Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann dieses Thema ausschließlich sarkastisch behandeln. Das ist eigentlich keine schlechte Möglichkeit, aber dazu ist es eigentlich viel zu traurig. Ich vermute allerdings, unabhängig davon, wie wir das an dieser Stelle beurteilen, werden sich in der Zukunft Heerscharen von Kabarettisten und Karnevalisten dieses Themas annehmen und diesen Skandal satirisch behandeln.
Ich finde es aber wirklich nicht lustig. Ich persönlich habe mir nicht vorstellen können, dass so etwas 25 Jahre nach der Überwindung der Diktatur, nach der Überwindung der Wahlmanipulation, der Missachtung von Menschenrechten, der Willkür, der Rechtsbeugung und des Einmauerns eines ganzen Volkes noch möglich ist.
Vor 25 Jahren war Wahlbetrug einer der Auslöser für den Sturz der Diktatur. Ich war am 14. März 1989 aus Neugierde bei einer Kommunalwahlveranstaltung der Nationalen Front zur Kandidatenaufstellung für den Kreistag in meinem Heimatort Uchtspringe. Das war doch eine sehr merkwürdige Veranstaltung.
Als ich mir am nächsten Tag das Kommunalwahlgesetz in meinem Betrieb besorgte und festgestellt habe, dass auf dieser Versammlung gleich mehrfach gegen das DDR-Wahlrecht, das ohnehin nicht so stark ausgeprägt war, verstoßen wurde, habe ich eine Eingabe an die Bezirkswahlkommission geschrieben. Ich wurde am 14. April 1989 von mehreren Vertretern des Rates des Bezirkes, des SED-Kreissekretariates, der Kreisärztin und meinem Bürgermeister bearbeitet. Innerhalb von zweieinhalb Stunden ist es ihnen leider nicht gelungen, mich von der Rechtsmäßigkeit dieser Wahlveranstaltung zu überzeugen. Der Abschlussbericht des Rates des Kreises stellt fest, dass ich das Ergebnis und die Erklärung nicht akzeptiert hätte und es keine Einigung gebe.
Sie können diese Dokumente gern bei mir einsehen, auch den sechsseitigen Bericht über meine Beiträge auf dieser Wahlversammlung am 14. März 1989, die ich meiner Stasi-Akte entnehmen konnte. Das war übrigens der Beginn meiner politischen Tätigkeit außerhalb privater Räume.
Ich habe dann, noch in der Illegalität, als die Mitglieder der Blockparteien noch voller Kampfeswillen für den Sozialismus waren, die SDP mitbegründet und aufgebaut sowie bei der Besetzung der Stendaler Stasi-Kreisdienststelle mitgeholfen - all dies mit dem Ziel getan, dass solche Betrügereien nicht wieder vorkommen.
Leider habe ich mich getäuscht. Ist es Zufall, dass so etwas gerade in einer ehemaligen Blockpartei passiert? Wir alle hier haben darunter zu leiden.
Über die sinkende Wahlbeteiligung brauchen wir uns nicht zu wundern. Wir können, wie vorgestern passiert, eine Menge Landesgeld für Demokratiebildung ausgeben, aber solche Vorgänge wie in Stendal führen das alles ad absurdum.
Und was hört man von der CDU? - Erst einmal langes Schweigen. Keine Kommentare. Es wird verniedlicht. Kritiker werden lächerlich gemacht. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Der Stadtwahlleiter Axel K., einst als OB-Kronprinz in Stendal gehandelt, gibt keine gute Figur ab. Zuerst schiebt er alle Schuld seinen Mitarbeitern zu, dann gibt er zu, sie überhaupt nicht belehrt bzw. geschult zu haben. Mal sagt er, es gebe nichts zu beanstanden, dann stellt er selbst Strafanzeige. Der unbeteiligte Zuschauer weiß nie: Spricht aus ihm jetzt der Jurist oder der im CDU-Filz verstrickte Stellvertreter des Oberbürgermeisters?
Wolfgang K. spielt im Kreistag die Ereignisse herunter, obwohl er bereits damals wusste, dass er Beteiligter an den Vorgängen war; er hat schließlich die Briefe transportiert. Kein Wort der Entschuldigung, keine Aktivitäten, um die Aufklärungen zu beschleunigen. Vermutlich hat er darauf gesetzt, dass die Seilschaften halten und nichts bekannt wird.
Auch von der Landesebene der CDU ist mir von damals keine Reaktion bekannt. Gab es die Hoffnung, dass der Kelch der Aufklärung an der CDU vorbeigeht? Erst, als es nichts mehr zu leugnen gab, die Staatsanwaltschaft und die Polizei Geschäfts- und Privaträume der CDU durchsucht haben, kam auf einmal hektische Bewegung auch in die CDU. Sehr schnell distanzierten sich CDUVerantwortliche von Holger G. Er wird aus der Partei gedrängt oder geht freiwillig und verliert seinen Job.
Stendal zu hören. Aber sind das tatsächlich mehr als Lippenbekenntnisse? Wo ist der Aufstand der Anständigen in der CDU? Warum lassen sich die vielen engagierten, fleißigen und ehrlichen CDUVertreter in Gemeinderäten, Kreistagen und auch hier auch im Landtag damit in einen Topf werfen? - Leider stehen CDU-Vertreter überall auf der Bremse.
Die geneigte Öffentlichkeit fragt sich: Gibt es dazu Parallelen? - Beim Sparkassen-Skandal in Stendal - kein Wort der Erklärung oder Entschuldigung oder gar Aufklärung durch den langjährigen Landrat, Aufsichtsratschef der Kreissparkasse und jetzigen CDU-MdB Jörg H, durch den Alt-CDU-Landrat Lothar A. oder durch das Aufsichtsratsmitglied, den bereits mehrfach erwähnten Wolfgang K. Bis zur Hausdurchsuchung war von der CDU zum Wahlbetrug in Stendal nichts zu hören.
Oder beim Thema Jahn-Sporthalle in Wolmirstedt. Nur eine sicherlich in die Landtagsgeschichte eingehende dubiose Verteidigungsrede vom Landesvorsitzenden Webel, Medienschelte, den Olaf-Bericht anzweifelnde Attacken - nichts von Aufklärungswillen.
Oder vielleicht auch beim Thema Fördermittel in Dessau, das einen Untersuchungsausschuss in diesem Hause zur Folge hat.
Sehr geehrter Herr Landesvorsitzender Webel, zur Wahl in Thüringen haben Sie am 5. Dezember 2014 unter anderem im MDR gesagt: Diejenigen, die SPD wählen, riskieren automatisch einen linken Ministerpräsidenten. In Abwandlung dieser Aussage könnte man auch sagen: Diejenigen, die CDU wählen, riskieren Sumpf, Filz und kriminelle Aktivitäten.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gibt es gravierende Unterschiede. Die kriminellen und undurchsichtigen Aktivitäten, über die wir jetzt reden, fanden hier und heute statt. Das, was der Vorgängerpartei der LINKEN vorgehalten wird, fand vor 25 Jahren plus x statt. Das mag etwas holzschnittartig sein, aber wer mich und meine Biografie kennt, der weiß, dass ich weit davon entfernt bin, der SED oder ihren Nachfolgern Absolution zu erteilen.
Dass in der DDR die Blockparteien, allen voran die CDU, vom System ebenfalls profitiert haben, wollen Sie dagegen vergessen machen.
Dass die CDU Bespitzelungen, Verhaftungen, Repressalien mitgetragen hat, dafür habe ich bis heute keine Entschuldigung gehört.
Dass die CDU damals von Wahlmanipulation, von Posten und Pöstchen und auch finanziell vom SED-Regime profitiert hat und die SED bis zuletzt hat hochleben lassen, ist ein offenes Geheimnis.
(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Herr Kurze, CDU: Was? Das stimmt doch nicht! Hör doch auf zu spinnen, Junge! Das ist Verklärerei, was du hier machst! Ich habe die Geschichte recher- chiert und ein Buch darüber geschrieben! - Weitere Zurufe von der CDU)
- Lieber Kollege Kurze, ich habe zu Hause noch einen Aufruf vom Kollegen Gies als Vorsitzender der CDU in Stendal, der den Sozialismus aber richtig hat hochleben lassen. Ich bringe Ihnen das gern in der nächsten Woche mit.
(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Herr Kurze, CDU: Verallgemei- nere doch nicht alles! Das geht nicht! - Wei- tere Zurufe von der CDU)
- Ich habe mehrmals gesagt, dass ich auf die anständigen Teile auch in der CDU setze. - Lassen Sie mich fortfahren. Wie gesagt, es war ein offenes Geheimnis, dass die CDU als Blockpartei innerhalb der SED und vom SED-Regime profitiert hat.
(Zurufe von Frau Budde, SPD, und von Frau Grimm-Benne, SPD - Herr Kurze, CDU: Petra, du kennst das nicht!)
Dass die CDU von Wahlmanipulation, von Posten und Pöstchen und finanziell vom SED-Regime profitiert hat und die SED bis zuletzt hat hochleben lassen, ist ein offenes Geheimnis. Vielen wurde das Abitur unmöglich gemacht, nur weil sie vielleicht, wie ich, keine Jugendweihe hatten und, wie ich, die falschen Eltern. Meine Mutter war Pastorin, mein Vater Psychotherapeut.
(Frau Feußner, CDU: Diskutieren Sie das mit den LINKEN, nicht mit uns! - Zuruf von der CDU: Rede doch mal zur Sache!)