Protocol of the Session on January 31, 2014

(Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE: Ja!)

Inklusion als Grundprinzip muss also ein integraler Bestandteil der Ausbildung selbst sein, und zwar in allen ihren einzelnen wissenschaftlichen und praktischen Modulen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zweiter Punkt. Wir brauchen pädagogische, didaktische, methodische Kompetenzen. Frau Professor Faulstich-Wieland - sie hat den Lehrstuhl für Schulpädagogik in Hamburg - hat es Mitte der 90er-Jahre auf einer Fachkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ziemlich drastisch, aber sehr anschaulich beschrieben: Bei wem es zur höheren Mathematik nicht gereicht hat, der wird Lehrer. Wer nur sehr knapp vorbeigeschrammt ist, der wird Gymnasiallehrer. Mathematik in der Grundschule kann zur Not die Mutti machen.

Das ließe sich im Übrigen auf viele Fachbereiche übertragen, auch auf den, aus dem ich komme, nämlich auf den Bereich der Musik.

Das verkörpert nicht nur eine Wertehierarchie zwischen den Geschlechtern, sondern es verkörpert auch eine vermeintliche Wertehierarchie zwischen Lehrerinnen und Lehrern unterschiedlicher Schulformen und unterschiedlicher Schulstufen. Ich weiß, das ist eine sehr eingängige und immer wieder gern genommene Legende.

Das verkörpert auch eine Wertehierarchie zwischen Fachwissenschaften und Bildungswissenschaften und spiegelt auch etwas das alte preußische Lehrerbild wider, ein bisschen in ein vermeintlich modernes Image gekleidet: Ob Schülerinnen und Schüler etwas lernen wollen oder etwas lernen, hängt davon ab, ob sie zuhören und stillsitzen können. Die Verantwortung liegt also vor allen Dingen bei den Kindern.

Ich bin jetzt einmal optimistisch und sage: Ich Sachsen-Anhalt gibt es dieses Verständnis nur noch in vereinzelter Ausprägung. Trotzdem, meine Damen und Herren, brauchen wir eine Reform der Lehramtsausbildung.

Wir brauchen eine Stärkung der Didaktik im Allgemeinen und der Fachdidaktiken im Besonderen. Wir brauchen zum Beispiel - auch das steht in dem Antrag - viel mehr Promotionsforschungen auf diesem Gebiet. Sonst gibt es logischerweise auch keine Professorinnen und Professoren.

Der dritte Punkt ist ein Dauerbrenner. Dies hängt damit zusammen, was ich eben gesagt habe, nämlich mit dem Verhältnis zwischen Fachwissenschaften und Bildungswissenschaften. Spätestens an dieser Stelle stoßen wir auf zwei unterschiedliche Auffassungen des Lehrerberufs - ich habe es vorhin angedeutet -:

Einerseits gibt es die Ansicht, das Lehramtsstudium ist die zweite Wahl hinter dem Studium der Fachwissenschaften. Es reicht quasi, wenn ich eine gute Fachwissenschaftlerin bin. Ob Schülerinnen und Schüler bei mir etwas lernen, liegt vor allen Dingen an ihnen. Sie müssen nur wollen.

Mit diesem Verständnis bekommen Didaktik und Pädagogik immer ein bisschen den Status der Benachteiligtenförderung, meine Damen und Herren. Dieses Konstrukt - im Übrigen auch der Doppeldidaktiken an den Hochschulen, an der MartinLuther-Universität - ist genau genommen ein Notnagel, der hier und da schöngeredet wird.

(Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE: Kürzungs- konsequenz!)

- Eine Kürzungskonsequenz, danke schön.

Die andere Seite wiederum geht davon aus: Die Bildungswissenschaften sind das Kerngeschäft von Pädagogen, wobei auch immer - um da keine Missverständnisse und Legenden aufkommen zu lassen - die Fachwissenschaften zu diesem Werkzeugkasten gehören.

Ich finde in der Ausbildung selbst die Anbindung an die fachwissenschaftlichen Institute sehr wichtig, einfach um als Lehrerin oder Lehrer den Stand der Forschung, der fachwissenschaftlichen Diskurse nicht zu verlieren. Aber das Herangehen ist bei diesem zweiten Lehrerbild eben ein anderes. Lehrerinnen und Lehrer sind nicht Fachwis

senschaftler zweiten Grades. Es ist ein anderer Beruf.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir sprechen uns dafür aus, dass wir deutlich mehr fachwissenschaftliche Module brauchen, die sich auf die Ausbildung künftiger Lehrerinnen und Lehrer und damit auch auf deren Perspektive beziehen und konzentrieren. Wir finden, die pädagogische Ausrichtung des Lehramtsstudiums muss gestärkt werden. Das hat etwas mit der Auswahl von Inhalten, beispielsweise bei den Fachwissenschaften, zu tun. Das hat mit der Herangehensweise und vielem anderen zu tun.

Der vierte und vorletzte Punkt ist die Frage: Wie gelingt es, künftig bei Lehrerinnen und Lehrern ausreichend Medienkompetenz zu entwickeln? - Stichwort Medienpädagogik. Ich vermute einmal, wir sind uns in der Erkenntnis einig: In einer Mediengesellschaft sollten Lehrerinnen und Lehrer wissen, wovon sie reden, wenn es um neue Medien, wenn es um mediale soziale Netzwerke geht. Sie sollten einen Sensus dafür haben, was mit neuen Medien passiert, wie sich Lernprozesse verändern, natürlich auch welche neuen Möglichkeiten es für Lernprozesse gibt und wie sich das soziale Miteinander verändert. Ich denke, diesbezüglich gibt es einen großen Nachholbedarf.

Der fünfte und letzte Punkt ist der Übergang zur stufenbezogenen Lehrerausbildung. Ich habe in meiner Fraktion gesagt: Hier verlässt unser Antrag den reformistischen Charakter und geht zum revolutionären Charakter über. Diese Auffassung wird jetzt hier niemanden überraschen.

(Herr Borgwardt, CDU: Das stimmt!)

Das ist die Konsequenz aus der Forderung des längeren gemeinsamen Lernens, meine Damen und Herren, respektive der Abschaffung des Sortierens von Schülerinnen und Schülern. Wir brauchen dann keine schulformbezogene Lehramtsausbildung mehr.

(Zustimmung bei der LINKEN - Herr Borg- wardt, CDU: Was?)

Es ist in der Tat ein Unterschied, ob ich mit sechs-, sieben- oder acht- bis zehnjährigen Schülerinnen und Schülern arbeite oder ob ich das mit elf- oder achtzehnjährigen tue. Ich halte die unterschiedliche Ausbildung in Schulstufen für notwendig und auch für effektiv. Aber einen Unterschied zwischen einer Pädagogik der vermeintlich leistungsstarken Schülerinnen und Schüler und einer Pädagogik der vermeintlich - Ausrufezeichen! - weniger leistungsstarken Schülerinnen und Schüler zu machen führt genau zu jener Wertehierarchie, die ich eingangs geschildert und kritisiert habe, nämlich zwischen den Schulformen, insbesondere bei den weiterführenden Schulen, aber auch bei den Lehramtsberufsbildern unterschiedlicher Schulstufen.

Der Kern der Kritik ist: Ein solches Verständnis, wenn man es genau nimmt, meine Damen und Herren, steht einer wirklich inklusiven Bildung diametral entgegen, wenn man es ernst meint.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Eines unserer langfristigen Ziele bleibt, statt einer schulformbezogenen Ausbildung eine schulstufenbezogene Ausbildung zu installieren: auf der einen Seite Grundschullehrerinnen und -lehrer und auf der anderen Seite Lehrerinnen und Lehrer an weiterführenden Schulen. Das hat den angenehmen Nebeneffekt - ich betone: Nebeneffekt -, dass es in den einzelnen Tätigkeitsfeldern mehr Flexibilität gibt.

Es gibt bereits ganz vorsichtige Bewegungen in den Zielvereinbarungen: Kooperationsformen werden eingeräumt und sollen genutzt werden. Es soll eine teilweise schulformübergreifende Flexibilisierung des Grundstudiums geben, also der ersten Phase für Lehrämter an Sekundarschulen und an Gymnasien. Ich finde, das Schrittmaß kann hier ruhig größer werden. Ich würde sogar sagen: Selbst das Bekenntnis zu diesem neuen Ziel wäre schon ein Schritt.

Alles in allem, meine Damen und Herren: Es gibt weitere Eckpunkte, die man diskutieren muss. Wir haben den Stein der Weisen dazu nicht gefunden. Es erfordert einen Umbau bei laufendem Betrieb; darüber sind wir uns im Klaren.

Deshalb beantrage ich die Beratung im Ausschuss, sprich: eine fundierte Debatte im Ausschuss, sprich: die Überweisung in den Ausschuss. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Bull. - Für die Landesregierung spricht Herr Minister Möllring. Bitte schön, Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was den Erwerb von Kompetenzen im Bereich Inklusion und Heterogenität betrifft, fordern die KMK-Rahmenvereinbarungen über Ausbildung und Prüfung für die einzelnen Lehrämter seit 2013, dass im Studium Qualifikationen für den Umgang mit Heterogenität und Inklusion sowie Grundlagen der Förderdiagnostik zu erwerben sind.

Bei uns in Sachsen-Anhalt wurde bereits in der Zielvereinbarung für 2011 bis 2013 festgelegt, dass solche Kompetenzen zu erwerben sind. Die vorliegenden Berichte der Universitäten zeigen, dass dies auch umgesetzt wurde.

Derzeit überarbeitet die KMK unter dem Gesichtspunkt von Heterogenität und Inklusion auch die ländergemeinsamen Fachprofile, die den Anforderungsrahmen an das Lehramtsstudium in den einzelnen Fächern beschreiben. Ob und welche weiteren Punkte sich daraus für die neuen Zielvereinbarungen in Sachsen-Anhalt ergeben, ist abzuwarten.

Die Erhöhung von Praxisrelevanz ist seit Jahren Schwerpunkt bei den zuständigen Ministerien und den beiden Universitäten. Der Umfang der Praxisanteile wurde erhöht. Die Verzahnung von Phasen für Theorie und für die praktische Anwendung des Gelernten wurde ausgebaut.

Ein weiterer Handlungsbedarf besteht aus der Sicht der Landesregierung derzeit zumindest in organisatorischer Hinsicht nicht. Demgegenüber bleibt die Qualitätsentwicklung der praxisbezogenen Studienanteile selbstverständlich eine stetige Aufgabe.

Dazu wurde gemäß der laufenden Zielvereinbarung unter Federführung des Kultusministeriums und mit den Universitäten, den staatlichen Seminaren für Lehrämter und dem Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt die Ausbildung von Mentorinnen und Mentoren neu strukturiert. Der erste so strukturierte Zertifikatskurs begann im September 2013 und dauert bis April dieses Jahres.

Mentoren sind Lehrkräfte, die an der Schule die Betreuung von Praktikanten durch die Hochschule unterstützen. Diese Unterstützung vor Ort soll dazu dienen, dass jede Schule nicht nur prinzipiell, sondern auch tatsächlich Ausbildungs- und Praktikumsschule ist.

Zurzeit konzentrieren sich die Lehramtspraktika noch auf Schulen in den Städten Magdeburg und Halle bzw. auf deren nähere Umgebung. Das hat Gründe. Ein Grund ist, dass so eine effektive Betreuung durch die Universität schlicht leichter ist.

Wir wollen aber Praktika im ganzen Land. Das bisher auf diesem Weg Erreichte ist also bestenfalls ein Zwischenergebnis. Wir müssen deshalb für die neue Zielvereinbarungsperiode die nötigen Unterstützungen mit den Universitäten erneut besprechen, beraten und festlegen.

Auch zur Promotion von Lehrkräften wurden in den Zielvereinbarungen bereits erweiterte Möglichkeiten zur Unterstützung aufgenommen. Die beiden Universitäten sind durchaus bereit, didaktische Promotionen zu betreuen. Wir haben in diesem Fall weniger ein Angebots- als ein Nachfrageproblem. Dahinter steckt natürlich auch ein gewisser Zielkonflikt.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Denn in dem Maße, in dem sich Lehrkräfte eben einer wissenschaftlichen Qualifizierung unterzie

hen und dafür freigestellt werden, stehen sie der Schule nicht mehr als Lehrkräfte zur Verfügung.

Gleichwohl werden wir uns weiter darum bemühen müssen, Lehrern und Lehrerinnen mit Forschungsambitionen eine realistische Perspektive zu bieten. Man kann ja nicht sozusagen egoistisch sagen: Je besser der, der den Unterricht macht, qualifiziert ist, umso mehr binden wir ihn an den Unterricht. Es muss natürlich auch eine wissenschaftliche Perspektive für Lehramtsstudenten und Studierende eröffnet werden.

Was die Studierbarkeit von Lehramtsstudiengängen betrifft, ist zu sagen, auch den Universitäten ist daran gelegen. Das kann natürlich nicht bedeuten, in jedem Semester alle Module jedes Faches anzubieten. Unstrittig ist aber, dass ein Studienverlauf ohne unnötige Brüche oder Verzögerungen möglich sein muss.

Auch die Stufenlehrerausbildung dürfte vor allem im Bildungsausschuss diskutiert werden. Hierbei müssen wir allerdings sehen: Jemand, der dann alles kann, ist sicherlich auch schwierig darzustellen. Nach wie vor ist aber, soweit ich weiß, eine Stufenlehrerausbildung im Sinne einer Vermischung oder Zusammenlegung von Lehrämtern nach den Rahmenvereinbarungen für die Lehrämter der KMK derzeit nicht möglich.

Der betreffende KMK-Beschluss aus dem Jahr 1997 wurde 2013 überarbeitet, um die Anerkennung der Lehramtsabschlüsse zwischen allen Bundesländern zu gewährleisten. Diese bundesweite Anerkennung müssen wir meines Erachtens immer im Blick haben. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung von der Regierungsbank)