Protocol of the Session on February 27, 2014

Deswegen ist es für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, warum dieses Urteil so zustande gekommen ist. Ich bin froh darüber, dass es zumindest nicht einstimmig, sondern mit knapper Mehrheit zustande gekommen ist. Das ändert zwar am Ergebnis nichts, aber es zeigt, dass es eine Diskussion beim Bundesverfassungsgericht dazu gegeben hat.

(Zustimmung bei der SPD)

Wie gesagt, dem Weg des EP, sich mehr Rechte und Zuständigkeiten zu erkämpfen, ist damit ein Bärendienst erwiesen worden. Denn wir brauchen das EP - damit komme ich wieder auf das Thema zurück -, um die Sozialunion umzusetzen und zu begleiten. Die Kommission ist von Natur aus immer eher wirtschaftsliberal. Das Europäische Parlament ist ein soziales und ein umweltpolitisches Korrektiv. Wenn dieses geschwächt ist, dann wird es auch schwieriger, diese Ziele umzusetzen, für die wir uns alle gemeinsam einsetzen.

Ich bedanke mich für die konstruktiven Diskussionen, die wir im Ausschuss geführt haben, und bitte um Zustimmung zu der Beschlussempfehlung.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Herr Kollege Tögel. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir GRÜNE sehen die Notwendigkeit der Stärkung der sozialen Dimension Europas; das ist ganz klar. Europa ist mehr als nur ein gemeinsamer Wirtschaftsraum. Europa muss mehr sein als ein reicher Kontinent, der sich nach außen hin abschottet und nur diejenigen am Wohlstand teilhaben lässt, die das Glück haben, hier geboren zu sein, oder die es geschafft haben, hier zu bleiben. Natürlich muss diese Solidarität ganz besonders auch nach innen, also innerhalb Europas gelten.

Die Europäische Union ist auch eine Werteunion. Die Werte, auf denen sie gründet, zeichnen sich durch Gerechtigkeit und durch Solidarität aus. Aber das sind keine exklusiven Werte oder es dürfen keine exklusiven Werte sein, die nur für den exklusiven Club der Mitgliedstaaten gelten.

Wenn ich das heute sage, dann dürfen wir in diesen Tagen nicht ausblenden, was östlich von uns, nicht weit entfernt, in der Ukraine passiert, wo Menschen zu Zehntausenden seit Monaten demonstrieren und unter schweren Opfern buchstäblich dafür kämpfen, dass diese Werte von Gerechtigkeit und Solidarität auch für sie und ihr Land gelten mögen.

Man beachte den Mut und die Beharrlichkeit, meine Damen und Herren, mit der Menschen für eine Annäherung an Europa streiten. Vielleicht gibt uns der Blick dorthin auch noch einmal einen Gedanken an die Bedeutung dieser Grundwerte, über die wir oft sprechen, aber über deren wahren Wert wir vielleicht nicht immer ausreichend nachdenken.

Meine Damen und Herren! Wenn wir heute von einer europäischen Sozialunion sprechen, dann müssen wir konstatieren: Es gibt sie noch nicht. Aber es wird deutlich, dass es die Aufgabe Europas ist, soziale Ausgrenzung zu bekämpfen - auch das muss eine Lehre aus der Krise sein -, sozialen Schutz zu bieten und soziale Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt sowie die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten aktiv zu fördern. Nur damit kann ein Grundvertrauen in die Europäische Union und deren Institutionen geschaffen - oder besser gesagt: zurückgeholt - werden.

Wenn Menschen nicht ihrer Chancen beraubt werden, dann können sie auch den dafür notwendigen finanziellen Aspekt der europäischen Solidarität, die uns alle belastet und noch belasten wird, akzeptieren.

Auch das Land Sachsen-Anhalt hat bis zum Jahr 2007 als so genanntes Ziel-I-Gebiet und heutige Förderregion der Konvergenzanpassung von der europäischen Solidarität in hohem Maße profitiert, wobei der Umgang mit europäischem Geld bei der Investitions- und Beteiligungsgesellschaft des Landes Sachsen-Anhalt, wenn sich die Berichte be

wahrheiten sollten, aktuell ein sehr schlechtes Beispiel der europäischen Mittelverwendung ist. Auch das muss man dazu sagen.

Der soziale Aspekt Europas bereichert die Wirtschaftsunion um einen wesentlichen Teil der europäischen Gemeinschaft, wie wir selbst erfahren haben. Die Wirtschafts- und Finanzkreise zeigt, wie existenziell diese sozialen Ziele sind. Wir GRÜNE sagen daher: Aus der Krise hilft nicht weniger, sondern nur mehr an sozialem Europa, ein Mehr an Solidarität in Europa.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das Krisenmanagement der Bundesregierung, meine Damen und Herren, war an dieser Stelle bislang eher unsolidarisch. Einseitiges Sparen und Sozialabbau befördern Arbeitslosigkeit und Armut in einigen Teilen Europas mehr als in anderen. Das ist ganz und gar nicht solidarisch.

Insofern, meine Damen und Herren, ist es gut, dass wir uns mit diesem Antrag befasst und ihn im Ausschuss beraten haben. Es bleibt dabei, dass er an einigen Stellen etwas unkonkret ist, aber die Beschlussempfehlung ist nicht schlecht. Unter Ziffer 1 der Beschlussempfehlung werden konkrete Maßnahmen zur Erarbeitung von Programmen unter Berücksichtigung sozialer Aspekte eingefordert. Ich hoffe, dass es dazu kommt und wir letztendlich auch etwas von diesen Programmen sehen werden.

Aus unserer Sicht gilt, meine Damen und Herren: Es fehlt bislang im EU-Recht eine soziale Fortschrittsklausel. Denn dann wäre es nicht mehr möglich, dass zum Beispiel der Europäische Gerichtshof - wie in der Vergangenheit - im Namen der Freizügigkeit das nationale Streikrecht oder beispielsweise Tarifverträge einschränkt.

Die Grundfreiheiten des Binnenmarktes dürfen nicht länger so ausgelegt werden, dass soziale Recht unterwandert werden. Soziale und arbeitsrechtliche Standards in der öffentlichen Daseinsvorsorge haben aus unserer Sicht Priorität gegenüber dem europäischen Wettbewerbsrecht. Wir brauchen eine Jugendgarantie in Europa, um der hohen Jugendarbeitslosigkeit entgegenzuwirken.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich sage es noch einmal: Wir brauchen auch besser ausgestattete Sozialfonds für die Mitgliedstaaten, damit wir beispielsweise mehr Mittel für die Jugendgarantie, aber auch mehr Mittel für gerechte Bildung und zur Förderung der Chancen besonders junger Menschen zur Verfügung stellen können.

Ich sage ganz ehrlich: Chancen auf Ausbildung, Chancen auf Arbeit - nicht nur in Deutschland, sondern in allen Teilen Europas, auch in den Län

dern, die wesentlich stärker von der Krise betroffen waren als wir.

Im Ausschuss haben wir über die Chancen gesprochen, die sich für unser Bundesland bieten. Ich denke dabei an die regionalen Partnerschaften in Europa. Das sollten wir stärker nutzen, gerade auch mit Spanien den Fachkräfteaustausch stärker nutzen.

Braindrain hin oder her oder Abwerben hin oder her: Ja, auch die Hürden für Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa müssen weiter sinken. Es muss für die Menschen innerhalb der EU-Mitgliedstaaten noch einfacher werden, eine Arbeit in einem anderen Land aufzunehmen und den Arbeitswechsel zu vollziehen.

(Herr Czeke, DIE LINKE: Das ist auch nicht strittig!)

Meine Damen und Herren! Unmittelbar nach der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise, die bei vielen Menschen das Vertrauen in die Union stark erschüttert hat, brauchen wir gerade jetzt eine neue Hinwendung der Bürgerinnen und Bürger zur Politik, zum „Projekt Europa“. Das schaffen wir nicht, meine Damen und Herren, wenn wir nicht die soziale Dimension Europas bzw. der Europäischen Union stärken und soziale Komponenten als Querschnittsaufgabe stärker in der EU verankern. Daran sollten wir uns als Bundesland weiterhin beteiligen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke sehr, Kollege Herbst. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Kurze.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den inhaltlichen Problemen, die mit dem Ursprungsantrag der Fraktion DIE LINKE verbunden waren, hat mein Kollege Daniel Sturm in der Debatte am 12. November 2013 bereits das Notwendige gesagt. Ich beschränke mich daher auf einige für meine Fraktion wichtige Aussagen zur Beschlussempfehlung des Europaausschusses.

Zunächst zur Überschrift. In der Beschlussempfehlung wird die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion hin zu einer europäischen Sozialunion betont. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, Europa braucht soziale Mindeststandards, und wir begrüßen im Grundsatz das Bemühen der Kommission, hierbei weitere Fortschritte zu erzielen.

Aber Fakt ist doch auch, dass die bloße Forderung nach einer Sozialunion noch keinen Wohlstand schafft. Was nützt es uns, wenn die LINKE der EU

irgendwann den Status einer Sozialunion bescheinigt, aber das allgemeine Wohlstandsniveau erheblich gesunken ist? Eine Sozialunion darf nicht als verwirklicht gelten, wenn es allen gleichermaßen schlechtgeht.

Diese Frage hat während der Diskussion im Bundesrat - Staatsminister Robra wird sich sicherlich erinnern - eine große Rolle gespielt. Ich darf an Punkt 6 des Beschlusses in der Drs. 721/13 (B) erinnern, in dem der Bundesrat feststellte - ich zitiere -:

„… eine soziale Dimension nur dann erreicht werden kann, wenn es den Mitgliedstaaten mit hoher Arbeitslosigkeit gelingt, insbesondere durch wirksame Strukturreformen zu Wachstum und Beschäftigung zurückzukehren, und es daneben in allen Mitgliedstaaten gelingt sicherzustellen, dass für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer faire Arbeits- und Entlohnungsbedingungen herrschen.“

Wir begrüßen als CDU-Fraktion ganz ausdrücklich, dass diese europäischen Krisenländer jetzt Strukturreformen durchführen. Europa muss seine globale Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Wer immer noch glaubt, es gebe keine strukturellen Ursachen dafür, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich dreimal und in Spanien sechsmal so hoch ist wie in Deutschland, nimmt die Realitäten nicht zur Kenntnis. Präsident Hollande hat völlig Recht, wenn er Frankreich - die zweitgrößte Volkswirtschaft in Europa - jetzt doch durch beherzte Strukturreformen wettbewerbsfähiger machen will.

Unsere Überzeugung bleibt: Nur das, was erwirtschaftet wurde, kann anschließend auch verteilt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun ist es nicht so, dass in Europa und in seinen Mitgliedstaaten keine Sozialpolitik betrieben würde. Ich werde aufgrund der Kürze meiner Redezeit hier nicht referieren, was in Sachen Sozialpolitik bereits Gegenstand der europäischen Verträge ist. Nur so viel: Die Römischen Verträge, ein Fundament der Europäischen Gemeinschaft, traten im Jahr 1958 in Kraft. Genauso alt ist der Europäische Sozialfonds, der ESF. Die europäische Politik ist immer sozial flankiert worden und sie wird es auch in Zukunft sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer am 17. Februar 2014 an der Dialogveranstaltung der EU-Verwaltungsbehörde im LHW teilgenommen hat, der weiß, dass wir insbesondere in der kommenden Förderperiode die soziale Dimension in den EU-Fonds stärken. Die operationellen Programme werden im Mai 2014 im Kabinett beraten. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass im OP für den

ESF klare soziale Investitionsprioritäten gesetzt werden.

Erstens. Für die nachhaltige Integration von jungen Menschen in das Erwerbsleben sind vom Sozialministerium 54,6 Millionen € veranschlagt worden. Das sind ungefähr 9 % des dem Land SachsenAnhalt zur Verfügung stehenden Gesamtvolumens der ESF-Mittel.

Zweitens. Für die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und die Arbeitsmarktintegration von am Arbeitsmarkt benachteiligten Personengruppen werden 116 Millionen € - das sind 19 % der ESFMittel - bereitgestellt.

Für die Senkung des Anteils der Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss werden 112 Millionen € - das sind 18 % des Gesamtvolumens -, für die Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit und gesellschaftlichen Teilhabe durch lebenslanges Lernen 91 Millionen € - das sind 15 % des Gesamtvolumens - und für die Verbesserung der Berufsorientierung und des Übergangs Schule/Beruf 68 Millionen € - das sind 10,5 % des Gesamtvolumens - bereitgestellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, das sind beeindruckende Zahlen. Wachstum, Beschäftigung und sozialer Zusammenhalt sind bei dieser Landesregierung in guten Händen. Das unterstreichen wir in Nr. 1 der Beschlussempfehlung. Deswegen sagen wir eines ganz klar: Im Bereich der Grundprinzipien der Sozialpolitik darf es nicht einfach ein Verschieben von Verantwortung zulasten der Mitgliedstaaten geben. Die EU unterstützt und ergänzt die Sozialpolitik der Mitgliedstaaten, aber sie ersetzt sie nicht. So steht es auch in Artikel 153 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Sozialpolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren, braucht Subsidiarität. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Kollege Kurze. - Damit ist die Debatte beendet.

(Herr Loos, DIE LINKE: Eine Wortmeldung!)

Herr Kurze, würden Sie eine Frage von Herrn Czeke beantworten? - Es sieht so aus.

Herr Czeke, lieber Kollege.