Protocol of the Session on February 23, 2012

So pauschaliert, Herr Herbst, würde ich Ihnen ungern zustimmen. Natürlich liegt darin ein Problem; das haben wir beide gemeinsam hinlänglich besprochen. Bei jüngeren Menschen, die auf Dauer bei uns bleiben wollen, habe ich einfach die Erwartungshaltung, dass sie sich um eine lebensunterhaltssichernde Arbeit kümmern.

(Zustimmung bei der CDU)

Bei älteren Menschen habe ich die Hoffnung, dass uns das gelingt. Schwierigkeiten gibt es bei denen, die aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht dazu in der Lage sind. Dafür haben Sie die Szenarien aufgezeichnet.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank. - Weitere Fragen gibt es nicht. Dann spricht jetzt für die Fraktion DIE LINKE Frau Tiedge, anschließend die SPD, die GRÜNEN und die CDU. Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nein, Herr Minister, weder das, was in unserem Antrag steht, würde zu dem führen, was Sie befürchten, noch ist das jemals unsere Intention gewesen. Das haben wir auch im Innenausschuss sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.

Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, dass ich mit einem Zitat beginne:

„In Bezug auf die Vermeidung künftiger Kettenduldungen wird eine Regelung geschaffen, die keinen festen Stichtag enthält und die Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung dahin gehend absenkt, dass auch das ernsthafte Bemühen um Arbeit als ausreichend erachtet wird. Außerdem wird eine eigenständige Regelung für Minderjährige geschaffen, die bei günstiger Integrationsprognose bereits nach vier Jahren eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.“

Meine Damen und Herren! Sie vermuten die Urheberrechte sicherlich bei meiner Fraktion, aber ich muss Sie enttäuschen; denn dieses Zitat stammt nicht aus der Begründung unseres Antrags, sondern aus der Begründung eines Gesetzentwurfes zur Schaffung einer aufenthaltsrechtlichen Bleiberechtsregelung, eingebracht im November 2011 von der Bundestagsfraktion der SPD.

Angesichts der Diskussion oder - soll ich besser sagen - der Nichtdiskussion durch die Abgeordneten der SPD-Fraktion im Innenausschuss des Landtages reibt man sich doch sehr verwundert die Augen.

Im Innenausschuss wurde unser Antrag, in dem wir, wie gesagt, die gleichen inhaltlichen Positionen wie die SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Gesetzentwurf vertreten, auch von den Kolleginnen und Kollegen der SPD abgelehnt. Entweder kannten die Kollegen den Gesetzentwurf ihrer Bundestagsfraktion nicht oder sie entscheiden immer nach politischen Konstellationen: In der Opposition ist

man dafür, in Regierungsverantwortung ist man dagegen.

(Herr Borgwardt, CDU: Das kennen Sie auch, Frau Tiedge! Ich sage nur: Berlin und Brandenburg!)

Meine Damen und Herren! Rein menschlich können wir es irgendwie nachvollziehen, Sie wollten nicht noch mehr Sand in das schon sehr knirschende hiesige Koalitionsgetriebe streuen.

(Herr Scheurell, CDU: An welcher Stelle? - Herr Czeke, DIE LINKE: Hauptgetriebe!)

Unser Mitgefühl hält sich sehr in Grenzen.

Für unseren Antrag war Eile geboten, da aufgrund der zum Jahreswechsel 2011/2012 auslaufenden Regelung einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe vielen Menschen drohte, in den Status der Duldung zurückzufallen, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits länger als zehn Jahre in Deutschland lebten.

Eine grundlegende und vor allem dauerhafte Lösung fehlt seit Jahren. Zahlreiche Stichtagsregelungen, neue Fristsetzungen und vorübergehende Regelungen prägten immer wieder die Politik des Bleiberechts in der Bundesrepublik.

Aber auch die Landespolitik ist an dieser Stelle von Halbherzigkeiten und einem völlig fehlenden Reformwillen geprägt. Die von den Koalitionsfraktionen beantragte Überweisung des Antrages an den Innenausschuss war absolut nicht zielführend und stand von Anfang an konträr zu den Forderungen in den Punkten 1 und 2 des Antrages. So hatte sich dieser Beratungsgegenstand bereits durch Zeitablauf erledigt.

Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition! Dieser temporäre Fakt, dieses Verfallsdatum war Ihnen bekannt und bewusst. Dennoch haben Sie diese Entscheidung sehenden Auges getroffen. Welch ein fauler Kompromiss, um sich an unmittelbaren Entscheidungen vorbeimogeln zu können.

Meine Damen und Herren! Menschen können ihre Zukunft nur gestalten, wenn man ihnen eine wirkliche und sichere Perspektive eröffnet. Das heißt, dass nur mittels einer neuen, großzügigen und dauerhaften Bleiberechtsregelung, die auch humanitären Grundsätzen genügt, das Problem der Kettenduldungen endlich einer wirklichen Lösung zugeführt werden kann, um den betroffenen Menschen eine Lebensperspektive zu eröffnen. Nur ein solches abgesichertes Bleiberecht ermöglicht den Betroffenen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft.

Das Zurückziehen auf Argumente, wie wir sie im Innenausschuss gehört haben - ich zitiere -, „dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen völlig ausreichend seien und somit kein Handlungsbedarf bestehe“ oder „dass aufgrund der neuen Bleiberechtsregelungen in § 25a und § 18a des

Aufenthaltsgesetzes kein weiterer Regelungsbedarf bestehe“ -, war und ist dabei wenig hilfreich und kein wirklich dauerhafter Lösungsansatz. So redet man sich die Welt schön.

Diese Neuregelungen im Bleiberecht stellen zwar Verbesserungen dar, sind jedoch erheblich nachbesserungsbedürftig. Eine tatsächlich neue und moderne Bleiberechtsregelung zum Wohle der Betroffenen, aber auch der Gesellschaft muss sich in wesentlichen Punkten von der bisherigen Regelung unterscheiden.

Die fatale Reformunwilligkeit der Landesregierung zeigt sich insbesondere auch darin, dass SachsenAnhalt dem Gesetzentwurf zum Bleiberecht aus Schleswig-Holstein nicht zustimmen wird. Dabei handelt es sich hierbei lediglich um eine Minimalvariante.

Man darf Menschen nicht zwingen, ein Leben auf Abruf und in Ungewissheit zu führen. Man darf Menschen nicht dazu zwingen, ein dauerhaft rechtlich unsicheres und perspektivloses Leben mit immer wieder verlängerten Duldungen in ständiger Angst vor einer drohenden plötzlichen Abschiebung und unter sozial äußerst prekären Bedingungen zu führen. Doch gerade das jetzige Bleiberecht fördert diese Lebenssituation.

Deutschland benötigt eine neue Bleiberechtsregelung, welche menschen- und grundrechtlichen Erwägungen den Vorzug vor Nützlichkeitskriterien gibt. Wir werden die Beschlussempfehlung des Innenausschusses selbst verständlich ablehnen. Wir haben im Innenausschuss für unseren Antrag plädiert.

Ich möchte noch einige Sätze zu dem vorliegenden Änderungsantrag sagen. Zu der Beschlussempfehlung, für die man selbst gestimmt hat, einen Änderungsantrag vorzulegen, ist kühn; einen Änderungsantrag mit diesem Inhalt zu machen, ist noch kühner. Der Änderungsantrag besagt nichts.

(Herr Kolze, CDU: Das stimmt ja nicht!)

In Punkt 1 sagen Sie, die Innenminister hätten nichts getan. - Das haben wir im Innenausschuss festgestellt. Dazu müssen wir keinen Änderungsantrag zu der Beschlussempfehlung verabschieden.

In Punkt 2 erklären Sie, davon auszugehen, der Innenminister werde es mit seiner Verordnung schon regeln. Ich gehe davon aus, dass Sie noch besseren Kontakt zum Innenministerium haben: Entweder ist es so oder es ist nicht so. Wenn man aber formuliert, man gehe davon aus, dann kann es auch andere Varianten geben.

Der Änderungsantrag ist völlig überflüssig. Er hat sicherlich nur eine taktische Zielsetzung gehabt. Wir werden ihm nicht zustimmen, sondern ihn ablehnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Tiedge. - Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Herr Erben. Bitte schön, Herr Erben.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will Ihnen die Vorgeschichte zu Bleiberechtsregelungen im deutschen Aufenthaltsrecht weitgehend ersparen. Ich will an dieser Stelle aber doch darauf hinweisen, dass in den letzten fünf, sechs Jahren beim Thema Bleiberecht für Menschen, die seit langen Jahren oft mit ihren Kindern, die in Deutschland geboren worden sind, hier leben, eine ganze Menge erreicht worden ist.

Das sind natürlich immer Kompromisse gewesen. Das ist klar. Wir wissen, dass es zwischen den politischen Parteien in Deutschland sehr unterschiedliche Auffassungen über das Thema Ausländer- und Aufenthaltsrecht gibt. Mit der Schaffung der gesetzlichen Altfallregelung in § 104a des Aufenthaltsgesetzes in den letzten Jahren ist gerade für diejenigen, die schon über sehr lange Zeiträume in Deutschland leben und auch gut integriert sind, eine ganze Menge erreicht worden.

Es hat sich auch gezeigt, dass es aus diesem Kompromiss heraus ein lernendes System gewesen ist. Wir haben im Jahr 2009 in Deutschland feststellen müssen, dass der Anspruch: Ihr müsst, wenn ihr hier leben wollt, für euren Lebensunterhalt selbst sorgen!, so nicht umgesetzt werden konnte, weil eine Reihe von betroffenen Ausländerinnen und Ausländern Schwierigkeiten hatten, ihren Lebensunterhalt auf dem Arbeitsmarkt ohne den Bezug von Sozialleistungen zu sichern. Deswegen gab es für die Zeit von 2009 bis 2011 eine weitere Übergangsregelung mit den entsprechenden Regelungen für eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe.

Die Befürchtung, die auch in den Punkten 1 und 2 des Ursprungsantrags der Fraktion DIE LINKE zum Ausdruck gebracht wird, ist, dass viele Menschen, die davon betroffen sind, am 1. Januar 2012 erneut in den Status der Duldung zurückfielen. Diese Befürchtung hatten wir auch; die musste man damals haben.

In der Innenministerkonferenz gab es den Vorschlag des Innensenators von Bremen Herrn Mäurer, das Ganze über § 8 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes zu lösen, sodass wir eine Nachfolgeregelung haben und auf diese Weise verhindern, dass die Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe in den Status der Duldung und damit in einen deutlich schlechteren Status zurückfallen.

Ob das auch juristisch trägt, muss man sehr genau beobachten. Es gibt durchaus auch gewichtige juristische Stimmen, die daran zweifeln, dass man es über § 8 in allen Fällen, die wir damit erfassen

wollen, tatsächlich hinbekommt. Deswegen wird in Punkt 2 des Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen die Erwartung formuliert - der Vorsitzende des Innenausschusses hat dies heute hier angekündigt -, dass das Thema wieder aufgerufen wird. Wir werden im Laufe des Jahres 2012 sehen müssen, ob die Ankündigung und der Beschluss der Innenministerkonferenz vom Dezember des letzten Jahres tragen wird. - Das zu der ersten Intention Ihres Antrages.

Die zweite Intention Ihres Antrages ist, dass es eine Regelung auch für Ausländer gibt, die sich lange Jahre hier aufhalten, die nicht stichtagsbezogen ist. Dazu muss man auch klar sagen: Dafür gibt es zurzeit bundespolitisch keine Mehrheit, so erstrebenswert das auch ist. Weder die Innenminister noch der Landtag von Sachsen-Anhalt kann einen solchen Beschluss fassen. Eine solche gesetzliche Regelung muss der Deutsche Bundestag beschließen. Eine Mehrheit für eine solche Regelung gibt es dort nicht.

Ich will nicht unerwähnt lassen, dass die Sozialdemokratie eine Bleiberechtsregelung, die nicht stichtagsbezogen ist, politisch anstrebt. Dabei muss aber auch klar sein, dass die Anforderungen als Voraussetzung für ein Bleiberecht höher sein werden, als das in dem Vorschlag der Fraktion DIE LINKE zumindest auf Bundesebene der Fall ist.

Ich werbe für die Annahme unseres Änderungsantrages zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Erben. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Herr Herbst. Bitte, Herr Kollege.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Juni 2011 lebten in Deutschland 87 000 Menschen ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel, davon mehr als 51 000 länger als sechs Jahre. In Sachsen-Anhalt sind es derzeit etwa 2 500 Menschen. Die Abschiebung dieser Personen ist vorübergehend ausgesetzt worden - mehr nicht.

Für viele dieser Menschen steht „vorübergehend“ für „seit mehreren Jahren“. Diese sogenannten geduldeten Menschen bekommen diesen unklaren Rechtsstatus jeden Tag zu spüren. Die Zukunft dieser Menschen ist unsicher. Ihnen fehlen eine sichere Perspektive und die Chance, sich in Deutschland eine Zukunft aufzubauen.

Diese Menschen sind keine Nutznießer eines wohlfälligen Sozialstaates. Sie sind unsere Mitmenschen und dürfen unseren Respekt erwarten und

die Wahrung ihrer Menschenwürde. Dazu muss übrigens auch eine menschenwürdige Unterbringung gehören.

Eine große Anzahl von ihnen, gerade diejenigen, die seit mehreren Jahren in Deutschland leben, ist gut integriert und erfüllt die tatsächlichen persönlichen Voraussetzungen dafür, sich ein selbständiges Leben in Deutschland aufzubauen.