Protocol of the Session on February 27, 2015

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Vermischung führt oft zu Fallstricken bei den Forderungen. Das zeigt sich beispielsweise unter Punkt 1 b des Antrags der LINKEN. Dort heißt es - ich zitiere -, „dass die Regelungen zu Cannabissamen vollständig aus den Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes gestrichen werden“ sollen, „um den Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken zu ermöglichen“.

Wenn aber die Regelungen zu Cannabissamen aus den Anlagen gestrichen werden, müsste man schlussfolgern, dass der Eigenanbau dann grundsätzlich legal ist. Wie soll aber der therapeutische Nutzen kontrolliert werden? - Wenn Hanfsamen quasi legalisiert ist, hilft das im Grunde nicht wirklich weiter. Denn wenn aus diesen Samen weibliche Hanfpflanzen entstehen, hat man unter Um

ständen etliche Mengen Gras zu Hause, die man nicht haben dürfte. Das ist schwierig.

Deswegen - ich wiederhole es - wollen wir heute die Debatte allein auf der Ebene der medizinischen Betrachtung zum Wohle der Patientinnen und Patienten führen. Hierzu ist die wissenschaftliche Erkenntnislage klar. Bei schweren Erkrankungen wie Krebs, Epilepsie, Multipler Sklerose und chronischen Schmerzzuständen kann durch Cannabis eine gravierende Linderung der Symptome erreicht werden.

Cannabis wirkt nachgewiesenermaßen brechreizhemmend, muskelentspannend und schmerzhemmend. Auch finden sich in der bereits angeführten aktuellen Ausgabe der „Ärzte-Zeitung“ Worte von Professor Joachim Nadstawek, seines Zeichens Vorsitzender des Bundesverbandes der Ärzte und psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin. Er schätzt ein, dass in der Therapie mit Cannabis viele Nebenwirkungen wegfallen, die bei der Einnahme von starken Schmerzmitteln auftreten. Wir halten den Leidensdruck der Betroffenen für extrem hoch.

Wie dringend die umfängliche medizinische Nutzung gebraucht wird, zeigt - um es einmal plastisch darzustellen - der tragische Fall des Robert Strauss. Kollegin Zoschke hatte in der Debatte im letzten Plenum bereits dazu ausgeführt. Ich möchte Ihnen den Fall kurz in Erinnerung rufen. Herr Strauss hatte eine der wenigen erteilten Sondergenehmigungen zum Eigenanbau. Dennoch hat die Polizei nach Darstellung der „Süddeutschen Zeitung“ diese Pflanzen beschlagnahmt.

(Frau Zoschke, DIE LINKE: Ja!)

Was blieb ihm übrig? - Er musste auf herkömmliche Schmerzmittel zurückgreifen. Diese haben ihn sehr schläfrig und taumelig gemacht, er ist gestürzt. Das hat letztlich zum Tode geführt. Der behandelnde Arzt hat festgestellt - so ist es auch in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 20. Januar 2015 nachzulesen:

„Wäre Strauß ‚juristisch nicht so drangsaliert’ worden - hätte er also weiter sein Gras gehabt -, ‚wäre er jetzt vielleicht noch am Leben’.“

Bevor diese Frage kommt, möchte ich klarstellen: Es ist völlig unstrittig, dass keine unmittelbare Kausalität zwischen der Wegnahme der Pflanzen und dem Tod besteht. Das ist unstrittig. Aber das, was der Arzt sagen will, ist, glaube ich, dass ein moralischer Zusammenhang besteht. Hätte man den Mann einfach weitermachen lassen, dann hätte er auch so weitergemacht und dann wäre alles gut gewesen. Ich glaube, das ist nachvollziehbar.

(Frau Zoschke, DIE LINKE: Ja, so ist es!)

Ich glaube, das ist schon eine Resolutheit, die an Verblendung grenzt, den Patientinnen und Patienten Cannabisprodukte vorzuenthalten.

Aus diesen Gründen wollen wir zuerst und möglichst schnell den erkrankten Menschen in Deutschland eine kostengünstige und biologische Therapiemöglichkeit zur Verfügung zu stellen, ohne - das sage ich auch ganz offen - unser Ziel der grundsätzlichen Legalisierung aus den Augen zu verlieren.

Deshalb möchten wir zunächst den Eigenanbau aus therapeutischen Gründen ermöglichen. Dieser soll bei ärztlichem Attest straffrei gestellt werden. Zurzeit ist eine Sondergenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte notwendig. Das ist ein langwieriges, kompliziertes und für viele Patienten überhaupt nicht nachvollziehbares Verfahren, das auch nur in ganz wenigen Fällen zum Erfolg führt.

Der Eigenanbau, der Besitz und der Erwerb von Cannabis zu therapeutischen Zwecken sollen aus unserer Sicht möglichst niedrigschwellig organisiert werden. Wir wollen ihn unter den Arztvorbehalt stellen. Wenn ein Hausarzt seinen Patienten gut kennt - davon muss man ausgehen; denn das ist das Grundprinzip des Hausarztsystems -, dann kann er doch am besten beurteilen, ob dieser Patient eigenverantwortlich mit Cannabis umgehen kann, ob Cannabis in diesem speziellen Fall die Symptome lindert. Wenn der Arzt zu dieser Auffassung kommt, dann sollen Strafverfolgungsbehörden das Ermittlungsverfahren einstellen analog zu dem jetzt schon praktizierten Fall der geringfügigen Menge.

In diesem Fall ist auch wichtig zu beachten - darauf gehen wir in unserem Antrag ein -, dass auch mit einer Sondergenehmigung, die es beispielsweise erlaubt, in einer Apotheke Grasblüten zu beziehen, Kosten anfallen. Das können im Einzelfall durchaus 1 500 € pro Monat sein. Da es sich bei den Betroffenen häufig um Langzeiterkrankte und schwerstkranke Menschen handelt, die erwerbsunfähig sind, und eben nicht um Einkommensmillionäre, wollen wir, dass diese Präparate von den Krankenkassen bezahlt werden.

Noch einmal zu der geringfügigen Menge. DIE LINKE geht in ihrem Antrag explizit darauf ein und fordert die Anhebung der Strafverfolgungsfreigrenze für den Cannabisbesitz in Sachsen-Anhalt von derzeit 6 g - das wissen vielleicht nicht alle - auf 30 g. Hierbei sehe ich das Problem, dass eine Einstellung des Verfahrens häufig nur bei der ersten Feststellung stattfindet. Bei sogenannten Wiederholungstätern ist das in der Regel nicht der Fall. Deswegen müsste man auch dies ändern, wenn man tatsächlich Straffreiheit erreichen will.

An dieser Stelle sehen wir erneut, zu welchen Schwierigkeiten es führt, wenn man die medizi

nische und die allgemeine Freigabe vermischt, und auf welche unsinnigen Argumentationswege das führt. Deswegen zurück zu unserem Antrag; denn wir wollen beide Aspekte trennen und zunächst die medizinische Ebene beleuchten.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

In unserem Antrag schlagen wir daher vor, die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen zur Nutzung von Medizinhanf aus der Apotheke oder dem Eigenanbau, die bisher über das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilt werden, jetzt auf die Arztpraxis zu übertragen, also dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und dem Patienten zu überantworten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wer sagt, dass das nicht funktioniert, der misstraut im Grunde diesem Arzt-Patienten-Verhältnis. Ich glaube, das ist ziemlich abwegig. Das wäre auch sachlich Quatsch; denn die Ärzte sind schon jetzt in der Lage, andere Präparate, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, zu verordnen.

Wer sich ein bisschen in der Medizin auskennt - ich selber bin Laie -, der weiß, dass beispielsweise Morphinpräparate ein sehr viel höheres Suchtpotenzial haben als Cannabis. Diese dürfen die Ärzte aber sehr wohl mittels eines Betäubungsmittelrezepts verschreiben. Wir wollen in dieses Vertrauensverhältnis ein noch größeres Vertrauen setzen.

Des Weiteren wollen wir die Übernahme der Kosten durch die Kassen sichern. DIE LINKE fordert dies auch, sieht aber Schwierigkeiten damit, weil die Bundesregierung hierauf nur mittelbar Einfluss nehmen kann.

Das Problem ist aber nicht nur die Verantwortlichkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses in dieser Hinsicht, sondern es besteht auch grundsätzlich darin, dass von den Krankenkassen nur die Kosten für Medikamente übernommen werden, die für bestimmte Krankheiten zugelassen sind. Es bedarf also erst einmal überhaupt einer Zulassung als Medikament für eine bestimmte Erkrankung seitens eines Pharmaunternehmens. Ohne einen solchen Antrag und ein entwickeltes Präparat kann nämlich auch der Gemeinsame Bundesausschuss keine Kostenübernahme erwirken.

Zur Erinnerung: Im Moment gibt es nur ein einziges Präparat, nämlich Sativex, das eine Zulassung für die Behandlung von Spastiken bei Multipler Sklerose hat. In diesem besonderen Fall übernimmt die Kasse die Kosten. Patientinnen und Patienten, die vielleicht an einer Krebserkrankung oder an Appetitlosigkeit leiden - um konkrete Beispiele zu nennen - steht dieses Medikament nicht zur Verfügung.

Ein Zulassungsverfahren ist aufwendig und kostenintensiv. Deshalb stellen sich die Pharmaunter

nehmen schon sehr genau die Frage, ob sie das anstreben. Es dürfte sehr unwahrscheinlich sein, dass die Unternehmen für zahlreiche Cannabispräparate für unterschiedliche Erkrankungen solche Zulassungen erwirken.

Die Erkrankten brauchen daher ein Verfahren nach Off-Label-Use - so wird das in Fachkreisen genannt -, also eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln. Wenn man eine Expertenkommission nach § 35c Abs. 1 SGB V gründet, kann diese Empfehlungen zu solchen zulassungsüberschreitenden Anwendungen geben. Auf dieser Basis kann der Gemeinsame Bundesausschuss die Kostenübernahme beschließen und dann kann im Endeffekt der behandelnde Arzt darüber entscheiden, ob dieses Präparat auch für eine andere Erkrankung eingesetzt werden sollte.

Wir machen also in unserem Antrag konkrete Vorschläge, die für den Bereich der medizinischen Nutzung sehr schnell umsetzbar wären. In diesem Sinne würde ich mich über die Zustimmung des gesamten Hohen Hauses freuen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Frau Kollegin Lüddemann, es gibt eine Frage. Die Abgeordnete Frau Dirlich möchte Sie etwas fragen. Möchten Sie antworten?

Frau Kollegin, ich würde Sie bitten, Ihre Rede daraufhin noch einmal genau zu lesen. Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass Sie selber gerade ungefähr die Hälfte der Zeit, die Sie zur Verfügung hatten, darüber geredet haben, dass es notwendig ist, den Besitz, die Nutzung und den Anbau zu entkriminalisieren?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Als Sie von Herrn Strauss gesprochen haben, als Sie davon gesprochen haben, dass die derzeitigen Verfahren viel zu lange dauern, als Sie von den sogenannten Mehrfachtätern gesprochen haben, ging es immer wieder darum, dass das eigentliche Problem darin besteht, dass der Besitz, die Nutzung und der Anbau von Cannabis kriminalisiert sind. Jetzt erklären Sie mir noch einmal, wie Sie das von dem medizinischen Thema trennen von wollen.

Das ist im Prinzip eine Frage, die wir häufig in diesem Hohen Hause haben: der Unterschied zwischen einer großen Vision und dem, was kurzfris

tig machbar ist. Wir sind ja völlig d’accord, wenn Sie sagen, Cannabisprodukte müssen freigegeben werden. Aber es ist unrealistisch, dass das ad hoc geschieht.

Deshalb sagen wir: Mittels dieses Arztvorbehalts, mittels eines Attestes gibt es für eine bestimmte Personengruppe aufgrund einer medizinischen Indikation diese Freigabe. Wir haben die Hoffnung - wir geben die Hoffnung nie auf, dass sich sachliche Argumente irgendwann durchsetzen -, dass sich durchaus auch im konservativen Lager, wie bei Frau Mortler auf der Bundesebene, diese Argumente durchsetzen, weil es hierbei eben um einen konkreten Begründungszusammenhang geht und eben nicht darum, dass sich jemand einen schönen Abend machen will.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE - Herr Schröder, CDU: Das ist der Unter- schied!)

Ich finde, das sind zwei unterschiedliche - jetzt komme ich wieder zum Anfang meiner Rede - Sachverhalte.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich weiß nicht, ob ich das jetzt verständlich erklären konnte. Aber das ist der Unterschied.

(Herr Schröder, CDU: Ich kann Ihnen Mor- phine geben, Frau Lüddemann!)

Frau Kollegin Lüddemann, es gibt noch eine zweite Frage vom Abgeordneten Herrn Steinecke. Möchte Sie sie beantworten?

Frau Lüddemann, ich habe die Frage: Über wie viele Patienten reden wir jetzt eigentlich, wenn es um die Freigabe von Cannabis auf Rezept des Arztes geht? Haben Sie dazu Erkenntnisse?

Um welche Patienten geht es? - Ich habe es akustisch nicht verstanden.

Für diejenigen, für die Sie Cannabis aus medizinischen Gründen freigeben wollen. Meine Frage war, um wie viele Patienten es in Sachsen-Anhalt geht. Ist es einer, sind es 1 000 oder sind es 100 000? Haben Sie dazu Erkenntnisse?

Das kann ich Ihnen so genau nicht sagen. Bei den Krebserkrankungen wird es nicht auf alle zutreffen. Also, da möchte ich mich nicht festlegen. Spas

tiken gibt es auch bei anderen Krankheiten als Multipler Sklerose. - Nein, ich lege mich nicht auf eine konkrete Zahl fest.