Protocol of the Session on November 15, 2013

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/2549

Für die Einbringerin nimmt nun Frau Kollegin Zoschke das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lasse Sie mich zunächst zwei Vormerkungen machen. Erstens. Dass wir uns in diesem Hohen Haus überhaupt mit diesem Anliegen beschäftigen müssen, befremdet uns sehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Die zweite Vorbemerkung ist: Bevor in dieser Debatte jemand der Versuchung unterliegen mag, uns des Plagiatsversuches zu überführen, erkläre ich gleich vorweg: Ja, es stimmt, die beiden Punkte unseres Antrages haben wir aus anderer Quelle übernommen. Beide Punkte entsprechen dem Kern des Beschlusses des Landesbehindertenbeirates Nr. 3 dieses Jahres, der den Fraktionen Mitte Oktober 2013 zugegangen ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir nutzen unsere Möglichkeit als Landtagsfraktion, diesen Beschluss des Landesbehindertenbeirates via Antrag zur Beschlussfassung in den Landtag einzubringen. Damit setzen wir zentrale Anliegen dieses Gremiums auf die Tagesordnung, die als Forderungen an die Landesregierung gerichtet sind.

(Zustimmung von Herrn Czeke, DIE LINKE)

Warum haben wir uns so entschieden? - Der Tatbestand dieses Beschlusses hat uns alarmiert. Wir

haben seit knapp drei Jahren ein Behindertengleichstellungsgesetz, das die Einbeziehung des Landesbehindertenbeirates regelt. Wir müssen nun zur Kenntnis nehmen, dass die Personen, die sich hierin ehrenamtlich engagieren, diese Einbindung zu einem gewissen Teil infrage gestellt sehen. Es scheint hier also ein Problem in der Rechtspraxis vorzuliegen.

Doch worum geht es dabei konkret? - § 27 Abs. 2 des Behindertengleichstellungsgesetzes legt fest - ich zitiere -:

„Der Behindertenbeirat des Landes Sachsen-Anhalt ist unabhängig und überparteilich und berät die Landesregierung in allen Angelegenheiten, die für die Belange der Menschen mit Behinderungen von Bedeutung sind, und wird bei Gesetzgebungs- und Verordnungsvorhaben angehört, soweit diese für Menschen mit Behinderungen von besonderer Bedeutung sind.“

Der Landesbehindertenbeirat führt in seinem Beschluss aus, dass er in der überwiegenden Zahl der Fälle der Gesetzgebungs- und Verordnungsvorhaben der Landesregierung noch immer nicht nach dieser gesetzlichen Vorgabe einbezogen wird.

Meine Damen und Herren! Hierbei gibt es keinen Handlungsspielraum, genau wie es kaum einen politischen Gestaltungsbereich gibt, der keine Relevanz für Menschen mit Behinderungen hat. Die Aufgabe und die Kompetenz des Beirates bestehen gerade darin, den Blick auf diese Relevanz zu werfen und wunde Punkte offen zu legen, wie etwa Widersprüche zur UN-Behindertenrechtskonvention.

Der Landesbehindertenbeirat möchte nun erreichen, dass die Frage, ob ein Vorhaben der Regierung eine Anhörung notwendig macht, der Kompetenz des Landesbehindertenbeauftragten obliegt und nicht - wie in der gängigen Praxis - irgendwo im jeweils zuständigem Ministerium beantwortet wird. Die beratende Kompetenz liegt doch beim Beirat und beim Beauftragten.

Auf Letzteren bezieht sich dann auch das zweite Anliegen des Beiratsbeschlusses bzw. unseres Antrages; denn selbst der Behindertenbeauftragte wird häufig nicht, wie nach § 22 des Behindertengleichstellungsgesetzes vorgesehen, frühzeitig in die Vorhaben der Landesregierung einbezogen. Auch hier gilt es nun festzulegen, dass es zur Kompetenz des Landesbehindertenbeauftragten gehören muss, fachlich zu beurteilen, ob und in welchem Umfang eine solche Beteiligung notwendig ist.

Ich will hierzu betonen: Für dieses Anliegen muss das bestehende Gesetz nicht geändert, sondern nur seine Praxis durch die Anerkennung der fach

lichen Kompetenz des Landesbehindertenbeauftragten verbessert werden. Das Infragestellen der gängigen Praxis drängt sich förmlich auf, wenn wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Vertreter des Ministeriums für Landesentwicklung und Verkehr nach knapp zehn Jahren seine Mitarbeit in der Arbeitsgruppe „Barrierefreiheit“ des Beirates zum Ende des vergangenen Jahres aufgekündigt hat.

Wir fordern das Ministerium auf, diese gekappte Zusammenarbeit wieder aufzunehmen.

(Zustimmung von Herrn Czeke, DIE LINKE)

Ich weiß, dass diese Aufforderung zur Unterstützung in der Zwischenzeit auch an den Ministerpräsidenten gegangen ist. Ich frage mich allerdings, ob es wirklich notwendig ist, jedes Mal den Ministerpräsidenten um Hilfe bei der Umsetzung von Gesetzen zu bitten, die wir hier beschlossen haben.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir sagen: Die inhaltliche Auseinandersetzung im politischen Gestaltungsprozess darf nicht der Grund dafür sein, dass man sich aus der gesetzlichen Aufgabe der Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderung zurückzieht.

In der Tat hat es im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur neuen Bauordnung in diesem Jahr großen Unmut gegeben. In diesem Falle wurde der Landesbehindertenbeirat umfänglich angehört. So weit, so gut. Allerdings hat dies weder im Gesetz und noch viel weniger in der Verordnung zur Anwendung der technischen Baubestimmungen auch nur irgendeine Berücksichtigung gefunden. Frau Dr. Späthe führte es gestern in einem anderen Zusammenhang an.

Ein anderer Aspekt der Problematik lässt sich wohl daran erkennen, dass noch immer nicht richtig angekommen ist, dass Inklusion im Sinne der UNBehindertenrechtskonvention eine Querschnittsaufgabe ist.

(Beifall bei der LINKEN)

So ist es für den Sozialausschuss gängige Praxis, den Landesbehindertenbeauftragten regelmäßig einzuladen. Dieser kann dann fachlich prüfen, ob und zu welchem Tagesordnungspunkt er dem Ausschuss beratend zur Verfügung stehen sollte.

Kann dieses Beispiel nicht auch Nachahmer in den anderen Ausschüssen finden? Wie ernst nehmen wir in Sachsen-Anhalt eigentlich die Funktion des Landesbehindertenbeauftragten und wie ernst nehmen wir die Rolle des Behindertenbeirates?

Hinsichtlich einer angemessenen Einbindung des Behindertenbeirates möchte ich auf zwei Punkte mit besonderem Nachdruck verweisen.

Erstens. Diese Einbindung geschieht nicht aus Jux und Tollerei oder etwa deshalb, weil man hier in Sachsen-Anhalt in Sachsen Behindertenpolitik eine Vorreiterrolle einnehmen will. Nein, diese Einbindung beruht auf der UN-Behindertenrechtskonvention, die inzwischen knapp fünf Jahre rechtsgültig ist. Wenn wir heute im politischen Gestaltungsprozess damit leichtfertig umgehen, wird sich dies morgen in Form von unnötigen Novellierungsbedarfen rächen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zweitens. Es ist besonders zu würdigen, dass der Behindertenbeirat seine Arbeit auf ehrenamtlicher Basis vollzieht. Gestern Abend haben wir hier eine lange Diskussion zum Ehrenamt geführt.

Es bedeutet in der Tat einen ungeheuren Aufwand, Entwürfe von komplexen Gesetzen, Verordnungen und Erlassen auf die Frage der behindertenpolitischen Relevanz durchzuarbeiten. Dafür gilt den Mitgliedern des Beirates unser herzlicher Dank.

Wenn der Beirat in mehr Gesetzgebungs- und Verordnungsverfahren einbezogen werden will, geht zumindest meine Fraktion davon aus, dass dies aus einem Verantwortungsbewusstsein heraus geschieht, für das wir ebenfalls unseren Respekt und Dank aussprechen möchten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Ausführungen würde ich gern mit einem positiven Beispiel zur Unterstreichung unseres Anliegens schließen. Das dargestellte Problem trifft nicht in allen Bereichen gleichermaßen zu. Mit anderen Worten: Es geht auch anders. So ist etwa positiv hervorzuheben, dass das Kultusministerium nach einem langen, zähen Ringen seine Haltung verändert hat und nun fast alle Entwürfe von Verordnungen und Erlassen dem Landesbehindertenbeirat zuleitet. Diesem Beispiel sollten die anderen Ministerien folgen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich wiederhole mich an dieser Stelle ganz bewusst. Es ist schließlich Sinn eines solchen Gremiums, die Perspektive der Menschen mit Behinderung als Querschnittsaufgabe in die politische Gestaltungsarbeit zu integrieren. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Zoschke. - Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der LINKEN, sehr geehrte Frau Zoschke, gibt

erstmal nur wieder, was in den Gesetzen steht. Der letzte Satz im ersten Absatz und auch der letzte Satz im zweiten Absatz stehen nicht in dem Gesetz. Deshalb beginne ich damit.

Ich will jetzt nicht um Inklusion herumreden. Ich habe gestern auch von Ihrer Fraktion gehört, dass Inklusion so schwierig ist, weil es Rentenversicherung, Krankenversicherung und anderes gibt. Das sind die Zuständigkeiten, die die Frage der Inklusion so schwer machen. Es vernetzt zu machen, koordinierend, ressortübergreifend, abteilungsübergreifend etc., das ist die eigentliche Herausforderung. Von daher verstehe ich Ihren Antrag eher als Appell, dass sich alle noch einmal hinsetzen und sagen: Wir müssen beide Gremien, den Behindertenbeirat und den Behindertenbeauftragten, besser einbinden. Das sehe ich auch.

In Ihrem Antrag steht:

„Inwieweit eine solche besondere Bedeutung vorliegt, soll hierbei der fachlichen Beurteilung des/der Landesbehindertenbeauftragten unterliegen.“

Man muss sich einmal vor Augen führen, dass all das, was die Landesregierung macht, Menschen mit Behinderungen betreffen kann. Wer soll das beurteilen?

Der Landesbehindertenbeauftragte hat mir letzte Woche deutlich gesagt: Das kann er gar nicht leisten. Er bräuchte ein Gremium von Fachleuten um sich herum, die jeweils immer beurteilen können, ob das für ihn infrage kommt. Das lehnt er ausdrücklich ab. Ich glaube auch, ein Landesbehindertenbeirat käme dafür gar nicht infrage.

Richtig ist allerdings der Appell. Deshalb bin ich auch dankbar dafür, dass der Ministerpräsident - er war ja vorletzte Woche beim Behindertenbeirat - gesagt hat, er nimmt das auch noch einmal mit als Auftrag an die Ressorts. Er hat das auch in der Kabinettssitzung am letzten Dienstag und davor noch einmal deutlich gesagt und hat dazu aufgefordert, dass die Ressorts rechtzeitig beide Gremien einbinden sollen. Das halte ich auch für richtig. Das müssen wir immer überprüfen.

Deshalb verstehe ich Ihren Antrag so, dass der Landtag - oder Sie im Besonderen - diesen Appell abgibt. Aber allein mit der Wiedergabe der Gesetzestexte und der Zustimmung zu dem Antrag verändert man nichts. Man braucht ihn meines Erachtens nicht, weil ich diesen Appell jeden Tag anbringe.

Man kann natürlich auch Folgendes überlegen. Wenn Sie sagen: Es ist so schwer, dieses Querschnittsthema zu machen, wenn der Behindertenbeauftragte zum Beispiel in einem Ressort wie

dem Sozialministerium beheimatet ist, kann man sich jederzeit vorstellen, dass er auch im Landtag beheimatet sein kann. Da bin ich völlig frei. Das ist so gewollt. Derzeit ist es gesetzlich geregelt. Bei uns im Haus ist er besser fachlich eingebunden.

Er ist bei mir eingeordnet. Er bekommt alle Mitteilungen, alle Verordnungen, auch all die Dinge, die wir aus den Häusern zur Mitzeichnung bekommen. Das bekommt alles der Landesbehindertenbeauftragte, der das auch an den Landesbehindertenbeirat weiterleitet. Vom Kabinett her bekommt der Landesbehindertenbeauftragte als einziger Zugang zum KIS-System. Also: Alles, was ins Kabinett geht, bekommt auch der Landesbehindertenbeauftragte.

Ich glaube, dass die Einbindung des Landesbehindertenbeauftragten in die fachliche Ebene des Sozialministeriums richtig ist. Die Schwierigkeit bleibt natürlich immer, dass es alle anderen Ressorts auch betrifft. Man muss zum Beispiel sagen: Beim Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr ist ja auch - die unterstützen das - das Kompetenzzentrum für Barrierefreiheit angesiedelt. Es ist schwierig, das ständig mit einzubinden. Es gibt viele Organisationen und Institutionen, die sich auf der Ebene im Sinne der Verbände für Menschen mit Behinderungen einsetzen.