Die erste Beratung fand in der 85. Sitzung des Landtages am 27. Februar 2015 statt. Berichterstatter ist der Abgeordnete Herr Schwenke. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Landtagsabgeordnete! Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drs. 6/3805 und der Antrag der Fraktion
DIE LINKE in der Drs. 6/3820 wurden vom Landtag in der 85. Sitzung am 27. Februar 2015 zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie zur Mitberatung in die Ausschüsse für Wissenschaft und Wirtschaft und für Inneres und Sport überwiesen.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zielt mit ihrem Antrag im Wesentlichen darauf ab, Patientinnen und Patienten mit schwersten Krankheiten und Beschwerden einen ärztlich reglementierten Zugang zu medizinischem Cannabis und Cannabisprodukten wesentlich zu verbessern. Dafür sollen die gesetzlichen Krankenversicherungen die Kosten übernehmen. Zudem soll bei Vorlage eines ärztlichen Attestes der Anbau, Besitz und Erwerb von Cannabis straffrei bleiben.
Der vereinfachte Zugang zu Cannabis als Schmerzmittel wird auch mit dem Antrag der Fraktion DIE LINKE gefordert. Dieser widmet sich darüber hinaus auch dem Thema der Entkriminalisierung des Anbaus und der Nutzung von Cannabis. Beabsichtigt sind unter anderem die Anhebung der Strafverfolgungsfreigrenze, auch vor dem Hintergrund der notwendigen Entlastung der Strafverfolgungsbehörden, sowie die Einführung von Cannabisklubs in Sachsen-Anhalt als Modellprojekte nach spanischem Vorbild. Die Landesregierung soll aufgefordert werden, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen.
Die Obleute der Fraktionen im Ausschuss für Arbeit und Soziales haben sich in ihrem Treffen am 26. März 2015 darauf verständigt, zu beiden Anträgen unter Beteiligung der mitberatenden Ausschüsse zunächst ein Fachgespräch durchzuführen. Dieses Fachgespräch fand in der 54. Sitzung des Ausschusses am 24. Juni 2015 statt.
Auf die Vorschläge der Fraktionen hin wurden dazu verschiedene mit der Thematik Sucht und Drogen befasste Verbände und Einrichtungen, Krankenkassen sowie Experten aus dem Bereich der Schmerz- und Palliativmedizin eingeladen. Ein großer Teil der Sachverständigen betonte den medizinischen Nutzen von Cannabis und cannabishaltigen Präparaten und befürwortete daher den schnellen und unbürokratischen Zugang zu Cannabis als Medizin und auch die Notwendigkeit der Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen.
Es wurden aber auch Bedenken vorgetragen, insbesondere von den Krankenkassen, die eine generelle Zulassung von Cannabis als Medizin als aus medizinischer und pharmazeutischer Sicht problematisch sahen. So sprach sich die BKK ausdrücklich gegen die Öffnung des derzeitigen Cannabisverbotes aus. Die Landesstelle für Suchtfragen plädierte dafür, auch in präventiver Hinsicht aktiver zu werden, um gegebenenfalls entstehende Abhängigkeiten zu vermeiden. Vonseiten der Experten der Schmerz- und Palliativmedizin wurde
auf die bisher noch wenig vorhandenen Erfahrungen mit der Behandlung mit Cannabis und deren Nebenwirkungen hingewiesen.
Im Nachgang zu dem Fachgespräch vereinbarte der Ausschuss für Arbeit und Soziales, die Krankenkassen in Sachsen-Anhalt schriftlich um die Beantwortung der noch offenen Fragen zu bitten, insbesondere zur Antragssituation bei den Kassen zur Existenz von bundesweiten oder regional verbindlichen Regelungen und hinsichtlich der Absprachen zwischen Krankenkassen und Ärzten. Des Weiteren wurde der Verband der Ersatzkassen, Landesvertretung Hessen, schriftlich um Informationen zu dem von ihm angewandten Lösungsmodell zur Verwendung von Cannabis gebeten.
Die nächste Beratung zu den beiden in Rede stehenden Anträgen führte der Ausschuss für Arbeit und Soziales in der 58. Sitzung am 4. November 2015 durch. Dem Ausschuss lagen dazu die Antwortschreiben der Krankenkassen von SachsenAnhalt und des Verbandes der Ersatzkassen, Landesvertretung Hessen, auf die ihnen zugeleiteten Fragen vor. Des Weiteren lagen dem Ausschuss der gemeinsame Entwurf für eine vorläufige Beschlussempfehlung der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der gemeinsame Entwurf einer vorläufigen Beschlussempfehlung der Fraktionen der CDU und der SPD vor.
In dem Entwurf der Koalitionsfraktionen wurde das Anliegen der Bundesregierung begrüßt, die Anwendung von Medizinalhanf für schwersterkrankte Menschen möglich zu machen und den Anbau und Handel von Cannabis zur Schmerztherapie in die Hände einer noch zu schaffenden Stelle zu geben. Die Landesregierung soll gebeten werden, den auf der Bundesebene in Arbeit befindlichen Gesetzentwurf positiv zu begleiten bzw. das Anliegen zu unterstützen.
Der Entwurf für eine vorläufige Beschlussempfehlung der Oppositionsfraktionen beschränkte sich auf den Auftrag an die Landesregierung, Cannabis und seine Inhaltsstoffe als verkehrs- und verschreibungsfähig einzustufen und in die Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes zu übertragen sowie sich gegenüber dem Bund für die Einberufung einer Expertengruppe nach § 35c Abs. 1 SGB V einzusetzen, die die zulassungsüberschreitende Anwendung von Cannabispräparaten eruieren und damit die Kostenübernahme durch die Krankenkassen ermöglichen soll. Auf weitergehende Forderungen verzichteten die Oppositionsfraktionen nach eigenen Aussagen, um den parlamentarischen Verfahrensweg nicht zu verzögern.
Der Entwurf einer vorläufigen Beschlussempfehlung der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN wurde bei 5 : 7 : 0 Stimmen abgelehnt. Dem Entwurf einer vorläufigen Beschlussempfehlung der Fraktionen der CDU und der SPD
wurde mit 7 : 2 : 3 Stimmen zugestimmt. Dieser Textvorschlag wurde als vorläufige Beschlussempfehlung verabschiedet und den mitberatenden Ausschüssen zugeleitet.
Der Ausschuss für Inneres und Sport hat sich in der 72. Sitzung am 25. November 2015 mit den vorgenannten Anträgen und der vorläufigen Beschlussempfehlung befasst. Er stimmte der vorläufigen Beschlussempfehlung mit 5 : 0 : 4 Stimmen zu.
Auch der Ausschuss für Wissenschaft und Wirtschaft hat der vorläufigen Beschlussempfehlung zugestimmt. In der 52. Sitzung am 26. November 2015 hat er seine Beschlussempfehlung mit 8 : 4 : 1 Stimmen verabschiedet.
Die abschließende Beratung im federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales fand in der 59. Sitzung am 2. Dezember 2015 statt. Dem Ausschuss lagen dazu die beiden Beschlussempfehlungen der mitberatenden Ausschüsse vor. Da es kein Änderungsbegehren gab, wurde der Text der vorläufigen Beschlussempfehlung als Beschlussempfehlung an den Landtag zur Abstimmung gestellt. Die Koalitionsfraktionen beantragten, die Überschrift des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Cannabis umfassend als Medizin nutzen“ als Überschrift in die Beschlussempfehlung an den Landtag zu übernehmen.
Die Beschlussempfehlung an den Landtag wurde daraufhin mit der genannten Überschrift mit 6 : 5 : 0 Stimmen vom Ausschuss verabschiedet und liegt dem Plenum heute mit der Bitte vor, dieser Empfehlung zu folgen. Ich bitte Sie namens des Ausschusses um Zustimmung zu der Beschlussempfehlung. - Vielen Dank.
Danke sehr für die Berichterstattung, Kollege Schwenke. - Die Landesregierung verzichtet auf einen Redebeitrag. Wir treten in die Fünfminutendebatte ein. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abgeordnete Frau Dirlich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir dürfen fast schon dankbar dafür sein, dass wir zu diesem Antrag im Landtag überhaupt noch einmal debattieren. Die Regierungsfraktionen haben sich in den letzten Wochen im Sozialausschuss immer wieder erfolgreich gedrückt, wenn es darum ging, unsere Anträge und auch die Anträge der GRÜNEN überhaupt noch in der Sache zu beschließen.
In diesem Falle kam ihnen auf Bundesebene die Ankündigung des Bundesgesundheitsministers Gröhe entgegen, dass ein Gesetz den Zugang zu
Cannabis als Medikament erleichtern soll. Es wird ein Gesetz geben. Ich habe schon oft den Satz gesagt: Wir warten nur noch. - Ah, ja! Genauer will man es vielleicht gar nicht wissen.
Dass Handlungsbedarf besteht, ist aus unserer Sicht klar. In den vergangenen Jahren mussten sich viele einzelne Betroffene ihr Recht, Cannabis als Medikament nutzen zu dürfen, vor Gericht erstreiten; Einzelne auch noch das Recht, Cannabis für diese Eigennutzung anbauen zu dürfen. Wohlgemerkt: Wir reden von Palliativpatientinnen, deren Schmerzen auf andere Weise nicht mehr gelindert werden können. Die aktuelle Rechtslage muss daher aus unserer Sicht als menschenunwürdig bezeichnet werden.
Grund für die notwendigen Reformen ist also nicht etwa ein Paradigmenwechsel, sondern es sind die Urteile, die uns zum Handeln zwingen. Allerdings wird in den einschränkenden Zwischentönen Gröhes schon deutlich, dass es ihm vor allem darum geht, den Missbrauch von Medikamentencannabis unbedingt zu verhindern.
Meine Damen und Herren! Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Ausgangspunkt der unzureichenden Nutzung der segensreichen Wirkungen von Medikamentencannabis ist eben diese tabubeladene Prohibition von Cannabis als Droge. Das führt dann dazu, dass das relativ harmlose Cannabis - harmlos gegenüber Opium und Morphium - als Medikament noch schwerer zu bekommen ist als Opiate oder Morphin. Wenn Sie mich fragen, ist das völlig absurd.
Und das, obwohl Cannabis als Schmerzstiller wirkungssicherer ist. Weil dieses Dogma das eigentliche Problem ist, hatte meine Fraktion in ihrem Ursprungsantrag auch Elemente eingefügt, die Schritte zu einer allgemeinen Entkriminalisierung oder, besser gesagt, Regulierung von Cannabis als Droge darstellen.
Um aber der Sache bzw. in dem Falle den Patientinnen zu dienen, haben wir gemeinsam mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Kompromissvorschlag als Entwurf einer Beschlussempfehlung im Ausschuss vorgelegt.
Die Weichen im Betäubungsmittelgesetz müssen auf der Bundesebene so gestellt werden, dass Cannabis und cannabishaltige Medikamente von Ärzten verschrieben werden können. Genau das sollte der Landtag seiner Landesregierung jetzt auch mit auf den Weg geben.
drei Punkte beziehen. Erstens. Die Zahl möglicher Patientinnen ist wohl deutlich höher als angenommen. Wir sind von vorsichtigen Schätzungen ausgegangen: 1 % der Bevölkerung. Das wären etwa 22 000 Menschen. Herr Dr. Knud Gastmeier, Facharzt für Anästhesie in Potsdam, hat aus seiner Erfahrung eigene Berechnungen vorgenommen und kommt zu dem Schluss, dass es allein in Sachsen-Anhalt dreimal so viele sind, nämlich 67 000 Menschen, denen geholfen werden könnte.
Zweitens. Wir haben eine unzumutbare Grauzone in der Praxis der Palliativmedizin. Ein Enkel versorgt beispielweise seine schwerstkranke Oma mit Haschkeksen, weil sie sich nicht zweimal am Tag das Dronabinol leisten kann, das ihre Schmerzen wirksam lindern könnte. Auch diese Grauzone ist für die Beteiligten ein Riesenproblem.
Drittens. Die krebsbedingte Magersucht führt dazu, dass die Betroffenen nicht mehr essen wollen. Neben der Tatsache, dass viele von ihnen an dieser Magersucht sterben, noch bevor der Krebs zum Tod führt, geht es auch um ein Stück Lebensqualität zum Ende des Lebens. Mit Cannabis kommt der Appetit zurück und die Menschen haben wieder Freude am Essen. Auch wenn Cannabis den Krebs nicht heilt, so verbessert sich doch der Gesamtzustand der Patientinnen.
Wir wollen, dass die Menschen die Hilfe bekommen, die sie brauchen, und können daher Ihre unzureichende Beschlussempfehlung nur ablehnen. Es ist einfach schade, dass Sie sich auf unseren Kompromiss nicht einlassen wollten.
Zurzeit müssen sich Menschen, die Cannabis als Medikament nutzen wollen, an eine staatliche Stelle wenden, die ihren Antrag ablehnt. Dann müssen sie zum Gericht gehen. Das habe ich gerade geschildert. Sie wollen, dass sie sich an eine staatliche Stelle wenden müssen, um Cannabis zu bekommen, was dann wieder abgelehnt wird. Wenn darüber dann noch die Überschrift steht: „Cannabis umfassend als Medizin nutzen“, dann kann ich nur noch lachen.
- Er verzichtet auf einen Redebeitrag. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Frau Lüddemann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Menschen, die dazu neigen, nur die Überschrift zu konsumieren, könnten jetzt denken, die GRÜNEN hätten einen Erfolg errungen.