Protocol of the Session on June 19, 2014

- Dann hätte man gegen die Überweisung stimmen müssen.

(Herr Schröder, CDU: Ja! Deswegen möchte ich darum bitten, die Abstimmung klar durchzuführen! Sie müssen die Gegenstim- men aufrufen!)

- Entschuldigung. - Dann lasse ich noch einmal abstimmen. Wer dafür ist, dass der Antrag in der Drs. 6/3190 in die Ausschüsse überwiesen wird, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich der Stimme? - Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zumindest überwiegend.

Dann lasse ich über den Antrag als solchen abstimmen. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Ich sehe Zustimmung bei allen Fraktionen. Damit ist der Antrag mit großer Mehrheit und Zustimmung aus allen Fraktionen verabschiedet worden und somit Tagesordnungspunkt 2 erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Erste Beratung

Gesellschaftlichen Zusammenhalt durch mehr Vielfalt in den Medien stärken - Integration und Partizipation sowie interkulturelle Kompetenz im MDR ausbauen

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/3133

Für die Einbringerin hat der Abgeordnete Herr Herbst das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Golineh Atai, Dunja Hayali, Pinar Ataley, Linda Zervakis, Özlem Gezer, Mehmet Ata - ich könnte noch eine Reihe weiterer Namen aufzählen -: das sind neue deutsche Medienmacherinnen und Medienmacher, meine Damen und Herren. Und das ist gut so.

Die moderne Integrations- und Einwanderungsgesellschaft hat in Deutschland auch in den Medien heute schon viele Gesichter, nur leider noch viel zu wenige beim MDR. Dieser harten, aber leider zutreffenden Analyse müssen wir uns heute,

liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam stellen.

Es ist unser gemeinsamer Wunsch, SachsenAnhalt zu einem weltoffenen und modernen Land zu machen, vom Harz bis zur Elbe. Nicht nur durch Sonntagsreden, sondern mit Taten wollen wir Sachsen-Anhalt so gestalten.

(Zustimmung von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Dazu müssen auch die Öffentlich-Rechtlichen in ganz Deutschland, aber auch im mitteldeutschen Raum ihren Beitrag leisten. Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass sie das heute schon tun. Uns geht es um eine strategische Leistung dieses Beitrages, um eine kontinuierliche Leistung und um die Bereitschaft zur Veränderung.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns deswegen heute gemeinsam von diesem Landtag aus ein Signal in diese Richtung, in die Richtung einer interkulturellen medialen Integration setzen.

Deutschland ist - und Sachsen-Anhalt ist es auch - ein Einwanderungsland. Wir als GRÜNE haben das an dieser Stelle häufig erwähnt und uns für die Anerkennung dieser schlichten Tatsache immer wieder stark gemacht. Aber für viele, meine Damen und Herren, hat es leider oft unsägliche Debatten und Beiträge in der Öffentlichkeit gebraucht, damit sich diese Erkenntnis bei ihnen durchgesetzt hat. Was ist die Folge? - Wir haben viel kostbare Zeit, viele Jahre verloren.

Für viele Menschen mit Migrationshintergrund kommt diese späte Erkenntnis der politisch Verantwortlichen zu spät. Wir wollen nicht, dass weitere Kinder sprichwörtlich in den Brunnen fallen. Wir wollen jetzt Maßnahmen ergreifen.

Deutschland und Sachsen-Anhalt profitieren von Einwanderinnen und Einwanderern. Die OECD stellt dazu fest: Wir sind als Zielland für Zuwanderinnen und Zuwanderer in die Weltspitze aufgerückt. Sie spricht sogar von einem Boom. Und das ist gut so, denn ohne Einwanderung schrumpft unsere Gesellschaft, insbesondere hier in Sachsen-Anhalt. Deswegen brauchen und wollen wir Menschen aus der ganzen Welt.

In Deutschland hat heute schon jeder Fünfte einen Migrationshintergrund, die Tendenz ist steigend. Noch deutlicher geht es nicht. Noch deutlichere Signale braucht man nicht, um zu erkennen, dass sich diese starke Präsenz auch in den Medien stärker widerspiegeln muss, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was hat nun ganz konkret Einwanderung mit den Medien zu tun? - Ganz einfach: Das Grundgesetz verpflichtet den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf

die Sicherung von Vielfalt. Es sollen möglichst Personen mit unterschiedlichsten Perspektiven und Erfahrungshorizonten aus allen Bereichen des Gemeinwesens mit einbezogen werden.

So formulierte es jüngst auch das Bundesverfassungsgericht noch einmal. Dem Rundfunk und insbesondere dem Fernsehen kommt wegen seiner Breitenwirkung, wegen der Aktualität und der Suggestivkraft dieses Mediums eine besondere, eine herausgehobene Bedeutung zu.

Medien prägen mit ihren Inhalten Bilder von den verschiedenen ethnischen und kulturellen Bevölkerungsgruppen in unserer Gesellschaft. Studien belegen das. Die Berichterstattung akzentuiert die soziale Wirklichkeit nach bestimmten Kriterien und allen voran, durch den Nachrichtenfaktor Negativität. Nichts bleibt so hängen wie negative Assoziationen. Medien bilden die Plattform für öffentliche Kommunikation.

Damit diese Kommunikation wirksam werden kann, müssen sich die Beteiligten, also alle Menschen in der Gesellschaft, in den Medien auch wiedererkennen. Sie müssen die für sich wichtigen Informationen erhalten können. Und noch mehr: Sie sollten sich auch in den Medienschaffenden, in den Redakteurinnen und Redakteuren, in den Moderatorinnen, in den Autorinnen, wiederfinden. Es ist unser Wunsch, dies zu stärken. Das ist uns wichtig und das ist auch richtig so, meine Damen und Herren.

Stellen Sie sich vor, in Ihrem Fernseher würde tagein, tagaus nur RTL 2 laufen. Würden Sie sich dabei wiedererkennen? Wahrscheinlich nicht. Den Menschen mit Migrationshintergrund geht es dabei nicht anders. Schlimmer noch, sie sind davon betroffen, dass Berichterstattung, die etwas mit ihnen zu tun hat, häufig negativ konnotiert ist.

Denn Medien lassen Bilder in unseren Köpfen entstehen. Das ist das, was das Bundesverfassungsgericht mit den Worten von der Suggestivkraft der Medien zum Ausdruck gebracht hat. Das Heikle dabei ist, diese Bilder müssen nicht notwendigerweise mit der äußeren Wirklichkeit übereinstimmen und oft tun sie das leider auch nicht.

Diese oft negative Darstellung - damit meine ich überhaupt nicht den MDR, sondern ich meine damit unsere Medienlandschaft in Deutschland in Gänze - verstärkt nicht nur bereits bestehende negative, ethnozentrische oder fremdenfeindliche Einstellungen. Sie bewirkt auch das Entstehen eines Negativbildes, von Ressentiments, von Misstrauen, von Diskriminierung bis hin zu fremdenfeindlichem Verhalten der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund.

Man muss sich nur einmal selbst befragen, woran man bei Schlagwörtern wie Terrorismus denkt: Bestimmt nicht in erster Linie an die schreckliche

Terrorserie des NSU, sondern dabei kommen sehr schnell andere Assoziationen in den Kopf. Oder: Beim Schlagwort Kopftuch denkt man sicherlich nicht zuerst an ein modisches Kleidungsstück, sondern auch an andere Dinge. Oder jetzt ganz konkret bei dem Fall der von Abschiebung betroffenen Familie Haji. Schauen Sie sich einmal an, was bei dem Schlagwort „Flüchtling“ auf den Internetseiten bei Facebook im Moment in den Kommentarspalten gehetzt wird.

Das sind die Ressentiments, meine Damen und Herren, die wir abbauen wollen. Dazu müssen auch die Öffentlich-Rechtlichen noch stärker einen Beitrag leisten, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Zur Klarstellung: Es geht nicht darum, Menschen mit Migrationshintergrund betont positiv darzustellen. Es geht nicht darum zu übertreiben. Es geht darum, reißerischen Journalismus zu vermeiden. Es geht darum, Kollektivsymbole und Stereotypen zu vermeiden.

Meine Damen und Herren! Die oft einseitige Programmlage in allen deutschen Medien verwundert überhaupt nicht. Ein Blick hinter die Kulissen der Medienmacherinnen zeigt: Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund innerhalb dieser Betriebe ist verschwindend gering. Nicht einmal 1 % der Medienmacherinnen und Medienmacher in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Vorhin habe ich darüber gesprochen, dass dies bereits auf ein Fünftel der deutschen Gesellschaft insgesamt zutrifft. Hier gibt es also schlichtweg ein Missverhältnis, das es abzubauen gilt.

Den Medien fehlt oft noch interkulturelle Kompetenz. Dabei gibt es sie. Sie wird nur nicht genutzt. Sie wird nicht gezielt eingesetzt.

Meine Damen und Herren! Eine gute Nachricht ist, Menschen mit Migrationshintergrund nutzen zunehmend deutschsprachige Medien. Der stärkste Zuwachs wurde dabei übrigens für das Internet verzeichnet. Gerade junge Menschen mit Migrationshintergrund bevorzugen deutsche Medien. Das ist eine gute Nachricht. Die Privatsender sind besonders beliebt.

Aber auch eine Mehrheit der älteren Menschen mit Migrationshintergrund bevorzugt deutschsprachige Medien. Deshalb müssen wir nach Wegen suchen, um auch den MDR für Menschen mit Migrationshintergrund noch attraktiver zu machen.

Das Bundesverfassungsgericht hat vor drei Monaten die Sicherung der Vielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk angemahnt. Ich bin darauf eingegangen. Wir nehmen die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Neuverhandlung der Rundfunkstaatsverträge zum Anlass, endlich auch die Belange von Menschen mit Migrationshintergrund in den Medien in den Blick zu nehmen. Wir wollen

die interkulturelle mediale Integration von Menschen, das heißt, wir wollen gleiche Chancen auf Teilhabe in der Aufnahmegesellschaft und in ihren Einrichtungen.

Wir wollen, dass bei der Medienproduktion, den Medieninhalten und der Mediennutzung - diesen Dreiklang will ich betonen - der Einwanderungsgesellschaft Deutschlands Rechnung getragen wird. Dazu, meine Damen und Herren, kann sich der Landtag heute mit unserem Antrag bekennen.

Wir schlagen konkret vor, im MDR eine Integrationsoffensive anzustrengen. Wir schlagen vor, einen Integrationsbeauftragten oder eine Integrationsbeauftragte im Unternehmen einzusetzen, wie es zum Beispiel der WDR vor einigen Jahren getan hat.

Wir wollen, dass der MDR das Thema Interkulturalität strukturell bei sich im Hause verankert. Das Thema darf nicht dem Zufall oder dem Tagesgeschäft überlassen werden. Es muss systematisch als Querschnittsaufgabe verstanden und konsequent umgesetzt werden.

Das Thema Integration ist auch im Rundfunkstaatsvertrag bisher noch eine klaffende Lücke. Weder findet sich darin die Aufgabe, Belange von Menschen mit Migrationshintergrund besonders zu berücksichtigen, noch sollen Menschen mit diesem Hintergrund in den Aufsichtsgremien eingesetzt werden.

Auch das ist ein wichtiger Punkt. Deswegen steht in unserem Antrag: Wir wollen, dass auch im MDRRundfunkrat Menschen mit Migrationshintergrund zukünftig zwingend berücksichtigt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion und ich finden, es geht mit dieser Nichtberücksichtigung von Menschen mit Migrationshintergrund nicht so weiter. In einem Land, in dem jeder Fünfte Migrationshintergrund hat, geht das nicht. Wir wollen das ändern. Deswegen muss die Landesregierung hier zügig handeln und muss Änderungen anstoßen.

Mit Blick auf die leider steigende Zahl rassistischer Übergriffe auf Menschen mit Migrationshintergrund ist es auch dringend notwendig, dass wir das in unserem Land anstoßen. Wir können in unserem Land nicht so weitermachen. Wir wollen und müssen zeigen, dass wir ein weltoffenes Land sind. Noch mehr: Wir müssen diese Offenheit tatsächlich leben, auch in den Medien. Nur dann sind wir glaubwürdig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sehen fern, sie hören Radio, sie lesen Zeitung und sie nutzen Online-Medien. Sie sind eine ernstzunehmende Zielgruppe für die Medien und - ganz wichtig - sie zah

len wie wir alle auch Gebühren. Es ist also nur gerecht, sie auch an der Gestaltung der Medien teilhaben zu lassen. Es ist nur gerecht, sie nicht zum Faktor „no news are good news“ zu degradieren. Es ist gerecht, sie medial nach dem Prinzip Einheit in der Vielfalt einzugliedern.

Sie sehen, meine Damen und Herren, es geht hierbei schlichtweg nicht nur um eine Frage des guten Willens. Es geht um eine Frage der Gerechtigkeit. - Vielen Dank.