Nicht zwingend - das mag sein. Aber wir können doch auch ganz ehrlich miteinander sein und sagen: Mehr Geld würde die Dinge doch ganz enorm vereinfachen.
Ich will damit sagen: Ich kann durchaus verstehen, dass es schwierig ist, mit den vorhandenen Mitteln des Landes Politik zu machen. Aber ich warne davor, die Probleme der mangelnden Finanzausstattung hinter der Vorstellung zu verstecken, das alles sei nur ein Problem der Konzepte.
Ja, richtig, es gibt kluge Konzepte und einzelne Maßnahmen, die auch ohne höhere Finanzaufwendungen gut funktionieren. Aber in vielen Bereichen fehlt dann eben doch das Geld. Darum brauchen wir nicht herumzureden.
An dieser Stelle sei mir der Verweis auf das Beispiel Eingliederungshilfe erlaubt. Wir finden dazu im Landeshaushalt eine ganz erhebliche Summe.
Dennoch wird an allen Ecken und Enden der Eingliederungshilfe deutlich mehr benötigt, um Teilhabe zu ermöglichen.
Herr Minister, so zu tun - Sie haben das heute tendenziell auch wieder getan -, als sei alles auf einem guten Wege, und, parallel in Richtung Bundesebene schauend - quasi wie das Kaninchen auf die Schlange -, immer nur auf das kommende Teilhabegesetz zu verweisen, ist dann vielleicht auch nicht der adäquate Umgang mit dieser großen Aufgabe.
Wir stellen fest: Menschen mit Behinderungen sind gezwungen, wegen der unzureichenden Höhe des bewilligten persönlichen Budgets vor Gericht zu gehen, um ihren Teilhabeanspruch geltend zu machen.
Wir stellen zudem fest, dass in den vergangenen Jahren in Sachsen-Anhalt mehrere Hundert Verfahren vor der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII anhängig waren, weil sich die Träger der Eingliederungshilfe mit der Sozialagentur in den Entgeltverhandlungen nicht haben einigen können.
Um noch einmal auf Ihre dritte These zurückzukommen: Doch, wir brauchen hierfür zwingend mehr Geld und eine schnellere Bewilligung im System. Auch müssen wir ehrlich miteinander umgehen, gerade weil wir dies auf Landesebene allein eben nicht vollkommen befriedigend lösen können.
Es gilt: Wenn die Länder nicht ausreichend Druck auf die Bundesebene ausüben, dann braucht sich hinterher niemand zu wundern, dass das Ergebnis des Teilhabegesetzes unzureichend ist. Ja, Druck wollen wir gemeinsam machen.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Teilhabe für alle ist eine enorme Aufgabenstellung, die ihren Ursprung in der Teilhabesicherung für Menschen mit Behinderungen hat, und eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft. Schon die von Ihnen benannten Handlungsfelder des Landesaktionsplanes machen einen Teil dieser Dimension deutlich. Ich will nicht auf alles eingehen, habe mir aber gezielt ein paar Punkte herausgegriffen:
Zum Thema Barrierefreiheit. Niemand hat erwartet, dass mit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im März 2009 quasi über Nacht alle Barrieren beseitigt sein werden, weder die tatsächlichen noch die in den Köpfen. Allerdings ist die Frage legitim, ob manches nicht ein wenig zu lange dauert oder nur halbherzig angegangen wurde und wird.
Beispiel Wahllokale. Wir stellen fest - dies auf der Grundlage von wiederkehrenden Anfragen meiner Fraktion -: Zu den Bundestagswahlen 2005 und
der Landtagswahl im Jahr 2006 waren ca. 38 % der Wahllokale barrierefrei zugänglich. Zur Landtagswahl im Jahr 2011 waren es dann 41 % und zur Bundestagswahl im September 2013 schließlich knapp 45 %. Das empfinde ich schon als ernüchternd.
Wenn das in diesem Tempo weitergeht, werden die meisten von uns eine diskriminierungfreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen bei Wahlen in Sachsen-Anhalt nicht mehr erleben.
Beispiel Mobilität. Sie selbst hatten hier das Thema barrierefreie Bahnsteige als ein Beispiel für eine gelungene Inklusion angesprochen. In einem Schreiben der Deutschen Bahn AG Sachsen-Anhalt an meine Fraktionskollegin Bianca Görke wird uns bestätigt, dass die Probleme bei den Bahnsteighöhen nach wie vor immens sind. So heißt es, dass noch zu oft Bahnsteighöhe und Fahrzeugboden nicht zueinander passen.
Wir erfahren in diesem Schreiben, dass mobilitätseingeschränkte Personen seitens der Bahn um eine Voranmeldung für Hilfestellungen bis um 20 Uhr des Vortages gebeten werden. Eine solche Anmeldung sei konkret auch für den Bahnhof in Staßfurt möglich. Allerdings müssen Menschen mit Behinderungen ihren Reisewillen 72 Stunden vorher in Form einer Anmeldung beim „Unternehmen Zukunft“ bekunden. Spontan reisen oder spontane Teilhabe am Tourismus ist wohl etwas anderes.
Es stimmt, wir hatten bereits in der Vergangenheit genügend Diskussionen um Bahnhöfe, die für mobilitätseingeschränkte Personen überhaupt nicht erreichbar waren. Der Bus ist keine wirkliche und flächendeckende Alternative. Vom Anrufbussystem wollen wir gar nicht erst reden.
Auch ohne diese grundlegenden Beschränkungen sind wir offenkundig noch meilenweit von einer selbstbestimmten Mobilität entfernt, die Grundlage jeglicher Teilhabe ist.
Last, but not least möchte ich zu diesem Punkt abschließend noch unsere Kritik an der mangelnden Verankerung der Barrierefreiheit in der erst im Jahr 2013 novellierten Landesbauordnung erneuern. Unsere diesbezüglichen Änderungsanträge stehen heute noch immer als umsetzbare Verbesserungsvorschläge im Raum.
Beispiel inklusive Schule. Ich will gar nicht darauf eingehen, dass wir zum Beispiel den Umfang und die Rahmenbedingungen der inklusiven Schulangebote nach wie vor für viel zu gering erachten. Mein Thema an dieser Stelle ist noch einmal die nachschulische Betreuung, auch oft hier diskutiert. Es geht um Eltern, deren Kinder mit geistiger Behinderung das 14. Lebensjahr überschritten haben. Sie alle wissen, wovon ich spreche.
Sie als Landesregierung halten an dem Konzept der Einzelfalllösung fest. Kann das aber nicht genau der Grund dafür sein, dass wir hier im Landtag über den einen oder anderen Einzelfall gefühlt ewig lange ergebnisoffen diskutiert haben und sicher auch weiter diskutieren werden? Wäre nicht eine grundsätzliche Lösung zur Teilhabe aller - Eltern wie Kinder - die bessere Lösung?
Herr Minister Bischoff, eine weitere Bemerkung zum Thema Teilhabe von Menschen mit Behinderungen kann ich mir nun wirklich nicht verkneifen. Ich meine die Kürzung beim sogenannten Nachteilsausgleich Blindengeld, die in Ihrer Verantwortung mit Wirkung ab dem letzten Jahr vorgenommen wurde.
Nun fiel die Kürzung von monatlich 350 € auf 320 € zum Glück deutlich geringer aus, als anfänglich angekündigt. Aber Sachsen-Anhalt liegt bei dieser Leistung ohnehin am unteren Ende der Ländertabelle. Selbst im hochverschuldeten Berlin ist das Blindengeld doppelt so hoch. Wenn Sie den Begriff der Teilhabe so hoch angesetzt wissen wollen, reicht ein Verweis auf das kommende Bundesteilhabegesetz ganz sicher nicht aus. Diese Kürzung bedeutet einen ganz konkreten Abbau von Teilhabemöglichkeiten für Menschen in unserem Land.
Zum Stichpunkt „Demografie und Teilhabe“ habe ich die Frage der gesundheitlichen Daseinsvorsorge ausgewählt, auch deshalb, weil ich der Meinung bin, dass dies in Ihrer Regierungserklärung etwas zu kurz gekommen ist.
Sie sprachen von der Überwindung der Sektorengrenzen. - Ja, auch hierbei, Herr Minister Bischoff, sind wir ganz auf Ihrer Seite. Allerdings erschließt sich mir bisher nicht, wie Sie diese erreichen wollen.
Beispiel „ärztliche Versorgung“. Hierbei stehen wir bei der vor einem immensen Problem, und das in der Gegenwart und in der Zukunft.
Für die Städte Magdeburg und Halle mag das Problem gegenwärtig noch überschaubar sein. Allerdings sieht es im ländlichen Raum in unserem Land tatsächlich bereits anders aus.
Die enorm langen Wartezeiten auf einen Termin, die langen Wartezeiten in den Praxen und lange Anfahrtswege zu den Praxen sind für viele Menschen Lebensalltag und schränken Teilhabemöglichkeiten ein. Hierfür brauchen wir vor Ort Lösungen, die nur im Miteinander aller Beteiligten
Insbesondere mit einer Krankenhausplanung und der Überwindung der Sektorengrenzen sind dem Land Möglichkeiten gegeben. Auch hierbei wären wir an Ihrer Seite.
Beispiel Gesundheitswirtschaft. Wir suchen nach Möglichkeiten, um junge Leute im Land zu halten. Zurzeit verlassen uns immer noch zu viele junge Leute und es wohnen immer weniger Menschen auf dem Land. Die Dagebliebenen sind aber überdurchschnittlich alt und benötigen daher ein höheres Maß an Gesundheitsdienstleistungen.
Es wären wichtige und richtige Schritte, zum einen das Tätigkeitsfeld der Krankenhäuser für den ambulanten Bereich weit zu öffnen und zum anderen die Chancen gerade des Sektors Gesundheitswirtschaft zu nutzen, um jungen Menschen im Land Arbeit und eine Perspektive zu geben.
Ich weiß, der Zugang für die Krankenhäuser zum ambulanten Bereich ist derzeit stark begrenzt und mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden. Deshalb müssen wir uns gemeinsam mit den anderen interessierten Ländern auf der Bundesebene dafür stark machen, dass die Kliniken einen generellen Zugang zur ambulanten Versorgung erlangen.
Das ist wichtig, einerseits um eine ergänzende Finanzierungsquelle für die Krankenhäuser zu erschließen und andererseits um die Lücken der haus- und fachärztlichen Versorgung gerade der ländlichen Regionen zu füllen. Auch diesbezüglich, Herr Minister Bischoff, wären wir bereit, mehr Druck auszuüben.
Beispiel Krankenhausinvestitionen. Krankenhäuser sind wichtige Arbeitgeber in den Regionen. Damit sichern sie die Teilhabemöglichkeiten für ihre Beschäftigten und sie sehen zunehmend ihre Verantwortung auch in der Verbesserung der gesundheitlichen Teilhabemöglichkeiten aller in der Region Lebenden.
Unser gemeinsames Anliegen sollte die Verbesserung der Situation dieser Ankerpunkte in den Regionen sein. Dafür sind wir zuständig. Hierfür müssen wir kluge Konzepte finden.
Die Krankenhausplanung des Landes sollte dringend auf einen Abbau der Konkurrenz und den Ausbau von Kooperationen zwischen den Uniklinika und den Schwerpunktkrankenhäusern und den Krankenhäusern der Basisversorgung untereinander drängen. Klug angefasst ließe sich so im Gegenzug die Grundversorgung im ländlichen Raum sichern und stärken.
Beispiel Erwerbsarbeit. „Arm trotz Arbeit“ - dieser Ausspruch ist zu einem geflügelten Wort in unserer
Gesellschaft geworden. Die aktuelle Diskussion um den frisch eingeführten Mindestlohn ist dabei ganz ungeheuerlich. Obwohl er aus unserer Sicht noch viel zu viele Ausnahmen hat, gibt es derzeit kaum ein gesellschaftliches Problem, für das der Mindestlohn nicht als Ursache herhalten soll.
Der DGB schätzt, dass 285 000 Beschäftigte in Sachsen-Anhalt bisher weniger als 8,50 € pro Stunde verdient haben. Das sind 34 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Dabei ist selbst bei einem Stundenlohn von 8,50 € und Vollzeitarbeit die Altersarmut immer noch vorprogrammiert.
Herr Minister Bischoff, ich will Sie auch einmal ausdrücklich dafür loben, dass Sie das in Ihren öffentlichen Äußerungen in den letzten Wochen immer entsprechend dargestellt haben.
Allerdings müssen wir alle genau hinschauen; denn es gibt auch Mogelpackungen, die dann Teilhabe zwar zeitlich ermöglichen, aber finanziell einschränken. Der Mindestlohn wird gezahlt, aber die Zahl der vertraglich fixierten Arbeitsstunden pro Beschäftigten wird reduziert. Das kann es wohl auch nicht sein.