Protocol of the Session on November 11, 2011

Wenn einer Gesellschaft Gewalt angetan wurde, dann braucht es Versöhnung. Die im vergangenen

Jahr zu diesem Thema angestoßene Debatte hat viele Menschen, die unter dem DDR-Unrecht gelitten haben, verstört. Ich kann diese Verstörung gut nachvollziehen; denn es darf keine billige Versöhnung geben.

Die Landesbischöfin präzisierte ihre Aussagen in der Debatte, indem sie erklärte, dass Versöhnung aus theologischer Sicht nicht zwischen einzelnen Menschen stattfindet, sondern zwischen dem Menschen, der Unrecht getan hat, und Gott. Das Schweigen eines früheren Täters könne man als Ablehnung des Versöhnungsangebots Gottes wahrnehmen. Im Anschluss an das eigene Bewusstwerden über das ausgeübte Unrecht stehe das Anerkennen, das Bereuen und das Wiedergutmachen desselben vor Gott. Dem vom Unrecht Betroffenen steht es dann auch völlig frei, diese Wiedergutmachung anzuerkennen oder eben nicht.

Doch diese Erklärung erklärt für mich eben nicht ausreichend das Bedürfnis einer Gesellschaft nach Versöhnung. Für mich erweitert sich die Notwendigkeit von Versöhnung über die individuell empfundene Verbindung zu Gott hinaus. Versöhnung ist auch für das Zusammenleben in einer mehrheitlich säkularen Gesellschaft von großer Wichtigkeit.

Der ehemalige Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen Samuel Kobia machte anlässlich der Dekade zur Überwindung von Gewalt deutlich - ich zitiere -:

„Versöhnung, die keinen Aufwand scheut, ist erreicht, wenn psychologische, soziale und politische Veränderungen in der Gesellschaft umgesetzt werden.“

Erst aus diesem wechselseitigen Verhältnis heraus, erschließt sich ihre Notwendigkeit für die Gesellschaft. Deswegen ist es die Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen für Versöhnung und Vergebung zu schaffen und gesellschaftliche Dialoge zu fördern, die den persönlichen Umgang mit den Folgen von Diktatur möglich machen.

Voraussetzung für diesen Prozess ist es aber natürlich, dass sich die Täterinnen und Täter ihrer Geschichte und ihrer Vergangenheit stellen und bei den Opfern um Vergebung bitten. Nur so kann Versöhnung möglich werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Antrag, der ziemlich in die Tiefe geht, will dieses Bekenntnis ablegen und Wege zur Aufarbeitung in unserem Land aufzeigen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Herbst. - Wir beginnen mit der Debatte. Zunächst spricht für die Landesregierung der Ministerpräsident.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Gesellschaft kann ohne historisches Bewusstsein nicht leben. Sie muss sich ihrer Geschichte vorbehaltlos stellen. Das gilt auch für die Aufarbeitung des DDR-Unrechts.

Manche mögen ein Interesse an einem schnellen Vergessen haben, andere wiederum wollen der Konfrontation mit dem Unbequemen ausweichen. Ich kann vor einer Schlussstrichmentalität nur warnen. Unrecht verjährt nicht.

(Zustimmung bei der CDU und von Frau Budde, SPD)

Die historische Wahrheit lässt sich auf Dauer nicht unterdrücken. Ihre Anerkennung ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer dauerhaften Versöhnung.

Leider existiert heute unter Jugendlichen eine weit verbreitete Unkenntnis über die DDR und über ihren wahren Charakter. Die DDR darf nicht aus Unwissenheit oder Nostalgie verklärt werden. Je mehr Schülerinnen und Schüler über die DDR wissen, desto kritischer sind ihre Einstellungen. Vor allem die Schulen und Bildungseinrichtungen sind hierbei in der Pflicht. Schließlich gibt es auch eine erlernte und moralische Zeitzeugenschaft.

Unter anderem an diesem Grundsatz orientiert sich die schulische und außerschulische politische Bildung in Sachsen-Anhalt. Auch deshalb hätte es dieses Antrages nicht bedurft. Die Forderungen sind längst umgesetzt. Unsere Programme sind breit gefächert und reichen von Tagesseminaren zur Geschichte der DDR über Zeitzeugengespräche und Fortbildungen bis hin zu länderübergreifenden Schulprojekten wie jüngst mit großem Erfolg in Marienborn.

Die Lehrpläne in den Schulen legen den Schwerpunkt auf eine asymmetrisch verflochtene deutschdeutsche Parallelgeschichte. Die Alltagsgeschichte der DDR wird besonders berücksichtigt.

Der Stellenwert der Gedenkstättenarbeit ist unbestritten. Geschichte muss unmittelbar erlebbar sein. Für dieses Konzept stehen die Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt und die Gedenkstätten Moritzplatz in Magdeburg, Roter Ochse in Halle und Deutsche Teilung in Marienborn. Sie leisten wichtige Beiträge zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Daran wird sich auch künftig nichts ändern. Ihre Funktion als Erinnerungs- und Lernort ist dauerhaft gesichert. Das haben wir kürzlich bei der gemeinsamen Kabinettssitzung mit Niedersachsen noch einmal deutlich gemacht. Beide Länder wollen unter anderem ihre Gedenkstätten und Museen entlang der früheren innerdeutschen Grenze enger miteinander vernetzen.

Es gibt eine kollektive Verantwortung für die Zukunft. Zukunftsgestaltung ist ohne Erinnerung und

ohne den ernsthaften Willen zur Versöhnung nicht möglich. Dem Alltag in der DDR und ihren Menschen wird man nicht nur durch eine Rückschau aus heutiger Sicht gerecht. Das Leben in der DDR darf nicht auf Unterdrückung und Repression reduziert und schon gar nicht als verlorene Zeit diffamiert werden.

Es gab Höhen und Tiefen im Leben der Menschen, Erfolge und Niederlagen, unerfüllte Wünsche und Sehnsüchte und damit so etwas wie Normalität. Manche empfanden das Leben in der DDR als eine Zeit der besonderen Prüfung und Bewährung. Viele haben Anstand bewiesen; andere ließen sich verführen und bemerkten zu spät, dass der Staat ihren Idealismus missbraucht hatte. Wenige sind uneinsichtig geblieben. All das gehört zur historischen Wahrheit und zur Aufarbeitung des DDRUnrechts.

Die Grundfarben der Geschichte sind nicht Schwarz und Weiß, sondern ihre Grundfarbe ist das Grau in vielen Schattierungen.

Unsere Demokratie lebt von der Mitwirkung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Wir dürfen niemanden ausgrenzen. Wer einst schuldhaft in der DDRDiktatur gehandelt hat, der verdient eine zweite Chance. Wer Reue zeigt und es damit ernst meint, dem darf die ausgestreckte Hand der Versöhnung nicht verweigert werden. Das entbindet uns aber nicht von unserer Verpflichtung, genau hinzuschauen und Verantwortlichkeiten zu benennen. Relativierungen und Beschönigungen helfen keinem.

Die Opfer haben Anspruch auf Aufrichtigkeit. Nur sie können verzeihen, aber man kann ihnen ihre Entscheidung leichter machen, indem man ihnen entgegenkommt.

Verzeihen setzt Einsicht bei den Tätern voraus. Sich zu der eigenen Schuld zu bekennen, fällt oft schwer, hat aber in vielen Fällen eine befreiende Wirkung und macht den Weg für einen echten Neuanfang frei.

(Zustimmung bei der CDU, von Frau Budde, SPD, und von Minister Herrn Stahlknecht)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - In der Debatte spricht jetzt für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Herr Miesterfeldt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Herbst, Ihr unqualifizierter Umgang mit einem von diesem Hohen Haus gewählten Landesbeauftragten und mit einem Bürgerrechtler aus der DDR - -

(Herr Herbst, GRÜNE: Ich gehe mit ihm nicht um!)

- Dann überlegen Sie sich zukünftig die Wahl Ihrer Worte. Wägen Sie sie. Sie sind heute hier mit ihm umgegangen.

(Herr Herbst, GRÜNE: Nein!)

- Sie sind hier mit ihm umgegangen. Das hätte mich beinahe dazu geführt, mit Ihrem Antrag so umzugehen, dass ich sage, wir lehnen ihn ab, und mich dann wieder setze.

(Herr Herbst, GRÜNE, meldet sich zu Wort)

Der Antrag hat mich ohnehin in eine etwas schwierige Gemengelange gebracht, zumindest in eine emotional schwierige Lage. In vielem gibt es inhaltliche Zustimmung; aber kann man daraus einen Antrag so formulieren, wie dieser formuliert ist? - Dazu sage ich schon vorweg: Nein.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Natürlich bedarf es der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und es bleibt die Aufgabe der Auseinandersetzung mit der Geschichte und des Erkennens der Geschichte. Aber wollen wir heute hier beschließen, dass wir in der DDR systematisches Unrecht und individuelles Glück hatten?

Natürlich - darin gebe ich Ihnen völlig Recht - ist die oft ausgesprochen intensive Fokussierung auf die Staatssicherheit auch ein politischer und historischer Fehler gewesen und ist es bis heute. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass diese Legende stimmt, dass Modrow und Gysi gesagt haben: Wir brauchen einen Sündenbock; der Rest läuft wie von selbst. Viele Politiker, auch ich, sind darauf hereingefallen.

Aber werden wir das 20 Jahre danach und mit diesem Beschluss ändern, wenn wir jetzt alle Organe, alle Institutionen und die Blockparteien usw. - - Glauben Sie mir, ich könnte vieles über meine Meinung von damals und von heute über Blockparteien sagen. Aber können wir das in einem solchen Beschluss aufarbeiten und voranbringen? - Ich glaube, nicht.

In Ihrem dritten Punkt gehen Sie dann insbesondere auf das Thema Landesbeauftragter ein. Ich möchte das gern etwas sachlicher wiederholen. Uli Stockmann war in der DDR auf der Seite der Bürgerrechtler. Uli Stockmann war ein vom Staat Begleiteter und Verfolgter. Man kann gern seine Stasi-Unterlagen einsehen.

Dass die Dinge so gelaufen sind, wie sie gelaufen sind, finde ich persönlich höchst betrüblich. Ich muss allerdings auch sagen: Es ist eine Missachtung der dort Tätigen, wenn nun so getan wird, als wäre es eine ganz große Katastrophe und es ginge überhaupt nicht weiter. Dem ist nicht so.

In Ihrem letzten Punkt sprechen Sie über Versöhnung - ich zitiere -:

„Zur Versöhnung sind zunächst die Täter und Täterinnen gefordert, die ihr Tun oder

Unterlassen anerkennen und gegenüber den Betroffenen offenbaren müssen.“

Ich kann diesem Satz zustimmen, aber ich hätte größte Probleme damit, diesen Satz in einem Landtagsbeschluss heute, an diesem Freitagabend, zu beschließen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Ich habe, um vielleicht eigene Emotionen etwas aufzufangen, Ihren Antrag einmal einer Deutschlehrerin und einer Juristin gezeigt, weil ich mir auch die Frage gestellt habe, ob ich völlig daneben liege. Beide kamen zu dieser differenzierten Wertung: Inhaltlich ja, aber beschließen kann man das in einem Landtag nicht.

Der Spielfilm über Hoheneck trägt den Namen „Es ist nicht vorbei“. - Nein, es ist nicht vorbei. Das ist heute schon von anderen gut beschrieben worden. Das beschreibt auch dieser Film.

Herr Gallert, ich möchte einmal den einen Gedanken bringen zu der Anmerkung „mehrheitlich gewählt“. Das ist richtig. Das haben Sie faktenmäßig alles richtig dargestellt. Was dabei etwas übersehen wird, sind die nicht mehrheitlich vorhandenen, aber sehr wohl vorhandenen Opfer, die Opfer in einem engeren Sinne.

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Ich persönlich habe mich nie als solch ein Opfer verstanden. Ich habe weder im Jahr 1989 noch heute eine Reine-Weste-Diskussion geführt. Ich hatte das Glück, in einer Nische leben zu können, und mit mir auch mein Sohn, der heute vor 22 Jahren auch neun Jahre alt war. Ich glaube, Sie, Herr Herbst, haben in einer ähnlichen Nische gelebt.