Ein nicht ganz unwesentlicher Aspekt des demografischen Wandels ist natürlich, dass unser Land dadurch in erheblichem Umfang Mittel verliert. Nach der fünften Bevölkerungsprognose wird die Bevölkerung Sachsen-Anhalts von heute etwa 2,3 Millionen bis 2025 auf 1,9 Millionen Menschen schrumpfen. Mit jedem Einwohner verlieren wir ca. 2 400 € Einnahmen im Landeshaushalt. Zudem wird ein großer Teil der Bevölkerung in die Rentenphase eintreten, wodurch die eigenen Steuereinnahmen noch einmal verringert werden.
Zum Schluss mache ich völlig ohne Wertung Angaben zur Altersstruktur der weiblichen Bevölkerung in Sachsen-Anhalt heute - lassen Sie die Zahlen einfach auf sich wirken -: über 60 Jährige: 411 400, 40- bis 60-Jährige: 376 000, 20- bis 40-Jährige: 234 500 und unter 20-Jährige nur 152 200.
Ich glaube, allein diese Zahlen besagen, dass viel Arbeit vor uns liegt, auch dahingehend, dass wir überlegen müssen, wie wir mit weniger Leuten weiterhin viel erreichen und dieses Land stärken können.
Vielen Dank, dass Sie meinen Ausführungen so konzentriert gelauscht haben. Ich freue mich auf die Diskussion über dieses Thema.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! In der Drs. 6/1803 vom 13. Februar 2013 hat die SPD-Fraktion eine Große Anfrage mit 68 Fragen zum Thema „Demografischer Wandel in Sachsen-Anhalt“ an die Landesregierung gestellt. Diese 68 Fragen beziehen sich insbesondere auf Zahlen, Daten und Fakten zur Bevölkerungsentwicklung, auf die infrastrukturelle Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum, deren Kosten, die Gewährleistung der Versorgung in peripheren ländlichen Räumen, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie auf organisatorische Fragen zur Zusammenarbeit von Ressorts, deren Kompetenzen und Qualifikationen.
Die Fragen im ersten Teil der Großen Anfrage rund um das Thema Bevölkerungsentwicklung wurden sehr ausführlich in dem Demografiebericht an den Landtag beantwortet. Dieser Bericht wurde auf Bitten des Landtages gemäß dem Beschluss vom 7. Oktober 2011 gefertigt und nur wenige Monate vor Beantwortung der Großen Anfrage dem Landtag zugeleitet. Es wurde in den Ausschüssen darüber diskutiert und die Landesregierung hat dazu auch geantwortet. Deshalb wurde bei der Beantwortung einzelner Fragen teilweise auf den Demografiebericht verwiesen.
Im einleitenden Kapitel dieses Berichts wurde die Bevölkerungsentwicklung seit der Wende betrachtet. Dort wird dargestellt, dass Sachsen-Anhalt noch immer andere demografische Entwicklungstrends aufweist als die westdeutschen Bundesländer. So ist der Anteil der Ausländer in SachsenAnhalt mit 1,7 % nach wie vor sehr niedrig. Insgesamt hat Sachsen-Anhalt von 1990 bis Ende 2012 ca. 21 % seiner Einwohner verloren.
Dennoch hat sich in den letzten Jahren der Bevölkerungsrückgang abgeschwächt, sodass wir von einer leichten Trendwende sprechen können. Im Bericht finden Sie Tabellen, Grafiken und vieles
Ich möchte aber noch einen kleinen Hinweis zum Stand der in Vorbereitung befindlichen 6. Regionalisierten Bevölkerungsprognose geben, die eigentlich - Herr Bergmann hat das angemahnt - überfällig ist. Grundlage für die Berechnung bilden die Wanderungszahlen, die Geburten- und Sterbefälle sowie die Einzeljahrgänge nach Alter und Geschlecht in Sachsen-Anhalt. Diese Daten liegen aufgrund des Zensus dem Statistischen Landesamt nur als vorläufige Ergebnisse vor. Für eine solide Prognose benötigen wir aber eine valide Datengrundlage.
Gemeinsam mit dem Statistischen Landesamt wird nach Vorlage der endgültigen Ergebnisse die 6. Regionalisierte Bevölkerungsprognose dann für Sachsen-Anhalt insgesamt sowie für die kreisfreien Städte und die Landkreise berechnet. Wenn die endgültigen Ergebnisse bis Mitte 2014 bereitgestellt werden, kann die neue Prognose bis zum Jahresende gerechnet werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Darstellung der Bevölkerungsentwicklung auf dem Papier ist das eine. Die Veränderungen täglich in der Praxis zu spüren und zu sehen ist das andere.
Es gibt viele Orte, die von demografischen Veränderungen geprägt sind, wo Menschen allein oder alt oder beides sind. Nicht überall gibt es noch Bankautomaten, den Bäcker oder den Fleischer. Schulen und Kindergärten sind oft schon lange geschlossen. Aber dort leben auch weiterhin Menschen, die dort verwurzelt oder gebunden sind, die dort alt werden möchten und sich ein gutes Leben wünschen. Dort hat vor allem das nachbarschaftliche Engagement eine hohe Bedeutung, aber auch die Politik eine besondere Verantwortung; denn solche Dörfer, Städte und Regionen haben Anspruch auf unsere Solidarität.
Wir haben aber auch Gemeinden, in denen es Zuzug gibt, die gemeinsam mit ihren Bürgerinnen und Bürgern die Zukunft angehen und sie in die langfristige Gestaltung ihrer Gemeinde einbeziehen, Orte, in denen Bürger ihre Chancen nutzen und den Wandel gestalten. Insbesondere die Großstädte Magdeburg und Halle konnten den Schrumpfungstrend brechen und mittlerweile wieder Bevölkerungszuwächse aufweisen.
Auch einigen Mittelstädten gelingt es zunehmend, sich den negativen Trends zu entziehen und ihre demografische Entwicklung zu stabilisieren. Diese Stabilisierung im Wandlungsgeschehen ist sehr erfreulich, zeigt sie doch, dass unser Land auf dem richtigen Weg ist. Wir wollen nicht verhindern, dass sich junge Menschen die Welt ansehen, aber wir wollen, dass viele wieder in ihre Heimat zurückkehren, um hier ihre berufliche Zukunft zu gestalten und hier ihre Familien zu gründen.
Das heißt natürlich auch, dass Unternehmen für gut ausgebildete Fachkräfte auch gut bezahlen müssen, um sie langfristig zu binden. Denn materieller Anreiz und eine gute wirtschaftliche Grundlage bilden eine Voraussetzung für Familiengründungen.
Im zweiten Teil des Demografieberichts werden ausführlich die neu geschaffenen Instrumente zur Gestaltung des demografischen Wandels in Sachsen-Anhalt vorgestellt, wie der Demografie-Beirat, die Demografie-Allianz, das Förderprogramm Demografie und der Demografie-TÜV, um nur wichtige Elemente zu nennen. Damit zeigen wir, dass die Landesregierung den demografischen Wandel als Gestaltungsaufgabe und -chance wahrnimmt und sehr viele Akteure aus Sachsen-Anhalt einbezieht.
So hat zum Beispiel die Landesregierung gemeinsam mit der Demografie-Allianz Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr den Demografiepreis 2013 ausgelobt. Die Preisgelder in Höhe von 9 000 € wurden durch Allianzpartner bereitgestellt. Über 100 Projekte aus Sachsen-Anhalt wurden eingereicht; sechs Projekte wurden von der Jury prämiert.
Das ist ein schöner Erfolg, der zeigt, wie viel Kreativität im Land steckt, was bereits getan wird, um den Wandel erfolgreich zu gestalten. Deshalb planen wir, den Wettbewerb mit Unterstützung der Demografie-Allianz und in Kooperation mit dem Fachkräftesicherungspakt dieses Jahr fortzusetzen. Auch dieses Mal geht es um die Gestaltung und Mitgestaltung Sachsen-Anhalts, um neue und innovative Ideen, aber vor allem um Anerkennung, Verantwortung, Wertschätzung und Respekt vor der ehrenamtlichen Arbeit vieler Menschen im Land Sachsen-Anhalt.
So ist auch das Förderprogramm Demografie ausgerichtet. Es geht um Mitgestaltung und Einbeziehung lokaler Akteure für die Sicherung der Daseinsvorsorge vor Ort. Seit der Schaffung des Förderprogramms im Jahr 2010 hat die Landesregierung über 80 Projekte mit etwa 4,5 Millionen € aus diesem Programm gefördert, um Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
Insbesondere die Regionen mit besonderen Entwicklungsaufgaben werden aus dem Förderprogramm prioritär unterstützt. Das sind die Kommunen in peripheren ländlichen Räumen, die besonders unter Anpassungsdruck stehen. Gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium unterstützen wir zehn Modellgemeinden bei der Erstellung gemeindlicher Entwicklungskonzepte, um herauszuarbeiten, wie in den neuen politischen Strukturen nach der Gemeindegebietsreform die aktuellen Herausforderungen effektiv gelöst werden können.
Exemplarisch möchte ich in diesem Zusammenhang die Stadt Gardelegen nennen. Als flächenmäßig größte Gemeinde in Sachsen-Anhalt - und sogar deutschlandweit an dritter Stelle - geht sie bereits diesen Weg. Mit einem integrierten gemeindlichen Entwicklungskonzept will sie ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen. Das Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr und das Landwirtschaftsministerium begleiten Gardelegen auf diesem Weg in die Zukunft. Es ist auch die Stadt Gardelegen, die in einem Modellprojekt neue Wege erprobt, wie die Bevölkerungsentwicklung der Ortsteile leichter und besser erfasst und in praktische Entwicklungsmaßnahmen umgesetzt werden kann.
Lassen Sie mich aber betonen: Die Landesregierung ist sich bewusst, dass die Sicherung der Daseinsvorsorge in den vielen kleinen Ortsteilen eine große Herausforderung darstellt und weiterer Unterstützung bedarf. Hinzu kommt auch die Zusammenarbeit auf den Ebenen Mitteldeutschlands, des Bundes und der EU.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Sichtbarmachen all dieser Maßnahmen und Projekte ist natürlich nicht immer einfach. Um einen besseren Überblick zu bekommen, berichten wir in unserem Newsletter „Demograf“ und auf dem Demografieportal über die vielen Aktivitäten. Projekte stellen wir auf den Seiten des Demografieprojektportals www.demografie-projekte.de dar. Das Thema demografischer Wandel wird Landesregierung und Landtag weiter intensiv beschäftigen. Deshalb bin ich dankbar, dass sich der Landtag mit diesen komplexen Fragestellungen so intensiv befasst.
Natürlich - der Abgeordnete Bergmann hat es genannt; er hat es auch kritisch angemerkt - fehlen uns die Kinder, das ist so. Darunter leidet natürlich nicht nur Sachsen-Anhalt, darunter leiden insbesondere die ostdeutschen Länder. Darunter leiden auch viele entwickelte Länder Europas. Wer ein Patentrezept entwickeln könnte, wie es uns gelingt, die Differenz zwischen Gestorbenen und Geborenen auszugleichen, der hätte, glaube ich, den Nobelpreis verdient. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir hier gemeinsam weiterarbeiten.
Zu den zehn Entwicklungskonzepten für die Gemeinden, die wir zurzeit fördern. Herr Bergmann, ich bin mit Ihnen einer Meinung: Alle Gemeinden müssen die Entwicklungskonzepte natürlich selbst erstellen. Wenn es uns gelingt, in den Haushaltsplan 2015/2016 dafür Geld einzustellen, um allen Gemeinden diese Chance zu geben, dann wäre ich Ihnen allen natürlich sehr dankbar.
Ich habe vorhin etwas zum Lichtblick gesagt. Der Wanderungssaldo 2012 betrug - Gott sei Dank - nur noch 4 000 Menschen weniger. Wir hatten fast 10 000 in der 5. Regionalisierten Bevölkerungsprognose angenommen. Wir haben allerdings das
Problem des Geburtendefizits mit minus 13 000 im Jahr 2012. Das bedeutet, im Jahr 2012 sind wir 17 000 Menschen weniger geworden.
Hochgerechnet bedeutet das: Sachsen-Anhalt hat heute noch 2,3 Millionen Einwohner. Die 5. Regionalisierte Bevölkerungsprognose hat uns für 2025 1,9 Millionen Einwohner prognostiziert, das sind 400 000 weniger als heute. Wenn wir in den nächsten zehn Jahren jährlich weniger als 20 000 Menschen verlieren, bin ich optimistisch, dass im Jahr 2025 noch 2,1 Millionen Menschen in Sachsen-Anhalt wohnen werden.
Wenn es uns gelingt, das zu erreichen, Herr Bergmann, dann haben wir auch weniger Probleme mit den Steuereinnahmen. Dann können wir viele Dinge anders finanzieren und der Finanzminister wird sich auch bedanken. Wir hätten dann auch weniger Probleme mit dem PEK; denn dann müssten wir weniger Stellen abbauen, um den Durchschnitt der Flächenländer bei dem Verhältnis zwischen Beschäftigten und Einwohnern zu erreichen.
In diesem Sinne lade ich Sie alle herzlich ein, dabei mitzumachen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Danke sehr, Herr Minister. - Wir treten jetzt in die Debatte der Fraktionen ein. Als erster Debattenredner spricht für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Frank Hoffmann. Sie haben neun Minuten Redezeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie haben vielleicht mit Herrn Dr. Köck gerechnet; er ist aber krank, deswegen vertrete ich ihn bei dieser Thematik.
Die Antwort der Landesregierung beginnt mit großen Worten: Es gilt, den demografischen Wandel zum Wohle von Mensch und Umwelt zu gestalten.
Angesichts der Kürzungspolitik im Hinblick auf die Kultur, die Kommunen, die Schulen und die Bildung, die insbesondere mit dem demografischen Wandel gerechtfertigt wird, müssen wir uns offenbar darüber unterhalten, welches Verständnis die Landesregierung von dem Wohl von Mensch und Umwelt hat.
Wenn die Kinder im ländlichen Raum immer früher aufstehen müssen und immer länger unterwegs sind, um zu ihren noch nicht geschlossenen Schulen zu gelangen, dann hat das für mich nichts mit
dem Wohl der Kinder zu tun und schon gar nichts mit dem Wohl der Eltern oder der Umwelt - ganz zu schweigen davon, dass Eltern ihre Kinder von der Schule abholen müssen, weil Busse überfüllt sind oder unregelmäßig fahren, dass Überlandfahrten zum nächsten Arzt, zur nächsten Einkaufsmöglichkeit, zum nächsten Einwohnermeldeamt, zum nächsten Theater oder zur nächsten Oper oder zum Freund oder der Freundin nötig sind, die nicht in Sachsen-Anhalt, sondern in anderen Bundesländern wohnen oder studieren.
Zu den Zahlen und zur Zuwanderung. Das war heute schon oft ein Thema. Im ersten Teil der Antwort werden die Statistiken vorgestellt, die die Grundlage für die politischen Antworten auf den demografischen Wandel sein sollen. Die aktuelle regionalisierte Bevölkerungsprognose des Statistischen Landesamtes - sie wurde gerade angesprochen - bezieht sich auf Zahlen aus dem Jahr 2008. Detaillierte Bevölkerungsvorausberechnungen auf Gemeindeebene gibt es nicht.
Ein Beispiel aus dieser Prognose: Die Prognosen für die Wanderungssalden waren in den Jahren 2009, 2010 und 2011 weit von der Realität entfernt. Im Jahr 2011 war die prognostizierte Nettoabwanderung mehr als doppelt so hoch wie die tatsächliche Nettoabwanderung. Es kommen also offenbar mehr Menschen nach Sachsen-Anhalt und es bleiben mehr Menschen hier, als das Statistische Landesamt vorhersieht.
Das IWH hat ermittelt, dass es im Jahr 2012 in den ostdeutschen Bundesländern sogar eine Nettozuwanderung gab. Mich würde interessieren - der Minister hat eben auch eine solche Forderung aufgemacht -, wie im Vergleich hierzu die Prognose für das Jahr 2012 aussieht.
Zur Zuwanderung. Herr Minister Stahlknecht hat - Sie werden sich vielleicht daran erinnern - in seiner Rede zur Willkommenskultur sogar bemerkt, dass er sich schon Sorgen über das Ausmaß der Zuwanderung macht. Aber das nur nebenbei.
Offenbar gibt es Anzeichen für einen verstärkten Zuzug nach Sachsen-Anhalt. Beim Blick auf die Fehlprognosen dieser regionalisierten Bevölkerungsprognose frage ich mich ernsthaft, ob dieser Entwicklung ausreichend Rechnung getragen wird.
Bei dem großen Auseinanderklaffen realer und prognostizierter Zahlen für die Jahre 2009, 2010 und 2011 muss die Frage nach einer Überprüfung dieser Prognosen und der daraus abgeleiteten Politik gestattet sein. Der Herr Minister hat eben eine ähnliche Forderung aufgestellt.
Natürlich werden günstigere Zuwanderungssalden nicht den allgemeinen Trend in der Bevölkerungsentwicklung des Landes umkehren. Sie stellen aber allemal eine Abmilderung des allgemeinen Trends in Aussicht. Es kommen keine Rentner aus
europäischen und außereuropäischen Ländern nach Sachsen-Anhalt, um hier ihren Lebensabend zu verbringen; es kommen junge Menschen, die hier arbeiten und leben wollen. Die positive Entwicklung darf nicht verkannt werden. Sie muss gefördert werden. Sie darf nicht verspielt werden, indem das Land systematisch unattraktiv gemacht wird - für junge Familien, für Kulturschaffende, für Forschung und Wissenschaft sowie für Unternehmen, die das Land lebenswert machen.