Protocol of the Session on February 23, 2012

Das Urheberrecht ist nicht dafür geschaffen, zwanghaft durchzusetzen, ein tradiertes Geschäftsmodell irgendwie noch am Leben zu erhalten, wie es zum Beispiel in der Musikindustrie passiert. Es soll Rechtsschutz für die Urheber gewährleisten. Ich habe große Schwierigkeiten damit, ausgerechnet die Musikindustrie als Beispiel anzuführen. Ich habe nämlich das Gefühl, dass man als Musiker heute - quasi wie vor 200, 300 Jahren - eigentlich ein armer Schlucker ist, wenn man nicht ein wenig Erfolg hat und nicht seine Musikrechte vollständig an Verwertungsgesellschaften abtritt. Ich hatte vorhin schon gesagt, dass ein besserer Schutz der Urheber gerade in diesem Bereich gebraucht wird, weil dort das Urheberrecht häufig missbraucht wird. Das ist ein Paradebeispiel dafür, dass das Urheberrecht novelliert werden muss.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

Auch ich möchte noch kurz aus dem Vertrag zitieren. Insbesondere ACTA-Gegnern ist sehr häufig vorgeworfen worden, sie hätten den Vertrag gar nicht gelesen und wüssten deshalb nicht genau, was darin so alles steht. Teilweise wird das stimmen; denn so viel steht darin nicht, dass man sich unbedingt den gesamten Vertrag durchlesen muss. Ich komme aber auch auf den Artikel 27 des Vertrages zu sprechen.

Zunächst zwei Stellen aus dem konkreten Vertragstext, an denen deutlich wird, wie sehr wir die Transparenz benötigen. In Artikel 27 Absatz 1 des

Vertrages heißt es, dass „Rechtsbehelfe zur Abschreckung von weiteren Verletzungshandlungen“ genutzt werden sollten. Eine Person, die also beispielsweise bereits zweimal im Netz gegen das Urheberrecht verstoßen hat, soll demnach jetzt abgeschreckt werden. Wie soll das denn passieren, wenn nicht nach einem Three-Strikes-Modell?

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Diese Frage ist offen.

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Das korrespondiert mit der Aussage, die ich vorhin gemacht habe, dass wir zumindest die Befürchtung haben, dass in der Umsetzung der einzelnen Regularien Bürgerrechte eingeschränkt werden, die in dem Vertragsentwurf nicht konkret erwähnt werden.

(Zuruf: Nö!)

Eine weitere Textpassage findet sich in Artikel 27 Absatz 6 Buchstabe b Doppelbuchstabe ii des Vertrages. Sie lautet - ich zitiere -:

„…die Herstellung … von Erzeugnissen …, einschließlich Computersoftware, … die keinen wesentlichen anderen wirtschaftlich bedeutsamen Zweck haben als die Umgehung einer wirksamen technischen Vorkehrung.“

Das ist ebenfalls zu sanktionieren.

Das ist eine ganz schwierige Vorgabe. Wenn man das im Detail sprachlich analysiert, dann heißt das, dass jeder Programmierer erst einmal unter Generalverdacht steht, weil er die Fähigkeit besitzt, etwas zu schaffen, das einzig und allein darauf ausgelegt sein kann, Urheberrechtsverstöße zu begehen.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

Schon der Text des Entwurfes des Vertrages ist an dieser Stelle wuselig. Man muss in die konkreten Bestimmungen in den Geheimdokumenten schauen, um zu erfahren, was konkret passieren soll.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

Allein an diesen beiden Textstellen wird deutlich, wie sehr wir die Transparenz brauchen.

Des Weiteren möchte ich die Textstelle in Artikel 27 Absatz 4 des Vertrages ansprechen, die Sie bereits zitiert haben, wonach Behörden ermächtigt werden, einem Online-Diensteanbieter gegenüber anzuordnen, einem Rechteinhaber unverzüglich die nötigen Informationen zur Identifizierung eines Abonnenten offenzulegen.

In der betreffenden Regelung steht auch, wer diese Ermächtigung erteilen soll. Das sind die Vertragsparteien, also die privaten Dritten. In diesem Vertrag ist also geregelt, dass private Dritte eine Behörde ermächtigen können, etwas zu tun. Wie soll das in nationales Recht umgesetzt werden?

Können wir das dann auch machen? - Ich könnte mir das vorstellen. Ich würde gern ermächtigt werden, bestimmte öffentliche Stellen einfach so zu ermächtigen. Es ist ein wenig schwierig, wie das in der konkreten Umsetzung aussehen soll.

Seit zwei, drei Wochen werden immer wieder neue Aspekte angeführt. In einer Meldung des öffentlichrechtlichen Rundfunks wurde gefordert, den Vertrag ACTA unbedingt und so schnell wie möglich zu unterschreiben. Es gab darüber hinaus aus gewissen Kreisen der Verwertungsindustrie eine entsprechende Lobby. Davon sollten wir uns nicht so sehr abschrecken lassen.

Zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk möchte ich wenigstens noch sagen, dass die Meinung, dass man den Vertrag ACTA unbedingt unterzeichnen müsste, aufgrund der strategischen Allianz besteht, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit den Verlagen klären müssen, inwiefern sie textbasierte Inhalte in Zukunft noch anbieten wollen. Dazu sage ich ganz klar: Als Freund des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die wir LINKE nun einmal sind, wollen wir ihn erhalten und insbesondere seine journalistische Kraft stärken. Ein hinreichend gutes Angebot auch an journalistischen Texten gehört einfach dazu. Sie können davon ausgehen, dass unsere Medienpolitiker da dranbleiben werden.

Das, was wir seit ein, zwei Wochen auch erleben, ist die Debatte, ob wir das ganze Thema jetzt aussetzen können. Was hat denn der Handelskommissar gesagt? Das habe ich vorhin schon einmal kritisiert. Er hat gesagt, der Nebel der Unsicherheit soll sich endlich lichten. Das sehe ich genauso. Er soll dann aber auch endlich die geheimen Dokumente offenlegen; denn dann wird sich der Nebel der Unsicherheit lichten.

(Zurufe: Ach was! - Das ist richtig!)

Er sagt auch, die Debatte muss sich auf Fakten und nicht auf falsche Informationen oder Gerüchte gründen. Auch hierauf gibt es nur eine einzige Antwort, nämlich: Transparenz herstellen!

(Zuruf: Machen wir doch!)

Nach der Einschätzung der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger wird sich der Prozess um ca. zwei Jahre verzögern. Gehen Sie aber einmal davon aus, dass die parlamentarische Opposition nicht nur im Landtag von SachsenAnhalt, sondern auch im Bundestag wachsam sein wird.

Die Übergabe des Vertrages an den Europäischen Gerichtshof - es ist mir wichtig, das noch einmal zu erwähnen - ist kein einzigartiges juristisches Phänomen. Es ist eine notwendige Voraussetzung, den Vertrag juristisch zu prüfen, um im Anschluss daran sachgerecht eine gesellschaftliche Debatte führen zu können, die nötig ist, aber vom EuGH nicht geführt werden kann; das müssen wir tun.

Die Auslegungskompetenz liegt beim Europäischen Gerichtshof. Das liegt daran, dass die EU in der WTO ist. Wir werden versuchen, das hinreichend zu begleiten und, wenn nötig, auch in den Ausschuss zu holen.

Am nächsten Wochenende werden wieder dezentral europaweit Proteste gegen ACTA stattfinden. Diese sind aber nicht nur gegen ACTA gerichtet, sondern auch darauf, Transparenz zu schaffen. Ich kann nur all diejenigen, die sich bei diesem Thema halbwegs bewandert fühlen und Zeit haben, aufrufen: Geht einfach zu diesen dezentralen Protesten und zeigt, dass man mit demokratischen Mehrheiten etwas erreichen kann und dass man auch zeigen muss, was die Bevölkerung von dem, worüber die Politik debattiert, denkt.

Der Vertrag ACTA ist in vielen europäischen Ländern ausgesetzt, also nicht zwingend gestoppt. Darunter ist Deutschland. Viele der Hauptprotestländer liegen in Ost- und Südosteuropa. Aber auch Deutschland und Frankreich sind dabei. Die Franzosen sind es immer, die Deutschen eher selten. Für uns ist das also etwas ganz besonderes.

Worum geht es übermorgen, am 25. Februar 2012? - Es geht gegen die Zementierung des überholten Urheberrechts und gegen das undemokratische Zustandekommen des Vertrages. Es geht um die Novellierung des Urheberrechts und um die Schaffung von Transparenz beim Abschluss internationaler Abkommen. Diese vier Gründe sind es wert, übermorgen dezentral in den Städten, in Leipzig, Halle und Magdeburg, und sonst wo auf die Straße zu gehen. - Haben Sie vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege Wagner, es gibt noch eine Nachfrage von Herrn Kollegen Graner. Würden Sie diese beantworten?

Sehr gern.

Bitte sehr, Herr Kollege Graner.

Werter Kollege, ich bin als Schüler mit der Mengenlehre traktiert worden.

(Zurufe)

Deshalb kann ich jetzt feststellen, dass es zwischen Ihnen und uns durchaus so etwas wie eine Schnittmenge gibt. In einzelnen Punkten sind wir uns durchaus einig. Das sage ich auch bezogen auf die anderen Fraktionen. In anderen Punkten kann ich aber nicht mit Ihnen mitgehen, zum Bei

spiel beim Urheberrecht, wenn Sie in ihrem Antrag schreiben:

„Im Zentrum der Bemühungen müssen sowohl die Interessen der Nutzer als auch der kreativ und wissenschaftlich Tätigen stehen.“

Genau mit dieser Reihenfolge haben wir zum Beispiel ein Problem.

Nun zu meiner Frage. Auch Herr Robra hat das „Desaster für die Demokratie“ schon kritisiert. Auch ich finde die Intransparenz der Verhandlungen über den Vertrag ACTA schlimm. Wie bewerten Sie dann aber erst den Einzug von rechtsradikalen Parteien in deutsche Parlamente, wenn schon die Intransparenz eines solchen Vertragsabschlusses für Sie ein „Desaster für die Demokratie“ ist?

(Beifall bei der SPD - Zuruf: Richtig!)

Ganz einfach: Ich werde niemals Rechtsextremisten dafür verantwortlich machen, hier für Demokratie zu sorgen; das machen wir. Wir bestimmen auch, wie wir internationale Abkommen aushandeln. Auch dafür sind wir also verantwortlich. Es spielt keine Rolle, was irgendwelche Rechtsextremisten machen. Diese zähle ich nicht zum demokratischen Spektrum. Schon deswegen sollte man sie erst gar nicht mit dafür verantwortlich machen, für Demokratie zu sorgen.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von Herrn Borgwardt, CDU, und von Herrn Schröder, CDU)

Danke sehr. - Damit ist die Debatte beendet. Bevor wir in das Abstimmungsverfahren eintreten, begrüßen wir Schülerinnen und Schüler der BebelSekundarschule Blankenburg. Seien Sie recht herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Wir stimmen zunächst über den Ursprungsantrag, also über den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/818 ab. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist der Antrag abgelehnt worden.

Wir stimmen jetzt über den Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drs. 6/838 ab. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit ist der Alternativantrag in der Drs. 6/838 angenommen worden und der Tagesordnungspunkt 1 erledigt.