Protocol of the Session on February 21, 2013

Es geht unserer grünen Fraktion bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs um zwei wesentliche Punkte. Erstens geht es darum, die Lücke im Vergabegesetz, die entstanden ist, zu schließen. Zweitens geht es um die Zuwendungen für die Beschäftigten, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, das durch die öffentliche Hand bezahlt wird.

An dieser Stelle sollte Sachsen-Anhalt mit gutem Beispiel vorangehen; denn wenn die Möglichkeit besteht, ein Gesetz zu verabschieden, welches den Menschen, die unmittelbar für das Land oder die Kommunen arbeiten, einen gesetzlichen Mindestlohn garantiert, wäre das der erste Schritt in die richtig Richtung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Land sollte an dieser Stelle ein klares politisches Signal senden. In Bremen gibt es beispielsweise bereits seit letztem Jahr ein Landesmindestlohngesetz.

Was ist an einem Landesmindestlohngesetz gut und warum brauchen wir es in Sachsen-Anhalt? - Dazu einige Erläuterungen.

Ein Landesmindestlohngesetz hat den Vorteil, dass wir den Mindestlohn per Gesetz festlegen und dies ein gesetzgeberischer Akt ist. Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer muss ganz klare Vorstellungen davon haben, was in diesem Land Recht und was Unrecht ist, was Gesetz ist und was nicht Gesetz ist.

Ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 € ist niedrig und man kann sich die Frage stellen, ob man davon gut leben kann. Wenn man einen Stundenlohn von 8,50 € in einer 40-Stunden-Woche und einem normalen Arbeitsmonat - in Anführungsstrichen - zugrunde legt, dann kommt man in Sachsen-Anhalt aktuell auf 1 080 € netto im Monat.

Man kann als Alleinstehender von diesem Geld ohne staatliche Hilfen leidlich leben. Man sollte es politisch schaffen, dass ein Mensch von seinem Arbeitslohn leben kann; denn ansonsten fordert man den Sozialstaat - in unserem Fall die öffentliche Hilfe - heraus; denn dann werden beispielsweise Beihilfen zur Miete oder zur Heizung oder weitere Hilfen in Anspruch genommen.

Es ist auch eine Frage der Menschenwürde. Darauf bin ich gleich zuerst eingegangen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen, wenn sie in Vollzeit arbeiten gehen, in der Lage sein, von ihrer Arbeit zu leben, ohne die öffentliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Einführung eines Mindestlohns einschließlich seiner Höhe ist Sache des Gesetzgebers. Das Existenzminimum ist sozusagen eine politische Einkommensfestlegung, ein politischer Teil des

Einkommens. Ein gesetzlich beschlossener Mindestlohn ist eine verlässliche Grundlage für die Aushandlung von Arbeitsverträgen und weitere Tarifverhandlungen. Ein Mindestlohn verstößt nicht gegen die Tarifautonomie. Ein Mindestlohn ist vielmehr ein sicherer Boden, auf dem sich die Tarifverhandlungen abspielen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nur mit einer gesetzlichen Vorgabe in Bezug auf eine konkrete Höhe legt man fest, auf welcher Grundlage eine Kommission arbeiten soll. Die Erstfestlegung des Mindestlohnes muss durch den Gesetzgeber erfolgen.

In § 5 des Entwurfs für ein Landesmindestlohngesetz ist die Zusammenstellung der Kommission beschrieben. Sie soll aus jeweils zwei Arbeitgebervertretern bzw. Arbeitgebervertreterinnen, zwei Arbeitnehmervertretern bzw. Arbeitnehmervertreterinnen und einem unabhängigen Wissenschaftler bzw. einer unabhängigen Wissenschaftlerin bestehen.

Die Kommission trifft jedes Jahr zu Beratungen zusammen, um den Mindestlohn aufgrund von Teuerungsrate, Inflation und gestiegenen Lebenshaltungskosten gegebenenfalls neu festzulegen. Die gesetzliche Untergrenze steht immer bei 8,50 €.

So kann man eine faire Entlohnung schaffen, von der insbesondere jene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren können, welche mit ihrem Stundenlohn bei der ersten Erhöhung des Mindestlohnes durch die Kommission nur knapp über 8,50 € lagen.

Wenn das Land oder die Kommunen etwa Reinigungsfirmen beauftragen, Leistungen zu übernehmen, dann würde ein Landesmindestlohn den Angestellten dieser Unternehmen zugute kommen; denn deren allgemeiner Mindestlohn auf der Grundlage des Entsendegesetzes liegt momentan in Ostdeutschland bei ca. 7 €. Im Vergabeverfahren würden Firmen, die nur diesen Lohn zahlen, nicht berücksichtigt.

Gilt ein Mindestlohn zumindest für die Angestellten im öffentlichen Dienst wie auch für Auftragnehmer staatlicher Aufträge, dann lassen sich diese beiden Gruppen auch nicht mehr gegeneinander ausspielen. Damit ist und bleibt die Sicherheit, zum Beispiel im Bereich der Gebäudereinigung, gewahrt. Denn private Dienstleister bieten diese Tätigkeit zu Dumpinglöhnen an. Ein Landesmindestlohngesetz macht damit Schluss.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

In der Abfallwirtschaft liegt der Mindestlohn aufgrund eines allgemein verbindlichen Tarifvertrages zum Beispiel nur einige Cent über 8,50 € in der Stunde. Sobald die verbindlichen Tarifverträge nur durch einige Cent über 8,50 € verhandelt werden, ist hierbei eine Anpassung möglich. Die Bereiche,

die davon betroffen werden, könnten dann auch davon profitieren, dass die Kommission einmal im Jahr die gesetzliche Mindestregelung neu gestaltet, und können dann darauf aufsatteln.

(Frau Take, CDU: Das ist der völlig falsche Weg, Frau Latta!)

Zu den Arbeitnehmerinnen, die gegebenenfalls von einem Landesmindestlohngesetz profitieren, gehören aufgrund der Aufnahme der Zuwendungen beispielsweise Behindertenfahrdienste, Essen auf Rädern und Wohlfahrtsverbände in der Jugend-, Alten- oder Behindertenarbeit, deren Arbeit über Pflegesätze mit öffentlichen Geldern finanziert wird.

Einen Stundenlohn von mindestens 8,50 € müssten dann in Zukunft sachsen-anhaltische Behörden und öffentliche Einrichtungen sowie Zuwendungsempfänger und Zuwendungsempfängerinnen zahlen, zum Beispiel die Wohlfahrtsverbände oder Einrichtungen, die öffentlich gefördert werden.

Einen allgemeinen Mindestlohn für sämtliche Unternehmen einzuführen, liegt leider nicht in der Kompetenz des Landes, sondern in der des Bundes. Deshalb ist die Initiative im Bundesrat für einen allgemeinen Mindestlohn richtig und wichtig. Solange aber keine bundesweiten Regelungen existieren, sollten wir in Sachsen-Anhalt unsere regionalen Handlungsspielräume ausschöpfen. Der Mindestlohn könnte auch für Behindertenfahrdienste oder Vereinslokale von öffentlich geförderten Vereinen oder für Betriebe mit wirtschaftlicher Förderung greifen. Nicht betroffen sind Auszubildende oder Praktikanten.

Bei 8,50 € liegt die Untergrenze für existenzsichernde, menschenwürdige Löhne. Es kann nicht sein, dass momentan in Sachsen-Anhalt so viele Menschen im Niedriglohnsektor arbeiten und zusätzlich zu ihrer Arbeit aufstocken und zum Arbeitsamt gehen müssen.

(Zuruf von Herrn Rosmeisl, CDU)

Durch ein Landesmindestlohngesetz soll sichergestellt werden, dass zum Beispiel der Weg einer gesamtschuldnerischen Haftung seitens der Arbeitgeber klargestellt ist, die dafür zuständig sind und nachzuweisen haben, dass diese gesetzliche Norm auch eingehalten wird.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ein Landesmindestlohngesetz ist ein erster und wichtiger Schritt in Richtung gerechte Löhne und gute Arbeit. Dass Mindestlöhne keine negative Wirkung auf die Beschäftigung haben, wurde von offizieller Seite jüngst erneut eindrucksvoll bestätigt.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, kurz BMAS, hatte im Jahr 2011 eine umfassende wissenschaftliche Überprüfung der bestehenden

Regelungen zu allgemein verbindlichen Mindestlöhnen in acht Branchen, in der Bauindustrie, im Dachdeckerhandwerk, in der Abfallwirtschaft, in der Wäschereidienstleistung, in der Gebäudereinigung, in der Pflegebranche, im Maler- und Lackiererhandwerk und in der Elektrobranche, in Auftrag gegeben.

Das Ergebnis war: Die Forscher aus sechs verschiedenen Wirtschaftsinstituten konnten erneut nirgendwo Beschäftigungsverluste aufgrund von Mindestlohnregelungen feststellen. Im Gegenteil: Selbst die betroffenen Arbeitgeber und ihre Verbände sahen überwiegend positive Auswirkungen der bestehenden Mindestlohnregelungen.

Die Prognos-Studie zeigt, dass ein gesetzlicher Mindestlohn die öffentlichen Haushalte erheblich entlasten würde. Ich beziehe mich jetzt auf die Bundesebene. Die positive Wirkung auf die öffentlichen Haushalte ergibt sich im Wesentlichen aus zusätzlichen Steuereinnahmen, aus höheren Einnahmen bei den Sozialversicherungen, Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, bei gleichzeitig geringeren Sozialausgaben, etwa Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und Wohngeld.

Es müssen schon erheblich und völlig unrealistische Beschäftigungsverluste unterstellt werden, um überhaupt auf negative finanzielle Effekte für den Gesamtstaat zu kommen. Allerdings lassen sich derartige Beschäftigungsverluste in der Realität nicht nachweisen.

Mindestlöhne haben auch einen starken positiven Effekt auf die öffentlichen Haushalte. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes auf Bundesebene, beispielsweise in Höhe von 8,50 €, verbessert die Einkommenslage von ca. fünf Millionen Vollzeitbeschäftigten und fast sechs Millionen geringfügig oder teilzeitbeschäftigten Menschen zum Teil erheblich.

Auch die öffentlichen Haushalte und die Sozialversicherungen würden deutlich profitieren, so zum Beispiel durch eine Eindämmung von Lohndumping, durch die Sicherung von Mindeststandards gegen soziale und ökonomische Destabilisierung, durch den Schutz vor Niedriglohnarmut und durch einen Beitrag zur Bekämpfung der Einkommensdiskriminierung von Frauen.

Mit Sicherheit reicht uns GRÜNEN ein Landesmindestlohngesetz nicht, aber es ist das, was wir hier vor Ort erreichen können. Wir können zum einen für faire Entlohnung in einem begrenzten Bereich direkt sorgen. Wir können zum anderen auch ein klares Signal senden. Wir sollten die Ausstrahlung eines Landesmindestlohnes und der jährlichen Anpassung durch die Kommission in die Tarifverhandlungen im Land nicht unterschätzen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Deshalb werbe ich für diesen Gesetzentwurf und bitte um die Überweisung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales. - Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank für die Einbringung des Gesetzentwurfes, Frau Abgeordnete. - Wir steigen nunmehr in die Debatte ein. Verabredet war eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion. Als Erster spricht für die Landesregierung der Minister für Arbeit und Soziales Herr Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um die Einführung einer gesetzlich geregelten Lohnuntergrenze ist nicht neu, auch im Landtag nicht, und wird in der letzten Zeit mit zunehmender Intensität geführt. Das wird auch in den nächsten Monaten so sein.

Man kann festhalten, dass es in großen Teilen der Gesellschaft, der Wissenschaft und der Politik inzwischen einen Konsens über die Notwendigkeit einer allgemein verbindlichen Mindestlohnregelung gibt. Das ist immerhin ein großer Schritt.

Auch wir im Landtag von Sachsen-Anhalt diskutieren über dieses Thema schon im Zusammenhang mit dem Vergabegesetz und mit anderen Anträgen. Ich möchte Sie deshalb auch nicht mit Zahlen langweilen; denn die Fakten sind weitestgehend bekannt. Das wurde schon ausgetauscht und eben von Frau Latta in Teilen noch einmal zur Sprache gebracht.

Aber ich glaube, dass es an dieser Stelle angebracht ist, sich noch einmal vor Augen zu führen, worüber wir sprechen. Es geht um nicht weniger als um die Einkommensbedingungen von knapp 200 000 Beschäftigten in Sachsen-Anhalt. Das entspricht einem Anteil von mehr als 20 % aller Menschen, die in unserem Land einer Arbeit nachgehen. Würde man die indirekt betroffenen Kinder in die Berechnung einbeziehen, käme man auf weit größere Zahlen.

Alles in allem sind die Lebenschancen von mehr als jeder zehnten Einwohnerin bzw. mehr als jedem zehnten Einwohner unseres Landes betroffen. Viele dieser Menschen führen derzeit noch ein Leben am Rande des wirtschaftlichen Existenzminimums.

Die Landesregierung ist sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst. Nicht zuletzt deswegen wurde das Engagement für faire Löhne und zur Bekämpfung von Lohndumping als ein wichtiges Ziel in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen. Allerdings steht dort auch, dass wir uns für die Stärkung der

Sozialpartnerschaft und für Tarifautonomie einsetzen wollen.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Nach unserer Auffassung gehört auch das zur Schaffung attraktiver Rahmenbedingungen für die Beschäftigten im Land. Nach meiner Auffassung bilden aber gesetzlich geregelte Lohnuntergrenzen und Tarifautonomie keine Gegensätze. Der Blick auf die Beschäftigten, um die es hierbei geht, zeigt nämlich, dass eine verbindliche bundeseinheitliche Regelung die Tarifpartnerschaft gerade nicht weiter schwächt.