Protocol of the Session on April 26, 2013

Damit ergibt sich grundsätzlich die Pflicht auch für das Land Sachsen-Anhalt zur Prüfung, ob und wie der vom Bundesverfassungsgericht dargestellte Zusammenhang des zwischen dem Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit vollumfänglich gewährleistet wird.

Das Bundesverfassungsgericht stützt sich in seiner Begründung auf folgende Grundaussagen, die ich auszugsweise zitiere:

Erstens. Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen.

Zweitens. Ähnlich wie in Bayern ist auch in Sachsen-Anhalt die Verwaltungspraxis, dass der Gesetzgeber es erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Damit wird der Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zulasten der Beitragsschuldner entschieden.

Drittens. Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können. Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich

auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können.

Viertens. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten.

Fünftens. Ausdruck der Gewährleistung von

Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und dementsprechend disponieren zu können.

Sechstens. Es ist den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne bestätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

Siebtens. Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch den Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung des Vorteils, der dem Betroffenen zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist. Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge.

Folgt man nun grundsätzlich diesen Aussagen, dann ist der Gesetzgeber, also wir als Land, aufgefordert, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung der Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.

Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen der Bürger völlig unberücksichtigt zu lassen oder gar von einer Regelung Abstand zu nehmen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.

Meine Damen und Herren! Mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, darzustellen, ob, wie und mit welchen Regelungen sie die vom Bundesverfassungsgericht getroffene Grundsatzentscheidung berücksichtigen will. Wir bitten daher um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag und sehen einer fachlichen und sachlichen Diskussion im Innenausschuss entgegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Grünert. - Es wurde eine Fünfminutendebatte zu diesem Tagesordnungspunkt vereinbart. Doch zunächst spricht für die Landesregierung Herr Minister Stahlknecht.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Grünert, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betrifft eine Sonderregelung des bayerischen Kommunalabgabengesetzes. Eine gleichlautende Regelung gibt es im hiesigen Kommunalabgabengesetz nicht. Daher hat diese Entscheidung zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen auf unser Gesetz und auf unser Land. Das ist zunächst die Feststellung.

Wir sind aber der Auffassung, dass wir diese Entscheidung gleichwohl nicht außer Betracht lassen wollen, weil es möglicherweise auch entscheidungstragende Gründe gibt, die für die Beurteilung in Sachsen-Anhalt Anwendung finden können. Das gilt aber in erster Linie nur für den Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen, also für die Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung; denn dazu ist im hiesigen KAG geregelt, dass die Beitragspflicht entsteht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung.

Hierbei muss es sich nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes Sachsen-Anhalt um eine wirksame Satzung handeln. Daraus folgt die

Möglichkeit, dass noch längere Zeit nach Erlangung des Vorteils - das sind die Punkte, die Sie stets bewegen - ein Beitragsschuldner zum Vorteilsausgleich herangezogen werden kann.

Soweit das Entstehen der Beitragspflicht an das Inkrafttreten einer wirksamen Satzung anknüpft, sieht das hiesige Kommunalabgabengesetz keine Obergrenze für den Zeitraum zwischen dem Abschluss der Baumaßnahme und der Beitragserhebung vor. Es dürfte demzufolge im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht von vornherein auszuschließen sein, dass ein Beitragsbescheid unter Berufung auf einen außergewöhnlich langen Zeitraum zwischen Erlangung eines Vorteils und der Beitragserhebung erfolgreich angefochten wird.

Vor diesem Hintergrund prüfen wir in meinem Ministerium, welche Konsequenzen sich aus diesem Beschluss des Verfassungsgerichtes auf die hiesige Rechtslage ergeben und ob wir möglicherweise dementsprechend auch gesetzlichen Handlungsbedarf haben.

Für den Bereich der Straßenausbaubeiträge, also innerhalb des Straßenbeitragsrechts stellt sich die aufgezeigte Rechtslage in vergleichbarer Weise nur für solche Maßnahmen dar, die vor dem 22. April 1999 begonnen wurden. Denn seit dieser Zeit besteht die gesetzliche Forderung in SachsenAnhalt, dass Beiträge nur dann erhoben werden können, wenn vor der Entscheidung über die beitragsauslösende Maßnahme eine Beitragssatzung vorliegt.

Wir werden gern im Innenausschuss, insbesondere im Hinblick auf die leitungsgebundenen Beiträge, unsere Rechtsauffassung darstellen. Insofern sehen wir einer Überweisung in den Innenausschuss entgegen, weil wir dort auch diese rein juristisch zu beantwortende Frage mit Ihnen erörtern können. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Für die Fraktion der CDU spricht nun der Abgeordnete Herr Bönisch.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Grünert, ich habe eigentlich gedacht, das wäre ein typischer Fall für eine Kleine Anfrage. Man könnte fragen, welche Konsequenzen die Landesregierung aus diesem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zieht. Dann könnte man darüber einmal beraten und vielleicht auch einen Antrag formulieren.

Man könnte vielleicht auch eine Selbstbefassung im Ausschuss hierzu beantragen. Wir haben uns schon mit ganz anderen Themen im Rahmen der

Selbstbefassung im Ausschuss befasst. Da Sie aber eine Debatte im Plenum zu diesem Thema wollten, dachte ich, es kommt irgendeine große Erleuchtung, dass wir vielleicht schon mehr Erkenntnisse haben.

Sie stellen dar, dass das Kommunalabgabengesetz schon ein altes Thema ist, das viele Leute lange bewegt. Mit den vielen Ausführungen, die Sie zu irgendwelchen Petitionsnummern, Drucksachennummern aus irgendwelchen Wahlperioden usw. gemacht, haben Sie weder der Sache noch sich selbst geholfen. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten gesagt, wir führen hierzu keine Debatte, wenn es schon ein Antrag im Plenum geworden ist. So ist es aber nicht gekommen.

Sie haben den Inhalt des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes hinreichend dargelegt. Der Minister hat die Anpassungen und die Fragen, die sich daraus für Sachsen-Anhalt ergeben, aufgezeigt. Inhaltlich bleibt mir nichts weiter zu sagen. Ich bedauere nur, dass wir uns mit solchen Themen hier im Plenum befassen müssen, bevor sie spruchreif sind. - Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Vielen Dank

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Herr Bönisch. - Als Nächster spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Abgeordneter Weihrich.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist vollkommen unstrittig, dass die Frage, inwieweit Beiträge nach dem KAG zeitlich rückwirkend erhoben werden können, einen wichtigen Diskussionspunkt im Zusammenhang mit dem KAG darstellt. Ich glaube, das bedarf keiner weiteren Ausführungen.

Insofern ist es sehr wichtig, sich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu befassen. Das Bundesverfassungsgericht hat - das haben Herr Minister Stahlknecht und auch Herr Grünert dargelegt - in dem Beschluss vom 5. März 2013 hinsichtlich der Verjährungsfristen nunmehr nicht mehr auf den Zeitpunkt des Zustandekommens einer rechtsgültigen Satzung, sondern auf den Zeitpunkt der Vorteilslage, also zum Beispiel auf den Anschluss an eine Abwasser- und Niederschlagswasserleitung, abgestellt.

Da - auch das hat Herr Minister Stahlknecht schon erwähnt - nach § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG die Pflicht zu Beiträgen für leitungsgebundene Einrichtungen frühestens mit dem Inkrafttreten der jeweiligen Satzung entsteht, könnte der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts die Gültigkeit dieser Regelung durchaus infrage stellen. Außerdem könnte

der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts die Bestandskraft bereits ergangener Bescheide tangieren.

Insofern sehe ich an dieser Stelle dringenden Handlungsbedarf. Ich bitte Herrn Minister Stahlknecht darum, die von ihm avisierte Prüfung schnell abzuschließen, damit wir auch gemeinsam schnell handeln können und zu diesem wichtigen Punkt Rechtsklarheit schaffen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Es ist also Grund genug, sich mit diesem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu beschäftigen. Daher wird meine Fraktion dem Antrag der Fraktion DIE LINKE zustimmen. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Kollege Weihrich. - Für die Fraktion der SPD spricht nun Frau Abgeordnete Schindler.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Hätten Sie sich, Herr Grünert bzw. die Fraktion DIE LINKE, auf den ersten Punkt ihres Antrages beschränkt, wäre er vielleicht sogar zustimmungsfähig gewesen, nämlich bezüglich der Aussage, dass dieser Beschluss geprüft werden sollte und im Ausschuss vorgetragen werden sollte, welche Auswirkungen dieser Beschluss auf unser Kommunalabgabengesetz hat.

Sie haben aber unter Nr. 2 Ihres Antrages weitere Ausführungen beigefügt und darin das Prüfungsergebnis vorweggenommen. Ich bin mir nicht zu 100 % sicher, dass es grundsätzliche Handlungsnotwendigkeiten gibt. Dieser Prüfung bedarf es. Ich bin auch dafür, dass wir im Ausschuss darüber diskutieren, inwieweit wir unser Kommunalabgabengesetz anpassen.

Was mich bei diesem Antrag viel mehr stört, ist das, was wir im Zusammenhang mit der Diskussion über das Kommunalabgabengesetz von Ihnen schon öfter gehört haben. Vor allem die Begründung des Antrages ist für mich ein Grund dafür, diesem Antrag nicht zuzustimmen, sondern ihn lediglich in den Ausschuss zu überweisen.

In der Begründung des Antrages wird wiederum von einem Misstrauen gegenüber den Städten und Gemeinden und den öffentlichen Verwaltungen gesprochen sowie grundsätzlich von Benachteiligungen von Bürgern und von Einnahmenbeschaffung.

Wenn Sie in Ihrer Begründung ausführen, dass das Kommunalabgabengesetz immer stärker zuungunsten der Bürgerschaft ausgearbeitet worden ist, dann zeugt das von diesem Misstrauen. Hierzu halte ich Ihnen direkt entgegen: Wenn Sie von

einer Bürgerschaft sprechen, dann ist es nicht nur der einzelne Bürger, der mit einem Abgabenbescheid zu rechnen hat. Vielmehr ist die Bürgerschaft die Gemeinschaft aller in der Gemeinde lebenden Bürger. In dieser Gemeinde leben Bürger mit Rechten und auch mit Pflichten. Das ist eine Abwägung, die auch immer vor Ort getroffen werden muss.

Wenn Sie davon sprechen, dass dieses Recht ausgenutzt wird, dann halte ich Ihnen § 2 des Kommunalabgabengesetzes, der seit 1991 gilt, vor, in dem Folgendes formuliert ist:

„Kommunale Abgaben dürfen nur aufgrund einer Satzung erhoben werden. Die Satzung muss den Kreis der Abgabeschuldner, den die Abgabe begründenden Tatbestand, den Maßstab und den Satz der Abgabe sowie die Entstehung und den Zeitpunkt der Fälligkeit der Schuld bestimmen.“

In dieser Regelung ist fast alles dargestellt, woran sich eine Gemeinde halten kann. Wenn wir eine entsprechende Rechtsprechung in Sachsen-Anhalt haben, dann wissen wir auch, dass wir - das haben Sie dargestellt - verschiedentlich und auch politisch motiviert in Gesetze eingegriffen haben. Ich erinnere nur an die authentische Gesetzesinterpretation, die kläglich vor dem Verfassungsgericht gescheitert ist.