Protocol of the Session on February 28, 2014

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ein Blick in die Antwort auf meine Kleine Anfrage zur Abschiebehaft in Dublin-II-Fällen aus dem Jahr 2012, aber auch in die Antworten auf die Kleinen Anfragen meiner Kollegin Henriette Quade zu dem Thema offenbaren, dass auch Menschen in Haft genommen wurden, die nur in andere EU-Länder wie Frankreich, Italien oder Schweden überstellt werden sollten. Die Notwendigkeit, gerade zur Überstellung in diese Länder Abschiebehaft anzuordnen, ist besonders widersinnig. Trotzdem wird es in Sachsen-Anhalt gemacht.

Dass es auch anders geht, meine Damen und Herren, zeigt die Praxis in anderen Bundesländern. Mehrere Bundesländer haben ihre Behörden angewiesen, die Abschiebehaft möglichst zu ver

meiden, da es eben auch andere Lösungen gibt. Frau Quade ist darauf eingegangen.

Der aktuellen Anfrage von Frau Quade zur Abschiebehaft im Land kann entnommen werden, dass bei Schwangeren, bei Familien mit minderjährigen Kindern, bei Minderjährigen und bei traumatisierten Flüchtlingen auf die Abschiebehaft verzichtet wird. Das ist sicherlich der richtige Weg. Aber das zeigt eben auch, dass wir mit solchen Sonderregelungen konsequent im Land weiterarbeiten können, dass wir die Abschiebehaft für immer weitere Gruppen im Land ausschließen bzw. überflüssig machen sollten und letztlich zu einer Abschaffung der Abschiebehaft kommen sollten.

Diese würde dann in den Bereich des Bundesrechts fallen. In der Tat müsste man das Ganze dann über eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen. Zumindest die Bundesländer SchleswigHolstein und Rheinland-Pfalz wollen genau dieses Ziel im Bundesrat verfolgen. Ich wünsche mir sehr, dass wir uns vonseiten des Landes konstruktiv an dieser Debatte im Bundesrat beteiligen und an der Bildung einer Mehrheit zur Erreichung dieses Ziels mitwirken.

Sie, Herr Minister, haben auf meinen Zwischenruf hin, den Sie in der Richtung interpretiert haben - das habe ich gar nicht so gesagt -, na ja, dann müssten wir ja alle hereinlassen, verlauten lassen, das würde die Glaubwürdigkeit des Asylrechts komplett infrage stellen. Die Antwort darauf, Herr Minister, ist ein ganz klares Nein. Nicht das würde die Glaubwürdigkeit des Asylrechts infrage stellen, sondern das deutsche Asylrecht stellt sich jeden Tag selbst infrage.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Es stellt sich selbst infrage in all den vielen Fällen, in Gemeinschaftsunterkünften, bei den Menschen, die dort seit Jahren Kettenduldungen von bis zu 18 Jahren ertragen, auch in Sachsen-Anhalt, weil sozusagen das Asylsystem in Deutschland sie nicht zurückschicken kann, weil es irgendwie zu gefährlich wäre. Aber gleichzeitig können sie ihren Flüchtlingsanspruch nicht nachweisen. Das zeigt uns doch, dass wir uns in diesem Fall zumindest in einer Grauzone bewegen. In einer Grauzone sind solche einfachen Wahrheiten dann eben nicht möglich.

Meine Damen und Herren! Mit diesen Fragestellungen und mit diesen vielen Grauzonen im Asylrecht, mit den wenigen Verlässlichkeiten und mit den Unzulänglichkeiten, einen Flüchtlingsanspruch nach der Genfer Flüchtlingskonvention nachweisen zu können, beschäftigen sich viele Studien, viele Wissenschaftler und auch immer wieder Journalistinnen und Journalisten mit teilweise qualitativ ausgesprochen hochwertigen Beiträgen und

Reportagen. Das heißt, eigentlich ist die Problematik selbst für Menschen, die nicht ständig Flüchtlinge oder Geduldete besuchen, sehr offenkundig und gut aufgearbeitet.

Ich möchte mit einer Leseempfehlung schließen. Viele von Ihnen haben elektronische Endgeräte vor sich liegen oder können es zu Hause lesen. Es gibt derzeit auf der Internetseite „Zeit.de“ der Wochenzeitung „Die Zeit“ eine hervorragende multimediale Reportage unter der Überschrift „Willkommen in Deutschland“, die dieses Thema sehr gut aufarbeitet.

Ich möchte Ihnen, wenn Sie, Herr Präsident, mir noch 20 Sekunden Zeit geben, noch kurz ein Zitat daraus vorlesen, um diese Widersprüche noch einmal aufzuzeigen. Es geht unter anderem um eine Person; sie heißt Ghayeb. Ich darf zitieren:

„Am 10. Februar erreicht uns die Nachricht, dass Ghayeb in Brandenburg einen Suizidversuch unternommen hat. Er hat überlebt. Alles Schreiben wird umgehend sinnlos. Was Ghayeb und all die anderen brauchen, ist keine weitere Geschichte über ihre Verzweiflung wie diese,“

- damit meinen sie ihren eigenen Bericht -

„sondern ein Asylrecht, das mindestens die Möglichkeit impliziert, dass ein Flüchtling wirklich jemand sein könnte, der vor etwas geflohen ist.“

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

„Was Ghayeb und all die anderen brauchen, ist eine Antwort, ob wir es mit unserem Versprechen auf Schutz vor Verfolgung ernst meinen oder ob wir Mitleid nur mit den Bildern von leidenden Menschen im Krieg in der Ferne haben, aber nicht mit den realen Menschen hier in den Heimen an unserer Peripherie.“

Vielen Dank, Meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Danke sehr, Herr Herbst. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Kolze.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE passt in die von Ihnen betriebene Asyl- und Flüchtlingspolitik. Jeder, der aus welchen Gründen auch immer nach Deutschland kommen will, und seien es auch nur wirtschaftliche Gründe, der soll hier bleiben und leben dürfen.

(Herr Striegel, GRÜNE: Wo ist das Problem?)

Wenn er es nicht will, dann muss er sich auch nicht integrieren, Herr Kollege Striegel. Jedermann soll einen Zugang zu den Leistungssystemen unseres Landes erhalten. Niemand darf mehr abgeschoben werden. Daher brauchen wir auch keine Abschiebehaft.

(Herr Krause, Zerbst, CDU: Bravo!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, das ist Ihre Alternative zu der bestehenden Asyl- und Flüchtlingspolitik. Darin reiht sich auch der uns vorliegende Antrag stringent ein. Es versteht sich von selbst, dass wir dazu diametral anderer Auffassung sind. Daher stehen wir Ihrem Antrag auch ablehnend gegenüber.

Es gibt in Deutschland ein verbindliches Aufenthaltsrecht und eine gesetzliche Ausreisepflicht. Abschiebungen und Abschiebehaft sind notwendige Mittel zur Durchsetzung rechtmäßiger Ausweisungen. Das deutsche Recht wird hierbei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in vollem Umfang gerecht, indem Abschiebungen das allerletzte Mittel, die Ultima Ratio einer notwendigen Rückführung sind.

Tun Sie bitte nicht so, als ob die Abschiebehaft automatisch bei jedem Ausreisepflichtigen angeordnet würde. Sie droht nur in den Fällen, in denen sich der Betroffene nicht an die Auflagen der Behörde hält, untertauchen will oder sich einer freiwilligen Ausreise entzieht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die gesetzliche Grundlage zur Anordnung der Abschiebehaft, die Sie abschaffen wollen, setzt im Übrigen auch die Anordnung durch ein unabhängiges Gericht, durch richterlichen Beschluss über die freiheitsentziehende Maßnahme voraus und gewährleistet dem Betroffenen Rechtsschutz und den Rechtsbehelf der sofortigen Beschwerde.

Es gibt im Übrigen viele andere Möglichkeiten, die dazu beitragen, dass auf das Mittel der Abschiebung verzichtet werden kann. Wenn die ausreisepflichtige Person glaubhaft macht, dass sie Deutschland entweder freiwillig verlassen oder sich der Abschiebung beugen wird, dann bedarf es nicht der Anordnung der Abschiebehaft.

Die hierfür maßgeblichen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes genügen in vollem Umfang den rechtstaatlichen und meiner Meinung nach auch den humanitären Anforderungen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Verfahren im Jahr 1994 keinen Anlass gesehen, an der Verfassungsgemäßheit dieser Vorschrift zu zweifeln.

Das europäische Recht ist an dieser Stelle mit dem deutschen Recht in vollem Umfang in Einklang gebracht worden. Ich verweise hierzu auf die Rückführungsrichtlinie des Rates der Europäischen Union, in der eben auch die Abschiebehaft

als Ultima Ratio vorgesehen ist. Sie umfasst 30 Tage Zeit zur freiwilligen Ausreise, die fristlose Abschiebung und die Abschiebehaft. All das ist in der Rückführungsrichtlinie ausdrücklich geregelt. Gegen diese gedenken Sie zukünftig zu verstoßen.

Eines steht auch fest: Viele andere Länder in der Europäischen Union haben im Hinblick auf die EURückführungsrichtlinie einen weitaus größeren Nachbesserungsbedarf als Deutschland.

Sehr geehrte Damen und Herren! Kommen wir nun zu den Haftbedingungen. Die Abschiebehaft hat keinen Strafcharakter. Sie dient allein der Sicherung des Verfahrens, wenn kein milderes Mittel Erfolg verspricht. Die Abschiebehaft muss selbstverständlich ordnungsgemäß und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durchgeführt werden.

Artikel 16 der Rückführungsrichtlinie wurde rechtskonform dahingehend umgesetzt, dass die Abschiebehaft in den Ländern, die nicht über entsprechende Abschiebehafteinrichtungen verfügen, in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden kann. In diesem Fall sind die Abschiebegefangenen getrennt von den Strafgefangenen unterzubringen.

Da in Sachsen-Anhalt keine speziellen Abschiebehafteinrichtungen vorhanden sind, wird hier die Abschiebehaft im Einklang mit diesen rechtlichen Vorgaben in Justizvollzugsanstalten vollzogen, wobei die Abschiebehäftlinge dort räumlich getrennt von sonstigen Häftlingen untergebracht sind.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die von der Fraktion DIE LINKE geforderte Abschaffung der Abschiebehaft ist weltfremd. Wollen Sie wirklich ohnmächtig mit ansehen, dass Ausländer nach illegaler Einreise - das, meine Damen und Herren, ist im Übrigen eine Straftat nach § 95 des Aufenthaltsgesetzes - untertauchen und sich auf unabsehbare Zeit illegal in Deutschland aufhalten? Es gibt auch Fälle, in denen die zwangsweise Abschiebung der Anordnung der Abschiebung bedarf. Davor sollte man bitte nicht die Augen verschließen.

Abschließend bitte ich Sie um Zustimmung zu der Überweisung des Antrages in den Innenausschuss zur weiteren Beratung. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Danke, Herr Kolze. - Frau Quade, Sie können erwidern.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine kurze Erwiderung wird es tatsächlich. - Mit Blick

auf die Debatte, die wir jetzt erlebt haben, und mit Blick auf das, was wir vom Innenminister und von der CDU-Fraktion gehört haben, bleibt mir zu konstatieren: Na ja, wenn man nicht will, dann will man eben nicht - und wenn es nur um das Verstehen geht.

(Zuruf von Herrn Kolze, CDU)

Ich habe ausdrücklich gesagt: Selbstverständlich haben wir einen Dissens bezüglich der Abschiebungspolitik und der politischen Entscheidungen, die zur Asylpolitik und zu den asylgesetzlichen Gegebenheiten geführt haben. Das ist kein Geheimnis und auch kein Problem und ich streite mich immer sehr gern mit Ihnen darüber.

(Herr Kolze, CDU: Das wissen wir!)

Mit Blick auf den vorliegenden Antrag ist das aber schlichtweg unzutreffend. Wir haben uns hierbei insbesondere auf das Instrument der Abschiebungshaft konzentriert,

(Zustimmung bei der LINKEN)

aber nicht mit dem Ziel, die Abschiebungshaft zu verhindern. Insofern ärgert mich diese Debatte und ärgert mich diese Luschigkeit, mit der Sie auf die Anträge blicken und sich nicht die Mühe machen,

(Beifall bei der LINKEN)

hier tatsächlich zu einer konsistenten Argumentation bezüglich des vorliegenden Antrages zu kommen. Aber gut, daran muss man sich vielleicht gewöhnen.