Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben am 3. Oktober 2011 den 21. Jahrestag der deutschen Einheit gefeiert. Noch immer gilt in Ost und West ein unterschiedliches Rentenrecht. Auch 21 Jahre nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit wird gleiche Lebensleistung in Ost und West nicht in gleicher Weise bei der Rente anerkannt. Der Bundesverband der Volkssolidarität nennt das einen Anachronismus.
Damals, in der Euphorie des Einheitsprozesses, war man von einer relativ schnellen Angleichung der Lebensverhältnisse ausgegangen und hatte deshalb eine Übergangsregelung eingeführt, die schnell überflüssig werden sollte. Diese Annahme hat sich als Trugschluss erwiesen.
Die Angleichung der Einkommensverhältnisse verläuft schleppend. Sie ist seit 1999 weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Einkommensunterschiede werden sogar wieder größer. Die Angleichung der Rentenwerte stagniert. Die Differenz liegt immer noch bei 11 %.
(Herr Borgwardt, CDU, und Herr Weigelt, CDU, unterhalten sich - Herr Gallert, DIE LINKE: Das hilft nichts! Er sieht nicht, dass du ihn anschaust!)
- Ich weiß es nicht. Aber ist das vielleicht die Sorte von Verhandlungen, die man nicht im Plenarsaal führen müsste? - Ich frage es nur.
Der aktuelle Rentenwert beträgt zurzeit 24,37 € im Osten und 27,47 € im Westen. Die sogenannte Eckrente - das ist die Rente, die man bekommt, wenn man 45 Jahre gearbeitet und den Durchschnittsverdienst erhalten hat - weist eine Differenz von immerhin 139 € auf. Das ist bei gleichen Preisen und Lebenshaltungskosten eine echte Einbuße an Lebensqualität. Das wird niemand bestreiten.
Auch dürfte kaum jemand bestreiten, dass die Überführung der ostdeutschen Renten in das bundesdeutsche Rentenrecht für eine große Mehrheit der ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner ein bedeutender Schritt zur Verbesserung ihrer materiellen Lebenssituation war. Ebenso unbestritten haben wir es nach wie vor mit zwei Rechtsgebieten zu tun. Zweigeteiltes Rentenrecht ist eine Realität. Es wird als ungerecht empfunden. Das ist kein Phantomschmerz der LINKEN.
Zu welchen Anachronismen das führt, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass Menschen, die lange nach der Wende geboren wurden und die jetzt in das Erwerbsleben eintreten, auf ihrem Rentenbescheid noch immer die Tatsache unter die Nase gerieben bekommen, dass sie einmal Ossis waren.
Die Fortführung des jetzigen Angleichungsprozesses hätte zur Folge, dass die Angleichung der Rentenwerte Ost an West nicht vor dem Jahr 2030 und damit mehr als 40 Jahre nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit erreicht werden könnte. Viele Rentnerinnen würden die Vollendung der deutschen Einheit im Rentenrecht nicht mehr erleben. Die Bundespolitik hat das Problem inzwischen begriffen. Im Koalitionsvertrag von CDU/ CSU und FDP steht auf Seite 84 der Satz:
Es war die Kanzlerin selbst, die auf dem neunten Seniorinnentag im Juni 2009 - das war übrigens drei Monate vor der jüngsten Bundestagswahl - den dort Anwesenden eine Lösung für die Angleichung der Ostrenten noch in der ersten Hälfte der Legislaturperiode versprochen hat. Sie hat von einem Zeitraum von zwei Jahren gesprochen.
Die sind jetzt um, und was haben wir erreicht? - Mit liegt kein Vorschlag der Bundesregierung vor. Aber vielleicht habe ich ja etwas übersehen. Der Regierungsdialog Rente ist es wohl nicht.
Und dass man die Ankündigung von Herrn Dr. Bergner, dem Ostbeauftragte der Bundesregierung, ernst nehmen kann, dass ein Vorschlag Ende des Jahres kommen wird, darf wohl bezweifelt werden angesichts der Tatsache, dass immer wieder betont wird, wie schwierig diese Materie ist, wie schwierig das zu lösen ist.
Man beginnt jetzt, wo die Frist abgelaufen ist, einen Regierungsdialog Rente - immerhin jetzt schon. Das war der Anlass für uns, vom Landtag ein Votum einzufordern und die Landesregierung zum Handeln aufzufordern. Wir schlagen gleichzeitig einen Lösungsweg vor.
Aus unserer Sicht muss eine gerechte Lösung drei Kernforderungen erfüllen: Sie muss erstens für die Bestandsrentnerinnen echte Verbesserungen bringen mit der Perspektive der Anerkennung gleicher Lebensleistungen, und das natürlich ohne Verschlechterungen für die Rentnerinnen im Westen.
Sie muss zweitens der Tatsache Rechnung tragen, dass nach wie vor ein Ausgleich der Lohnunterschiede notwendig ist.
Sie muss drittens als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen und deshalb aus Steuern finanziert werden.
Dazu greifen wir heute einen Vorschlag auf, der von einem breiten Bündnis aus Gewerkschaften wie Verdi, GEW, Transnet, der Gewerkschaft der Polizei und von Sozialverbänden wie der Volkssolidarität, dem Sozialverband Deutschland und dem Bund der Ruhestandsbeamten, Rentnerinnen und Hinterbliebenen entwickelt wurde und der in der Lage ist, diese Anforderungen zu erfüllen.
Wenn Ihnen aufgefallen sein sollte, dass unser Antrag denselben Text hat, wie der Antrag unserer Bundestagsfraktion, dann ist das kein Zufall und es soll auch nicht verschwiegen werden; das war selbstverständlich Absicht.
Wir wissen, dass es gegen diese Vorschläge diverse Einwände gibt, vor allem gegen die Beibehaltung der Höherwertung bis zur tatsächlichen Angleichung der Einkommensverhältnisse. Schauen wir uns die Fakten an.
Die Höherwertung war richtigerweise eingeführt worden, um die Einkommensunterschiede zwischen Ost und West, die ja enorm waren, auszugleichen. Wir übersehen übrigens nicht, dass es in tariflich geregelten Bereichen eine positive Lohnangleichung gibt.
Die tarifliche Grundvergütung lag schon Ende 2009 im Durchschnitt bei 96 % des Westniveaus. Aber etwa die Hälfte der Arbeitnehmerinnen im Osten profitieren davon leider überhaupt nicht, weil sie in Unternehmen ohne Tarifvertrag tätig sind. 40 % der Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnbereich. Der Anteil der Arbeitnehmer im Teilzeit- und Leiharbeitsbereich ist im Osten etwa doppelt so hoch wie im Westen. Die durchschnittlichen Gehälter liegen damit nach wie vor etwa ein Viertel, also 25 %, unter denen des Westens.
Außerdem müssen die Leute im Osten, wenn sie denn einen fast gleichen Lohn erhalten, auf im Westen übliche Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten. Das heißt, die Hin
weise auf eine Tarifangleichung sagen überhaupt nichts aus über die tatsächliche Ungleichbehandlung.
Das einkommensstärkste Land im Osten - das ist Brandenburg - liegt bei einem Vergleich immer noch weit abgeschlagen hinter dem einkommensschwächsten Land im Westen - das ist SchleswigHolstein.
Verlierer des Wegfalls der Höherwertung wären im Übrigen nicht die Alten, sondern die Jüngeren, die zukünftigen Rentnerinnen, die heute in Branchen arbeiten, deren Löhne bei Weitem noch nicht das Westniveau erreicht haben, die im Niedriglohnsektor arbeiten.
Sie haben außerdem auch kein Geld für den Aufbau einer privaten Altersvorsorge übrig und sind allein auf die gesetzliche Rente angewiesen. Das bedeutet, dass dieses Problem auch vor dem Hintergrund drohender Altersarmut betrachtet werden muss.
Das ist übrigens die gröbste Fehlstelle in dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD, dass er zu dieser Höherwertung eben keine Aussage trifft. Sie lassen das offen. Sie wissen sehr wohl, dass diese Höherwertung in sehr vielen Bereichen infrage steht. Und Sie wissen sehr wohl, dass das zu Renteneinbußen für viele Rentnerinnen und Rentner, vor allem für die zukünftigen Rentnerinnen und Rentner führen wird.
Überhaupt nicht zielführend ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die im Durchschnitt höheren Zahlbeträge im Osten. Auch wenn wir hier nicht im Westen sind, wo man das offensichtlich niemandem erklären kann, wo man das überhaupt nicht verstehen will, will ich es auch hier noch einmal deutlich sagen, damit wir nicht wieder mit dieser albernen Diskussion anfangen.
Diese im Durchschnitt höheren Zahlbeträge im Osten beruhen in der Regel auf durchgehenden Erwerbsbiografien insbesondere bei Frauen, was sich im deutschen Rentenrecht mit seinem Äquivalenzprinzip positiv auf die Rentenhöhe auswirkt.
Vor allem aber verzerrt dieser einseitige Blick auf die gesetzliche Rente das tatsächliche Bild der Alterseinkünfte in Deutschland. Im Zuge der Einheit wurden nämlich alle Berufsgruppen der DDR - alle, also auch die Berufsgruppen mit vergleichsweise höheren Einkommen - in die gesetzliche Rente überführt.
In der Bundesrepublik ist das anders. Da sind besser verdienende Berufsgruppen häufig in anderen Versorgungssystemen. Ich denke an die Beamtenversorgung. Die Ärzteschaft hat eine eigene Versorgung usw. Sie gehen mit ihrem Alterseinkommen überhaupt nicht in die Statistik der gesetzlichen Rente ein.
Folgendes Beispiel macht das deutlich: Etwa die Hälfte der Männer, die mit einer monatlichen Rente von 300 € in die Rentenstatistik eingehen, bezieht gleichzeitig eine Beamtenpension. Über 30 % der Männer haben eine betriebliche Altersvorsorge. Im Westen kommen Einkünfte aus Vermögen, aus Vermietung und Verpachtung oder aus privaten Renten- und Lebensversicherungen dazu.
Sie wissen, dass die heutigen Rentnerinnen und Rentner im Osten nicht die Möglichkeit hatten, solche privaten Renten- und Lebensversicherungen aufzubauen, weil es das einfach nicht gab.
Das heißt, die Rentnerinnen und Rentner im Osten sind ausschließlich auf ihr Einkommen aus der gesetzlichen Rente angewiesen. Das kann also auch kein Argument dafür sein, die verbliebenen Ungerechtigkeiten im Rentenrecht beizubehalten.
Natürlich muss eine Lösung auf zwei Ebenen erfolgen. Wir brauchen auf der einen Seite verstärkte Anstrengungen für die Lohnangleichung in Ost und West. Ein Schritt dazu wäre - das muss immer wieder gesagt werden - der immer wieder eingeforderte gesetzliche Mindestlohn.
Auf der anderen Seite brauchen wir eine beschleunigte Angleichung des Rentenwertes in Ost und West, indem - wie von uns vorgeschlagen wird - zeitweise steuerfinanzierte Zuschläge gezahlt werden.
Je schneller im Übrigen die Lohnangleichung erfolgen würde, desto geringer würden die Kosten für einen befristeten steuerfinanzierten Zuschlag. Billig wird es natürlich nicht. Das ist jedem klar. Umso eher würde sich auch eine spezielle Höherbewertung der Einkommen in den neuen Ländern, zumindest für die Zukunft, erübrigen. Es würde also auch Druck im Hinblick auf eine schnellere Angleichung der Einkommensverhältnisse in Ost und West entstehen, wenn man eine solche Lösung anstreben würde.
Danke sehr, Frau Dirlich, für die Einbringung. - Wir können jetzt Damen und Herren der Volkssolidarität Blankenburg bei uns begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!
nur diejenigen, die kurz vor dem Renteneintritt stehen, sondern auch Jüngere. Manchmal habe ich Bedenken, wenn ich höre, dass schon 40- oder 45-Jährige darauf warten, bald in Rente gehen zu können; denn ich denke, es sind bis dahin noch viele Jahre, in denen es sich zu leben lohnt, statt darauf zu warten, dass man endlich in Rente gehen kann.
- Das habe ich schon öfter mitgekriegt, auch bei meinen Freunden. Ich dachte, das dauert doch noch ein bisschen, und es stimmte mich nachdenklich, dass das offenbar die einzige Perspektive ist.