Wenn wir auf die konsequente und damit notfalls auch zwangsweise Umsetzung dieser Verpflichtung verzichteten, würde dies die Glaubwürdigkeit der Asyl- und Zuwanderungspolitik insgesamt infrage stellen.
Wir haben, Herr Herbst, wenn das Ihr Zwischenruf war, im Grundgesetz das Asylverfahren geregelt und auch, dass ein Asylgrund vorliegen muss. Wenn dieser nicht vorliegt, ist ein Asylantrag abschlägig zu bescheiden. Wenn Sie Ihren Gedanken konsequent weiter verfolgen, müssen Sie das Grundgesetz ändern und sagen: Jeder, der hierher kommt und einen Asylgrund vorträgt, hat unwiderlegbar recht und kann hierbleiben. - Dann wird es konsequent.
Denn wozu wollten wir überhaupt noch Asylverfahren durchführen, wenn ablehnende Entscheidungen der Behörden letztlich folgenlos blieben? Wür
de sich dann bei den vielen Millionen Menschen, die leider weltweit von Elend, Flucht und Vertreibung betroffen sind, herumsprechen, dass, wer auch immer Deutschland erreicht, letztlich bleiben kann, dann würden wir einen Zustrom erzeugen, der schlicht nicht mehr zu bewältigen wäre. Auch deshalb sind Abschiebungen und Abschiebungshaft als Ultima Ratio notwendige Mittel, um - wir reden dann über illegale Migration - illegale Migration zu unterbinden und keine falschen Hoffnungen zu schüren.
Dass das Instrument der Abschiebungshaft als freiheitsentziehende Maßnahme daher nur als Ultima Ratio Anwendung findet, ist vor dem Hintergrund des im Grundgesetz verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit, Frau Quade, die im Übrigen auch in § 62 des Aufenthaltsgesetzes ihren Niederschlag gefunden hat. Danach kann eben nur ein vollziehbar Ausreisepflichtiger, der sich seiner Abschiebung entzieht, durch richterlichen Beschluss in Abschiebungshaft genommen werden. Absoluten Vorrang hat also stets die freiwillige Ausreise.
Ausreisepflichtigen Ausländern stehen in Deutschland zahlreiche Programme und Maßnahmen zur Verfügung, die sie bei einer freiwilligen Rückkehr unterstützen. Die Ausländerbehörden sind gehalten, Ausreisepflichtige über die Möglichkeiten zur Unterstützung einer freiwilligen Rückkehr eingehend zu informieren. Machen die Betroffenen glaubhaft, dass sie freiwillig ausreisen wollen, werden sie in aller Regel nicht in Abschiebehaft genommen.
Der überwiegende Teil der Personen, die keinen Aufenthaltstitel erhalten bzw. deren Aufenthaltstitel erloschen ist, verlässt im Übrigen Deutschland freiwillig. Aber man muss eben auch zur Kenntnis geben, dass es Ausreisepflichtige gibt, die auch bei bester Beratung und Unterstützung nicht bereit sind, freiwillig auszureisen, sondern über Jahre zahlreiche Möglichkeiten der freiwilligen Ausreise ungenutzt lassen und sich vielleicht sogar der Ausreise durch Untertauchen - ein Begriff, der auch von Ihnen vorhin genannt wurde - zu entziehen versuchen. In solchen Fällen muss der Staat durch die Anordnung von Abschiebungshaft sicherstellen können, dass die Aufenthaltsbeendigung nicht am Untertauchen der Betroffenen scheitert.
Beantragung und Anordnung von Abschiebungshaft gehören mit Sicherheit - da gebe ich Ihnen Recht - zu den sensibelsten und schwierigsten Entscheidungen, die Ausländerbehörden und Gerichte im Bereich des Ausländerrechts zu treffen haben. Denn Abschiebungshaft ist unbestritten mit erheblichen Eingriffen in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte der betroffenen Ausländer und des
Der Gesetzgeber hat die Abschiebungshaft daher nicht nur völlig zu Recht von strengen materiellen Voraussetzungen abhängig gemacht, sondern diese auch dem Richtervorbehalt, der richterlichen Entscheidung, unterstellt. Durch diesen Richtervorbehalt ist in jedem Einzelfall gewährleistet, dass das Vorliegen der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Abschiebungshaft von einer unabhängigen Instanz geprüft wird. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994 festgestellt, dass diese Regeln verfassungsgemäß sind.
Auch ihr Vorwurf, die Regelungen der sogenannten Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union seien in Deutschland unzureichend umgesetzt, ist zurückzuweisen. Denn die für die Umsetzung erforderlichen Anpassungen des Aufenthaltsrechts sind mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an die EU entsprechend dem Visakodex, der bereits im November 2011 in Kraft getreten ist, erfolgt.
Meine Damen und Herren! Deshalb halten wir nach wie vor als Ultima Ratio die Abschiebungshaft für zwingend erforderlich.
In Sachsen-Anhalt betrug die Abschiebungshaft im Jahr 2012 nur noch 24,3 Tage. Sie wird eben nur sehr selten angeordnet. Im letzten Jahr waren es 63 Fälle. Es gab, einschließlich der Dublin-Fälle, auch 337 Abschiebungen. In den weitaus meisten Fällen erfolgte die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht; sie erfolgte also nicht aus der Abschiebungshaft.
Ich gebe zu bedenken, dass es auch die Ausweisung von ausländischen Straftätern gibt, wenn die Abschiebung nicht unmittelbar aus der Strafhaft heraus erfolgen kann. Wir müssen auch die Chance haben, straffällig gewordene Ausländerinnen und Ausländer über die Abschiebungshaft abschieben zu können. Deshalb halten wir nach wie vor dieses Instrument, wenn auch als Ultima Ratio, für unabdingbar erforderlich.
Danke, Herr Minister. - Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Schindler.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der LINKEN befasst sich einerseits wieder breit gefächert mit der Frage des Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland in
der Folge eines Asylantrages bzw. eines Antrages auf Aufenthalt sowie mit den Auswirkungen, wenn dieser Aufenthalt nicht gerechtfertigt ist.
Andererseits enthält er viele Feststellungen, auf die ich meinem Redebeitrag eingehen möchte. Das Recht auf Asyl ist für mich als Sozialdemokratin und für uns als Sozialdemokraten von ganz besonderer Bedeutung. Wir sind froh und stolz, dass wir in der Geschichte selbst als Deutsche darauf vertrauen konnten, dass Flüchtlinge aus Deutschland in anderen Ländern Zuflucht vor Verfolgung finden und ihr Leben retten konnten - nicht nur zu Zeiten des Nationalsozialismus, sondern auch zu Zeiten des DDR-Regimes. Ich bin froh, dass dies seit vielen Jahren in Deutschland möglich ist und wir auch vielen Hunderttausend Asylbewerbern in Deutschland Platz und Aufenthalt gegeben haben.
Dennoch bleibt der normative Rahmen zu beachten: Ausländer, die kein explizites Aufenthaltsrecht haben, die zumindest juristisch gesehen nicht von Verfolgung in ihren Heimatländern betroffen sind, müssen die Bundesrepublik verlassen.
Frau Quade, Sie sind auf § 62 - Abschiebungshaft - des Aufenthaltsgesetzes eingegangen. Sie haben aber mit den Absätzen 2 und 3 begonnen. Vor diesen Absätzen steht der Absatz 1. Ich möchte ausdrücklich aus dem Absatz 1 zitieren. Darin heißt es erst einmal grundsätzlich: „Die Abschiebungshaft ist unzulässig.“
Zuerst werden die Tatbestände normiert, warum eine Abschiebungshaft unzulässig ist. Anschließend wird definiert, in welchem Fall sie zulässig ist. Sie ist zulässig, wenn der Zweck der Haft durch kein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann. Sie haben das eingefordert. Wie gesagt, das ist ein Tatbestandsmerkmal in dem Gesetz. Die Inhaftnahme ist auf die kürzeste mögliche Dauer zu beschränken.
In dem Gesetz steht auch: Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen in Abschiebungshaft genommen werden. - Sie haben es soeben so dargestellt, als wäre das der Regelfall.
Natürlich ist jede Entscheidung über eine Abschiebungshaft eine Einzelfallentscheidung, die der Beantragung durch die Ausländerbehörde bedarf und - dies ist in dem Gesetz eindeutig geregelt - durch richterliche Anordnung getroffen wird. Ich glaube kaum, dass ein Richter auf eine blanke Vermutung hin eine Entscheidung trifft. Das muss entsprechend begründet sein.
Unabhängig davon bleibt die Abschiebungshaft ein Eingriff in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte. Die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte sind ein hohes Gut. Die richterliche Überprüfung und der entsprechende Antrag dazu müssen diesen hohen Anforderungen gerecht werden.
Wenn Sie sagen, dass jemand, der gegen eine Ausreisepflicht verstößt, kein Straftäter ist und deshalb nicht in Haft sein darf, dann haben sie Recht damit, dass das keine Straftat ist. Aber es gibt im deutschen Recht durchaus auch Tatbestände, aufgrund deren Menschen in Haft kommen, ohne dass sie Straftäter sind.
- Auch Schulverweigerer, ja. Das wollte ich jetzt nicht nennen. Das ist von Ihnen gekommen. - Aber das Instrument der Beugehaft ist durchaus auch ein Instrument unseres Rechtsstaates.
Zu der konkreten Situation in Sachsen-Anhalt. Sie sind darauf eingegangen; der Minister hat es wiederholt: Wir haben relativ wenige Fälle in SachsenAnhalt. Natürlich muss jeder Fall überprüft werden. Deshalb ist es bei uns in Sachsen-Anhalt so schwer, das Instrument einer gesonderten Abschiebungshaft umzusetzen.
Es gibt derzeit keine gesonderte Abschiebungshafteinrichtung. Gegenwärtig sind die Abschiebehäftlinge - Sie haben es gesagt - in Volkstedt und in Halle untergebracht. Wir können nach anderen Lösungen suchen. Sie müssen gesucht werden. Zu welcher Lösung wir kommen, auch im Zusammenhang mit unserer Reform der Justizvollzugsanstalten, ist diskussionswürdig. Wie wir in der Zukunft eben dieses besser gestalten können, darüber müssen und werden wir reden. Einzelfälle sollen entsprechend kritisch diskutiert werden.
Deshalb lassen Sie uns dieses Thema im Innenausschuss weiter vertiefen. Ich bitte im Namen der Koalitionsfraktionen um die Überweisung des Antrages in den Innenausschuss.
Danke sehr, Frau Schindler. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Abschiebungshaft - das wurde heute schon gesagt - offenbart eben einen ganz grundsätzlichen Missstand: Abschiebehäftlinge sind keine Straftäter, genauso wenig wie die Schulverweige
rer. Deshalb sind Schulverweigerer, obwohl sie in einen speziellen Arrest kommen, genauso ungeeignet, weggesperrt zu werden - wenn auch nur für eine bestimmte Zeit.
Meine Damen und Herren! Beide Gruppen haben gemeinsam: Ihnen wird keine kriminelle Handlung vorgeworfen. Es sind Flüchtlinge, die ihre Heimat verlassen haben, weil sie eine bessere Zukunft suchten, die vertrieben wurden oder verfolgt werden. Flucht, meine Damen und Herren, ist kein Verbrechen. Und da die Betroffenen nicht für eine Straftat verurteilt sind, dürfen sie auch nicht im Knast landen.
Herr Kolze, Sie haben hier während der Ausführungen von Frau Quade leise den Satz gesagt - vielleicht haben es viele nicht gehört -: Wer in Abschiebehaft sitzt, der ist eben kein Flüchtling. - Genau das, Herr Kolze, glaube ich eben nicht. Ich glaube, so einfach können wir es uns nicht machen.
Wir können leider nicht darauf vertrauen, dass diese einfache Separierungsmöglichkeit in Deutschland wirklich da ist. Das zeigen viele, viele Fälle, wenn man sie einmal genauer untersucht.
Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich die absurde Situation eines verfolgten Flüchtlings vor, dem in Deutschland nicht geglaubt wird oder der in Deutschland seinen Flüchtlingsanspruch nicht nachweisen kann, dem in der Heimat das Gefängnis droht und der dann dafür hier in Deutschland letztendlich ebenfalls im Gefängnis, in Abschiebungshaft landet. Das, meine Damen und Herrn, ist das Gegenteil von dem, was wir ursprünglich mit dem Asylrecht in Deutschland schaffen wollten.