Protocol of the Session on September 21, 2012

Auf die ersten beiden Fragen darf ich Ihnen antworten: Das ist mir bekannt. Und: Ich werde mich heute nicht dazu hinreißen lassen, hier einen Prozentsatz zu nennen, von dem an ich meine, dass das Armutsrisiko hier in Sachsen-Anhalt problematisch wird.

(Zuruf von Frau Dirlich, DIE LINKE)

Das werde ich hier und jetzt nicht tun.

Als nächste Fragestellerin hat Frau Tiedge das Wort. Bitte.

Herr Rotter, können Sie uns bitte einmal erklären, wie man Altersarmut unterschiedlich bewerten

kann? Sie sagten, dass je nach politischer Ausrichtung Altersarmut unterschiedlich bewertet wird. Können Sie uns sagen, wie Ihre Bewertung aussieht?

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Unsere Bewertung sieht so aus, dass wir Altersarmut unbedingt verhindern müssen, weil es eine Katastrophe für diese Gesellschaft ist. Anscheinend haben Sie eine andere Bewertung. Vielleicht können Sie uns aufklären.

Sicherlich habe ich angemahnt bzw. erwähnt, dass Altersarmut durchaus nach politischer Ausrichtung unterschiedlich bewertet wird. Ich denke, wer dem Redebeitrag der Kollegin Dirlich intensiv gelauscht hat, der kann mir das bestätigen. Ich habe aber auch erwähnt, dass Lösungsansätze je nach politischer Ausrichtung unterschiedlich gebracht werden. Ich glaube, auch das werden Sie, sehr verehrte Kollegin, mir nicht abstreiten können.

(Zustimmung bei der CDU)

Als nächster Fragesteller hat der Kollege Wagner das Wort.

Herr Rotter, ich habe vernommen, dass Sie neben der gesetzlichen Rentenversicherung weitere Standbeine auch für jene als notwendig erachten, die von der Altersarmut bedroht sind. Ich gehe davon aus, dass Sie eine private Vorsorge meinen. Weil Sie in weiser Voraussicht meinen, dass diese private Vorsorge gegebenenfalls nicht gezahlt werden kann, wenn die Löhne zu gering sind, haben Sie sich hier - mit Ihrer Sprechweise - für eine Lohnuntergrenze ausgesprochen.

Entnehme ich dieser Logik richtig, dass die Höhe dieser Lohnuntergrenze oder des Mindestlohns Ihrer Auffassung nach demnach so hoch sein muss, dass nicht nur der aktuelle Lebensunterhalt bezahlt, sondern darüber hinaus noch privat vorgesorgt werden kann - als Minimum der Entlohnung? Wo würde dann diese Lohnuntergrenze liegen?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Kollege Wagner, netter Versuch, aber untauglich, mich dazu zu bringen, hier jetzt - -

(Herr Gallert, DIE LINKE: Sie sollten zu der Frage Position zu beziehen! - Weitere Zuru- fe von der LINKEN)

- Ach, Herr Gallert. - Aber wie gesagt: untauglich, mich dazu zu bringen, hier eine Zahl zu nennen.

Ich glaube, in der gestrigen Diskussion ist deutlich geworden,

(Zuruf von der LINKEN: Ja, ganz deutlich!)

wie die Position der CDU-Fraktion bezüglich einer Lohnuntergrenze ist. Ich darf einfach einmal noch einmal betonen: Die Tarifpartner sind diejenigen, die die Lohnuntergrenzen festlegen. Da werde ich als Politiker mich tunlichst nicht einmischen.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Aber, Herr Wagner, vielleicht darf ich ganz kurz noch einmal auf Ihre Frage zurückkommen. Ich halte private Vorsorge für außerordentlich wichtig. Ich halte es für richtig und wichtig, dass wir Menschen die Möglichkeit geben, so viel zu verdienen, dass sie privat vorsorgen können. Sehen Sie es mir nach, wenn ich das sage: Die Möglichkeiten der privaten Vorsorge sind so mannigfaltig, dass auch Menschen, die gering verdienen, sich das möglicherweise leisten können. - Frau Zoschke, schütteln Sie doch nicht - -

(Zurufe von der LINKEN)

Auch Wohneigentum nenne ich private Vorsorge für das Alter, und die ist häufiger, als Sie denken.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU - Zu- ruf von der LINKEN: Im Hexenhaus!)

Kollege Wagner möchte noch einmal nachfragen.

Ich kann auch auf die Zahl verzichten, das ist jetzt nicht mein Problem. Aber gerade eben in der Rede habe ich es so verstanden, als sei Ihnen enorm wichtig, dass die Lohnuntergrenzen deswegen eingeführt werden, um Altersarmut zu verhindern. Jetzt haben Sie wieder die Tarifautonomie aufs Podest gehoben. Einfache Frage: Was ist Ihnen wichtiger: die Verhinderung von Altersarmut oder die Tarifautonomie?

(Zurufe von der CDU: Och nee! - So ein Quatsch! - Das steht in der Verfassung!)

Die Frage, denke ich, verbietet fast, dass man sich darauf auch noch einlässt. Herr Wagner, beides ist aus meiner Sicht wichtig. Ich denke, wir werden versuchen, beides so hinzubekommen, dass es den Bedürfnissen der Menschen in unserem Land entspricht und dazu dient, Altersarmut zu verhindern. Ich glaube, das ist eine Aufgabe, der wir uns durchaus überparteilich stellen sollten. Ich kann Sie hier und jetzt nur dazu aufrufen, das zu tun. - Danke.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir fahren in der Debatte fort. Als Nächste spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Lüddemann.

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Pfandflaschen sind kein Mittel gegen Altersarmut. Ihnen ist sicherlich auch schon das Bild begegnet, dass nicht nur junge Menschen, die vermeintlich ihr Taschengeld aufbessern, sondern auch ältere Menschen, auch in unserem Land, auch in Sachsen-Anhalt in Containern kramen, um sich mittels Pfandflaschen den Lebensunterhalt aufzubessern. Da, muss ich sagen - das darf ich für meine ganze Fraktion sagen -, sind wir tief erschüttert.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es ist mehr als ein Armutszeugnis, dass Menschen in der fünftgrößten Industrienation der Welt so etwas nötig haben. Ein Grund dafür ist in der Debatte schon angeklungen. Auch mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Sachsen-Anhalt ein Niedriglohnland. Das Einkommensniveau liegt im Vergleich mit Westdeutschland - -

(Unruhe)

- Herr Präsident, die Kollegen zeigen an, dass sie nicht folgen können.

So, ich musste mich erst einmal sammeln. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt lade ich ein, dass wir uns alle sammeln und der Kollegin Lüddemann zuhören. - Sie haben weiterhin das Wort. Bitte schön.

Ich war gerade dabei auszuführen, dass das Einkommensniveau in Ostdeutschland 77 % des Einkommensniveaus in Westdeutschland beträgt. Jeder dritte Vollzeitbeschäftigte in Sachsen-Anhalt verdient weniger als 1 500 € brutto. Das betrifft nach Aussage der IG Metall nicht nur den Dienstleistungssektor. 22 % aller Jobs in Sachsen-Anhalt befinden sich im Niedriglohnsektor. Ich muss sagen: Da finde ich es mehr als ein falsches Signal, dass die Bundesregierung gerade in dieser Woche auf den Weg gebracht hat, den Minijob-Bereich auszuweiten. Das ist schlecht für Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Man kann nicht sagen, dass das Bundesministerium nicht die Zusammenhänge kennt; denn sehr griffig kalkuliert dasselbe Ministerium, dass derjenige, der weniger als 2 500 € im Monat verdient,

im Jahr 2030 weniger als 700 € Rente bekommt. Jeder von Ihnen kann sich denken, was 700 € im Jahr 2030 noch wert sein werden. Insofern ist es längst überfällig, dass wir uns der Rentenfrage nicht nur widmen, sondern auch Taten folgen lassen.

Niedrige Einkommen während des Erwerbslebens und Unterbrechung der Erwerbstätigkeit sind die Hauptgründe für niedrige Renten. Ein Mindestlohn, wie er gestern auch in diesem Hohen Hause ein Stückchen auf den Weg gebracht wurde, ist da ein zentraler Baustein, denn existenzsichernde Einkommen können existenzsichernde Renten nach sich ziehen.

Aber dazu müssen die Einkommen tatsächlich existenzsichernd sein. Insbesondere Berufe wie Bäckerin, Friseurin oder Verkäuferin befinden sich in der untersten Spanne der Lohngruppen: weniger als 5 € pro Stunde. Da braucht man nicht von Kreuzfahrten zu träumen. Da hat man schon im Jetzt Probleme, sich mit einer gesunden Wohnung, mit ausreichend Wohnraum, gesundem Essen, mit Mobilität und im Sinne der sozialen Teilhabe adäquat zu versorgen. Zusatzeinkommen oder - worauf Sie abgestellt haben - private Altersvorsorge ist da schlicht und ergreifend nicht möglich.

Deswegen ist es schön, dass private Vorsorge die dritte Säule ist, aber diese Säule stärkt diejenigen, die eh schon eine auskömmliche Rente erhalten. Diejenigen, die es nötig haben, sind überhaupt nicht in der Lage, diese dritte Säule zu nutzen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Der Reichtums- und Armutsbericht ist auch schon angesprochen worden. Er zeigt ganz deutlich die fortschreitende Amerikanisierung unserer Verhältnisse: Immer mehr Menschen haben immer weniger. 40 % derjenigen, die in Vollzeit erwerbstätig sind, haben in den letzten Jahren reale Einkommensverluste hinnehmen müssen. Insofern ist an eine private Rentenvorsorge nicht zu denken.

Wir müssen auch sehen, dass es eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit bzw. - besser gesagt - der Geschlechterungerechtigkeit ist. Denn viele, die diese niedrigen Einkommen haben, die sich in diesen Sphären bewegen, sind Frauen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Schon 2006 hat eine alleinlebende Seniorin in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 760 € Rente bezogen, demgegenüber alleinlebende Senioren rund 927 €. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Unterschied von 167 €.

Dabei müssen wir uns vor Augen halten: Das sind noch Senioren, die über relativ geschlossene Erwerbsbiografien verfügen. In den nächsten Jahren

gehen die Menschen in Rente, die infolge von Hartz IV und all diesen Dingen - prekäre Beschäftigung, ABM-Jobs - überhaupt nicht in der Lage sein werden, auch nur dieses Niveau zu erreichen. Das trifft im Wesentlichen wieder Frauen. Auch Teilzeitstellen werden in überproportionaler Weise von Frauen wahrgenommen.