Wir werden mit ESF-Mitteln auch ein Programm für die nächste Wahlperiode auflegen, wobei wir das ein Stück weit - wir können nicht alles auffangen - mit sogenannter Bürgerarbeit auffangen werden. Das ist ein langfristiges Programm für diejenigen, die 58 Jahre oder älter sind; denn - das ist in Ost und West gleich - die langzeitarbeitslosen Älteren haben auf dem regulären Arbeitsmarkt überhaupt keine Chance. Wir sind zurzeit damit beschäftigt. Zwar gibt es noch einige Hürden vonseiten der EU, aber das werden wir in diesem Jahr umsetzen.
Ich war vor zwei Jahren - deshalb bin ich auch etwas kritischer geworden - bei der Technischen Universität in Valencia, unserer Partnerregion; wir waren mehrere, die dort waren. Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen liegt dort bei 56 %. Was ich dort erlebt habe, hat mich, als ich zurückgekommen bin, dazu bewogen zu sagen: Wir müssten eigentlich schweigen. Die wären froh, wenn sie
Dort ist gar nichts. Sie müssen zurück zu ihren Familien. Dort muss sich Mutti weiter um sie kümmern. Für sie ist sicherlich aufgrund der Umstände gar kein Auffangbecken mehr vorhanden.
Das haben sie uns deutlich gesagt; das habe ich mir jetzt nicht ausgedacht. Das wurde von denen, die dort Verantwortung tragen, ganz deutlich gesagt.
Daher sage ich: Man muss nicht selbstzufrieden sein; das will ich auch gar nicht sein. Ich sehe auch die kritischen Dinge. Ich sehe auch, wie es den Menschen geht. Ich glaube, jeder hier im Raum - selbst wenn er selbst nicht einmal betroffen war - kennt in seinem Verwandten- oder Bekanntenkreis Menschen, die längere Zeit arbeitslos waren und manches durchmachen mussten. Aber insgesamt von dem, was gewollt war, und von dem, was wir jetzt immer noch verändern müssen, damit es besser läuft, halte ich diese Reform von ihrem Ansatz her für richtig.
Herr Minister, es gibt eine Reihe von Anfragen. Herr Abgeordneter Gallert, Frau Abgeordnete Dirlich und Frau Abgeordnete Görke.
Herr Minister, in der grundlegenden Einschätzung zu Hartz IV werden wir auseinander bleiben; das ist jetzt überhaupt nicht die Frage. Hierzu haben wir eine grundlegend andere Einschätzung als Sie; darüber muss man nicht diskutieren.
Ich will nur auf zwei Fakten verweisen, die eigentlich unstrittig sein müssten, aber im Widerspruch zu Ihrer Einschätzung stehen. Wenn ich es richtig gelesen habe, dann hat das Kabinett gerade den Armutsbericht verabschiedet und entsprechende Armutsquotenentwicklungen - davon hat Frau Dirlich auch gesprochen - festgestellt.
Wenn Sie die Aussage „Hartz IV ist Armut per Gesetz“ als zynisch bezeichnen, dann sage ich: In Ordnung, aber in der Politik ist es wie im richtigen Leben: Es zählt das Ergebnis und nicht die Absicht. - Ich unterstelle jetzt nicht unbedingt jedem die Absicht; das ist schon so.
Aber: Gibt es denn keine Korrelation zwischen den Bedarfsgemeinschaften und den Haushalten, die von Hartz IV betroffen sind, und denjenigen, die in
Ihrem Armutsbericht gerade unterhalb der Armutsquote definiert worden sind? - Ich denke, die gibt es schon. Deswegen ist es doch auch legitim, diesen Zusammenhang herzustellen. - Punkt 1.
Punkt 2. Sie sprachen davon, dass bei der Einführung von Hartz IV eine hohe Zahl von Sozialhilfeempfängern eine bessere Ausstattung bekommen hat, wohingegen ein Teil derer, die Arbeitslosenhilfe bekamen, weniger bekam.
Mich verwundert diese Einschätzung, weil mir die höheren Zuweisungen für Sozialhilfeempfänger rätselhaft erscheinen; denn die Hartz-IV-Sätze waren Sozialhilfeempfangssätze.
Mich würde - wenn Sie es so einschätzen, dass es eine deutlich überwiegende Zahl von Profiteuren seit der Einführung des Systems gegeben hat - interessieren: Wie waren denn die Zahlen in Sachsen-Anhalt vor vier Jahren? Wie viele Sozialhilfeempfänger haben deutlich mehr Leistungen nach Hartz IV bekommen und wie viele Arbeitslosenhilfeempfänger in Sachsen-Anhalt haben etwas weniger erhalten? - Denn meine Informationen - dies kann ich jetzt allerdings nicht mit Zahlen belegen - belegen ein umgekehrtes Verhältnis.
Zur ersten Frage: Wir haben den Sozialbericht vorgelegt. - Nein, wir haben ihn im Kabinett beim letzten Mal zur Kenntnis genommen,
beschlossen und er wird jetzt weitergereicht. Ich glaube, das ist - wir haben uns auch dieses Mal wirklich Mühe gegeben; die Mitarbeiter haben sich Mühe gegeben - ein guter Bericht, mit interessanten Zahlen, die man sich auch einmal herausnehmen kann, wobei man auch Korrelationen feststellen kann.
Es ist völlig klar, dass - wenn der Median bei 60 % des mittleren Einkommens liegt - alle, die darunter liegen - je höher das durchschnittliche Einkommen wächst, desto mehr Leute sind davon betroffen -, unter die Armutsgrenze, die so definiert wird, fallen. Aber ich bin davon überzeugt, dass nicht Hartz IV an Armut schuld ist, sondern dass der Arbeitsmarkt das nicht hergegeben hat. Wir haben sie in der Zeit nicht vermitteln können. Sie sind einfach zurückgefallen.
Wenn ich sehe, wie viele Alleinerziehende wir jetzt auf den Weg und in Qualifizierung bringen - das betrifft hauptsächlich Alleinerziehende -, sogar bis zum Ersten Arbeitsmarkt begleiten, dann, denke
Deshalb bestreite ich auch immer, dass sie es sich in der sozialen Hängematte bequem gemacht haben. Das mag manchmal den Anschein haben, weil Menschen nach vielen Jahren oft die Hoffnung verloren haben, weil sie immer wieder Bewerbungen geschrieben und immer wieder Absagen erhalten haben, sie von einer Vermittlung zur nächsten geschickt wurden und an Kursen teilnehmen mussten, von denen sie vielleicht schon manche mehr als einmal gemacht haben, sodass sie sich gesagt haben, dass es ohnehin keinen Zweck hat.
Diese Menschen müssen wir jetzt finden und aktivieren. Ich bin der Überzeugung, dass Arbeit Menschenwürde zurückgibt, die man manchmal vielleicht verliert.
Zu Ihrer zweiten Frage. Diese kann ich jetzt nicht im Detail beantworten. Wir haben sie damals im Landtag diskutiert; daran kann ich mich gut erinnern. Für uns war unzweifelhaft klar, dass die Zusammenlegung richtig ist - das wurde auch von niemandem bezweifelt -, und zwar nicht nur deshalb, weil ein größerer Teil in die Vermittlung gekommen ist, sondern weil sie andere Grundsicherungsleistungen als vorher bekommen haben, und zwar in erheblichen Größenordnungen. Das betraf damals übrigens auch hauptsächlich Alleinerziehende mit Kindern.
Die Zahlen müsste ich nachliefern - die würde ich auch gern nachliefern -, aber das war zumindest so.
Ich glaube, das größere Problem war, dass es der Arbeitsmarkt nicht hergegeben hat, die Idee des Förderns und Forderns umzusetzen; vielmehr haben wir eher verwaltet und versucht, Aktivierungsmaßnahmen zu ergreifen, damit Menschen wieder daran gewöhnt werden, frühmorgens aufzustehen und einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen.
Ich sage nach wie vor: Bürgerarbeit war ein sehr gutes Instrument. Schade, dass das der Bund nicht weitergeführt hat.
Denn das hat sehr vielen Menschen eine sinnvolle und langfristige Beschäftigung beschert. Aber die Zahlen muss ich nachliefern.
Ich kann etwas zur Erhellung beitragen, weil ich noch weiß, dass im Osten zwei Drittel der potenziellen Hartz-IV-Empfängerinnen und -empfänger Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger und nur ein Drittel Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger waren. Im Osten war das so. Im Westen war es genau umgekehrt:
Die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger haben zweifellos einen höheren Regelsatz bekommen. Wenn sie aber zum Beispiel eine neue Waschmaschine brauchten, sind sie damals - also vor der Reform - zum Amt gegangen und haben nachweisen müssen, dass sie eine neue Waschmaschine brauchen, und dann haben sie sie bekommen. Heute müssen sie für diese Waschmaschine - in den Regelsatz sind dafür auch 2, 3 € irgendwie eingerechnet - Euro für Euro Monat für Monat zur Seite legen, bis sie 300 oder 400 € zusammen haben. Hierbei ist genau die Frage, ob man so etwas kann.
Zu Ihrer Einschätzung, dass die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe für alle ein großer Erfolg war. Herr Minister, würden Sie das auch bezüglich der Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger sagen? Deren Anspruch gründete sich vor der Reform auf ihrem letzten Arbeitsentgelt. 53 bzw. 57 % des letzten Arbeitsentgelts war die Höhe der Arbeitslosenhilfe. Das war ein Anspruch, der aus der Arbeitslosenversicherung resultierte. Die fallen jetzt unter das Fürsorgesystem. Was daran ein Erfolg ist, das müssen Sie mir noch einmal erklären.
Zur ersten Frage. Das hat uns damals auch beschäftigt. Deshalb weiß ich noch, dass ich die Begründung vom Grundsatz her erst einmal teile - das ist eine Pauschale, die damals berechnet worden ist; übrigens ist im Nachhinein durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden, dass es einen individuellen Hilfebedarf geben muss -, dass das als Pauschale einberechnet wird, weil man gesagt hat: Es gehört zur Menschenwürde, dass Menschen selbst entscheiden können, was sie wollen, was sie für dieses oder jenes ansparen wollen und wie sie sich das organisieren wollen.
Das andere war eher eine Frage des Systems. Man hat gesagt, ich brauche die Waschmaschine, ist hingegangen, und es war leichter, sie dann sofort zu erhalten. Aber damals hieß es, um etwas zu bitten, entspräche nicht dem Selbstbestimmungsrecht bzw. der Würde des Menschen.
Von denjenigen, die das härter getroffen hat, weil sie es lieber wie vorher gehabt hätten, weil das einfacher war - da musste man nicht eigenverantwortlich ansparen, das ist manchmal schwierig -, würde ich trotzdem nicht behaupten, dass sie das nicht könnten.
Es ging nicht um die Regelung des Mindestregelsatzes, sondern es ging nur darum, dass die Regelsätze anhand der Höhe ihrer früheren Einkommen berechnet wurden.
Frau Dirlich, das ist richtig, jedoch würde die Diskussion jetzt zu weit führen. Wir haben das geprüft - Sie haben das auch getan -, was in die Regelsätze einberechnet wurde, generell für Erwachsene und daraus abgeleitet für die Kinder. Da war das enthalten und daraus wurden dann Pauschalen gebildet.
Die Annahme, dass die Pauschalen die richtige Höhe beanspruchen - man kann in unterschiedliche Situationen kommen, weil bei manchen eine Waschmaschine nach eineinhalb Jahren kaputtgeht und andere 20 Jahre damit waschen -, ist wahrscheinlich nicht aufgegangen.
Das ist die Absicht, die dahinter stand. Das ging noch viel weiter. Es gab beim Bildungs- und Teilhabepaket ein Beispiel, über das wir uns geärgert haben. Es ging darum, dass man Kindern bei Bedarf einen bestimmten Betrag für Nachhilfeunterricht und Ähnliches gibt. Dazu haben wir gesagt: Das hätte besser ins System gehört. Damals wurde klar durch das Bundesverfassungsgericht gesagt: Das ist ein individueller Anspruch; dieses Geld könnt ihr nicht nehmen und in das System geben. Das betraf zum Beispiel frühkindliche oder nachschulische Betreuung oder Ähnliches.
Richtig ist, was Sie gesagt haben - das habe ich auch anzudeuten versucht -, nämlich dass ein Teil der Leistungen, die es vorher gab - sowohl bei der Länge bei Arbeitslosengeld I als auch bei der Begrenzung -, tatsächlich negative Auswirkungen hatte. Aber dahinter stand immer, die Menschen möglichst schnell wieder in Arbeit zu bringen - das steht ja heute noch darin -, gerade diejenigen, die herausfallen, möglichst gar nicht erst in die Arbeitslosigkeit fallen zu lassen, sondern sie möglichst schnell zu vermitteln.
Damit komme ich wieder zum alten Thema: Damals war das jeweils im Osten schwer möglich, weil der Arbeitsmarkt diese schnelle Vermittlung nicht möglich gemacht hat.