDU weder im Bund noch im Land eine grüne Verkehrswende zu machen ist.

(Beifall)

Ich möchte vielmehr daran erinnern, dass meine Fraktion bereits am 25. August 2017 gefordert hat, eine umfassende Gesamtkonzeption zur Entwicklung einer nachhaltigen Mobilität im Land zu erarbeiten. Damit soll aus unserer Sicht genau die Frage beantwortet werden, die in der Begründung Ihrer heutigen Aktuellen Debatte, liebe CDU, steht. Ich zitiere Sie:

„Wie kann die Mobilität und Infrastruktur in Sachsen-Anhalt verbessert werden, um schnell und umweltschonend durch das Land zu kommen?“

Ich hätte es nicht so formuliert.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie damals unseren Antrag abgetan haben mit den Worten: „Ach, so eine Strategie brauchen wir nicht.“ Jetzt, da in Hessen - nicht in Sachsen-Anhalt - die Diskussion hochkocht, ob die A 49 weitergebaut werden soll, wollen Sie im Rahmen einer Aktuellen Debatte darüber reden. Das ist doch ein durchsichtiges Manöver, bei dem man sieht, dass es Ihnen nicht um die Verkehrswende geht.

(Beifall)