Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn meiner Rede möchte ich noch einmal einen Blick auf das Jahr 2001 werfen. Nach dem Pisa-Schock - Deutschland fand sich nur im Mittelfeld wieder - haben sich die Kultusministerinnen und -minister in ihrer Plenarsitzung am 5. und 6. Dezember 2001 auf sieben Handlungsfelder verständigt.
Zu den Bereichen, in denen sie vorrangig tätig werden wollten, gehörten gleich als erstes Handlungsfeld „Maßnahmen zur Verbesserung der Sprachkompetenz bereits im vorschulischen Bereich“ und als weiteres Handlungsfeld „Maßnahmen zur wirksamen Förderung bildungsbenachteiligter Kinder, insbesondere auch der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“.
Der Bildungskonvent in Sachsen-Anhalt orientierte in seiner Handlungsempfehlung zur frühkindlichen Entwicklung im März 2008 wie folgt - ich zitiere -:
„die flächendeckende Einführung von Sprachstandserhebungen für Vier- bis Fünfjährige, in deren Folge, in Abhängigkeit vom Ergebnis, verbindliche Sprachförderkurse angeboten werden. Das Ziel besteht in dem Bestreben, Entwicklungsprobleme beim Spracherwerb frühzeitig zu erkennen und bis zum Schuleintritt abzubauen.“
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Warum war mir der Blick in die Vergangenheit so wichtig? Sowohl die Beschlüsse der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder als auch die Handlungsempfehlungen des Bildungskonvents für das Land Sachsen-Anhalt gelten heute noch und gehören umgesetzt.
Wie sieht es derzeit in unserem Land aus? - Bis zur Verabschiedung des Kinderförderungsgesetzes im Dezember vorigen Jahres gab es flächendeckend in den Kindertagesstätten Sprachstandserhebungen. Diese sind nun im novellierten Gesetz nicht mehr gefordert. Wer sie dennoch durchführen möchte, kann es tun, aber ohne personelle und finanzielle Anrechnung. Zwar sind die 2,5 Millionen €, die für diese Aufgabe bereitgestellt wurden, im Finanzierungssystem des KiFöG weiterhin enthalten, aber nicht zweckgebunden. Das heißt, es wird für andere Aufgaben genutzt.
Zugleich möchte ich betonen, dass es mit dem Wegfall der Sprachstandsfeststellung auch keine Evaluation des Verfahrens geben wird. In Expertinnenkreisen war diese Maßnahme seitens der Landesregierung und der Koalition heftig umstritten. Ich erinnere daran, dass bei der Schuleingangsuntersuchung in Sachsen-Anhalt bei ca. einem Drittel der Kinder Sprachstörungen diagnostiziert wurden. So heißt es in dem Bericht „Gesundheit, Kinder, Jugendliche in Sachsen-Anhalt“, herausgegeben vom Ministerium für Gesundheit und Soziales, auf Seite 45:
„Die Diagnosehäufigkeit von Sprachstörungen war in Sachsen-Anhalt deutlich höher (32 %) als im Mittel der Vergleichsuntersuchungen (21 %).“
Ebenso möchte ich Ihnen aus den Stellungnahmen der Fachleute, die zu diesem Thema in der Anhörung zum KiFöG vorgetragen wurden, einige Auszüge vorlesen. Frau Professor Dr. SchlenkerSchulte, Institut für Rehabilitationspädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, sagte dazu - ich zitiere -:
bildungspolitisch die falsche Botschaft; denn es entstünde der Eindruck, in Sachsen-Anhalt sei Sprache nicht mehr wichtig.“
Frau Professor Dr. Rabe-Kleberg, Institut für Soziologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg, sagte dazu - ich zitiere -:
„Ich denke, der Umstand, dass der Gesetzgeber und die Regierung Sprachfeststellungsverfahren eingerichtet haben, spricht dafür, dass sie die Verantwortung für diesen entscheidenden Punkt in den Bildungsprozessen bei den Kindern übernommen haben. Würde dies ersatzlos gestrichen, wäre das eindeutig ein falsches politisches und ein falsches fachliches Signal.“
„Ich rege an, eine Fachkraft für Sprachbildung zu entwickeln, die in den meisten Teams vorhanden sein müsste, die Teams berät und die Beobachtungskontrolle durchführt.“
Ich könnte Ihnen weitere Meinungen von Expertinnen vorstellen, denke aber, es ist deutlich geworden, worum es uns geht.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß sehr wohl, dass in den neuen Gesetzestext ein Halbsatz aufgenommen wurde, der da heißt: „unter besonderer Beachtung der Sprachförderung“. Aus unserer Sicht ist dieser Teil inhaltlich nicht untersetzt und daher auch heute Gegenstand unseres Antrages.
Nur mit dem Hinweis, dass dies alles im fortgeschriebenen Bildungsprogramm umgesetzt werden soll, wird dem aus meiner Sicht nicht genügend Rechnung getragen. Gleichwohl gehen wir davon aus, dass Sprachförderung nur nachhaltig gelingt, wenn sie in den gesamten pädagogischen Prozess an den Kitas integriert ist. Spielen, die Welt entdecken - all diese vielfältigen Aktivitäten, die das Leben an einer Kita ausmachen, sollten gezielt damit verbunden werden, sprachliche Kommunikation anzuregen, gute Sprache vorzuleben und Sprachkompetenz feinfühlig zu entwickeln. Das alles kann nicht nur Sache von Spezialistinnen und Spezialisten oder gesonderter Förderstunden sein, es muss den Alltag prägen.
Das heißt auch, alle Kolleginnen und Kollegen, die in einer Kita arbeiten, tragen Verantwortung. Um eine solche Förderphilosophie in jeder Kita und in der Tagespflege zu entwickeln, bedarf es nach unserer Auffassung eines Konzepts. Es soll das Programm „Bildung elementar“ untersetzen und methodische Hinweise geben. Darauf zielt unser Antrag.
Die individuelle, am Kind orientierte Sprachförderung braucht ebenfalls eine zusätzliche gezielte Qualifikation des gesamten pädagogischen Fachpersonals. Dazu sind intensive Fort- und Weiterbildungen erforderlich. Diese sind in ein Qualifizierungsprogramm aufzunehmen. Die Fortbildung sollte dabei mehr als bisher in den Einrichtungen selbst und orientiert an den realen pädagogischen Prozessen und Aufgaben in den Kitas stattfinden. Die Kolleginnen und Kollegen brauchen, neben der Sensibilisierung der eigenen Sprachkompetenz, Impulse, Anregungen und den Erfahrungsaustausch, aber auch gezielte Hilfe zu konkreten Problemlagen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Darüber hinaus halten wir es für notwendig, die Initiativen des Landes mit den gemeinsamen Programmen des Bundes und der Länder zu verknüpfen sowie Ergebnisse und Erfahrungen dieser Programme zu berücksichtigen. Ich denke da insbesondere an das Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Bildung durch Sprache und Schrift“, BISS.
Dies ist ein auf fünf Jahre angelegtes Programm, in dem Verbünde aus Kindertageseinrichtungen und Schulen eng zusammenarbeiten, um ihre Erfahrungen auszutauschen und abgestimmte Maßnahmen der Sprachbildung umzusetzen. Dabei sollen die sprachliche Bildung von Kindern und Jugendlichen sowie die in den Bundesländern eingeführten Angebote zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und Effizienz wissenschaftlich überprüft und weiterentwickelt werden. Darüber hinaus unterstützt das Programm die erforderliche Fort- und Weiterqualifizierung der Erzieherinnen und Erzieher sowie der Lehrkräfte.
Leider wird das Land Sachsen-Anhalt bei diesem Projekt ohne Kitas dabei sein, weil es in diesem Bereich derzeit keine Angebote vorhält, die evaluiert werden könnten. Wie aber aus der Antwort auf meine Kleine Anfrage zum Biss-Programm hervorgeht, werden wir aber im Schulbereich vertreten sein.
Außerdem sollen die bisherigen Erfahrungen aus dem Bundesprogramm „Sprachkompetenz stärken, Integration fördern: Offensive frühe Chancen: Schwerpunkt Kitas Sprache & Integration“ bei der Konzeption beachtet werden. Hieran sind in den letzten drei Jahren 103 Kitas aus Sachsen- Anhalt beteiligt gewesen. Zum Jahr 2014 läuft auch dieses Programm aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sprachkompetenz der Kinder und Jugendlichen ist der Schlüssel für schulischen Erfolg und für eine erfolgreiche Ausbildung. Die Fraktion DIE LINKE misst daher der Entwicklung der Sprachkompetenz eine zentrale Bedeutung bei. Wir alle wissen, dass die Beherrschung der Sprache schon sehr früh über Teil
habechancen und Bildungserfolg entscheidet. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön für die Einbringung, Frau Abgeordnete Hohmann. - Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Bischoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hohmann, manchmal weiß ich nicht, wo Sie in den letzten zwei Jahren gewesen sind.
An welcher Stelle hat jemand gesagt, dass Sprachkompetenz ersatzlos gestrichen wird? Wer hat das gesagt?
- das haben Sie eben gesagt -, sondern das müssten die Erzieherinnen vor Ort besser können. Wissen Sie, was die Erzieherinnen vor Ort bei allen Veranstaltungen gesagt haben? Sie waren bei einigen Veranstaltungen dabei. Sie haben gesagt: Wir wollen „Delfin“ nicht. Alle haben das gesagt. Ich habe von niemanden etwas anderes gehört.
(Frau Niestädt, SPD: Richtig! - Frau Bull, DIE LINKE: Steht drin, dass wir das wollen? Darum geht es doch nicht!)
Ich komme auf etwas anderes zu sprechen; es ist vielleicht ein bisschen emotional. Wenn wir gar kein Bildungsprogramm hätten, wenn wir noch nicht einmal ein Kinderförderungsgesetz in Sachsen-Anhalt hätten und das als kommunale Aufgabe nach SGB VIII ansähen, dann stellt sich die Frage: Was soll denn dann in Kindertagesstätten überhaupt gemacht werden? Sprache ist doch das Wichtigste.
Es ist doch die ureigene Aufgabe von Erzieherinnen, im Bereich der frühkindlichen Bildung zu kommunizieren, miteinander zu reden. Wir haben lediglich Tests eingeführt, um das zu prüfen.
Ich bin herumgefahren. Ich nehme das ernst, was an der Basis gesagt wurde. Das habe ich deutlich gesagt. Bei der Anhörung, an der auch Frau RabeKleberg teilgenommen hat, war ich auch dabei. Ich sage es noch einmal deutlich: Wir haben bei der Überarbeitung des Bildungsprogramms durchweg das Thema Sprache eingearbeitet. Auch das habe ich bereits des Öfteren gesagt. Es ist in allen Punkten enthalten.
- Ja, wir haben einen Test zwischengeschaltet. Es ging um den Test. Wenn Sie sagen, dass Sprache immer dabei war, dann, danke schön, haben wir es doch. Dann bedarf es doch des Antrags nicht.