Protocol of the Session on April 27, 2012

Im Einzelnen handelt es sich um die Antirassismusrichtlinie, die Rahmenrichtlinie Beschäftigung, die Gender-Richtlinie und die Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter außerhalb der Arbeitswelt.

Der Zweck der sogenannten Antidiskriminierungsrichtlinie ist unter anderem die Bekämpfung von Vorurteilen. Die sogenannte Gender-Richtlinie bezieht sich auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zu Beschäftigung, zu Berufsbildung und zu beruflichem Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen.

Der Schaffung eines Rahmens für die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Diskriminierungen beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und

Dienstleistungen dient die Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter außerhalb der Arbeitswelt.

Kurz und gut: Das anonymisierte Bewerbungsverfahren ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Nach den Ergebnissen der Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes haben Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund dadurch im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren bessere Chancen, zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Viel zu häufig wird heute bei der Stellenvergabe nach unsachlichen Kriterien und nicht nach der fachlichen Qualifikation entschieden. Solche Diskriminierungen haben in unserer Gesellschaft nichts verloren.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Wir haben die Verantwortung, Diskriminierungen zumindest im Bereich des öffentlichen Dienstes abzubauen. Seien wir ein Beispiel für die Wirtschaft. Stimmen Sie unserem Antrag zu und stimmen Sie für mehr Gerechtigkeit in Sachsen-Anhalt! - Vielen herzlichen dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Latta, für die zeitgünstige Einbringung. - Für die Landesregierung spricht Ministerin Frau Professor Kolb. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Steffen Müller hatte schon fast resigniert. Seine zahlreichen Bewerbungen endeten stets mit einer Absage. Seit einer schweren Erkrankung ist der Verwaltungsfachmann schwerbehindert. Dass der Mittvierziger über gute Qualifikationen verfügt und viel Berufserfahrung hat, nützte ihm nichts.

Ähnliche Erfahrungen hat die 30-jährige Ines Schulze gemacht, die für viele Personalchefs als potenzielle Mutter möglicherweise kurz vor dem Antritt ihres Mutterschafts- und Erziehungsurlaubs steht.

Auch Serpil Klukon, eine Diplomökonomin, hatte bei der Jobsuche bisher etliche Misserfolge zu verkraften. Sie glaubt, dass ihr türkischer Name und die Tatsache, dass sie eine Frau sei, ihre Chancen beeinträchtigt hätten.

In der Tat: Dank dieses Pilotprojektes anonymisierte Bewerbung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, das uns Frau Latta eben vorgestellt hat, sind diese drei jetzt Mitarbeiter der Stadtverwaltung Celle.

Das Projekt hat diesen drei Personen offensichtlich geholfen. Aber inwieweit man aus diesem Projekt diese sehr positiven Aspekte schließen kann, die

uns Frau Latta vorgetragen hat, muss aus meiner Sicht noch belegt werden.

Es ist völlig zu Recht gesagt worden, es gebe unbewusste Diskriminierung gerade im ersten Teil des Bewerbungsverfahrens. Die entscheidende Hürde für viele ist, überhaupt zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, dass sie sich dort tatsächlich präsentieren und ihre Qualifikation und ihre Persönlichkeit umfassend darstellen können.

(Unruhe)

Beispiele dafür, dass das tatsächlich praktisch angewandt wird, gibt es insbesondere im englischsprachigen Raum. In den USA, in Großbritannien und in Kanada sind derartige anonymisierte Bewerbungsverfahren seit Jahrzehnten gängige Praxis.

Auch in Europa kann man in den letzten Jahren erste Versuche feststellen, beispielsweise in Schweden und in der Schweiz. In Belgien ist dieses anonymisierte Bewerbungsverfahren im Bereich des öffentlichen Sektors zur Anwendung gekommen.

Wenn man sich den Abschlussbericht genau anschaut, den Frau Latta zitiert hat, dann stellt man fest, dass das Fazit der Studie mit den Schlagworten „anonyme Bewerbungen nützen insbesondere Frauen und Migranten; anonyme Bewerbungen erhöhen die Chancen für Frauen“ zunächst sehr positiv klingt. Wenn man sich allerdings genau mit den einzelnen Ergebnissen beschäftigt, dann stellt man fest, dass selbst die Verfasser in ihrer Zusammenfassung zu dem Ergebnis kommen, dass die ermittelten Effekte dieser Studie eben nicht repräsentativ sind.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Das liegt insbesondere daran, dass die beteiligten Institutionen, insbesondere die Unternehmen schon sehr weit in der Entwicklung von Diversity-Strategien waren und insoweit eine positive Auswahl vorgenommen wurde.

Von dritter Seite wird insbesondere die geringe Referenzmenge kritisiert. Es gab 8 500 ausgefüllte Bewerbungen. 1 300 Personen sind zu einem Eignungstest oder Bewerbungsgespräch eingeladen worden. 246 Personen haben im Ergebnis ein Jobangebot bzw. einen Ausbildungsplatz erhalten. Das sind gerade einmal 2,8 %. Angesichts dessen von ganz positiven Effekten zu reden, ist aus meiner Sicht etwas übertrieben.

Man sollte sich auch anschauen, welches Fazit gerade die hier zitierten Unternehmen aus diesem Pilotprojekt gezogen haben. Bei der Deutschen Telekom heißt es:

„Es hat nicht geschadet, aber es hat uns auch keinen zusätzlichen positiven Effekt gebracht. Der Versuch wird nicht fortgeführt.“

Die Deutsche Post schätzt ein:

„Die Teilnahme an der Studie hat uns bestätigt, dass unsere bisherigen Verfahren bereits alle Aspekte der Chancengleichheit gewährleisten. Da das Verfahren kein zusätzliches Bewerberpotenzial erschlossen hat, wird es nicht fortgeführt.“

Auch L’Oréal Deutschland hat an diesem Projekt teilgenommen. Die Firma sieht sich in ihrer Diversity-Strategie bestätigt. Das Projekt habe keine Unterschiede bei der Qualität der Bewerber hervorgebracht. Das bisherige Rekrutierungsverfahren solle fortgeführt werden.

Etwas positiver sind die Erfahrungen bei den beteiligten Behörden. Die Arbeitsagentur in NordrheinWestfalen hat festgestellt, dass das Bewerberpotenzial in diesem Jahr um 60 % über dem des Vorjahres gelegen habe. Es wurde festgestellt, dass sich deutlich mehr Menschen mit Migrationshintergrund beworben hätten.

Es wird eingeschätzt, dass es durch das Verfahren für die Personalverantwortlichen einfacher geworden sei, sich für einen Bewerber zu entscheiden. Es heißt, die Schere im Kopf sei gar nicht erst aufgegangen. Die Arbeitsagentur in Nordrhein-Westfalen werde dieses Verfahren in Zukunft weiter praktizieren.

Was sind die Erkenntnisse aus diesen Ergebnissen der Studie? - Diese sind aus meiner Sicht durchaus differenziert. Man kann daraus schließen, dass es offensichtlich noch andere Instrumente gibt, die ebenfalls geeignet sind, für mehr Chancengleichheit bei Entscheidungen zu sorgen. Das heißt, den Unternehmen, die ihre Strategien bereits darauf ausgerichtet haben, altersgemischte Teams, eine ausgewogene Geschlechterverteilung und eine ethnische Vielfalt zu haben, denen bringen anonymisierte Bewerbungsverfahren nicht sehr viel.

Die Frage, ob es im Rahmen der Landesverwaltung anders ist, müssen wir aus meiner Sicht erst beantworten. Ich glaube, wir sollten zunächst einen Schritt zurückgehen, um festzustellen, ob es diese Diskriminierung im Bereich der Landesverwaltung tatsächlich gibt. Ich weiß aus den vergangenen Jahren, dass wir in ganz vielen Bereichen mehr Frauen als Männer einstellen. Wir sollten deshalb zunächst einmal feststellen, ob es in der Landesverwaltung tatsächlich zu Diskriminierungen kommt.

Wir haben auch eine Reihe von Möglichkeiten, noch auf anderen Ebenen Potenziale auszuschöpfen. Die interministerielle Arbeitsgruppe GenderMainstreaming hat sich in den letzten Wochen sehr aktiv mit dem Thema Karriereförderung von Frauen beschäftigt. Eine Kabinettsvorlage mit konkreten Vorschlägen ist gerade in der Mitzeichnung. Sie wird demnächst dem Kabinett vorliegen. Darin

werden beispielsweise Gender-Trainings für Personalverantwortliche vorgeschlagen und eine konsequente Umsetzung der Vorgaben des Frauenfördergesetzes.

Ich erinnere daran, dass wir in § 4 des Frauenfördergesetzes eine konkrete Regelung haben, dass jede Frau, die die Qualitätskriterien der jeweiligen Ausschreibung erfüllt, einzuladen ist. Insoweit stellt sich überhaupt nicht die Frage danach, ob eine Frau bei guter Qualifikation keine Chancen hätte, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden.

Ich glaube, gerade für Führungsfunktionen, in denen Frauen tatsächlich noch unterrepräsentiert sind, ist die anonyme Bewerbung nicht das geeignete Instrument; denn in vielen Fällen werden die Führungskräfte aus dem eigenen Bestand rekrutiert und bei Bewerbungsverfahren geht es immer nur um Neueinstellungen. Von daher werden wir unser 40%-Ziel sicherlich nicht durch anonymisierte Bewerbungsverfahren schneller oder leichter erreichen können.

(Zustimmung von Herrn Kolze, CDU)

Ich plädiere dafür, dass wir die Situation in Sachsen-Anhalt genau analysieren, dass wir die Diskussion über das Gender-Mainstreaming-Konzept des Landes nutzen, um festzustellen, wo es möglicherweise Bereiche gibt, in denen Diskriminierungen vorkommen, und dass wir dort ganz gezielt einsetzen, um nach Lösungen zu suchen, damit wir diese Diskriminierung in Zukunft beseitigen.

(Herr Kolze, CDU: Es gibt gar keine Diskri- minierung, Frau Ministerin!)

Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Bevor wir in die Debatte eintreten, darf ich auf der Südtribüne ganz herzlich Damen und Herren der Netzwerkstelle Schulerfolg für (H)alle begrüßen. Wenn man zusammenfasst, heißt es Halle.

(Beifall im ganzen Hause)

Jetzt treten wir in die vereinbarte Debatte ein. Niemand muss das Zeitgeschenk der Ministerin in Anspruch nehmen Es beginnt für die CDU der Kollege Borgwardt. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herrn! Zugestanden, anonymisierte Bewerbungsverfahren ohne Namen, Passfoto, Familienstand oder Religionszugehörigkeit können die Chancengleichheit vor allem von Frauen, Migranten und älteren Arbeitnehmern bei der Jobsuche verbessern.

Die Gesellschaft schadet sich selbst, wenn sie Talente ausgrenzt.

Allein schon unsere Grundwerte, wie Gleichheit und Menschenwürde, verpflichten uns dazu, jedem in unserer Gesellschaft die gleichen Chancen zu geben. Nach unserem Grundverständnis haben Auswahlverfahren generell nur nach dem Grundsatz der Bestenauslese, das heißt nach Eignung, Befähigung und Leistung, zu erfolgen.

In Deutschland gilt seit dem Jahr 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Benachteiligungen von Stellenbewerbern unter anderem aufgrund ihrer Religion oder des Geschlechts verhindern soll. Anonymisierte Bewerbungen können darüber hinaus aber auch Benachteiligungen wegen der Herkunft - damit meine ich nicht nur die nationale Herkunft - verhindern. Uns allen ist sicher noch der Fall einer gebürtigen Berlinerin in Erinnerung geblieben, deren Bewerbung mit dem Vermerk „Ossi“ abgelehnt worden war.

Meine Damen und Herren! Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes - die Ministerin ging schon darauf ein - hat Ende 2010 ein Modellprojekt zur anonymisierten Bewerbung gestartet, das heißt, ohne Namen, Geschlechtsangabe, Alter, Familienstand, Herkunft und Foto. Es haben sich fast 10 000 Menschen anonym beworben. Es ist auch ausgeführt worden, dass im Endeffekt dann drei Bewerber eingestellt worden sind.

Das Fazit der Unternehmen, die sich in NordrheinWestfalen an einem Pilotprojekt des Bundes beteiligt haben, ist eher ernüchternd. Ob nun die Deutsche Telekom, die Deutsche Post oder L’Oréal, sie werden die anonymen Bewerbungsverfahren nicht mehr fortführen, ob nun standardisierte Vordrucke für Bewerbungsformulare, die Sperrung sensibler Daten wie Alter und Herkunft in Onlinesystemen oder das Schwärzen mit der Hand.

Lassen Sie mich bitte einige weitere Nachteile zum anonymisierten Verfahren aufzeigen. Ob nun die Persönlichkeit, Erfahrungen, Interessen oder Hobby, dies gehört bei Auswahlverfahren mit in die Waagschale und damit in eine ausführliche, individuelle Bewerbung. Interessante Lebensläufe fallen nicht mehr auf. Personalverantwortliche können auch anonymisierte Bewerbungen sehr wohl einer bestimmten Vita zuordnen. Spätestens im Bewerbungsgespräch, meine Damen und Herren, ist dann wieder der Sympathiefaktor vielleicht nur unbewusst, aber mitentscheidend vorhanden. In jedem Fall muss aber verhindert werden, dass ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren mit den Vorgaben der Frauenförderung kollidiert. Hierin sehe ich derzeit ein Problem.