(Zustimmung bei der LINKEN - Herr Gallert, DIE LINKE: Ja! - Herr Wagner, DIE LINKE: Jetzt haben Sie es endlich mitbekommen! - Weitere Zurufe von der LINKEN)
Man könnte sagen: alter Wein in neuen Schläuchen. Oder besser gesagt: abgestandener Wein in neuen Schläuchen. Die Weinkenner unter uns wissen, dass alter Wein manchmal recht gut sein kann. Aber dieser Wein ist es nicht, ganz im Gegenteil.
Wenn man nach der Überschrift weiterliest, so stellt man fest: Dieser Antrag hat in Teilen eine durchaus neue, aber nicht bessere Qualität.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war ziemlich erschrocken, als ich dort unter Punkt 1 lesen musste - ich zitiere; Sie alle können dies nachlesen -:
„Der Landtag spricht sich dafür aus, dass in Unternehmen in öffentlicher Trägerschaft oder mit öffentlicher Beteiligung keine Stundenlöhne unter 8,50 € gezahlt werden dürfen und dass dies künftig tarifvertraglich abzusichern ist.“
Dass dies künftig tarifvertraglich abzusichern ist - liebe Kolleginnen und Kollegen, das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Der Landtag schreibt Tarifpartnern vor, was sie künftig vertraglich abzusichern haben. Für mich persönlich ist das eine Vorstellung, die mich wirklich erschauern lässt.
Denn damit würden wir das Ende der Tarifautonomie einläuten, die im Übrigen eine der Grundsäulen der sozialen Marktwirtschaft darstellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich - und mit mir sicherlich die übergroße Mehrheit in diesem Hohen Hause - bin der Meinung, dass Niedriglöhne die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in unserem Bundesland gefährden und nachhaltig beeinträchtigen.
Der soziale Frieden und der Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt laufen Gefahr, durch prekäre Arbeitsbedingungen und unangemessen niedrige Löhne Schaden zu nehmen. Wir sehen es deshalb als nötig an - das können Sie unserem Alternativantrag entnehmen -, darauf hinzuweisen, dass Unternehmen mit öffentlichen Eigentümern für all ihre Beschäftigten faire Arbeitsbedingungen und existenzsichernde Löhne garantieren.
Deshalb fordern wir die Tarifpartner - ich betone: die Tarifpartner - auf, die Verhandlungen wiederaufzunehmen bzw. weiterzuführen, um das Ziel angemessener Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zu erreichen. Wir vertrauen darauf, dass bei diesen Verhandlungen existenzsichernde Löhne, angemessene Arbeitsbedingungen, die Rückführung von Befristungen sowie die Sicherstellung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf tarifvertraglicher Basis einvernehmlich vereinbart werden.
(Zustimmung bei der CDU) , Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ausdrücklich betonen: Für uns sind Lohndumping und jede Erscheinungsform prekärer Beschäftigung nicht hinnehmbar. (Beifall bei der CDU - Herr Wagner, DIE LIN- KE: Aber?)
Auch darum haben wir den Kampf dagegen im Koalitionsvertrag vereinbart und festgeschrieben. Wir haben in demselben Satz des Koalitionsvertrages, in dem wir dem Lohndumping den Kampf ansagen, ausdrücklich die Stärkung der Tarifautonomie betont. Wie wichtig es ist, die Tarifautonomie als tragende Säule der sozialen Marktwirtschaft tagtäglich aufs Neue zu betonen und zu verteidigen, wird uns heute auf eine ganz neue Art wieder vor Augen geführt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Politik hat die Aufgabe, die Tarifpartner immer wieder auf ihre Verantwortung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, aber auch für die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unseres Landes hinzuweisen - nicht mehr und nicht weniger. Dies gilt nicht nur für ein spezielles Unternehmen, sondern für die gesamten Unternehmen einer Branche. Dies gilt auch für alle Branchen in unserem Land. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Alternativantrag.
Herr Kollege Rotter, es gibt zwei Anfragen, nämlich von Herrn Knöchel und von Herrn Lange. Möchten Sie diese beantworten?
Dann fahren wir in der Debatte fort. Als Nächste spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Latta.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützen den Antrag der Fraktion DIE LINKE „Keine Löhne unter 8,50 € in Unternehmen mit öffentlicher Trägerschaft“ und bringen einen Änderungsantrag ein, der vorsieht, Punkt 1 des Antrags der Fraktion DIE LINKE wie folgt zu formulieren:
„Der Landtag spricht sich dafür aus, dass in Unternehmen in öffentlicher Trägerschaft oder öffentlicher Beteiligung keine Stundenlöhne unter 8,50 € gezahlt werden dürfen. Die Landesregierung wird gebeten, dem
Doch zuvor zum Beispiel S Direkt. Die Situation bei dem Finanzdienstleister S Direkt GmbH & Co. KG haben wir bereits dargestellt bekommen: niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Mit 1 280 € brutto im Monat bei 40 Wochenstunden sind einige Mitarbeiterinnen auf zusätzliche Leistungen vom Staat angewiesen, oder sie nehmen zusätzlich einen Nebenjob auf, um ein existenzsicherndes Einkommen zu erlangen. Diese Umstände sind inakzeptabel. Die Streikenden bei S Direkt können sich der Solidarität von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sicher sein.
Am Dienstag dieser Woche währte der Streik bereits 100 Tage und ist damit der längsten Streik von Ver.di in Sachsen-Anhalt. Die Mitarbeiterinnen des Callcenters setzen damit ein Zeichen. Die streikenden Beschäftigten fordern zusammen mit Ver.di einen Haustarifvertrag und unverzüglich mehr Geld. S Direkt erklärte seine Bereitschaft, die geforderten 8,50 € pro Stunde zu zahlen, jedoch frühestens ab Dezember 2013.
S Direkt ist jedoch nicht das einzige Unternehmen, das in Sachsen-Anhalt Mitarbeiterinnen mit Niedriglöhnen beschäftigt. Anders als in 20 der 27 Mitgliedsländer der EU gibt es in Deutschland keinen allgemein verbindlichen Mindestlohn. Zugleich ist in Deutschland der Niedriglohnsektor durch einen rasanten Anstieg der atypischen Beschäftigungsverhältnisse stark gewachsen.
Nach Berechnungen der Prognos AG auf der Basis des Sozioökonomischen Panels arbeiten derzeit 1,2 Millionen Menschen in Deutschland für weniger als 5 € brutto pro Stunde. Hinzu kommen nach Prognos weitere 2,4 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die zwischen 5 € und 7,50 € pro Stunde verdienen, sowie weitere 1,4 Millionen Beschäftigte, die zwischen 7,50 € und 8,50 € erhalten.
In Sachsen-Anhalt werden die bundesweit zweitniedrigsten Löhne - nach Thüringen - gezahlt. Zugleich hat Sachsen-Anhalt gemeinsam mit Thüringen die höchste Anzahl an Arbeitsstunden zu verzeichnen, nämlich im Durchschnitt 1 442 Stunden im Jahr. Damit bekommt der Slogan „Wir stehen früher auf“ eine ganz neue Bedeutung.
10 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Sachsen-Anhalt sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. 6 % davon arbeiten sogar in Vollzeit. Diese Situation ist in keiner Weise akzeptabel und hinnehmbar.
Mit einem Landesmindestlohngesetz soll SachsenAnhalt die landesrechtlichen Spielräume zur Einführung eines Mindestlohns nutzen. Für Beschäftigte des Landes und der Gemeinden sowie öffent
licher Unternehmen und Einrichtungen können dadurch Auswüchse eines Niedriglohnsektors eingeschränkt werden. Auch bei Zuwendungen an Unternehmen und Einrichtungen sowie bei öffentlichen Auftragsvergaben ist ein Mindestlohn per Landesgesetz durchsetzbar.
Auf der Bundesebene wird es in absehbarer Zeit kein echtes Mindestlohngesetz geben. SachsenAnhalt sollte hierbei eine Vorreiterfunktion einnehmen. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit; denn insbesondere junge Menschen und Alleinerziehende arbeiten in Niedriglohnbereichen.
Wir GRÜNEN plädieren für ein Landesmindestlohngesetz. Im rot-grünen Bremen existiert es bereits. Die grünen Kolleginnen aus Thüringen haben im Mai dieses Jahres einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, das Thüringer Mindestlohngesetz. Auch in Berlin und Hessen gab es entsprechende Initiativen. Es gilt die regionalen Handlungsspielräume auszuschöpfen.
Mit der Kompetenzzuordnung des Grundgesetzes zu vereinbaren ist ein Landesgesetz, das sich darauf konzentriert, dem Land und den Kommunen Vorgaben zum Mindestlohn zu machen und ihnen entsprechende Handlungspflichten aufzuerlegen. Wir brauchen Mindestlöhne für Beschäftigte des Landes, für Beschäftigte öffentlicher Unternehmen und Einrichtungen sowie für Beschäftigte öffentlicher Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer. Ebenfalls ist eine Landesmindestlohnkommission einzusetzen und eine Festsetzung des Mindestlohns auf mindestens 8,50 € je Zeitstunde erforderlich.
Seit mehr als zehn Jahren stagnieren oder sinken die realen Einkommen in Deutschland, und zwar trotz stetig wachsender Preise. Ein wichtiges Instrument, um diese Entwicklung zu stoppen, ist die Einführung einer allgemeinen gesetzlichen Lohnuntergrenze. Kernpunkt sozialer Gerechtigkeit ist, dass Menschen von ihrem Lohn leben können. Die Lohnspirale nach unten muss gebremst werden. Zudem müssen Subventionierungen der Niedriglöhne gestoppt werden.
Verehrte Regierungskoalition, wenn Sie Unternehmen mit öffentlichen Eigentümern in der Pflicht sehen, existenzsichernde Löhne zu zahlen, dann machen Sie es auch zur Pflicht. Seien Sie konsequent und sprechen Sie sich für ein Landesmindestlohngesetz aus. Wenn es, wie Sie schreiben, nicht sein darf, dass Mitarbeiterinnen solcher Unternehmen ihren Lohn aufstocken müssen, dann verbieten Sie es. Ein Mindestlohn würde ein Aufstocken der Löhne mittels Sozialleistung in vielen Fällen beenden, wenn auch sicherlich nicht für Arbeitnehmerinnen mit Kindern; denn dafür brauchte es - -
Dann komme ich kurz zu dem letzten Punkt. Ein allgemeiner flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn setzt klare Grenzen. Gesetzliche Mindestlöhne machen Schluss mit Lohndumping und führen zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, ein Landesmindestlohngesetz zu erarbeiten. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön, Kollegin Latta. - Wir können als Gäste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der S Direkt-Belegschaft auf der Tribüne begrüßen. Willkommen im Hause!
Wir fahren in der Debatte fort. Als Nächste spricht für die Fraktion der SPD die Fraktionsvorsitzende Frau Budde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier im Hause schon oft über Arbeitsbedingungen geredet, leider meist über schlechte und prekäre. Dabei wurde vieles gesagt, was man heute richtigerweise noch einmal sagen könnte. Aber ich würde das Ganze gern von einer anderen Seite anfassen.
Voranschicken möchte ich Folgendes: Wenn man sich die Beschreibungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ansieht und sich dann ansieht, was die Geschäftsführung in den letzten Tagen geschrieben hat, dann kommt es einem so vor, als wäre von zwei unterschiedlichen Unternehmen die Rede. Bei dem einen Unternehmen geht es um prekäre Beschäftigungsverhältnisse, bei dem anderen Unternehmen hat man das Gefühl, dort arbeiten alle in einer Wellnessoase mit Grünpflanzen und Räumen für die Regeneration.
Die können nicht von dem gleichen Unternehmen reden. Ich finde den Unterschied zwischen der Direktbeschreibung der Situation und dem, was angeblich dort vorzufinden ist, schon ziemlich deutlich.
Ich will noch einmal ganz deutlich sagen: Ich glaube kaum, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so lange streiken würden, wenn sie in einer solchen Wellnessoase arbeiten würden. Dann läge auch die Fluktuation nicht bei 30 %, 29 % oder 26 %. Das ist alles viel zu hoch. Vielmehr gäbe es dann ein konstantes Betriebsklima, bei dem es mehr Bewerbungen auf freie Stellen gäbe als Menschen, die versuchten, anderswo einen Arbeitsplatz zu finden.