Protocol of the Session on September 11, 2020

(Beifall)

Auch das verweist noch einmal auf die Notwendigkeit der Gespräche und die Notwendigkeit zu klären, was eigentlich genau im Justizministerium passiert ist sowie wer vor allem wann festgestellt hat, dass es plötzlich durchgreifende Be

denken gegen Gespräche im Bereich der Justiz gibt. Das hat nicht irgendwann zu erfolgen, sondern jetzt und, ja, im Rahmen des großen, des unfassbaren Skandals des Todes eines Menschen in Polizeigewahrsam. Es war nicht der erste Mensch, der in derselben Polizeirevierzelle verstarb. - Im Übrigen, Herr Kolze, hieß der Tote Mario Bichtemann.

Im Rahmen dieses unfassbaren Skandals erscheint das, worum es im Jahr 2017 hier an dieser Stelle und im Rechtsausschuss ging, vergleichsweise klein und unbedeutend. Politisch gesehen war es das aber nicht. Denn erstens gibt es im politischen Raum keine kleinen Lügen.

(Beifall)

Es ist schlichtweg nicht akzeptabel, dass eine Ministerin und ein Generalstaatsanwalt die Legislative bewusst täuschen.

Zweitens hatte die Ministerin ein sehr großes politisches Interesse daran, die Öffentlichkeit und den Landtag nicht über den tatsächlichen Stand des Verfahrens zu informieren. Denn die erneute parlamentarische Befassung hatte ihren Ursprung in der Frage, warum die Staatsanwaltschaft eigentlich nicht auf die Schreiben der Nebenklageberechtigten reagiert und warum nicht darüber informiert wird, zu welchen Schlüssen sie nach dem damals neu erstellten Brandgutachten kommt. Natürlich war die Befürchtung, dass das Verfahren erneut eingestellt werden würde.

Durch Medienberichte wurden brisante Erkenntnisse aus den Gutachten bekannt, und es wurde bekannt, dass die Zuständigkeit nach Halle wechseln sollte. All das warf wirklich viele Fragen auf. Man muss einfach festhalten, dass es für die Ministerin sehr unbequem gewesen wäre, zu sagen, dass die Staatsanwaltschaft Halle das Verfahren sehr wahrscheinlich einstellen würde. Deshalb hat sie sich entschieden, eine falsche Darstellung zu geben. Das ist kein Fehler; das ist politische Absicht.

(Beifall)

Wissen Sie, Frau Ministerin: Wir wussten damals, dass Sie nicht die Wahrheit sagen. Wir haben es damals gesagt und wir bekommen mit dem Bericht eindeutig recht. Wir hätten zumindest eine Entschuldigung erwartet. Wir hätten erwartet, dass Sie auch die Lügen Ihres damaligen Generalstaatsanwaltes thematisieren und die Verantwortung dafür übernehmen. Sie aber sagten im Rechtsausschuss gar nichts dazu. Auf Nachfrage erklärten Sie, zu Ihrem Verhalten zu stehen. Schon das macht Sie als Ministerin untragbar.

(Beifall)

Die spannende Frage, die jetzt gestellt werden muss, ist, ob Generalstaatsanwalt Konrad aus

eigenem Antrieb oder in Abstimmung mit dem Justizministerium etwas falsch dargestellt hat. Und, nein, das kann und sollte auch nicht auf die lange Bank geschoben werden, sondern das sollte der Rechtsausschuss, der belogen wurde, jetzt tun.

Zu klären ist außerdem - daran sollte die Justizministerin das größte Interesse haben -, wie es sich mit dem Versuch der unzulässigen Einflussnahme durch den damaligen Staatssekretär Böning verhält, den der Bericht konstatiert. Ist es zu dem erbetenen Gespräch über die strategische Ausrichtung der Ermittlungen gekommen oder nicht? War die Ministerin darüber informiert oder nicht? War sie daran beteiligt und, wenn ja, wie?

Auch hierzu ist der Rechtsausschuss gefragt, und zwar jetzt. Denn, nein, es geht nicht darum, wer was schon immer gesagt hat. Es geht nicht darum, wer in der nächsten Legislaturperiode zuerst einen Antrag stellt. Es geht nicht um Profilierung. Es geht um Verantwortung. Wenn Aufklärung im juristischen Sinne nicht möglich scheint, dann ist Aufarbeitung umso wichtiger - jetzt und in Zukunft. - Danke.

(Beifall)

Vielen Dank für die Einbringung. Ich sehe hierzu keine Wortmeldungen. - Somit hat für die Landesregierung die Ministerin Frau Keding das Wort. Sie dürfen jetzt, Frau Ministerin, das Wort ergreifen. Bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Die vom Landtag bestellten Berater haben ihren Bericht zum Fall Oury Jalloh in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses vorgelegt. Auch wenn ich den entsetzlichen Feuertod in Polizeigewahrsam tief bedauere - das will hier auch noch einmal ausdrücklich betonen -, trifft mich doch zugleich die Pflicht meines Amtes, etwas an dieser Stelle ganz deutlich zu machen: Die Berater haben die Arbeit der Staatsanwaltschaften im Ergebnis bestätigt.

Die Staatsanwaltschaften sind nach den Feststellungen der Berater allen auch nur ansatzweise Erfolg versprechenden Ermittlungsansätzen nachgegangen. Die Berater selbst sehen demzufolge auch keine offenen Ermittlungsansätze. In den Bewertungen wird eindeutig festgestellt, dass weitere Ermittlungen bei unveränderter Sachlage keine Grundlage hätten. Sie erkennen auch an, dass die justizielle Aufarbeitung des Falles zu Recht abgeschlossen wurde.

Meine Damen und Herren! Ich habe den Beratern über die Geheimschutzstelle des Landtages vollumfänglichen Zugang zu sämtlichen in Betracht kommenden Unterlagen des Falles gewährt. Asservate konnten besichtigt werden.

Da im Antrag der Fraktion DIE LINKE zum heutigen Tagesordnungspunkt dennoch der Eindruck erweckt wird, es habe von meiner Seite im Hinblick auf die Gespräche der Berater keine vollumfängliche Kooperation gegeben, will ich in der gebotenen Kürze Folgendes darstellen:

Der Berater Herr Montag hat sich an das MJ gewandt und mitgeteilt, dass er Anfang Juli 2020 Gespräche mit insgesamt sieben ehemaligen und aktiven Richtern und Staatsanwälten des Landes zu führen beabsichtige. Die Fachabteilung meines Ministeriums, aber auch die jeweiligen Dienstvorgesetzten bei Gericht und Staatsanwaltschaften haben daraufhin schwere verfassungsrechtliche Bedenken gegen die beabsichtigten unmittelbaren Befragungen erhoben.

(Zuruf)

Die Generalstaatsanwaltschaft hat berichtet, dass auch unter Berücksichtigung des Artikels 53 der Landesverfassung wegen fehlender Rechtsgrundlage keine Aussagegenehmigungen erteilt werden könnten. Ebenso hat der Präsident des Landgerichts Dessau-Roßlau mangels Rechtsgrundlage keine Aussagegenehmigung erteilt.

Auf diese Bedenken hatte im Kern auch der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst im Juni 2018 hingewiesen. Denn Befugnisse, die die Landesverfassung dem Landtag, den Ausschüssen und seinen Mitgliedern zuweist, können nicht auf Dritte übertragen werden. Maßgeblich sind ausschließlich die Vorgaben unserer Landesverfassung. Daher durfte auch ich keine Aussagegenehmigungen für Gespräche mit den Beratern außerhalb des Rechtsausschusses erteilen.

Um dem Anliegen dennoch entgegenzukommen und gleichwohl eine verfassungskonforme Durchführung von Gesprächen zu ermöglichen, hat mein Ministerium eine Befragung der Landesregierung in einer nichtöffentlichen Sitzung des Rechtsausschusses in Begleitung der zur Verfügung stehenden Auskunftspersonen und unter Beteiligung der Berater vorgeschlagen. Dies wurde jedoch nicht realisiert. Ich habe mich, insbesondere als Justizministerin, an die Landesverfassung zu halten.

Außerdem greift der aktuelle Antrag der Fraktion DIE LINKE den Vorwurf aus dem Jahr 2017 erneut auf, ich hätte das Parlament am 28. September 2017 zum damaligen Stand der Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Halle nicht vollständig unterrichtet. Ich hätte den Eindruck vermittelt, dass weitere Prüfungen durch die

Staatsanwaltschaft Halle liefen, obwohl in der Sache bereits entschieden gewesen sei. - Das stimmt nicht.

Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Halle zum Todesfall Oury Jalloh war zu diesem Zeitpunkt nicht eingestellt worden. Die Behördenleiterin der Staatsanwaltschaft Halle hatte bis zu ihrer Schlusszeichnung uneingeschränkte eigenständige Prüfungs- und Verfügungsbefugnisse. Sie hat die entworfene Vorlage zur Verfahrenseinstellung auch geprüft, also hat so lange auch die Staatsanwaltschaft Halle geprüft. Sie hätte als Behördenleiterin die vorgeschlagene Verfahrenseinstellung auch gänzlich ablehnen und weitere, gegebenenfalls auch zeitintensive Ermittlungen anordnen können, falls sie Anhaltspunkte dafür gesehen hätte.

(Zuruf)

Die letztendlich am 12. Oktober 2017 erfolgte Verfahrenseinstellung war genau deshalb am 28. September noch ein künftiges ungewisses Ereignis. Ich habe es daher abgelehnt, als Fachministerin im Landtagsplenum über noch nicht getroffene Entscheidungen zu mutmaßen. Gegenüber der Staatsanwaltschaft Halle hätten solche Äußerungen im Parlament sogar den Eindruck einer Vorfestlegung auf die Einstellung des Verfahrens hervorrufen können.

(Zuruf)

Das galt es aus meiner Sicht zu vermeiden. Dabei bleibe ich auch.

Meine Damen und Herren! Bei all dem wünsche ich mir, dass der Blick auf den für die Justiz wesentlichen Inhalt des Berichtes nicht verloren geht. Nach dessen Fazit sind die staatsanwaltschaftlichen Arbeiten im Todesfall Oury Jalloh über außerordentlich viele Jahre im Ergebnis nicht zu beanstanden. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung)

Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich sehe auch hierzu keine Wortmeldungen. - Für die AfD-Fraktion spricht jetzt in der Fünfminutendebatte der Fraktionen der Abg. Höse. Es wäre natürlich schön gewesen, wenn er schon hier unten im Plenarsaal gewesen wäre - er sieht ja den Verlauf der Sitzung -, damit es nicht zu Verzögerungen kommt.

(Zurufe)

Herr Abg. Höse, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Oury Jalloh, Klappe die 34. Ich habe

versucht, es nachzuzählen: Mindestens 34 Mal hatte der Landtag bzw. ein Ausschuss des Landtages in den letzten 15 Jahren Herrn Jalloh als Thema auf der Tagesordnung. Dazu kann man nur sagen: Respekt. Ich glaube, das ist wirklich einmalig in der Geschichte der BRD.

Antrag Kenia Drs. 7/6553. Begründung zum Mitlesen:

„Zentrale Feststellung der juristischen Berater ist, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine noch offenen Ermittlungsansätze zur weiteren Verfolgung eines Mordes oder Mordversuchs an Oury Jalloh gesehen werden. Die Staatsanwaltschaften des

Landes Sachsen-Anhalt sind allen Hinweisen nachgegangen. [...] Die justizielle Aufarbeitung des Falles ist mit den höchstrichterlichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichtes Naumburg abgeschlossen.

Eindeutig festgestellt wurde aber auch, dass alle polizeilichen Maßnahmen gegenüber Oury Jalloh rechtswidrig waren. Hätten sich die handelnden Polizeibeamten an die geltenden gesetzlichen Vorschriften gehalten, hätte Oury Jalloh weder in Gewahrsam genommen, noch fixiert werden dürfen.“

Meine Damen und Herren! Hätte Oury Jalloh, der eigentlich Mamadou Oury Diallo hieß und der nicht, wie selbst angegeben, 21, sondern 36 Jahre alt war, nicht sein Heimatland Guinea oder, wie er angab, Sierra Leone, verlassen oder hätte er als Ausreisepflichtiger mit einem abgelehnten Asylantrag die BRD verlassen oder hätte er kein Verfahren wegen BTM-Handel und Körperverletzung gehabt oder hätte er auch kein Verfahren wegen Beleidigung von Polizeibeamten und wegen BTM-Handel gehabt oder hätte Oury Jalloh kein Verfahren wegen BTM-Handels und wegen Beleidigung gehabt oder hätte er nicht durch übermäßigen Alkoholgenuss mehrere Polizeieinsätze und Platzverweise provoziert oder hätte er durch rechtskonformes Verhalten keine Vor- und Haftstrafen gehabt oder hätte er am Morgen des 7. Januar 2005 nicht vier Frauen bei der Arbeit belästigt, ja, dann hätte es vielleicht auch keine polizeilichen Maßnahmen gegeben.

(Beifall - Zuruf: Jawohl!)

So viel zum Thema Oury Jalloh.

Wir lehnen natürlich beide Anträge ab. - Vielen Dank.

(Beifall)

Ich sehe auch hierzu keine Wortmeldungen. Somit kommen wir zur nächsten Debattenrednerin.

Für die SPD-Fraktion spricht die Abg. Frau Schindler. Sie dürfen jetzt zum Rednerpult kommen. Sie haben das Wort, Frau Abg. Schindler.