Protocol of the Session on March 22, 2012

Der Umbau zu einer modernen Schule sollte von innen nach außen geschehen. Ich empfehle an dieser Stelle den Dokumentarfilm mit dem Titel „Treibhaus der Zukunft“. Der eine oder andere kennt diesen Film vielleicht.

Die Heterogenität von Kindern und Jugendlichen anzuerkennen bedeutet, die Unterschiedlichkeit der Lernbegabungen, der Lerntypen, der Hintergründe im kulturellen Bereich zu erkennen und sie im Unterricht zu berücksichtigen.

Ein modernes Bildungssystem fördert das Potenzial jedes Kindes und unterstützt individualisiertes Lernen; denn jedes Kind und jeder Jugendliche lernt anders und hat andere Voraussetzungen.

Die Lehrer übernehmen die Verantwortung für die Lern- und Leistungsentwicklung jedes Einzelnen. Damit wird auch ein verändertes Verständnis des Lehrerbildes vorausgesetzt. Lehrer nehmen die Rolle des individuellen Lernbegleiters ein, der souverän mit der zunehmenden Heterogenität umgehen kann. Sie verstehen die vielfältigen Begabungen und soziokulturellen Hintergründe ihrer Schüler als Ressource, also als Stärke, arbeiten professionell im Team und erwerben neue Kompetenzen für Diagnose und Förderung.

Aus- und Weiterbildungen müssen diesen Anforderungen angepasst werden; denn die Lehrkräfte spielen eine Schlüsselrolle für den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen. Dies wurde in dieser Runde schon sehr oft diskutiert. - So weit zu unseren pädagogischen Ansprüchen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es stellt sich nun die Frage: Wo stehen wir und was ist weiter zu tun? - Wie schon im Antrag zur Aktuellen Debatte festgestellt, sind wir in Sachsen-Anhalt bei der Entwicklung der Leistungsfähigkeit auf einem guten Weg. Die Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler ist im internationalen und nationalen Vergleich besser geworden. So hat sich SachsenAnhalt bei der Lesekompetenz in die Spitzengruppe der 25 % der besten Bundesländer hochgearbeitet.

Dieses Ergebnis ist meiner Meinung nach gar nicht hoch genug zu würdigen, weil hierbei der direkte Vergleich mit den anderen Bundesländern zeigt: Ja, wir können es. Die Anstrengungen haben sich gelohnt.

Diesen Erfolg verdanken wir sicherlich in erster Linie der Profession der Lehrer. Aber anmerken möchte ich, dass es auch weitere Mitwirkende gab. Die Stichworte Lesepaten, Vorlesetag und Bibliotheken seien an dieser Stelle nur angemerkt.

In anderen Bereichen holpert es in der Tat. Jetzt muss es uns also darum gehen, bei der Integrationskraft, der Durchlässigkeit und der Zertifikatsvergabe aus der Position der unteren 25 % der Länder herauszukommen.

Es ist bekannt, dass gerade in den Ostländern der Anteil der nicht in Regelschulen unterrichteten Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf noch viel zu hoch ist. Über diesen Bereich wurde an dieser Stelle schon sehr oft debattiert.

Wie wir wissen, streben Eltern, die selbst kein Abitur haben, dies auch bei ihren Kindern seltener an. Im ländlichen Bereich ist es deshalb auch wichtig, dass die Erreichbarkeit von Gymnasien gewährleistet ist. Vor dem Hintergrund von Schulschließungen wissen wir, welche Bestrebungen und Anstrengungen hinter diesem Anspruch liegen.

Zum Stichwort Integrationskraft gehört für mich auch das Thema der Ganztagsschulen. An dieser Stelle erinnere ich mich an den Prozess, als sich Schulen auf den Weg gemacht haben, ein entsprechendes Konzept zu entwickeln und den Ausbau voranzutreiben.

Erste Modelle gab es in den Jahren 1995 und 1996. Das Prinzip der Freiwilligkeit war von Anfang an gegeben. Das ist keine Frage. Die Befürworter der Ganztagsschule waren aber im Vergleich zu den Gegnern noch relativ wenige.

Ich kann mich auch an die Diskussion über die Kontras erinnern: zu viel Verschulung, zu viel Einmischung in die familiäre Arbeit, Unterstützen der erzieherischen Enthaltsamkeit, sprich das Thema Elternarbeit.

Gleichzeitig war mir an der Stelle der sozialpädagogische Ansatz wichtig. Die öffentliche Erziehung wird nämlich dort bedeutsam, wo Familie nicht

funktioniert. An dieser Stelle ist Ganztagsschule ein sehr guter und wertvoller pädagogischer Ansatz.

(Zustimmung von Minister Herrn Dorgerloh)

Der Durchbruch mit Blick auf die Ganztagsschulen, die wir heute im Land haben, ist meiner Meinung nach durch die IZBB-Förderung des Bundes gelungen. Wir wissen, wie viele Schulen, Schulträger und Landräte sich dann auf den Weg gemacht haben - das Kultusministerium hat sich auch auf den Weg gemacht -, diese Möglichkeit zu nutzen, um die bauliche Hülle voranzubringen. Jetzt gilt es, auch an dieser Stelle weiterzuarbeiten und Ganztagsschulen nach Möglichkeit flächendeckend auszubauen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Mi- nister Herrn Dorgerloh)

Ein weiterer wichtiger Weg und eine gute Möglichkeit ist die Zulassung von Gemeinschaftsschulen. Gerade im ländlichen Raum kann das zu einer Erhöhung der Abiturientenzahlen führen, also: hin zum Abitur durch die Gemeinschaftsschule.

Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir den Gesetzentwurf dazu in einer der nächsten Debatten diskutieren werden.

Bei der Bewertung der Zertifikatevergabe spielt auch der Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss eine Rolle. Wir wissen, dass SachsenAnhalt leider seit Jahren zu den bundesdeutschen Schlusslichtern gehört. Das hat etwas damit zu tun, dass noch viele Schüler die Förderschulen besuchen und ohne Abschluss verlassen, weil sich das Gesamtergebnis dadurch nach unten verschiebt.

Wir wissen, dass von den 1 040 Schülerinnen und Schüler, die eine Förderschule mit dem Schwerpunktbereich Lernbehinderung besuchen, gerade einmal 189 einen Hauptschulabschluss erreicht haben. Dies war durch eine gelungene Kooperation mit den Sekundarschulen möglich.

An dieser Stelle ist in der Tat zukünftig mehr Potenzial vorhanden. Ich meine aber trotzdem, dass wir auch diesbezüglich auf einem guten Weg sind - Stichwort gemeinsamer Unterricht. Wir alle hier im Raum wissen, durch Inklusion können wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, nämlich die Integrationskraft stärken und die Zertifikatevergabe verbessern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist erklärtes Ziel meiner Fraktion, auf der gesellschaftspolitischen Ebene einen Konsens über ein besseres und zugleich gerechteres Bildungssystem herzustellen.

Wir wollen den systematischen Kompetenzausbau bei Lehrkräften fördern. Wir wollen, dass auf der Ebene der Schulpraxis die Vernetzung von Lehrerinnen und Lehrern unterstützt wird. Zudem soll für

die Verbreitung von guten Beispielen, also sogenannter Best Practice, für individuelle Förderung gesorgt werden. Wir wollen den Abbau derjenigen Systembarrieren, die die individuelle Förderung im Unterricht am stärksten verhindern.

Wenn man das alles will, dann kommt man nicht umhin, alte politische Begründungsmuster und didaktisch und methodisch wenig Erfolgreiches konsequenter als bisher infrage zu stellen.

Was meine ich damit? - Man kommt zum Beispiel nicht umhin, die Problematik des Sitzenbleibens weiter zu debattieren und sich zu bewegen, nämlich in Richtung der erfolgreichen Länder. Ich möchte nicht der Debatte von morgen vorgreifen, wenngleich ich davon ausgehe, dass der Antrag, der dazu vorliegt, sich sicherlich auch auf diese Studie, den „Chancenspiegel“, beziehen wird.

Dann muss der Ausbau der Inklusion in SachsenAnhalt beherzt vorangetrieben werden. Ich sagte es bereits: Stichwort gemeinsamer Unterricht, um bei diesem Thema zu bleiben. Dann müssen Gemeinschaftsschulen in Sachsen-Anhalt zum Erfolgsmodell werden können.

Ich bin ganz sicher, längeres gemeinsames Lernen und Ganztagsangebote können die genannten Probleme nachweislich lösen. Es sind sicherlich nicht die Patentrezepte, aber es sind gute pädagogische Ansätze.

Dann müssen wir den Erhalt und die Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit in Sachsen-Anhalt im Auge haben. Es ist bekannt, dass die Schulsozialarbeit Schulversagen wirkungsvoll verringert.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

In dem vorhin schon genannten Werkstattgespräch unserer Fraktion am 12. März 2012 konnte ich mich von der Entwicklung dieses Erfolgskonzeptes sehr wohl überzeugen. Berichtet wurde über die fundierte, zielgerichtete und erfolgsorientierte enge Zusammenarbeit mit dem Lehrerteam.

Diesmal geschah dies auf gleicher Augenhöhe. Es war nicht immer so, dass beide Professionen auf gleicher Augenhöhe agieren. Die Sozialpädagoginnen haben durch Beharrlichkeit und durch unwahrscheinliches Engagement und Professionalität eine stabile Vertrauens- und Arbeitsbasis aufgebaut. So konnten sowohl die Schülerschaft nebst ihren Eltern und auch die Lehrkräfte von dem Projekt überzeugt werden.

Ich habe immer noch die Schilderungen von Schulleitern im Ohr, die einschätzten, dass ein Sozialpädagoge viel dichter an den Fragen, an den Problemen von Heranwachsenden dran sei, so dicht, wie kaum ein Lehrer dran sein könne. Das versetzt Schule in eine gute Lage, nämlich stark präventiv arbeiten zu können.

Ein weiterer O-Ton: Schulsozialarbeit ist in vielen Schulen eine Grundbedingung für einen stabilen

sozialen Frieden in der Schule. Das kann ich an dieser Stelle einfach nur unterstreichen.

Perspektivisch soll es um die Sicherung der weiteren Arbeit dieser multiprofessionellen Teams gehen; denn Problemlösung braucht Kontext. Mit den aktuellen bildungspolitischen Verabredungen im Koalitionsvertrag, nämlich der Ermöglichung von Gemeinschaftsschulen, dem Ausbau der Inklusion und dem Erhalt der Schulsozialarbeit, haben wir also gute Möglichkeiten und einen wichtigen Beitrag.

So weit an dieser Stelle die Beispiele. Mein heutiger Beitrag und, ich sehe, auch meine Redezeit sind beendet. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Reinecke, es gibt eine Frage. Möchten Sie sie beantworten.

Gern.

Frau Reinecke, ich habe eine Verständnisfrage. Sie sprachen von der guten Kooperation zwischen Förderschulen und Sekundarschulen, die es den Förderschülern ermöglicht hat, den Hauptschulabschluss zu erwerben. Sind in der von Ihnen genannten Zahl auch diejenigen Schülerinnen und Schüler enthalten, die im Rahmen des Berufsbildenden Vorbereitungsjahrs ihren Hauptschulabschluss erworben haben?

Nein, ich meinte wirklich nur diejenigen, die ihn im Rahmen der Kooperation mit Sekundarschulen erworben haben.

Danke schön, Frau Kollegin. - Als Nächster spricht für die Landesregierung der Minister für Kultur und Bildung Herr Dorgerloh.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke sehr für die Gelegenheit, heute über die Studie der BertelsmannStiftung mit dem Titel „Chancenspiegel“ im Rahmen dieser Aktuellen Debatte reden zu können.

Seit Pisa ist es wieder verstärkt so, dass wir unsere bildungspolitischen Diskussionen datenbasiert führen können. Dafür gibt die gemeinsame Studie

der TU Dortmund und der Bertelsmann-Stiftung einen weiteren Anlass. Diese fokussiert auf diejenigen Befunde und Herausforderungen im Schulsystem, die für die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen entscheidend sind.

Wir haben es mit vier Kategorien zu tun: erstens Integrationskraft, zweitens Durchlässigkeit, drittens Kompetenzförderung und viertens Zertifikatserwerbe. Für unser Schulsystem sind dies zentrale Kategorien.