Protocol of the Session on October 14, 2015

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, der Dank müsste eigentlich auch den Klägerinnen und Klägern gelten, die dafür gesorgt haben, dass das Gesetz nun verfassungskonform ist.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Gallert, DIE LINKE)

Ja, es ist vollbracht. Sachsen-Anhalt hat nunmehr ein Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, das verfassungskonform ist. Wenigstens dieses Ziel wurde erreicht. Wer glaubt, dass dies doch eine Selbstverständlichkeit sei, der irrt. Hier ist alles möglich.

Meine Damen und Herren! Nun bedeutet Verfassungsgemäßheit nicht automatisch, dass wir auch ein rundherum gutes Gesetz bekommen. Denn es gibt immer noch Regelungen im Gesetz, die zwar vom Verfassungsgericht als noch verfassungsgemäß eingestuft wurden, die wir jedoch als LINKE, und nicht nur wir, auch weiterhin kritisieren, weil es keine sachlichen Notwendigkeiten für diese, zumeist verschärfenden, Regelungen gibt.

Ich möchte an dieser Stelle nicht noch einmal auf die Änderungen eingehen, die durch das Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und geändert wurden. Das haben wir in der Vergangenheit oft genug getan, insbesondere auch meine Kollegin Quade.

Ich möchte heute vielmehr auf die Regelungen eingehen, die zwar nicht für verfassungswidrig erklärt wurden, die aber aus unserer Sicht nach wie vor politisch nicht akzeptiert werden können. Es sind Normen, die aufgrund der zu offenen, oft unbestimmten Formulierungen zu weitreichenden Eingriffen führen können, für die es keine politische Notwendigkeit gibt. Dabei möchte ich mich insbesondere auf die Stellungnahme des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins stützen.

So kritisieren sie die Ermächtigung zur Abschaltung von bestimmten oder auch allen Kommunikationsverbindungen in einem bestimmten Bereich für bis zu zwei Tage, und das sogar ohne richterliche Anordnung. Hierbei ist zu befürchten, dass dies nicht nur für bestimmte Lagen, wie zum Beispiel bei Banküberfällen und ähnlichem, sondern auch für Demonstrationen angewendet werden kann; denn es ist im Gesetz nicht explizit geregelt, für welche Gefahrenlagen das Abschalten von Kommunikationsverbindungen zum Tragen kommen kann.

Darüber hinaus werden nach wie vor die Regelungen zur präventiven Telefonüberwachung, zur körperlichen Untersuchung von Personen bei angenommener Infektionsgefahr und zu Videoaufzeichnungen bei polizeilichen Kontrollen von uns kritisiert.

Aber auch heute werden ganz sicher unsere Bedenken vom Tisch gewischt werden. Sie werden mit Ihrer Mehrheit das Gesetz so beschließen, wie es vorliegt. Stolz sollten Sie allerdings darauf nicht sein.

Mir wäre es peinlich gewesen, wenn mir das Verfassungsgericht im Urteil so viele Fehler grundlegender Natur bescheinigt hätte,

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

die einer Neuregelung, Bereinigung bzw. Klarstellung bedurften.

Eines wird mir allerdings wohl für immer im Gedächtnis bleiben. Deswegen wiederhole ich es gern noch einmal: die Regelung mit den Glasgetränkebehältnissen, die zum Transport von Alkohol dienen und die dann nur in einem geschlossenen Behältnis, also in einem zur Aufnahme von Sachen dienenden und sie umschließenden Raumgebilde, aufbewahrt werden dürfen. Ich frage Sie: Wer lässt sich so etwas Absurdes einfallen? - Zum Glück ist das aus dem Gesetz gestrichen worden.

Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist rein formal, ausschließlich unter dem juristischen Aspekt betrachtet, jetzt korrekt, auch wenn es noch einige Punkte gibt, die wir kritisieren. Aus diesem Grunde werden wir uns auch bei der Abstimmung über das Gesetz unserer Stimme enthalten. Dennoch, inhaltlich, politisch können wir auch in Zukunft dem so geänderten SOG in keiner Weise unsere Zustimmung geben, denn polizeiliche Befugnisse werden immer mehr auf Kosten der elementaren Grund- und Bürgerrechte erweitert. Das lehnen wir jetzt und zukünftig ganz entschieden ab. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Kollegin Tiedge. - Für die Fraktion der CDU spricht der Abgeordnete Herr Kolze.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Landesverfassungsgericht hat im letzten Jahr der abstrakten Normenkontrolle der Oppositionsfraktionen gegen die Novelle des Polizeigesetzes teilweise stattgegeben und damit einzelne Regelungen des SOG als verfassungswidrig beanstandet, die Novelle aber in großen Teilen bestätigt.

Die vom Landesverfassungsgericht beanstandeten Regelungen gehen hierbei inhaltlich auf den Regierungsentwurf zurück und sind im Gesetzgebungsverfahren entsprechend der Anregung des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Landtages angepasst worden.

Die von den Koalitionsfraktionen CDU und SPD in Umsetzung der Koalitionsvereinbarung vorgesehenen Ermächtigungsgrundlagen zur Videoaufzeichnung bei Anhalte- und Kontrollsituationen, die heiß diskutierten Untersuchungspflichten bei möglicher Infektionsübertragung nach Baden-Württembergischem Regelungsvorbild, zur Erhebung von Telekommunikationsinhalten und -umständen und die zum Schutz von Polizisten bei Personen- und Fahrzeugkontrollen eingeführte Befugnis zum Anfertigen von Bildaufzeichnungen hat das Landesverfassungsgericht unter der Maßgabe gebilligt, dass hierfür bis zum 31. Dezember dieses Jahres

verfassungskonforme Neuregelungen geschaffen werden.

Die in den letzten Änderungen des Polizeigesetzes von den Koalitionsfraktionen vorgesehene Befugnis zur Unterbrechung und von Verhinderung von Kommunikationsverbindungen wurde vom Landesverfassungsgericht nicht beanstandet. Eine solche Ermächtigung gibt es im Übrigen auch in neun weiteren Bundesländern, so auch in Baden-Württemberg und Brandenburg.

Der Anwendungsfall dieser Befugnis ist eben nicht die Anti-Nazi-Demo, sondern die Verhinderung der Fernzündung eines Sprengsatzes per Mobilfunkgerät oder die Unterbrechung der Kommunikationswege des Täters bei einer Geiselnahme.

Für nichtig erklärt hat das Landesverfassungsgericht die sogenannte Quellentelekommunikationsüberwachung und die Ermächtigung, für bestimmte öffentliche Bereiche zu bestimmten Zeiten den Verkauf und den Genuss alkoholischer Getränke und das Mitsichführen von Glasgetränkebehältnissen zu verbieten.

Zur Quellen-TKÜ nur so viel: Keine Frage, die Koalitionsfraktionen verfolgten mit dieser Vorschrift einen legitimen Zweck. Wir hatten nicht vor, wie oftmals bösartig behautet worden ist, Rahmenbedingungen für den Einsatz von Staats- oder Bundestrojanern oder anderen Ausspähprogrammen zu schaffen.

Richtig ist aber auch, dass wir derzeit nicht die entsprechenden technischen Voraussetzungen an der Hand haben und damit nach den Ausführungen des Landesverfassungsgerichts eine verantwortliche Rechtsgüterabwägung nicht möglich ist. Das Urteil des Landesverfassungsgerichts verdeutlicht uns jedoch auch, dass wir hier eine Sicherheitslücke haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wir brauchen schnellstmöglich eine solche Software. Mögliche Anschläge könnten gegebenenfalls nicht verhindert werden, weil verschlüsselter Kommunikation nicht gefolgt werden kann. Das ist für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger nicht hinnehmbar. Solange diese Software aber nicht existiert, sollte von der Ermächtigung im Polizeirecht Abstand genommen werden.

Die Ermächtigung zur Ausweisung von Alkoholkonsumverbotszonen, die auf den Wunsch der kommunalen Spitzenverbände eingearbeitet worden ist, wurde ebenfalls für verfassungswidrig erklärt. Wir wollten die Kommunen im Kampf gegen alkoholbedingte Straftaten und Ordnungsstörungen an Brennpunkten vor allem in den Abend- und Nachtstunden unterstützen. Da aus der Sicht der Koalitionsfraktionen die rechtssichere Ausgestaltung einer Ermächtigung der Kommunen für ein Alkoholverbot nach den Vorgaben des Landesver

fassungsgerichts derzeit nicht möglich ist, werden wir auf eine solche verzichten.

Mit der erneuten Novellierung des Polizeigesetzes wollen wir den Maßgaben des Landesverfassungsgerichts Rechnung tragen, aber auch den Interessen der Bürgerinnen und Bürger an einer wirksamen und modernen Gefahrenabwehr und den Erfordernissen der polizeilichen und sicherheitsbehördlichen Praxis gerecht werden.

Da das Landesverfassungsgericht Ermächtigungsgrundlagen mit Maßgaben versehen hat und diese nur noch bis zum Ende dieses Jahres anwendbar sind, ist es dringend notwendig, dass wir die Ihnen vorliegende Novellierung heute auf den Weg bringen. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Herr Kollege Kolze. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Striegel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Rückblick auf dieses Gesetz ist von den Kolleginnen und Kollegen schon getätigt worden. Ich kann nur noch einmal feststellen: Wir befassen uns heute hier erneut mit dem Polizeigesetz des Landes Sachsen-Anhalt, weil die Koalitionsfraktionen ein verfassungswidriges Gesetz vorgelegt haben, das auf unsere Initiative hin vom Landesverfassungsgericht für teilweise verfassungswidrig erklärt worden ist. Das ist ein Erfolg. Dieses Erfolges hätte es gar nicht bedurft, wenn Sie vorher gut und richtig gearbeitet hätten.

Auch die Novelle des Gesetzes ist leider nicht grundrechteschonend. Das hat Kollegin Frau Tiedge schon zutreffend festgestellt. Sie orientiert sich sehr eng an dem Urteil. Man muss sagen, man muss die Grenzen der Verfassung nicht mit jedem Gesetzgebungsvorhaben ausreizen. Das ist kein Erfordernis, das ist politischer Wille. Sie wollen nicht grundrechteschonend arbeiten, meine Damen und Herren.

Die schriftliche Anhörung hat auch noch einmal gezeigt, wie unnötig das Gesetz ist. Für keinen der dort zu regelnden Tatbestände ist von Ihnen tatsächlich eine stichhaltige Begründung genannt worden, warum es dieses Gesetzes im eigentlichen Sinne bedarf, warum die bisherigen Erfordernisse für die Polizei nicht ausreichen.

Ich will Ihnen sehr deutlich sagen und für meine Fraktion, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, erklären, wir glauben nicht, dass wir mehr staatliche Eingriffsbefugnisse im Polizeirecht brauchen.

Wir glauben, dass wir eine sächlich und personell vernünftig ausgestattete Polizei brauchen. Damit kann viel mehr für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land getan werden als mit unnötigen Eingriffsbefugnissen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Solange wir in unserem Land Polizistinnen und Polizisten vor Computer setzen und sie damit beschäftigen, eingehende Meldungen aus dem Lage- und Führungszentrum abzutippen, um sie in das Polizeicomputersystem einzuarbeiten, glaube ich, haben wir andere Probleme als fehlende Eingriffsbefugnisse.

Wir müssen endlich dafür sorgen, dass unsere Polizei vernünftig arbeiten kann und dass genügend Beamtinnen und Beamte da sind. Denn wir merken gerade aktuell, dass sie überhaupt nicht mehr aus den Stiefeln kommen. Da gäbe es tatsächlich viel zu tun. An dieser Stelle versagt diese Landesregierung. Sie versagt, weil sie über Jahre den Personalabbau in der Polizei und in der Landesverwaltung vorangetrieben hat, ohne auf die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu achten.

Es geht in diesem Land - das will ich noch einmal deutlich festhalten - nicht um mehr Überwachung. Es geht um eine gut ausgestattete und personell vernünftig untersetzte Polizeiarbeit. Es geht darum, diese Polizei zu unterstützen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke sehr, Herr Kollege Striegel. - Für die SPDFraktion spricht der Abgeordnete Herr Erben.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erspare uns allen jetzt die Historie der jüngsten SOG-Novelle und auch des fünften Änderungsgesetzes, das uns heute zur abschließenden Beratung und Beschlussfassung vorliegt.

Herr Kollege Striegel, Sie haben sicherlich Recht, wenn Sie sagen, mit Gesetzen allein schafft man nicht mehr Sicherheit. Aber wir müssen auch feststellen, dass Gesetze und auch die polizeilichen Standardmaßnahmen mit der technischen Entwicklung und überhaupt mit den Veränderungen in der Welt mithalten müssen. Deswegen hat es natürlich auch nicht nur in Sachsen-Anhalt in den letzten 15 Jahren eine erhebliche Weiterentwicklung im Bereich der Standardmaßnahmen im Polizeirecht gegeben.

Ich habe jetzt von Ihnen gehört, wie schlampig wir angeblich Gesetze machen und dass das auch

noch verfassungswidrig sei. Ich einmal zurückschauen. Was haben Sie nicht alles hier behauptet, wie schlimm dieses Gesetz sei, sowohl inhaltlich als auch, was die Verfassungsgemäßheit betrifft. So viel ist dann tatsächlich nicht übrig geblieben.

(Zustimmung von Herrn Kolze, CDU - Zuruf von Herrn Striegel, GRÜNE)

Zwei Vorschriften sind tatsächlich für verfassungswidrig erklärt worden, zum einen die Quellen-TKÜ - das wissen Sie auch - vor allem deshalb, weil sie technisch zurzeit eben nicht rechtssicher möglich ist. Zum anderen sind es die Alkoholverbote auf öffentlichen Straßen und Plätzen. Dazu sage ich ganz klar, das schmerzt mich immer noch, weil man aus meiner Sicht aufgrund der Entscheidungen in anderen Bundesländern auch zu anderen Ergebnissen hätte kommen können. Denn das Problem ist mit der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts nicht von der Bildfläche verschwunden. Die Kommunen haben eben keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage, um gegen solche Auswüchse vorzugehen.

Alles andere sind Details, die wir in dem Gesetz - an dieser Stelle möchte ich es durchaus als ein Reparaturgesetz bezeichnen - verändert haben. Das tun wir in dem Gesetz. Deswegen werden der Polizei ab dem 1. Januar 2016 die erforderlichen Standardmaßnahmen als Eingriffsgrundlage zur Verfügung stehen. - Herzlichen Dank.

Danke sehr, Herr Kollege Erben. - Damit ist die Debatte beendet. Wir treten ein in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 6/4339. Ich schlage vor, über die selbständigen Bestimmungen in ihrer Gesamtheit abzustimmen. - Ich sehe keinen Wiederspruch. Wer diesen zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Niemand. Wer enthält sich der Stimme? - Das sind die Oppositionsfraktionen.