Protocol of the Session on July 13, 2012

Danke schön, Herr Abgeordneter Lange. - Damit schließen wir die Aussprache ab und kommen zum Abstimmungsverfahren. Wir stimmen zunächst über den Ursprungsantrag ab. Eine Überweisung ist nicht beantragt worden, auch jetzt nicht.

Dann können wir über den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/1249 abstimmen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Fraktionen der SPD und der CDU. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit hat der Antrag nicht der erforderliche Mehrheit bekommen.

Es liegt dazu ein Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drs. 6/1279 vor. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Fraktionen von SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist Fraktion DIE LINKE. Damit hat der Alternativantrag die Mehrheit bekommen und der Tagesordnungspunkt 25 ist erledigt.

Wir kommen zu dem Tagesordnungspunkt 26:

Beratung

Wahl einer Schriftführerin gemäß § 7 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Landtages (GO.LT)

Wahlvorschlag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1257

Wer dem Wahlvorschlag zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen. Gibt es Gegenstimmen? - Keine. Stimmenthaltungen? - Auch nicht. Damit hat der Wahlvorschlag die Mehrheit gefunden. Frau Hohmann, wir freuen uns auf Ihre Mitarbeit im Sitzungsvorstand. Damit ist der Tagesordnungspunkt 26 erledigt.

Wir kommen zu dem Tagesordnungspunkt 27:

Beratung

Situation von Studierenden und Mitarbeitern mit Behinderung und chronischen Erkrankungen an den Universitäten, Fachhochschulen und der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle

Antrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/1263

Änderungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1289

Für die Einbringer hat Frau Abgeordnete Dr. Pähle das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über das Thema Inklusion ist in den vergangenen Landtagssitzungen bereits in Bezug auf viele Politikfelder im Hohen Hause diskutiert worden. So haben wir bereits Argumente zur Inklusion in Kindertagesstätten und in Schulen ausgetauscht. Heute stand das Thema Werkstätten für Menschen mit Behinderungen auch unter der Überschrift Inklusion.

Der logische Schritt ist nun, das Thema Inklusion auch im Bildungsbereich im Hinblick auf die Hochschulen auf die Tagesordnung zu setzen; denn all die Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen, die heute wie in

Zukunft die Schulen mit einer Hochschulzugangsberechtigung verlassen, sollen auch barrierefrei studieren können.

Die UN-Behindertenrechtskonvention umfasst in ihren 50 Artikeln Vereinbarungen zu allen gesellschaftlichen Bereichen, in denen die Teilhabe oder auch die besondere Unterstützung von Menschen mit Behinderung gesichert werden soll. So heißt es in Artikel 24 Abs. 1 unter der Überschrift Bildung - ich zitiere -:

„Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen …“

(Frau Niestädt, SPD: Das finde ich gut!)

Noch spezifischer für den Bereich der Hochschulen ist jedoch Absatz 5 des gleichen Artikels. Hierin heißt es - ich zitiere -:

„Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben. Zu diesem Zweck stellen die Vertragsstaaten sicher, dass für Menschen mit Behinderungen angemessene Vorkehrungen getroffen werden.“

Allerdings zeigt die erst kürzlich veröffentlichte Studie des Deutschen Studentenwerkes zur Situation von Studierenden mit Behinderung und chronischen Erkrankungen, dass wir in Deutschland noch weit von der Umsetzung der in der UN-Konvention verfassten Grundlagen entfernt sind. Die Hochschulen in Sachsen-Anhalt bilden hierbei sicherlich keine Ausnahme.

Rund 16 000 Studierende haben in der Befragung des DSW über ihre eigene Situation, ihre Studiensituation und Lebenssituation Auskunft gegeben und berichten von zahlreichen studienerschwerenden Bedingungen, die sie aufgrund ihrer Behinderung oder chronischen Erkrankung erfahren.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich Ihnen die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie kurz vorstellen möchte, noch eine sehr wichtige Begriffsdefinition voranstellen. Der Begriff Behinderung wird im Rahmen der DSW-Studie nach der Definition des SGB IX definiert. Als behindert werden danach Menschen bezeichnet, „wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das

Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe an der Gesellschaft beeinträchtigt ist.“

Diese Definition macht deutlich, dass es bei Menschen mit Behinderung und Studierenden mit Behinderung nicht um die Prototypen wie den Rollstuhlfahrer, den blinden oder den gehörlosen Menschen allein geht. Es gibt vielfältige Erkrankungen, die nach der Definition des SGB IX unter den Begriff Behinderung fallen. Vielmehr geht es um jedwede gesundheitliche Einschränkung, die die Teilhabe an und in der Gesellschaft erschwert.

Gerade im Rahmen eines Studiums sind es chronische Erkrankungen, die beispielsweise durch lange Krankenhausaufenthalte den individuellen Studienablauf erheblich vom Durchschnitt der Studierenden abweichen lassen. Es geht hierbei um chronische Erkrankungen wie Morbus Crohn, Multiple Sklerose, Diabetes oder Rheuma.

Des Weiteren geht es um seelisch-psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen, die die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben teilweise unmöglich machen und damit auch längere Ausfallzeiten bei den Studierenden bewirken. Weiterhin sind es zunehmend Teilleistungsstörungen wie Legasthenie, Dyskalkulie oder Dyslexie, die die Studierenden zum Studium mitbringen und auf die in der Studienorganisation und Prüfungssituation geachtet werden muss.

All diese Erkrankungen führen im Verlauf des Studiums zu besonderen Erschwernissen, die es zu bewältigen und letztlich auch zu beseitigen gilt. Dabei - darauf möchte ich gleich zu Beginn hinweisen - geht es nicht allein darum, bauliche Barrierefreiheit in den Hochschulen herzustellen, wenngleich dies eine grundsätzliche Forderung sein muss.

Lediglich 6 % der Befragten des DSW sind auf die Mindeststandards der baulichen Barrierefreiheit angewiesen. Im Baubereich geht es oftmals eher um den Abbau von Defiziten in der Akustik, der Belichtung sowie der Sicht- und Hörverhältnisse in den Vorlesungs- und Seminarräumen. Diese bedürfen nicht in jedem Fall einer baulichen Veränderung.

Dennoch sind Diskussionen über die Barrierefreiheit von Neubauten, so wie es erst kürzlich für zwei Neubauten an der Martin-Luther-Universität in Halle zu lesen war, unbegreiflich. Es liegt an Beteiligten, Universität, Bauplanern und Bauprüfern, den Schalter im eigenen Kopf umzulegen und von vornherein barrierefrei zu planen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Dennoch bedarf nicht jede unbefriedigende Situation heute einer baulichen Veränderung; vielmehr

geht es oftmals lediglich um eine Sensibilisierung aller Beteiligten.

(Frau Niestädt, SPD: Richtig!)

So berichtet eine hörbehinderte Studentin davon, dass oft keine Mikrofone in den Unterrichtsräumen vorhanden sind oder dass sie, wenn sie vorhanden sind, von den Dozenten nicht genutzt werden. Dozenten nuscheln, sprechen undeutlich

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Nicht nur Dozen- ten! - Heiterkeit)

und wiederholen nicht, was Kommilitonen gesagt haben.

Von einem sehbehinderten Studenten wird gesagt: Die Dozenten sind oftmals nicht bereit, ihre Powerpoint-Präsentationen vor der Veranstaltung für mich auszudrucken, obwohl sie das laut der Behindertenbeauftragten tun müssen. Für mich entstehen somit häufig Mehrkosten, und ich muss mich vor jeder Veranstaltung um einen Ausdruck des Materials kümmern, was oftmals schwierig ist, da die Unterlagen erst sehr spät zugänglich gemacht werden. In den Präsentationen selbst wird auf die Sehstörung generell überhaupt keine Rücksicht genommen.

Diese beiden Berichte machen deutlich, dass Barrierefreiheit im Kopf beginnt. Hier ist noch viel mehr zu tun als auf unseren Baustellen.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Lange, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Gerade vor diesem Hintergrund zielt der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen im Wesentlichen auf die Sensibilisierung für die Thematik barrierefreies Studium. Grundlage dieser Sensibilisierung ist eine allgemeine Bestandsaufnahme.

Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Hochschulen keinen Überblick über den Anteil von Studierenden und Mitarbeitern mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen besitzen.

Natürlich ist es bekannt, wenn Mitarbeiter eine Anerkennung als Schwerbehinderte haben; auch bei den Studierenden dürfte diese spezielle Gruppe bekannt sein. Aus den Daten der Studie wissen wir aber, dass lediglich 6 % der Behinderungen von Dritten bei der ersten Begegnung erkannt werden können, also sichtbar sind für Dritte. Viele Studierende mit Beeinträchtigungen besitzen keinen Schwerbehindertenausweis oder zeigen seinen Besitz nicht an.

Der wesentlich größere Anteil von gesundheitlichen Beeinträchtigungen bleibt für Dritte unsichtbar und ist auch unbekannt. Deshalb ist eine Analyse an unseren Hochschulen hierzu unerlässlich. Auch ist es wichtig, dass dokumentiert wird, welche besonderen Angebote es bereits jetzt für den besonderen Bedarf von Studierenden mit Behinde

rung und chronischen Erkrankungen gibt. Zwar bin ich der Meinung, dass der zu erarbeitende Bericht an dieser Stelle eher dünn ausfallen wird, aber wissen können wir es nicht.

Gerade in diesem Bereich ist es doch so einfach, spürbare Verbesserungen auf den Weg zu bringen.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Für einige Studierende wäre bereits die rechtzeitige und barrierefreie Bereitstellung von Lehrmaterial, also ausgedruckte Präsentationen und die Umstellung auf barrierefreie Dokumententypen, eine spürbare Verbesserung. Wie die angeführten Beispiele zeigen, reicht es oftmals auch aus, die gegebenen technischen Hilfsmittel zu nutzen, damit Hörbehinderte den Veranstaltungen besser folgen können.

Andere notwendige Veränderungen, die eine bessere Studierbarkeit bewirken können, bedürfen wiederum größerer Reformschritte. So berichten die befragten Studierenden von zu starren Studien- und Prüfungsordnungen. Diese beinhalten zum Teil Anwesenheitspflichten, die gerade von psychisch oder von chronisch erkrankten Studierenden nicht immer erfüllt werden können. Auch der hohe Zeitdruck während des Studiums und in der Prüfungszeit ist für diese Studierenden stark beeinträchtigend. Hier müssen flexible Regelungen getroffen werden.