Protocol of the Session on October 15, 2020

(Beifall)

Herr Scheurell und Herr Webel, hier ist auch deutlich geworden, was Sie unter Wirtschaft verstehen. Ihnen geht es eben nicht um die Altenpflegerin in der ambulanten Pflege, die von Dorf zu Dorf fährt. Ihnen geht es um die Großinvestoren, die sich durch das ÖPP-Projekt A 49 eine lohnende Kapitalanlage sichern. Ansonsten würden Sie nämlich über Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung reden müssen.

Wir brauchen regionale Wirtschaftskreisläufe und ein Überdenken unseres Konsumverhaltens.

(Zustimmung)

Muss es der Zweitwagen, muss es ein Dritthandy und muss es superbilliges Grillfleisch - am besten vom Amazon-Lieferdienst - sein? - Die von Ihnen hochgelobten Arbeitsplätze, die an den Autobahnen in unserem Land entstanden sind, werden von der Logistikbranche dominiert. Gäbe es dafür nicht den Mindestlohn, wären dies alles prekäre Arbeitsverhältnisse, die eben nicht den Wohlstand der dort arbeitenden Menschen sichern, sondern den Reichtum der Eigentümer, die hier noch nicht einmal Steuern zahlen.

(Zustimmung)

Besonders entlarvend ist die Formulierung Ihrer Fragestellung. Sie fragen, wie man schnell d u r c h Sachsen-Anhalt kommt und nicht, wie man i n Sachsen-Anhalt schnell von A nach B kommt. Ist Sachsen-Anhalt in Ihren Augen tatsächlich nur ein Transitland, damit die Berliner schnell zur Arbeit nach Wolfsburg kommen? - Diese nehmen ohnehin den ICE. Hier sind wir jetzt beim Kern der Debatte. Wenn Sie wirklich lärmgeplagte Anwohnerinnen vom Durchgangsverkehr entlasten wollen, wie Sie es im Ausschuss regelmäßig erzählen und wie sie es zuletzt am 27. August den Bürgerinnen von Mansfeld erzählt haben, und wenn Sie wirklich eine bessere Anbindung von Gewerbegebieten und weniger Stau für Pendlerinnen wollen, dann müssen Sie auch das Geld anders einsetzen.

Ich möchte noch einmal auf die A 49 zurückkommen. Für diese gibt es konkrete Vorschläge, wie man mit geringem Aufwand die akuten Probleme der Anwohnerinnen lösen könnte, und zwar mit wenigen Ortsumfahrungen und mit einer ausgebauten Bahnstrecke. Davon hätten wir alle etwas. Das Alternativkonzept zur A 49 würde Hunderte Millionen Euro sparen. Das ist Geld, das wir dringend brauchen, um gute Arbeitsbedingungen und bessere Angebote im ÖPNV und Schienenverkehr zu finanzieren.

Zum Bezug zu unserem Bundesland, da alle schon über die A 14 geredet haben: Bei der Planung der A 14 hatten wir damals die sogenannte Hosenträgervariante vorgeschlagen, also den Ausbau der B 71 und der B 189. Das hätte

den Bürgerinnen und Bürgern eine größere Entlastung gebracht.

(Zustimmung)

Die Lkw in Richtung Hamburg werden nämlich weiterhin über die B 71 donnern, weil der Umweg über die neue A 14 einfach zu groß ist. Wenn den Verantwortlichen so etwas bewusst wird, was ist denn dann falsch daran, die getroffenen Entscheidungen zu prüfen und gegebenenfalls umzusteuern?

(Zustimmung)

Tun Sie doch bitte nicht so, als wären wir ein Entwicklungsland, was das Straßennetz betrifft. Liebe CDU, Sie werfen uns ständig vor, wir würden schlechtreden, was Sachsen-Anhalt bis jetzt alles schon geschafft hat. Jetzt stehen Sie da und erzählen, Sachsen-Anhalt habe keine ausreichende Zahl von Autobahnen. In den letzten 30 Jahren wurden in Deutschland Tausende Kilometer Eisenbahnstrecken stillgelegt und gleichzeitig Tausende Kilometer Bundesstraßen und Autobahnen neu gebaut.

Wir haben eines der dichtesten Fernstraßennetze Europas. Und Sie jammern hier, dass es nicht genug Autobahnen gibt? - Nur umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wir brauchen jetzt die soziale und ökologische Verkehrswende, weg von Lkw auf Autobahnen. Brummis müssen zurück auf die Schiene.

(Zustimmung)

Weniger motorisierter Individualverkehr klappt doch nur, wenn wir den ÖPNV und den SPNV so attraktiv machen, dass ich von meinem Dorf schneller mit Bus und Bahn in der Stadt bin als über Bundesstraße und Autobahn. Wir brauchen zur Erreichung der Klimaschutzziele mehr Rad- und Fußverkehr und nicht noch mehr Autobahnen.

Noch eine einzige Bemerkung, Herr Scheurell; dazu muss ich mich jetzt einfach hinreißen lassen. Wenn Sie für mehr Verkehrssicherheit plädieren und damit mehr Straßen begründen, dann seien Sie doch bitte auch für eine Anschnallpflicht in den Schulbussen, egal was es kostet. - Danke.

(Beifall)

Frau Hildebrandt, es gibt eine Intervention von Herrn Borgwardt. Sie können danach entscheiden, ob Sie darauf reagieren wollen. - Herr Borgwardt, Sie haben jetzt auf jeden Fall das Wort.

Herr Präsident, ich wollte nur auf etwas hinweisen, was möglicherweise entgangen ist. Viele

hatten die Ahnung, dass wir auf unseren Koalitionspartner abzielen. Das haben wir mitnichten getan.

(Lachen)

- Mitnichten! Wenn sich Einzelne bei Nachfragen getroffen fühlen, dann geht es ihnen so, wie es manchmal der AfD geht, wenn diese hier Rechte verteidigt und angeblich nicht rechts ist.

Noch einmal: Wir haben - Sie haben jetzt Ursache und Wirkung verwechselt - auf einen Fakt reagiert, der aktuell ist, nämlich auf das, was die Bundesgrünen den Menschen sagen zu müssen meinen. Insofern haben wir darauf reagiert und wollten hier nicht unseren Koalitionspartner vorführen. Ich wollte also zunächst sagen, dass das falsch ist. Das hat auch der Kollege Scheurell nicht gemacht, sondern er hat ausdrücklich unseren GRÜNEN gedankt für - -

(Zuruf)

- Natürlich hat er das. Lesen Sie es bitte nach.

Zum zweiten Aspekt, den ich gern noch einstreuen wollte. Ich gebe Ihnen völlig recht, aber mit Überprüfungen, mit Nachjustierungen sowie mit Brücken für Kröten und für Fledermäuse haben wir in diesem Lande eine sehr große Erfahrung. Das alles ist auch sehr teuer; das machen wir alles.

(Zuruf: Aber das mit dem Klimaschutz noch nicht!)

Das lassen wir alles über uns ergehen, liebe Kollegen.

(Zuruf: Das mit dem Klimaschutz noch nicht!)

Das ist alles gut und das machen wir auch. Wir brauchen hier also keine Nachhilfe in Überprüfung.

Zum dritten Aspekt. Sagen Sie den Bundeswehrangehörigen in Holzdorf, dass sie keine nähere Anbindung benötigen. Die sind länger unterwegs. Die können nämlich auch nicht mit der Bahn fahren, weil nicht das Land Sachsen-Anhalt, sondern der Bund Schienenzüge abbestellt hat. Dort gab es zuvor eine gute Verkehrsverbindung. Wir haben eine Verantwortung für so einen großen Standort. Fahren Sie mit mir gerne einmal nach Holzdorf. Dort können Sie hören, was Ihnen die Bundeswehrangehörigen dazu sagen, wie lange sie bis zu einer Autobahn unterwegs sind. Danach können wir uns gern darüber unterhalten, wie berechtigt das für den Standort ist oder nicht.

Danke. - Frau Hildebrandt, Sie können darauf reagieren, wenn Sie wollen.

Das mache ich auch, Herr Präsident. Danke. - Herr Borgwardt, ich lese Ihnen einfach mal vor, was ich gesagt habe: Wenn Sie damit Ihrem eigenen Koalitionspartner deutlich machen wollten, wie blöd es ist, im Land in der Regierung und im Bund in der Opposition zu sein, dann ist Ihnen das gelungen.

(Lachen - Sebastian Striegel, GRÜNE: Das kann man ja verändern!)

Ich habe nicht gesagt, dass Sie hier versucht haben, Ihren eigenen Koalitionspartner schlecht zu machen.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Na ja! - Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

- Das habe ich nicht behauptet.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Wer ist denn unser Koalitionspartner? Das sind doch die GRÜNEN!)

(Zurufe)

Ich bestehe jetzt darauf, dass keine bilateralen Gespräche geführt werden. Sie können auf Herrn Borgwardt reagieren und dann sind wir am Ende des Debattenbeitrages.

Zu der Geschichte mit dem Bundeswehrstandort. Es ist doch genau das Problem, dass die Eisenbahnschienen stillgelegt wurden. Genau das ist doch das Problem. Wir haben den Fokus tatsächlich auf den Straßenbau gelegt und nicht mehr auf den Eisenbahnverkehr. Genau das war der Fehler der letzten 30 Jahre. Da müssen wir ran. - Danke.

(Beifall)

Dazu gibt es jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr. Deswegen können wir die Debatte mit dem Beitrag von Frau Lüddemann von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abschließen. - Sie haben jetzt das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! „Freie Fahrt für freie Bürger“ ist ein bundesrepublikanischer Glaubenssatz, der anscheinend von vielen bis heute streng orthodox ausgelegt wird.

(Zuruf: Ja!)

Sie hängen einem Mobilitätsverständnis von Konrad Adenauer an, der 1932 als Oberbürgermeister der Stadt Köln bei der Eröffnung der ersten deutschen Autobahn

(Zustimmung)

zwischen Köln und Bonn meinte: „So sehen die Straßen der Zukunft aus.“ Vor 90 Jahren mag dieser Satz visionär geklungen haben. Aber heute, im Jahr 2020, weiter daran festzuhalten ist eine Farce und klimapolitisch total verantwortungslos.