Protocol of the Session on July 2, 2015

(Zuruf: Im Zeitplan steht 13.05 Uhr!)

- Ich hatte gesagt, um 13 Uhr geht es weiter. Das verschiebt sich manchmal ein bisschen nach vorn oder nach hinten. Es gilt, was hier vorn gesagt wird, da beißt die Maus keinen Faden ab.

(Minister Herr Dorgerloh betritt den Plenar- saal - Zurufe: Ah!)

- Der Minister eilt. Wir fahren fort.

Gemäß § 43 Abs. 6 der Geschäftsordnung des Landtages von Sachsen-Anhalt erteile ich zuerst der Fraktion der CDU das Wort. Es spricht für die Antragstellerin der Kollege Güssau. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

(Herr Scharf, CDU: Es könnten durchaus noch ein paar mehr Minister kommen!)

- Wenn Sie beantragen, dass die Minister zitiert werden sollen, dann wird das geschehen.

(Frau Tiedge, DIE LINKE: Wir beantragen das!)

- Dafür muss es eine Mehrheit geben.

Ich stelle fest: Wir haben nicht nur Unterrichtsausfall, wir haben auch einen Regierungsausfall.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich wusste nicht, dass unsere Große Anfrage so einschüchternd wirkt. Ich bin bereits jetzt darüber erstaunt, wer sich im Nachgang dieser Diskussion alles meldet, wenn ich sehe, wie wenige bei diesem sehr wichtigen Thema Lehrerpersonal und Unterrichtsausfall im Plenum sitzen.

(Zustimmung)

Meine Damen und Herren! Ich werde mich jetzt auch etwas umstellen und meine Rede anders gestalten. Es gab eine Kakofonie von Äußerungen der verschiedensten Akteure zu den Themen Lehrkräftepersonal, Personalentwicklung und den entsprechenden Statistiken dazu. In zahlreichen Briefen von Stadträten, in Petitionen von besorgten Bürgern, in Kritiken von unterschiedlichen Lehrerverbänden, auch von Parteien und natürlich Fraktionen sowie in der medialen Berichterstattung landauf und landab wurde dies deutlich.

Diese Große Anfrage sollte uns unter anderem eine gemeinsame statistische Grundlage, ein Fundament liefern, auf dem wir aufbauen können und von dem wir künftige Entwicklungen ableiten müssen. Wir wollen mit der Anfrage zur Versachlichung der verschiedenen Problemkreise beitragen.

Diese Problemkreise - Lehrerkräftepersonal, Unterrichtausfall und Personalentwicklung an unseren Schulen - werden - dazu muss man kein Prophet oder Bildungspolitiker sein - in den kommenden Jahren die zentralen Themen im Bereich der Bildungspolitik sein.

Probleme beim Einsatz von Lehrkräften und Unterrichtsausfall zehren gegenwärtig an unseren Schulen am Unterricht. Wir stehen gegenwärtig vor einer Wende, weg von den altbekannten wohlversorgten Personalüberhängen - ich habe diese als Lehrer jahrelang selbst erlebt - hin zu einem Stand, der in vielen Bundesländern Normalität ist. Die Politik hat die schwierige Aufgabe, den Kurswechsel weg vom Personalabbau hin zur Abdeckung des konkreten Bedarfs in der Zukunft zu bewältigen. Das ist ohne Frage ein Spannungsfeld.

Wir müssen bei diesem Paradigmenwechsel künftig mehr Instrumente finden, um flexibler zu werden und den Unterricht abzusichern. Auf der einen Seite führten in den vergangenen Jahren stark reduzierte Einstellungskorridore unter anderem zu einer hohen Altersstruktur im Lehrkörper. Auf der anderen Seite stellen wir aber fest, dass eine Lehrkraft in Sachsen-Anhalt ein bis zwei Stunden weniger unterrichtet als eine Lehrkraft in den westdeutschen Flächenländern. So gibt es an vielen Stellen immer zwei Seiten ein- und derselben Medaille.

(Zuruf: Genau!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der vorliegenden Antwort auf unsere Große Anfrage berücksichtigt die Landesregierung die reale Unterrichtsversorgung. Dabei wird klar, dass leider nicht das volle mit dem Landeshaushalt zur Verfügung gestellte Arbeitsvermögen von Lehrkräften im Unterricht wirksam wird. Ausfallstunden von längerfristig erkrankten Lehrkräften, Anrechnungsstunden, Altersermäßigungen, Schwerbehindertenvertretung, Freistellung für Personalräte, Abord

nungen usw. können nicht für den Unterricht eingesetzt werden.

Es wird durch die Landesregierung angestrebt, mit dem nun zur Verfügung gestellten Arbeitsvermögen im neuen Schuljahr eine bessere Wirkung zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung aufzubauen. Und - das ist eine wichtige Erkenntnis -: Das Arbeitsvermögen muss effizienter als bisher genutzt werden.

Einfache Instrumente aus der Vergangenheit, beispielsweise die bloße Erhöhung der Lehrerarbeitszeit quasi auf Zuruf, sind so einfach künftig nicht mehr möglich. Schauen Sie sich die aktuelle Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg in Niedersachsen vom 9. Juni 2015 dazu an. Das OVG Lüneburg hat die von der niedersächsischen Landesregierung beabsichtigte Mehrarbeitsverpflichtung von Gymnasiallehrkräften als verfassungswidrig eingestuft und gekippt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine wesentliche Aussage, die sich aus der Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage erheben lässt, ist die folgende: Die Altersstruktur der Lehrkräfte an den allgemeinbildenden wie an den berufsbildenden Schulen sieht so aus, dass in den kommenden 15 Jahren fast zwei Drittel der derzeit im Dienst befindlichen Lehrkräfte ausscheiden werden. Der Altersdurchschnitt der Kollegen an diesen Schulen liegt bei über 50 Jahren. Wenn man die Anzahl der Lehrkräfte über 50 Jahre zusammenrechnet, ergibt sich ein Bild der Sorge.

Für die allgemeinbildenden Schulen lauten die Zahlen wie folgt: Von 14 515 Lehrkräften im Schuldienst werden 9 066 in den kommenden 15 Jahren in den altersbedingten Ruhestand eintreten. Bei den berufsbildenden Schulen werden von 1 659 Lehrkräften 961 in den altersbedingten Ruhestand eintreten. Diese Entwicklung wird Probleme erzeugen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass das Land - theoretisch gerechnet - bei einem gleichbleibenden Einstellungskorridor von derzeit 350 Lehrkräften in den kommenden 15 Jahren rund 5 250 Lehrkräfte einstellen würde. Daraus folgt, dass das Land dann 3 900 Lehrkräfte weniger im Dienst haben würde als heute. Wenn das so käme, dann wäre dies problematisch für Sachsen-Anhalt.

Die Situation ist brisant, weil die Schülerzahlen in der Praxis bis zum Schuljahr 2025/2026 zwar sinken, aber nur äußerst geringfügig. Ich verzichte jetzt darauf, Zahlen zu nennen. Ich möchte nur sagen, dass die Schülerzahlen an den berufsbildenden Schulen sogar mehr oder weniger konstant bleiben. Bezogen auf die Schulformen des allgemeinbildenden Schulwesens ergibt sich ein besonderes Problem für die Gymnasien; denn dort steigen die erwarteten Schülerzahlen deutlich an.

Es besteht künftig Handlungsbedarf bezüglich eines Einstellungskorridors mit Augenmaß, der auf der einen Seite gute Schule mit Qualität absichert und auf der anderen Seite die Lebenswirklichkeit der realen und begrenzten Finanzmittel unseres Bundeslandes im Blick hat. Denn Folgeprobleme des demografischen Wandels, wie Überalterung, hohe Krankenstände und Fachkräftemangel, sind auch Themen, die in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft, beispielsweise bei der Polizei, bei allen Verwaltungen, bei Hochschulen usw., ähnlich gelagert sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird also schon an diesen Punkten ganz deutlich, dass diese weitere Entwicklung für alle Landesregierungen und die sie tragenden Fraktionen, wer auch immer gerade am Steuer steht, zur Zukunftsaufgabe wird.

Erschwerend kommt hinzu, dass das Land Sachsen-Anhalt nicht allein auf dem Markt für Lehrkräfte agiert, sondern in harter Konkurrenz zu den anderen, zum Teil bevölkerungsreichen und/oder finanzstärkeren Bundesländern steht. Es wird sich der Kampf um kluge Köpfe, um Fachkräfte, um junge Lehrerinnen und Lehrer verschärfen. Andere Bundesländer initiieren Werbekampagnen und schalten ganzseitige Annoncen zur Lehreranwerbung, beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern. Wir müssen in diesen Bereichen noch aktiver und flexibler werden.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Antwort der Landesregierung, wenn man die Fächerkombinationen der Lehrkräfte in den Blick nimmt. Mit Blick auf die Uhr kann ich Ihnen nur in aller Kürze sagen: Häufig überwiegen an den verschiedenen Schulformen bestimmte Kombinationen von Fächern, die gerade nicht die nachgefragten Fächer in der Zukunft sind. Sie können sich in aller Ruhe noch einmal anschauen, bei welchen Fächern zukünftig an Gymnasien oder Sekundarschulen Bedarf besteht.

Darauf müssen wir angemessen reagieren. Es geht nicht so einfach, dass wir den Studierenden vorschreiben können, was sie zu studieren haben. Ich würde mir wünschen, dass durch eine gezieltere Studienberatung eine effektivere Studienlenkung erfolgt, damit die großen Verwerfungen bei der Fächerwahl abgebaut werden.

Es gilt die Attraktivität des Lehrerberufs in den Mittelpunkt zu stellen, gezielter im Land auszubilden oder Referendare auch einmal in die Altmark zu senden, um dort zumindest ansatzweise erkennen zu lassen, dass man die Suche nach ausreichendem Nachwuchs im Blick hat.

Es ist eine Reihe von Folgeproblemen ersichtlich. Wir müssen davon ausgehen, dass wir nicht mehr

genügend Lehrkräfte für unsere Dienste gewinnen. Und wenn doch, dann müssen wir Lehrkräfte einstellen, die keineswegs immer die richtige Fächerkombination vorweisen können.

Auch attraktive Programme für Seiteneinsteiger gilt es auf den Weg zu bringen. Das ist zwar kein Allheilmittel, aber ein weiteres Instrument aus dem Baukasten zur künftigen Absicherung des Unterrichts.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben als Fraktion auch abgefragt, wie die bestehende Situation hinsichtlich der Unterrichtsversorgung und des Unterrichtsausfalls an unseren Schulen aussieht. Auch hierbei gibt es Probleme. Die Unterrichtsversorgung liegt nach Auskunft der Landesregierung derzeit bei rund 102 %, sowohl in den allgemeinbildenden als auch in den berufsbildenden Schulen im Land. Doch der Blick auf die Statistik der bereits jetzt ausfallenden Unterrichtsstunden bereitet Besorgnis.

(Beifall bei der CDU)

So fielen in den Sekundarschulen im Schuljahr 2013/2014 2,3 % der Unterrichtsstunden ersatzlos aus. An den Gymnasien waren es 2,4 % und an den Förderschulen 3,8 %.

Es gibt Bundesländer, in denen es hinsichtlich des Unterrichtsausfalls noch trauriger aussieht. Aber das soll nichts entschuldigen, sondern nur ein Schlaglicht darauf werfen, dass es diese Probleme nicht nur in Sachsen-Anhalt gibt, dass das nicht nur bei uns ein spezifisches Problem darstellt.

Keine noch so gute Unterrichtsversorgungsquote kann Unterrichtsausfall verhindern. Bei kurzfristigen Langzeit- und Kurzzeiterkrankungen in Größenordnungen ist es kaum noch möglich, Vertretungen für alle Ausfälle zu organisieren, die dann auch noch einen fachgerechten Ersatz darstellen. Übrigens: Häufig klagen Lehrkräfte über BurnoutSymptome, die aufgrund der hohen Belastung im Lehrerberuf fast zwangsläufig in Erscheinung treten. Ich möchte dieses Problem an dieser Stelle nur anreißen und nicht weiter vertiefen. Der Krankenstand ist aber ein weiteres eklatantes Problem.

Meine Damen und Herren! Diese Befunde, die uns die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion liefert, sind nicht alle neu, sie unterlegen aber bisherige Vermutungen und Befürchtungen mit aktuellen Zahlen und haben zur Versachlichung beigetragen. Insofern ist die Antwort der Landesregierung erfreulicherweise umfassend. Nun ist es die Aufgabe der Politik, Antworten für die Bildungspolitik und für die Entwicklung des Lehrkräftebedarfs und für die Personalentwicklung in der Zukunft zu finden.

Es ist an uns, für die richtigen und angemessenen Entscheidungen in den kommenden Jahren zu sorgen. Für das Jahr 2015 sind 470 unbefristete Neu

einstellungen geplant. Hinzu kommen weitere ca. 100 befristete Einstellungen für den Unterricht in den Sprachklassen für Schüler mit Migrationshintergrund. Kultusminister Stephan Dorgerloh - ich habe es manchmal scherzhaft so bezeichnet - fährt im Personalbereich auf Sicht. - Herr Höhn, Sie rollen schon wieder mit den Augen; ich möchte Sie nicht provozieren. Ich könnte auch auf Neudeutsch sagen: drive by sight. Ich weiß, dass diese Fahrpraxis des Ministers Ihnen nicht immer gefallen hat, und es gab kräftig Kritik.

Aber, meine Damen und Herren, ich formuliere es einmal bewusst positiv: In der Praxis hat die Landesregierung nachgewiesen, dass sie flexibel auf Probleme reagiert und Probleme löst.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Ich werde an dieser Stelle nicht noch auf die Neueinstellungen eingehen; denn ab dem Jahr 2017 gestaltet sich die Situation kritischer. Ich denke, ich habe im Anschluss an diese Diskussion noch einmal Zeit, um darauf einzugehen.

Abschließend möchte ich feststellen, dass es zeitlich wie inhaltlich völlig richtig war, dass die CDUFraktion die Große Anfrage gestellt hat. Unsere vorherigen Vermutungen sind bestätigt worden. Wir haben nun eine gemeinsame Datengrundlage für unsere weiteren Beratungen im Ausschuss. Mein Appell richtet sich deshalb nicht nur an den Koalitionspartner, sondern auch an die Opposition: Wir sollten auf dieser Grundlage intensiv weiter mit viel Sachlichkeit arbeiten. Mein Angebot gilt.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Güssau. - Passend zum Thema begrüßen wir ganz herzlich Mitglieder des Schülerrates der Pestalozzi-Schule Wernigerode.