Protocol of the Session on October 15, 2020

Aber wir müssen doch darüber reden und es auch aushandeln, wie viel Schutz der Minderheit wir uns leisten können, wenn er dann an anderer Stelle fehlt und die Ressourcen knapp sind; und sie sind nun einmal knapp. Das sind Abwägungsprozesse, das sind Aushandlungsprozesse. Ich nenne ein Beispiel: Wenn der Schutz der Synagogen alle Polizeikräfte binden würde, dann wären wir uns, glaube ich, alle darüber einig, dass das unverhältnismäßig wäre. Also, man muss hier abwägen können. Es ist ein guter demokratischer Aushandlungsprozess. Weshalb sollte man darüber in dieser Weise nicht sprechen können? - Das verstehe ich nicht. Wo ist dabei der Skandal?

(Zuruf von Robert Farle, AfD)

Frau Dr. Pähle.

Der notwendige Schutz von Minderheiten ist nicht verhandelbar, Herr Tillschneider. Er ist nicht verhandelbar!

Und die Mehrheit? - Das ist doch lächerlich.

(Zurufe: Das ist doch nicht wahr! - Also, alle Polizisten abziehen, oder was?)

In den Haushaltsberatungen können wir gern darüber reden, wie viel mehr Polizei wir im Land brauchen - das ist die richtige Antwort darauf,

(Zustimmung)

aber nicht das Abwägen von unterschiedlichen Rechtsgütern.

(Zuruf)

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es schmerzt mich, dass beispielsweise für die Bewachung der De

monstrationen eines Sven Liebich in Halle mittlerweile ca. 5 000 Polizeistunden aufgelaufen sind. Das schmerzt mich auch.

(Zuruf)

Aber zum Schutz der Meinungsfreiheit - so weh, wie es tun mag - ist es notwendig. Der Schutz der Grundrechte ist beim Polizeieinsatz nicht verhandelbar.

(Beifall)

Vielen Dank, Frau Dr. Pähle. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. - Wir kommen zum nächsten Debattenredner. Es wird das fraktionslose Mitglied Herr Poggenburg sprechen. Herr Poggenburg hat sieben Minuten Redezeit. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Es ist natürlich angebracht und richtig, nun, mehr als ein Jahr nach der Schreckenstat in Halle, die Sache im Landtag noch einmal zu thematisieren; nur die Art und Weise ist in Teilen kritikwürdig.

Selbstverständlich ist es so, dass in unserem Land, in Deutschland, Judenhass - ganz allgemein, aber auch vor dem Hintergrund der Geschichte - keinen Platz hat. Darüber, ob man das überall und ständig wiederholen muss und dem dadurch auch die Selbstverständlichkeit nimmt, kann man vielleicht diskutieren.

Herr Haseloff, Ihrer Rede habe ich vorhin aufmerksam zugehört und muss einen Punkt kritisieren. Sie haben gesagt, dass die Renaissance des Nationalen eine Herausforderung oder ein Problem für unsere Demokratie wäre. Das ist natürlich Quatsch. Allein wenn Sie das Grundgesetz lesen, stellen Sie fest, dass der nationale Gedanke dort ganz klar verankert ist. Das ist überhaupt kein Problem für unsere Demokratie. Im Gegenteil: Der von oben verordnete Globalismus ist ein Problem für unsere Demokratie. - Das nur als Nebenbemerkung.

Ich möchte nun auf die Redebeiträge zu sprechen kommen, die heute schon gehalten wurden. Ja, die Empörung über Judenhass und Antisemitismus ist sicherlich richtig, aber sie ist einseitig - das wurde gerade von hier drüben richtigerweise angesprochen -, denn Antisemitismus ist scheinbar nur dann abzulehnen, wenn er vermeintlich von rechts kommt; was dann auch richtig wäre.

(Zuruf: Das ist doch Quatsch!)

Aber der Antisemitismus, die Steigerung antisemitischer Vorfälle, beispielsweise auch im Zuge ei

ner verfehlten Flüchtlingspolitik, ist natürlich weniger kritikwürdig. Da wird gern mal drüber weggeschaut. Das ist ein Problem, mit dem wir halt leben müssen: keine große Empörung. Das macht deutlich, dass von Ihnen unehrlich agiert wird, insbesondere von der linken Seite.

Es gibt zwei Punkte, die ich beim Umgang mit dem schrecklichen Ereignis von vor einem Jahr kritisieren möchte. Ein Punkt ist: Nach dem schrecklichen Ereignis wurde dieses Ereignis, das heißt der Mord an zwei Personen, der versuchte Mord an einer jüdischen Gemeinde, wieder benutzt und instrumentalisiert beim Thema Waffenrecht. Es floss auch dort wieder in die Diskussion ein. Aber gerade dieses Beispiel hat gezeigt, dass eine Verschärfung des Waffenrechts nichts bringt, dass ein Täter, der so etwas vorhat, sich an überhaupt kein Recht hält. Im Gegenteil: Dieses Beispiel zeigt sogar deutlich, dass diese Waffenrechtsdiskussion nur vorgeschoben ist. An diesem Ereignis von Halle sehen wir, dass ein Täter vor einem Waffengesetz keinen Halt macht. Jegliche Diskussion in dieser Hinsicht war dort völlig fehl am Platz.

Der größte Kritikpunkt ist aber der Umgang der linken Politik mit dem Ereignis; denn hier wird ganz stark wieder nur eines getan: Es wird instrumentalisiert. Die Schreckenstat von Halle wird missbraucht im Kampf gegen rechts. So wie eben nicht jeder Linke per se ein militanter Terrorist und Bombenleger nach RAF-Manier ist, ist auch nicht jeder Rechte automatisch ein rassistischer Attentäter. Das muss man doch mal begreifen. So darf eine solche Schreckenstat nicht instrumentalisiert werden per se im Kampf gegen rechts. Das ist pietätlos. Das passt einfach nicht und wird der ganzen Angelegenheit auch nicht gerecht.

In diesem Sinne wäre es angebracht, vor dem Hintergrund dieses Ereignisses einmal umzuschalten. Natürlich gab es viele Diskussionen auch in meinem Wahlkreis Zeitz - Sie wissen ja, dass der Täter bei Zeitz gestellt wurde - und natürlich war es ein Thema, das viele Leute bewegt und bei dem auch die Fragen aufkommen.

(Zuruf von Rüdiger Erben, SPD)

- Herr Erben weiß es nun wieder besser.

(Zuruf: Er hört zu!)

Er widerspricht allen Mitteilungen bzw. Informationen, die wir dazu haben, dass der Täter bei Zeitz - ich habe nicht gesagt: in Zeitz, sondern bei Zeitz - gestellt wurde. Natürlich ist das auch in meinem Wahlkreis ein Thema. Dort werden diese Fragen aufgeworfen, die ich jetzt hier anbringe; auch die Instrumentalisierung.

Vielleicht wäre es einmal angebracht, wenn die linke Seite im Landtag aufhört, dieses durch

schaubare Schauspiel weiter zu betreiben. Wenn es Ihnen darum ginge, wirklich diese Schreckenstat zu verurteilen - eine solche Schreckenstat immer zu verurteilen -, dann müssen Sie das ausgewogener tun. Dann müssen Sie es in diesem Fall mit allem Engagement tun, dann müssen Sie es aber auch bei den vielen anderen Schreckenstaten tun, die wir hier in Deutschland erleben. Und ja - es wurde gerade angesprochen -, auch die vielen „Einzelfälle“, die wir haben, bei denen andere politische Verantwortung und Hintergründe dabei sind, müssen gleichermaßen mit genannt werden. Ansonsten machen Sie sich unglaubwürdig, vielleicht so unglaubwürdig, wie Sie auch sind.

Ich kann Sie nur auffordern: Hören Sie auf mit dem heuchlerischen Schauspiel! Kehren Sie endlich mal zu verantwortlicher Politik zurück! - Vielen Dank.

(Zustimmung)

Ich sehe hierzu keine Fragen. Somit kommen wir zum letzten Debattenredner. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Striegel. Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Jahr ist vergangen, seitdem ein Nazi und Anhänger einer antisemitischen und rassistischen Verschwörungsideologie versucht hat, an Jom Kippur ein Blutbad unter betenden Jüdinnen und Juden in Halle anzurichten. Seiner Mordlust fielen zwei Menschen zum Opfer, die das unsagbare Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Ihnen gilt unser Andenken.

Ihren Angehörigen spreche ich mein tief empfundenes Mitgefühl aus. Viele weitere Menschen wurden an Leib und Seele verletzt. Sie wurden angeschossen. Sie wurden vom Täter angefahren. Er zielte auf sie oder sie mussten ansehen, wie Menschen vor ihren Augen getötet und verletzt wurden. Die Taten des 9. Oktober haben sich für immer in ihr Gedächtnis eingegraben. Sie tragen schwer daran.

Als Mitglied dieses Parlamentes sind wir es den Ermordeten, den Menschen, die in der Synagoge um ihr Leben bangen mussten, den Angehörigen der Toten, den Verletzten und allen Betroffenen schuldig, etwas zu tun. Wo also stehen wir ein Jahr, nachdem die Welt entsetzt nach Halle geblickt hat?

Jahrhunderte der Judenfeindschaft, die unserer Kultur leider innewohnen, kann man nicht innerhalb eines Jahres beseitigen. Aber wir müssen

uns ehrlich machen und uns der Frage stellen, ob wir das uns Mögliche getan haben, um kleine Schritte auf einem neuen Weg zu gehen. In dieser Verantwortung stehen wir trotz Corona und all den Herausforderungen, die die Pandemie mit sich bringt; denn es ist auch die gesellschaftliche Gesundheit, um die wir kämpfen müssen. Wir haben als Deutsche oft betont, vielleicht sogar manchmal mit etwas Hochmut, dass wir aus unserer Geschichte gelernt hätten. Es ist höchste Zeit, dass wir Taten sprechen lassen.

Mit einem gewissen Optimismus nehme ich zur Kenntnis, dass sich auf der politischen Ebene durchaus etwas bewegt. Ich nehme wahr, dass es hier und da eine neue Bereitschaft gibt, Antisemitismus als Problem anzuerkennen, auszusprechen und verbal anzuerkennen, dass Rassismus das friedliche Zusammenleben in unserem Land bedroht, dass Rechtsextremismus in all seinen Schattierungen die derzeit größte Bedrohung der Demokratie in Deutschland ist.

Ich bin stolz darauf, dass wir einen Konsens der Demokratinnen und Demokraten erzielen konnten, der es ermöglicht hat, eine Antifaschismusklausel in unsere Landesverfassung aufzunehmen. Artikel 37a lautet:

„Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen.“

Jedes Einzelnen! Es liegt nun an uns, dieses demokratische Bekenntnis wirklich zu verinnerlichen und zu politischer und persönlicher Praxis zu machen. Nur so gelingt gesellschaftlicher Wandel.

Dass diese Verfassungsnorm mehr sein kann und wird als bloße Verfassungslyrik, zeigen unsere Verhandlungen über eine Reform des Versammlungsrechts beispielhaft. Wir sind auf einem guten Weg, eine Einigung zu erzielen, die es Neonazis in Zukunft schwerer machen wird, unser aller Freiheit zu nutzen und gegen die Demokratie und ihre Werte zu hetzen. An dieser Stelle kann es kein Wegsehen geben. Das Grundgesetz ist keine wertneutrale Ordnung. Es ist im Kern eine antifaschistische Verfassung und eines ihrer Wesensmerkmale ist die Wehrhaftigkeit gegen ihre Feinde. Das muss in allem staatlichen Handeln deutlich werden und ist Verpflichtung aller gesellschaftlichen Akteure.

Es ist deshalb gut, dass die Landesregierung in der letzten Woche eine Vereinbarung mit den jüdischen Gemeinden zu deren Schutz unterzeichnet hat. Diese Vereinbarung war angesichts

der Bedrohungslage überfällig. Es wird nun darauf ankommen, dass die vereinbarten Mittel unverzüglich in Baumaßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit fließen können.

Es ist auch richtig, dass sich unser Bundesland nun an einer Studie zu rassistischen, antisemitischen und rechtsextremen Einstellungsmustern bei der Polizei insgesamt beteiligt. Warum hat dies so lange gedauert? - Erst ein nun bekannt gewordenes empörendes Beispiel von selbstverständlich gepflegtem Alltagsantisemitismus hat für ein Umdenken gesorgt. Ich frage: Warum nicht gleich so? - Wir wussten auch zuvor genug, um genauer hinzuschauen.

Ich bin davon überzeugt, dass die vom Innenminister auf den Weg gebrachten Maßnahmen in die richtige Richtung weisen, aber weitere Schritte sind nötig. Wir brauchen endlich einen unabhängigen Polizeibeauftragten oder eine unabhängige Polizeibeauftragte, um antisemitischem, rassistischem und allgemein demokratiefeindlichem Ungeist bei der Polizei wirksam entgegentreten können, gerade auch im Interesse der Vielzahl an Beamtinnen und Beamten, die Tag für Tag in und durch ihren Dienst den Rechtsstaat und die Demokratie verteidigen.

Wenn wir uns fragen, wie es zu einem solchen Attentat hier bei uns kommen konnte, dann ist ein Teil des Problems diese auf vielen Ebenen gepflegte Kultur des Wegschauens.

Ich will dies an einem Beispiel verdeutlichen. Am vergangenen Freitag hörte man den Ministerpräsidenten in einem Interview sagen, dass sich niemand einen solchen Vorgang wie in Halle habe vorstellen können. - Natürlich übersteigt eine solche Tat das menschliche Fassungsvermögen, und ich nehme unserem Ministerpräsidenten seinen auf Fassungslosigkeit fußenden Unglauben vollständig ab, aber nach Utøya, Christchurch, Pittsburgh, den Morden des NSU und vielen anderen rechtsextremen Mordtaten offenbart sich in dieser Aussage ein Teil des Problems.