Jahrhundertfluten finden nun im Zehn-JahresRhythmus statt. Ob es uns nun gefällt oder nicht, wir müssen uns darauf einstellen, dass solche Katastrophen in Zukunft häufiger auftreten werden. Die Flutkatastrophe ist also eine Folge des Klimawandels.
Aber genau dieser Zusammenhang wurde in Sachsen-Anhalt bisher nicht beachtet. Wie sehr der Klimawandel bislang ausgeklammert wurde, zeigt folgendes Zitat aus der Hochwasserschutzkonzeption - ich zitiere -:
„Die vorliegenden Erkenntnisse der Klimaentwicklung lassen noch keine Schlussfolgerungen zur Erhöhung des Hochwasserschutzniveaus zu.“
Meine Damen und Herren! Wer den Hochwasserschutz ernst nimmt, der darf den Faktor Klimawandel nicht ignorieren.
Weil das Land Sachsen-Anhalt, wie sich hier gezeigt hat, so verletzlich gegenüber den Folgen des Klimawandels ist, müssen wir auch eine Vorreiterrolle bei der Bekämpfung des Klimawandels einnehmen. Ich kann bereits jetzt ankündigen, dass meine Fraktion in Kürze den Entwurf eines Klimaschutzgesetzes in das Parlament einbringen wird. Ich hoffe dabei auf Ihre Unterstützung.
Außerdem ist auch die Frage zu stellen, ob in der Vergangenheit alles Notwendige getan wurde, um die Schäden möglichst gering zu halten, wie dies die Landesregierung für sich reklamiert. Tatsächlich floss in den letzten Jahren viel Geld in den Hochwasserschutz, 500 Millionen € insgesamt und ca. 40 Millionen € jährlich sind angesichts der knappen Haushalte eine Menge.
Man muss sich allerdings fragen, ob das Geld in die richtigen Maßnahmen investiert wurde. Meine Fraktion ist der Auffassung, dass zwar auf Deiche nicht verzichtet werden kann, allein höhere Deiche das Problem aber nicht lösen können.
Wir müssen schlicht anerkennen, dass der technische Hochwasserschutz an Grenzen gestoßen ist. Wenn wir weiter versuchen, das Niederschlagswasser immer schneller abzuführen - gerade auch in den Nebenflüssen -, führt dies zu immer höheren Hochwasserscheiteln, die dann an einigen Stellen nicht mehr beherrschbar sind. Und es kommt zu dem Phänomen, das sich gerade bei
diesem Hochwasser so fatal ausgewirkt hat, nämlich die gefährliche Überlagerung von Hochwasserscheiteln.
Um es einmal plastisch auszudrücken: Was nützen uns die schönen neuen Deiche an den Oberläufen der Flüsse, wenn dadurch die Pegelstände in den Unterläufen so hoch werden, dass die Deiche überspült werden oder es wie in Fischbeck und Aken zu Deichbrüchen kommt, mithin die Schäden also nur verlagert werden?
Die Landesregierung muss sich auch hierbei an ihrem Erfolg messen lassen, und der ist absolut dürftig. Seit 2002 wurde von den 17 in der Hochwasserschutzkonzeption benannten Deichrückverlegungsprojekten nur ein einziges angegangen, und das wird im Wesentlich von Bund und WWF finanziert und vorangetrieben. Für alle anderen Projekte hat noch nicht einmal die Planung begonnen, meine Damen und Herren.
- Sie können das gern richtig stellen. Ich habe gestern im Grundwasserausschuss die Frage gestellt, wie der aktuelle Stand der Planungsverfahren ist. Wenn Sie das klarstellen wollen, dann sagen Sie uns heute hier, wie der Stand ist und was in der Vergangenheit bei diesen Deichrückverlegungsprojekten getan wurde.
(Herr Wunschinski, CDU: Das Hochwasser ist noch nicht zu Ende! Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis!)
Meine Damen und Herren! Wenn in der Vergangenheit überhaupt von Versäumnissen die Rede war, dann wurden die Schuldigen gleich mitgeliefert: renitente Bürgerinnen und Bürger, die nur ihre Partikularinteressen im Blick hätten und nicht das Gemeinwohl, der Naturschutz in Gestalt von Libellen und anderen geschützten Tieren und last, but not least der Denkmalschutz. Das alles - und das ist klar und einfach zu erkennen - ist nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver, um von eigenen Versäumnissen abzulenken.
Ich möchte unmissverständlich klarstellen: Nicht die Libelle, nicht der Naturschutz hat irgendwelche Maßnahmen hindert. Im Gegenteil, wenn das Land
wirklich konsequent Naturschutz betreiben würde, dann wäre das Problem in vielen Fällen nicht so brisant gewesen.
Denn Naturschutz ist Auenschutz und damit die Schaffung zusätzlicher Retentionsflächen. Das Vorkommen geschützter Tierarten ist in vielen anderen Planungsverfahren Tagesgeschäft. Problematisch wird es nur, wenn man viel zu spät erkennt, dass geschützte Tierarten vorkommen, wie zum Beispiel beim Hochwasserrückhaltebecken Wippra. Das verzögert dann die Planung. Aber das ist nichts anderes als schlechte Vorbereitung der Planung und hat mit dem Naturschutz im engeren Sinne überhaupt nichts zu tun.
Ich kenne auch keinen einzigen Fall, in dem Hochwasserschutzanlagen durch Klagen verhindert wurden. Wir brauchen deshalb auch keine schärferen rechtlichen Regelungen, um Bürgerbeteiligung und Klagemöglichkeiten einzuschränken. Vielmehr brauchen wir mehr Bürgerbeteiligung, um die Maßnahmen im Einvernehmen mit den Betroffenen umzusetzen.
Meine Damen und Herren! Beispiele wie an der Iller und die Vorgehensweise in Köln machen uns vor, wie es geht. Lassen Sie uns aus diesen Erfahrungen lernen und entsprechend auch in SachsenAnhalt handeln.
Wir müssen uns auch fragen, warum viele Genehmigungsverfahren für die Hochwasserschutzanlagen nicht zum Abschluss gebracht werden konnten. Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck hat es ehrlich auf den Punkt gebracht. In einem Fernsehinterview sagte er wörtlich: „Manchmal fehlt uns einfach auch der Mut zu entscheiden.“
Meine Damen und Herren! Diese konstruktive, in die Zukunft gerichtete Art der Selbstkritik vermisse ich hier in Sachsen-Anhalt.
Der zweite Grund, weshalb Verfahren nicht abgeschlossen werden, liegt in den fehlenden personellen Ressourcen. Laut Personalentwicklungskonzept sollen im LHW, dem Landesbetrieb für Hochwasserschutz, 165 Stellen, das sind knapp 30 % des gesamten Stellenbestandes, eingespart werden.
Meine Damen und Herren! Wir brauchen dringend ausreichend Personal, um die Aufgaben bewältigen zu können. Dann wird es auch möglich sein, die zur Verfügung stehenden Mittel vollständig für den Hochwasserschutz einzusetzen. Es darf in der Zukunft nicht wieder vorkommen, dass Mittel zurückgegeben werden, weil nicht ausreichend
Wir müssen aber auch die Grundlagen schaffen, um die Hochwasserrisiken besser bewerten zu können. Seit 2007 - das wissen hier viele - gibt es die Hochwasser-Risikomanagementrichtlinie der EU, die vorschreibt, dass bis Ende 2013 Hochwasserrisiko- und -gefahrenkarten erarbeitet werden müssen, und das - das ist der entscheidende Punkt - nicht nur für die hundertjährigen Ereignisse, sondern auch für Extremereignisse. Zu berücksichtigen sind dabei auch Szenarien von Deichbrüchen.
Vielleicht hätten uns diese Pläne geholfen, wenn sie denn vor Fristablauf vorgelegen hätten, uns auf die Situation in Aken und Fischbeck vorzubereiten. Dass solche Notfallpläne dringend notwendig sind, haben uns die dramatischen Situationen an diesen Stellen leider deutlich vor Augen geführt, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren! Es gibt noch viele weitere Punkte, über die wir in der Zukunft diskutieren müssen. Dazu gehört unter anderem die Verbesserung der Hochwasservorhersage, aber auch das Thema Bodennutzung. Denn auch die ungebremst fortschreitende Flächenversiegelung und die Verdichtung landwirtschaftlicher Böden tragen zur Entstehung solcher katastrophalen Hochwässer bei.
297 000 ha landwirtschaftliche Nutzfläche in Sachsen-Anhalt werden entwässert und 147 000 drainiert. Es darf nicht sein, dass gerade diese Flächen, die das Wasser zurückhalten sollen, zur Entstehung solcher Hochwässer beitragen.
In Zukunft - das sei ebenfalls erwähnt - muss das Siedlungsverbot in überschwemmungsgefährdeten Gebieten konsequent durchgesetzt werden. Hierfür sind auch striktere Vorgaben aus der Raumordnung erforderlich. Wir müssen uns fragen, ob es ausreicht, nur auf hundertjährige Hochwasser Bezug zu nehmen. Aufgrund dieser Erfahrungen, denke ich, ist es notwendig, auf mindestens zweihundertjährige Hochwasser Bezug zu nehmen, damit die Leute vor solchen katastrophalen Hochwässern schon im Vorfeld geschützt werden können.
Meine Damen und Herren! Wir müssen jetzt in der Hochwasserpolitik grundsätzlich umsteuern. Kernstück des neuen Konzeptes muss die Schaffung zusätzlicher Überflutungsflächen sein. Wir brauchen neue Retentionsflächen in Sachsen-Anhalt und einen besseren Wasserrückhalt in der Fläche.
Jetzt ist die Zeit, die Weichen zu stellen. Es darf nicht dabei bleiben, wie 2002, einfach nur die Schäden zu reparieren und dann wieder zum Alltagsgeschäft überzugehen. Den Menschen ist nur geholfen, wenn wir dieses Mal die richtigen Lehren aus der Flut ziehen, die richtigen Maßnahmen in den Blick nehmen und uns nicht, wie in der Vergangenheit, allein auf den Deichbau konzentrieren.
Meine Damen und Herren! In Hochwasservorsorge zu investieren ist allemal sinnvoller, als die Kosten für die Beseitigung der Schäden zu tragen. - Vielen Dank.