Protocol of the Session on October 16, 2015

- Bitte, Herr Hoffmann.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, nur eine Wertung. Das, was Sie gerade als Vorgang

beschrieben haben, belegt die Konfusion in der Wahrnehmung, was mit diesem Thema derzeit tatsächlich passiert.

Um die Konfusion meinerseits nicht noch auf die Spitze zu treiben: Habe ich Sie richtig verstanden, dass man aufgrund der Art und Weise, wie das Thema am Rande dieser Konferenz behandelt wurde, tatsächlich bei den Ländern den Eindruck erweckt hat, man würde auf der Basis des Vorschlags der Länder aus dem Jahr 2014 verhandeln, also diese 8,5 Milliarden € einschließlich der entsprechenden Nebenregelungen? Es hörte sich jetzt so an, als ob man diesen Eindruck erweckt hätte. Denn dann hätten natürlich alle zustimmen können.

Ja, so lautete der Text: nach dem Vorschlag der Länder. Damit war für uns klar: Potsdamer Beschluss der Ministerpräsidenten; zwingende Grundlage ist die 1,25-prozentige Steigerung. Dann kommt der Klammerzusatz „Kieler Schlüssel“. Dazu sagten dann ein paar ganz Schlaue - dazu gehörte bedauerlicherweise, muss ich sagen, der sonst von mir sehr hoch geschätzte derzeitige Wirtschaftsminister Reinhard Meyer aus Schleswig-Holstein; er war ja mein CdS-Kollege in Mecklenburg-Vorpommern -: Ja, aber hallo, Kieler Schlüssel ist doch nur die Rechenmatrix. Darauf sagte ich ihm: In deiner Rechenmatrix, die du jetzt als Kieler Schlüssel bezeichnest, spielt die Sperrklinke gar keine Rolle, weil bei einer Finanzausstattung von 8,5 Milliarden € und einer 2-prozentigen Steigerung diese gar nicht greift und völlig in der Luft hängt.

Diese sozusagen vor der Klammer stehende Präzisierung „Wir brauchen eine Haltelinie, wir brauchen eine Regelung, nach der kein Land unter Wasser gedrückt wird, wir brauchen eine Besitzstandswahrung“ macht überhaupt nur dann Sinn - begrifflich, logisch -, wenn die Mittelausstattung vom Bund den Hoffnungen und Erwartungen der Verkehrsminister nicht in vollem Umfang entspricht. Das ist jetzt eingetreten. Die 8 Milliarden € vom Bund und die 1,8-prozentige Steigerung sind das letzte Wort. Damit muss man leben; das ist akzeptabel. Wir alle wissen, wie das von den Bundestagsfraktionen gesehen wird, bei denen einige der Meinung sind, die Länder forderten sowieso zu viel.

Jetzt haben wir die Situation, von der man sagen muss: Jetzt greift sie. Wenn man es durchrechnet, dann sieht man, dass alle anderen Effekte, die die Verkehrsminister zugrunde gelegt haben, eintreten und dass die Länder, die bisher sehr viel bekommen haben, bis zum Jahr 2030 tendenziell weniger erhalten und die Länder, die bisher sehr wenig bekommen haben, etwas mehr erhalten.

Man sieht aber auch: Der Besitzstand wird gewahrt; denn - das habe ich mir von Thomas Webel als Verkehrsminister erklären lassen - diese Sperrklinke ist von dem Gedanken getragen, dass man nicht von jetzt auf gleich Verkehre abbestellen muss, sondern dass man den Status quo auch inhaltlich in der Ausgestaltung der Verkehre sichern kann.

Wir müssen gemeinsam - diesbezüglich wäre ich dankbar, wenn diejenigen, die gute Beziehungen nach Niedersachsen und nach Rheinland-Pfalz haben, dies unterstützten; Hessen machen wir selbst - dafür werben, damit diese Länder einsehen, dass sie von dieser Regelung, die Reinhard Meyer in Schleswig-Holstein - aus seiner Sicht nachvollziehbar - haben möchte, benachteiligt werden und dass Vertrauensschutz in solchen Fragen gelten muss. Wir erwarten, dass die Länder, die sich auf solche Regelungen verständigt haben, sie dann auch durchhalten und nicht versuchen, sich in den Busch zu schlagen, wenn es für sie einmal etwas günstigere Regelungen geben könnte.

Herr Hövelmann, bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Auch wenn es den Eintritt in die Mittagspause weiter verzögert; es geht am Ende um die Klarheit der Haushalte unseres Landes in den nächsten 15 Jahren.

Ich will die Frage konkret stellen: Ist es richtig, dass selbst im günstigsten Fall, wenn diese Sperrklinke, von der Sie sprachen, gilt, dem Land Sachsen-Anhalt im Vergleich zu heute in den nächsten 15 Jahren etwa 130 Millionen € verlorengingen, ohne dass einrechnet worden wäre, dass wir in fünf, in zehn oder in 15 Jahren nicht die Preise des Jahres 2015 haben werden?

Wenn man das einrechnet - es gab die Dynamisierungsforderung seitens der Länder, weil wir auch Preissteigerungen in dem Bereich zu verzeichnen haben -, sind wir weit über diesem Betrag von 130 Millionen €, der uns ohnehin verlorengeht.

Das heißt, im günstigsten Fall droht uns dieser Verlust, und im ungünstigsten Fall, wenn es nicht so funktioniert, wie Sie es jetzt vorgetragen haben, dass der gemeinsame Konsens diese Sperrklinke ist, dann beträgt - jedenfalls nach dem, was ich gehört habe - der materielle Verlust für den Haushalt des Landes Sachsen-Anhalt mehrere hundert Millionen Euro. Ist das richtig?

Dieser Effekt träte ein im Vergleich mit der Fortschreibung der heutigen Regelung. Die Fortschrei

bung der heutigen Regelung stand aber, wenn ich die Kompromisse der Verkehrsminister sehe, als solche nie zur Debatte, oder nur unter der Prämisse, dass der Bund seine 8,5 Milliarden € und seine 2 % einbringt. Das tut er nun aber nicht. Man darf sich so etwas wünschen; dann muss man die andere Seite eben einbeziehen. Gegenüber der Fortschreibung bedeutet das einen Verlust, aber es bedeutet keinen Nominalwertverlust.

Wir haben jetzt die neue Regelung, bei der durch die 1,25-prozentige Steigerung gegenüber dem jeweiligen Status quo sichergestellt ist, dass es kontinuierlich leicht bergauf geht. Durch die heutige Protokollerklärung der Bundesregierung im Bundesrat ist auch sichergestellt, dass die Steigerung der Trassenpreise begrenzt wird. Man wird sehen, inwieweit sie sich daran hält. Die Verkehrsminister werden sehr darauf zu achten haben, dass das auch eingehalten wird.

Damit soll insgesamt sichergestellt werden, dass durch die neue Regelung, sofern die Sperrklinke greift, die sich nicht die Ministerpräsidenten ausgedacht haben, sondern die die Verkehrsminister in einem sehr langwierigen und schwierigen Verhandlungsgeschehen ausgehandelt haben, keine Verkehre nur wegen der Neuregelung, die nach 2019 zu erwarten ist, abgestellt werden müssen.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Damit ist die Fragestunde abgeschlossen. In der aktualisierten Fassung unseres Zeitplans steht, dass der Tagesordnungspunkt 33 um 13.50 Uhr behandelt werden soll. Wollen wir das so lassen? - Wir lassen das so. Um 13.50 Uhr fahren wir in der Tagesordnung fort. Ich unterbreche die Sitzung.

Unterbrechung: 13.02 Uhr.

Wiederbeginn: 13.50 Uhr.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Erste Beratung

Das Leid ehemaliger Heimkinder in Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien in der DDR aufarbeiten und anerkennen

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/4414

Änderungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/4475

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Lüddemann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich hatte gehofft, wenigstens die Aufmerksamkeit der Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker zu erreichen. Ich hoffe, dass mir das jetzt gelingen wird.

(Zuruf von der CDU: Wir sind da!)

Es sind nicht allzu viele Kollegen da, sodass es nicht allzu laut werden kann.

(Herr Borgwardt, CDU: Wir hören ganz be- sonders intensiv zu!)

- Darauf hoffe ich sehr. - Das Thema ist zugegebenermaßen kein die Massen bewegendes, aber ich glaube, es ist doch ein sehr wichtiges und sehr intensives Thema, bei dem es um sehr viel Leid geht, das verursacht wurde, und das durchaus ein ziemliches Problem in einem Rechtsstaat ist.

Obwohl über das Thema Heimfonds für Kinder und Jugendliche aus Behinderteneinrichtungen und Psychatrien sowohl auf der Landes- als auch auf der Bundesebene schon mehrmals diskutiert wurde, ist im Ergebnis nichts passiert. Das muss ich eingangs feststellen.

Daher halten wir Bündnisgrüne es für nötig, mit diesem Antrag direkte Forderungen an die Landesregierung zu stellen. Und dies tun wir - dies sei vorab erwähnt - nicht nur hier bei uns im Land. Wer sich im Vorfeld etwas mit unserem Antrag beschäftigt hat, dem wird aufgefallen sein, dass gleichlautende Anträge von Grünen-Fraktionen in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen bereits im September und im Oktober 2015 eingebracht wurden. Das Thema muss aus unserer Sicht auch länderübergreifend behandelt und länderübergreifend bearbeitet werden. Daher haben wir hierzu eine konzertierte Aktion gestartet. In Sachsen, an dem sich Sachsen-Anhalt oft und gern ein Beispiel nimmt, wurde dieser Antrag einstimmig beschlossen. Ich finde, das ist ein schönes Zeichen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Landtage in NRW und in Bayern haben ähnliche Beschlüsse schon vor längerer Zeit gefasst.

Worum geht es uns im Detail? - Ein Heimfonds für Kinder und Jugendliche existiert bereits, genauer gesagt: für Kinder und Jugendliche, die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht waren und die dabei Leid, Zwang und Unrecht erfahren mussten. Bisweilen kommen die geschilderten Misshandlungen Folter gleich. Das muss man so deutlich sagen. Erschüttert habe ich Augenzeugen- und Erlebnisberichte zur Kenntnis nehmen müssen, bei denen es um körperliche Züchtigung und sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ging.

Dementsprechend wird dieser erste Fonds, werden die Entschädigungszahlungen, die daraus möglich sind, vielfach genutzt. Der Fonds bietet neben dem monetären Aspekt zumindest eine kleine symbolische Wiedergutmachung. Die Wiedergutmachung wird auch nicht in Form von Geld ausgezahlt, sondern in Form der Erstattung von Sachleistungen. Aber immerhin ist es ein bisschen Wiedergutmachung. Vor allem aber sichert es den Betroffenen öffentliche Anerkennung und eine Würdigung ihres Leides. Das spielt für diese Menschen eine große Rolle.

(Beifall bei den GRÜNEN)

So sinnvoll dieser Heimfonds auch ist, er hat leider einen großen Haken. Darum geht es heute. Waren Betroffene als Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder in Psychiatrien untergebracht, dann haben sie nämlich keinen Anspruch auf Entschädigung. Der bestehende Heimfonds greift nur für Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen.

Aber auch in Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien fanden Misshandlungen statt. Man muss in diesem Zusammenhang über tagelange Fixierungen sprechen, über den regelmäßigen Gebrauch von Zwangsjacken, über Kopf-unter-Wasser-Drücken, über Zwangsarbeit und Zwangsmedikation. Doch Hilfe für Heimkinder, die zwischen 1949 und 1990 in der DDR in Einrichtungen der Behindertenhilfe und in der Psychiatrie Unrecht erfahren haben, gibt es de facto bis heute nicht. Ihr Leid erfährt bis heute keine öffentliche Anerkennung. Somit werden diese Menschen zum zweiten Mal zu Opfern. Sie wurden - so schlicht, so schlimm - beim ersten Fonds vergessen.

Wie schmerzhaft und bitter dieses ÜbersehenWerden ist, können wir Außenstehenden wohl nur in Teilen nachempfinden. Auf der Bundesebene gibt es zahlreiche Petitionen dazu. Wir haben uns auch im Ausschuss für Arbeit und Soziales mit einigen davon befasst. Darin ist Erschütterndes zu lesen.

Diese Ungleichbehandlung muss endlich aufhören. Wir brauchen dringend einen zweiten Fonds. Lassen Sie mich an dieser Stelle betonen: Eine Debatte darüber, ob ein Fonds generell eine gute Lösung ist, ist aus meiner an dieser Stelle nicht angebracht. Wir haben diese Debatte in dem erwähnten Ausschuss geführt. Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat zu dieser Frage nach meiner Kenntnis auch in ihrer letzten Sitzung noch einmal generell debattiert.

Aber der Status quo ist real. Es gibt den Heimkinderfonds - so heißt er abgekürzt - nun einmal, und es gibt eine Gruppe von Betroffenen, die schlicht und ergreifend ausgeschlossen ist. Es braucht Lösungen für diese Gruppe. Die Frage, Fonds oder

nicht Fonds, ist aus meiner Sicht bereits entschieden. Mit dem Heimkinderfonds sind Fakten geschaffen worden. Wir können den Ausgeschlossenen jetzt doch nicht einfach sagen: Na ja, im Nachhinein können wir gar nicht so genau sagen, ob das überhaupt eine gute Idee war; deshalb lassen wir es jetzt für euch bleiben.

Die bisherige politische Zurückhaltung, die die Landesregierung an den Tag gelegt hat, kann ich an dieser Stelle sogar ein Stück weit nachvollziehen. Die Kalkulationen für den ersten Fonds waren - man kann es so sagen - suboptimal. Der finanzielle Nachsteuerungsbedarf ist entsprechend groß. Es geht bundesweit um einen dreistelligen Millionenbetrag.

Das ist für Haushaltspolitikerinnen und Haushaltspolitiker sicherlich schwer auszuhalten, aber ich glaube, diese Kalkulationsschwierigkeiten müssen hingenommen werden, weil sich die Situation so entwickelt hat. Man muss diese Dinge politisch aushalten; denn das erlittene Unrecht wiegt so schwer, dass es an Ignoranz grenzen würde oder diese Grenze sogar überschreiten würde, wenn man diese eine Gruppe weiterhin ausschließt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Leider ist eine zeitnahe Lösung aufgrund des derzeitigen Diskussionsstandes eher unwahrscheinlich. In der 90. Sitzung der ASMK im Jahr 2013 wurde ein entsprechender Beschluss gefasst. Die Grundlagen für einen Fonds sollte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeiten. In der 91. Sitzung im Jahr 2014 ruderte die ASMK aber wieder zurück und ließ nun prüfen, inwieweit eine Entschädigung über die bestehenden Regelsysteme wie beispielsweise das Opferentschädigungsgesetz oder die Rentenversicherung erfolgen könne. Die Prüfung ergab: Diese Systeme greifen in den besagten Fällen nicht. Betroffene aus Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien können von dort keine Hilfe erwarten.

Daraufhin kam noch einmal ein bisschen Bewegung in die Sache. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus den zuständigen Bundesministerien und den Konferenzen der Ministerien der Länder, legte am 31. August 2015 einen sogenannten Vorschlag zur Schaffung einer Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ vor. Neben grundsätzlichen begrifflichen Klärungen und Darstellungen zu den bestehenden Fonds und möglichen Formen eines neuen Fonds umfasst dieser Vorschlag auch drei Finanzierungsmodelle für einen Heimfonds-Ost.