Die Redner sowohl der Fraktion DIE LINKE als auch der Fraktion der CDU haben eine Überweisung beider Anträge, sowohl des Ursprungsantrags der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/2003 als auch des Änderungsantrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drs. 6/2180, in den Ausschuss für Arbeit und Soziales beantragt. Darüber lasse ich zunächst abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Zustimmung aus allen Fraktionen. Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall. Gibt es Stimmenthaltungen? - Auch nicht. Dann sind beide Anträge in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen worden und der Tagesordnungspunkt 7 ist erledigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte diesen Stuhl jetzt missbrauchen und Ihnen allen ganz herzlich für die freundlichen Worte zum Fortschreiten meiner Lebenszeit danken.
Wir schreiten jetzt auch fort, nämlich zum Tagesordnungspunkt 8, der allerdings ein ganz ernster ist.
Einbringerin für die SPD-Fraktion ist die Abgeordnete Frau Grimm-Benne. Bitte, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Das Gesundheitswesen in Deutschland ist eines der besten der Welt. Die Versorgung der Patientinnen und Patienten ist vorbildlich. Moderne und hochinnovative Techniken stehen für hervorragende Diagnose- und Therapiemöglichkeiten. Eine breite Palette von Arzneimitteln steht für die Bekämpfung von Krankheiten zur Verfügung.
Um den Menschen immer besser helfen zu können, bedarf es der kontinuierlichen Forschung. Auf dem Arzneimittelsektor heißt das, noch nicht zugelassene Präparate einem Testverfahren zu unterziehen. Diese werden immer auch an Menschen erfolgen. Dabei geht es vor allem um die Wirksamkeit und um die Verträglichkeit eines Medikaments.
Aber warum jetzt die mediale Aufregung über Medikamententests von Pharmaunternehmen in der DDR? - Die in den letzten Wochen aufgetauchten Hinweise zu Tests westdeutscher Pharmafirmen beziehen sich nicht auf übliche Testverfahren, klinische Studien im Rahmen der Erprobung und Einführung neuer Medikamente. Nein, die jetzt aufgetauchten Akten belegen geheime Tests an Patientinnen und Patienten in der DDR.
Es ist seit Längerem bekannt, dass es in der DDR Arzneimitteltests westlicher Pharmafirmen gab. Oftmals waren die Patientinnen und Patienten gern bereit, Arzneimittel aus dem Westen zu nehmen, verband sich damit doch die Hoffnung auf Hilfe und Heilung. Jetzt muss geklärt werden, ob es Fälle von Arzneimitteltestung ohne das Wissen der Patientinnen und Patienten gab.
Manchmal wurde ihnen möglicherweise gesagt, dass sie an einer Studie teilnehmen. Aber wussten die Betroffenen auch, dass es sich um noch unerprobte und nicht zugelassene Medikamente handelte? Haben sie ihre Einwilligung dazu gegeben? - Welche Folgen der Einsatz ungetesteter Arzneimittel haben kann, blieb anscheinend oft im Dunkeln.
Wenn die Tests weniger den medizinischen als vielmehr den wirtschaftlichen Interessen dienten, wenn nicht der mögliche Nutzen im Vordergrund stand, sondern die finanziellen Belange, dann ist das in der Tat mehr als verwerflich.
Dass vieles in der DDR gerade im medizinischen Bereich Mangelware war, ist selbst mir bekannt. Es ist dem persönlichen Engagement und einer großen Portion Kreativität vieler Ärzte, Krankenschwestern und Krankenpfleger in der DDR zu verdanken, dass der medizinische Alltag bewältigt wurde und die Patienten so gut wie möglich versorgt wurden.
Eigentlich hatte die DDR ein restriktives Arzneimittelrecht, das bei der Teilnahme an klinischen Studien die schriftliche Einwilligung der Patienten vorsah. Unterschriften sind laut der nun aufgetauchten Vorgänge anscheinend nicht zu finden. Manchmal lässt sich wohl ein Vermerk finden, dass den Patienten gesagt wurde, dass eine Studie durchgeführt werde und dass diese damit einverstanden seien. Ob sie das bestätigt haben und vor allem über mögliche Folgen genau aufgeklärt wurden, bleibt offen.
Wie sagte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit Roland Jahn? - Das Erbe der SED-Diktatur ist nicht auf den Osten beschränkt. Auf beiden Seiten der Mauer profitierte man von den Arzneimitteltests. Dass dabei Menschen, die zum Teil gar nicht wussten, dass an ihnen Versuche durchgeführt wurden, zu Schaden kamen oder gar starben, kann nicht einfach hingenommen werden. Es bedarf hierzu einer ein
Nicht dass ich falsch verstanden werde: Ich stehe hier nicht als westdeutsch sozialisierte anklagende Juristin. Aber ich denke, in einem demokratischen Staat sollte jeder Mensch selbst entscheiden können, ob er oder sie an einem Testverfahren teilnimmt oder nicht.
Die wieder aufgeflammte Debatte zu den Arzneimitteltests von westlichen Pharmaunternehmen in der DDR wirft keinen neuen Fakt auf, wohl aber einen weiteren Blick auf den Umgang eines - Gott sei dank - untergegangenen Staates mit seinen Bürgerinnen und Bürgern.
Es ist seit Langem bekannt, dass die DDR auf Devisen angewiesen war. Dass sie auch ihre Menschen zu Geld machte, siehe Gefangenenfreikauf, wusste auch jeder. Dass man sich heute angesichts neuer Erkenntnisse bezüglich der Arzneimitteltests an Patientinnen und Patienten in der DDR öffentlich Luft verschaffen muss, ist jedoch verständlich. Denn es sind Menschen oder Angehörige von Menschen betroffen, die nicht wussten, dass an ihnen experimentiert wurde.
In diesem Zusammenhang taucht wieder einmal die allgegenwärtige Stasi auf. Wie weit der Versuch der Verschleierung des Systems der Tests mit westlichen Pharmapräparaten ging, werden die genaueren Untersuchungen ergeben. Was einen im Nachhinein trotz der heutigen sommerlichen Temperaturen frösteln lässt, ist der menschenverachtende Umgang eines Staates mit seinen Bürgerinnen und Bürgern.
Aber auch die Rolle der westlichen Pharmafirmen wird aufzuarbeiten sein. So sollen Akten aufgetaucht sein, wonach sich noch im März 1989 die Firma Hoechst, heute Teil des Unternehmens Sanofi, laut Protokoll damit einverstanden erklärte, dass der Aufklärungstext beim Prüfer verbleibt und dem Patienten nicht ausgehändigt wird. Was für ein Verstoß gegen die Menschenwürde!
Das, was ich jetzt sage, ist ein bisschen provokativ: Wenn nur noch das Gieren nach Geld im Fokus jeder Aktivität steht, bleibt die Humanität auf der Strecke. Welch armseliges Zeugnis sowohl für die untergegangene DDR als auch für verschiedene heute noch agierende Pharmafirmen.
Übrigens: Eine Verlagerung von geheimen Tests in andere Länder, wie Schwellenländer im Osten bzw. in Entwicklungsländer, darf es genauso wenig geben. Unternehmertum hat etwas mit Verantwortung zu tun.
Nun komme ich zu dem Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. Wir würden gern - das habe ich Frau Zoschke vorhin schon gesagt - den ersten Punkt ihres Änderungsantrags zu Punkt 1 unseres Antrags machen. Punkt 1 unseres Antrags würde Punkt 2 werden. Unseren Punkt 2 würden wir streichen und den zweiten Punkt des Änderungsantrags der Fraktion DIE LINKE zum dritten Punkt machen.
Die Punkte 3 und 4 des Änderungsantrags der Fraktion DIE LINKE würden wir ablehnen, und zwar deshalb, weil wir gerade mit unserem Antrag keine Vorverurteilung vornehmen wollen. Wir wollen eine länderübergreifende Aufarbeitung über wissenschaftliche Studien haben.
In Bezug auf Punkt 4 stellt sich die Frage: Brauchen wir dann, wenn die Aufarbeitung erfolgt ist, hier im Land eine Anlaufstelle? Oder kann das auch über den Bund erfolgen, so wie es die Verbraucherministerkonferenz gemacht hat? Das Gleiche gilt für die Fondsbildung.
Meine Damen und Herren! Ich denke, es sollte das Anliegen dieses Hauses sein, Licht in dieses dunkle Kapitel zu bringen. Wichtig wäre es, dass die Landesregierung darauf hinwirkt, dass die Akten in den uns betreffenden klinischen Einrichtungen jetzt nicht vorschnell vernichtet werden. Aber ich bin mir ganz sicher, dass der Minister hierzu noch Ausführungen machen wird.
Ich bin mir auch sicher, dass es unserer Landesregierung ein Anliegen ist, die wissenschaftliche Aufarbeitung mit allen Kräften zu unterstützen. - Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem so geänderten Antrag.
Vielen Dank, Frau Grimm-Benne. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Bischoff. Bitte schön, Herr Minister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch 23 Jahre nach der Wende gibt es immer wieder Dinge, die neu hochkommen. Ich stehe dafür, dass man die Dinge auch differenziert sieht. Ich sage ganz deutlich, ich war zur Wende - das werden manche wissen - Gründer des Bürgerkomitees hier in Magdeburg und habe das auch ordentlich mitbetrieben. Daher hoffe ich, dass mir niemand unterstellt oder unterstellen könnte, dass ich dafür blind wäre.
Bei dieser Frage, um die es hierbei geht, bin ich dafür, dass man sehr genau hinschaut, was tatsächlich passiert ist. Bei manchen Dingen, die ich in den letzten Wochen noch erfahren habe, bin ich
Es gab viele DDR-Bürger, die froh waren, wenn sie an Westmedikamente herangekommen sind. Das gilt übrigens auch für konfessionelle Krankenhäuser. Es gab viele Krankenhäuser, die froh waren, wenn sie Devisen und medizinische Apparaturen bekommen haben, weil sie besser damit umgehen konnten. Das muss man also im Auge behalten.
Richtig ist allerdings - und dabei bleibt es; das gilt sowohl für Tests der westdeutschen Pharmaindustrie wie für ostdeutsche DDR-Betriebe auch -: Menschen darf man nicht als Versuchsobjekte benutzen, wenn sie vorher nicht ordentlich aufgeklärt worden sind. - Als Versuchsobjekte darf man sie sowieso nicht benutzen. Sie müssen vorher aufgeklärt werden über die Folgen, sie müssen darüber aufgeklärt werden, woran sie teilnehmen, und sie müssen auch über die Risiken informiert werden.
Es kann sein, dass einiges immer wieder hochkocht, weil wir in einem System groß geworden sind, in dem vieles, wie wir nach der Wende mitbekommen haben, nicht transparent war und in dem hinter den Kulissen viel geschoben wurde. Alle von uns wissen, dass es Genex und Nimex und verschiedene Kanäle gab, wo auch Geld in Devisen abgerechnet worden ist. Dabei spielte mit Sicherheit auch die Pharmaindustrie und vieles andere eine große Rolle.
Zum Arzneimittelgesetz der DDR. Ich bin darauf gekommen, weil es eine ähnliche Untersuchung schon gleich nach der Wende gab. Es gab einen Artikel im „Spiegel“ - ich glaube im Jahr 1991 -, der ähnliche und sogar noch ein bisschen radikalere Vorwürfe erhoben hat. Daraufhin hat die Berliner Senatsverwaltung schon damals, im Jahr 1991, eine Kommission eingerichtet, die den Auftrag erhielt, die Praxis der Arzneimittelüberprüfung im Ostteil der Stadt Berlin aufzuklären.
Die Kommission kam damals - dass man das heute wieder machen muss, dazu werde ich nachher noch etwas sagen - zu folgenden Erkenntnissen: Sie sah damals keinen Anhaltspunkt dafür, dass bei klinischen Arzneimittelprüfungen der DDR grundlegend andere Maßstäbe oder Vorgehensweisen als in der Bundesrepublik zur Anwendung kamen.
Jetzt mache ich noch einen kurzen Einschub: Tatsächlich war in der DDR 1964 im Arzneimittelgesetz schon festgelegt, dass nur diejenigen Arzneimittel in den Verkehr gebracht werden, die tatsächlich ausreichend erforscht, geprüft und klinisch erprobt sind und deren Wirksamkeit und Unschädlichkeit erwiesen ist.
nicht wussten, wie das im Einzelnen durchgeführt wurde. Aber ein finanzielles Interesse von Ärzten in Krankenhäusern daran, solche Tests nicht ordentlich vorzunehmen, weil sie persönlich einen finanziellen Vorteil davon hätten, kann man wahrscheinlich nicht feststellen. Interesse hatten die Universitätskliniken und andere schon, wenn sie dafür mit besonderen Apparaturen ausgerüstet wurden oder ihre Forschungsvorhaben mit Devisen unterstützt worden sind.
In der Bundesrepublik wurde erst in den 70erJahren das Arzneimittelgesetz neu gefasst. Alle kennen die Folgen von Contergan und ähnliche Geschichten. Das Arzneimittelgesetz wurde im Laufe der Zeit auch verschärft.
Dann gab es einen Vergleich dieser Berliner Kommission, die sagte: Wenn man beide Arzneimittelgesetze miteinander vergleicht, das der DDR aus dem Jahr 1964 und das der Bundesrepublik aus den 70er-Jahren - das wurde mehrfach geändert -, dann wird man feststellen, dass die gesetzlichen Bestimmungen in der DDR nicht hinter die bundesdeutschen zurückgefallen sind, sondern in einzelnen Punkten sogar darüber hinausgingen. Aber das ist lediglich die rechtliche Betrachtungsweise.